Feministische Modellierungen der Grundzüge des modernen Fußballs

FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft 1-2021: Feministischer Fußball – Entsportlichung oder eigensinniger Gegenentwurf?

Feministischer Fußball – Entsportlichung oder eigensinniger Gegenentwurf?

Friederike Faust

FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft, Heft 1-2021, S. 7-19.

 

Abstract
Abseits des verbandlich organisierten Fußballs versuchen zahlreiche Fußballinitiativen, mit dem Leistungsprimat des hegemonialen Fußballmodells zu brechen. Dieser Artikel analysiert anhand eines internationalen feministischen Fußballfestivals die spielerischen und organisatorischen Praktiken, mit denen Leistungsstreben und Wettstreit zugunsten von Vergemeinschaftung, Solidarität und gegenseitiger Befähigung austariert werden. Diese praktische Umgestaltung und die Grenzen, an die sie stoßen, werden vor dem Hintergrund eines leistungszentrierenden Sportbegriffs und der daran geübten feministischen Kritik diskutiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Dezentrierung des Wettstreits als Entsportlichung oder eigensinniger Gegenentwurf verstanden werden kann. Der Artikel plädiert für einen praxistheoretischen und feministisch informierten Sportbegriff, der nicht auf Leistung und Wettstreit basiert, sondern sich für die vielfältigen Praxisformen des Fußballs öffnet. Das der Analyse zugrunde liegende empirische Material wurde im Rahmen einer mehrjährigen ethnografischen Feldforschung bei einer Frauenrechts- und Frauenfußballorganisation erhoben.

Keywords: Anthropologie des Sports, Ethnographie, Feminismus, Fußball, Geschlechterforschung

 

Feminist football: de-sportization or willful counter-project?

Abstract
Beyond association-based football, numerous football initiatives are trying to break with the performance primacy of the hegemonic football model. This article uses an international feminist football festival as an example to analyze the sports and organisational practices that balance the pursuit of achievement and competition in favor of community, solidarity and mutual empowerment. These practical transformations and the limits they encounter are discussed against the background of a performance-centred concept of sport and the feminist critique of it. The central question is whether the decentering of competition can be understood as de-sportization or as a willful counter-concept. The article pleads for a practice theoretical and feminist concept of sport that is not based on performance and competition, but is open to the manifold forms of football. The empirical material on which the analysis is based was collected during several years of ethnographic field research at a women’s rights and women’s football organisation.

Keywords: Anthropology of Sports, ethnography, feminism, football, Gender Studies

 

Abseits der verbandlich organisierten Fußballturniere und -vereine haben zahlreiche unabhängige Fußballerveranstaltungen und -initiativen die Sportlandschaft vor allem im Amateurbereich diversifiziert. Während bei einigen die Freude am freizeitlichen Wettkampf im Vordergrund steht, versuchen manch antirassistische, feministische oder queere Sportprojekte mit dem Leistungs- und Wettbewerbsprimat zu brechen. So möchten die Gay Games die Gemeinschaft unter den Teilnehmenden in den Vordergrund rücken und den Wettkampf dezentrieren (Probyn 2000; Waitt 2003), die Mondiali Antirazzisti versucht, die durch Konkurrenzstreben geschürte rassistische, sexistische und homophobe Gewalt durch veränderte Spielregeln zu zügeln (Sterchele/Saint-Blancat 2015) und die Sportevents der Sofia Pride stellen Spaß, queere Sichtbarkeit und Empowerment in den Vordergrund. Seit 2009 reiht sich das Discover Football-Festival, ein internationales Frauen-Fußball-Kultur-Festival, in die Riege jener Sportveranstaltungen ein, die motiviert durch Unzufriedenheit mit den gewaltförmigen und exkludierenden Effekten von Leistungsstreben und Wettkampf, die Regeln des modernen Sports hinterfragen.

Ausgehend von diesem Festival fokussiert dieser Beitrag die feministischen Modellierungen der Grundzüge des modernen Fußballs als Antwort auf die Kritik am Leistungsprimat. Ich skizziere zunächst die vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Dimensionen von Fußball, um zu zeigen, in welchen machtvollen Dynamiken und Relationen feministische Gegenentwürfe kontextualisiert sind. Anhand ethnografischer Beispiele untersuche ich sodann, wie die Organisator_innen des Frauenfußball-Festivals die bekannte Schablone des modernen Verbandsfußballs modifizieren. Diese Umgestaltung diskutiere ich vor dem Hintergrund eines leistungszentrierenden Sportbegriffs und der daran geübten feministischen Sportkritik. Dabei bringe ich die empirischen Beobachtungen in einen spannungsreichen Dialog mit sportsoziologischen und feministischen Theoretisierungen, um zu fragen, ob die Dezentrierung des Wettstreits als Entsportlichung oder als eigensinniger Gegenentwurf verstanden werden kann. Ich schließe mit Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der feministischen Umgestaltungen sowie dem Potential, das ein praxistheoretisch informierter Sportbegriff für einen inklusiveren Sport haben kann.

Die Verwobenheiten von Fußball, Leistung und Geschlecht

„Doing sport is doing gender“ – mit dieser Formel fasst Gertrud Pfister (2003) prägnant die praxistheoretische, genauer ethnomethodologische Perspektive der aktuellen Sport- und Geschlechterforschung auf die Herstellung von Geschlecht im Sport zusammen. Männlichkeiten und Weiblichkeiten werden aus diesem Blickwinkel als Produkte des ständigen interaktiven „Zeigens gekonnter körperlicher Bewegungen und entsprechender Verhaltens- und Redeweisen“ gedacht (Schmidt 2012: 46; vgl. West/Zimmerman 2009: 114). Im Sinne der praxistheoretischen Perspektive auf die Herstellung sozialer Ordnung in verkörperten Praktiken erscheint die „wechselseitige Konstitution von Subjekt, Körper und sozialer Welt […] im Sport so gut fassbar wie an kaum einer anderen Praxis“ (Alkemeyer 2006: 290; vgl. Reckwitz 2003: 286). Die Körper- und Geschlechterverhältnisse im Fußball werden als historisch-kulturell geformte und somit kontingente „Effekte einer sozialen Praxis“ (Sobiech/Ochsner 2012: 10) analysiert. Sie reproduzieren sich nicht nur durch Körperpraktiken, Verhaltens- und Bewegungsweisen, sondern auch in Zuordnungen zu und Selbstpositionierungen in verschiedenen Handlungsspielräumen (ebd.; Pfister 2003).

Wenn ich mich in diesem Beitrag Frauen im Fußball zuwende, so geschieht dies inspiriert durch die zahlreihen Untersuchungen von Frauen in männlich konnotierten und dominierten Sportarten (Palzkill 1995; Pfister/Fasting 2004; Kleindienst-Cachay/Heckemeyer 2006; Sobiech 2012; Faust/Kösters 2016; Haß/Schütze 2018; Heckemeyer 2018). Diese zeigen, wie Geschlechter nicht nur situativ hergestellt, sondern auch hierarchisch geordnet werden: Jungen und Männer werden als rational, aktiv, stark und aggressiv gedacht und daher Frauen und Mädchen übergeordnet, die als emotional, schwach und unterwürfig konstituiert werden (vgl. Braumüller/Rulofs/Hartmann-Tews 2016: 85).1 So galt Fußball bereits in seinen angelsächsischen Anfängen als sozialisierende Praxis, mit der Männlichkeit erlernt und erprobt werden sollte (Hagemann-White 1993: 77). Über ihn vermittelten sich vermeintlich männliche Werte und Eigenschaften wie Stärke, Taktik, Risikobereitschaft, aggressiver Körperkontakt, Ausdauer etc. (Dunning 1994; Brändle/Koller 2002). Bis heute legitimiert sich die Ausgrenzung von Frauen aus bzw. Schlechterstellung im Fußball über die Verbindung von Leistung und Körper (Müller 2009; Heckemeyer 2018). Sei es die Annahme, dass Frauenkörper und -charakter nicht zu gleicher Leistung fähig seien, oder sei es die frühere Warnung, dass ihre Körper durch überm..ige sportliche Anstrengung Schaden nähmen: Leistungsprimat und Geschlechterdifferenz verflechten sich hier zur quasi-natürlichen Selbstverständlichkeit und messen dem Männlichen Höherwertigkeit bei, während sie zugleich Weiblichkeit als mit dem Fußball inkompatibel konstituieren (Griffin 2002; Pfister 2006).

Für die folgende Argumentation sind diese Befunde in zweierlei Hinsicht relevant: Erstens ist das fußballerische Leistungskonzept hochgradig vergeschlechtlicht. Damit meine ich nicht nur, dass die Konstruktion von Geschlecht im Sport durch Darstellung von Leistung und Vorstellungen von Leistungsfähigkeit bedingt wird (Müller 2009, 2007), sondern auch vice versa: Das Verständnis davon, was als schlechte, gute oder gar Höchstleistung gilt, basiert zum einen auf bestimmten sozialen und biologischen Körpervorstellungen vom jungen, fitten, weißen, cis-männlichen Körper und zum anderen auf militaristisch-maskuline Werten wie Disziplin, Kampfeswille und Härte als Norm, die sich zusammengenommen als impliziter Maßstab in den Fußball eingeschrieben haben. Dieses androzentrische Leistungsverständnis wird über das Format des Wettkampfes – das direkte Gegeneinander-Antreten, das Messen und Auswerten von Torchancen und Zweikämpfen, das Erstellen von Tabellen und Ranglisten – verankert (Bausinger 2006: 130 f.). Gegenwärtig sind es vor allem die Verbände, die hierfür die benötigten Regelwerke, Personen, Orte und Kriterien bereitstellen und damit das Primat der Leistung im Fußball formalisieren und institutionalisieren.

Zweitens ermöglicht eine praxistheoretische Perspektive nicht nur die Fortschreibung sozialer Ordnung zu erfassen, sondern auch sozialen Wandel. Da das Praktiken generierende Wissen komplex und nicht widerspruchsfrei ist, besteht immer die Möglichkeit der unberechenbaren Abweichung von der Routine (vgl. Reckwitz 2004). So schließe ich mit meinem

Interesse an der Umarbeitung der androzentrischen Dimensionen des Fußballs an jene Arbeiten an, die ihre Aufmerksamkeit auf die Diversifizierung von Geschlecht und die Aneignung männlich kodierter Sportarten legen und gehe zugleich einen Schritt weiter. Diese Studien konnten zum einen herausarbeiten, wie die Teilnahme von Mädchen und Frauen in männerdominierten Sportarten nicht nur Strategien der Anpassung und Fügung erwirkt, sondern auch die Entwicklung und Behauptung eigensinniger Geschlechtsidentitäten ermöglicht (Young 1997; Palzkill 1995; Pfister/Fasting 2004). Zum anderen wurde argumentiert, dass die Ausübung männlich kodierter Sportarten durch weibliche Athletinnen als Aneignung verstanden werden könne (Susan Birrell/Diana Richter 1994) und die gekonnte Performanz männlich kodierter Körperpraktiken durch als weiblich lesbare Körper subversiv auf die Geschlechterordnung wirke (Gugutzer 2011) beziehungsweise die geschlechtliche Kodierung des Fußballs als Männersport neu verhandeln kann (Haß 2018). Wenn ich im Folgenden nicht nur die sportlichen, sondern auch die organisatorischen Praktiken untersuche, die auf eine Modellierung der androzentrischen Verhältnisse abzielen, möchte ich auch zur Diskussion um Möglichkeiten, Wege und Grenzen des Wandels in den Geschlechterverhältnissen des Fußballs beitragen.

Feministischer Fußball als Forschungsfeld

Um Interventionen in die Geschlechterverhältnisse des Fußballs zu untersuchen, führte ich eine mehrjährige ethnografische Feldforschung durch. Das Anliegen der kulturanthropologischen Ethnografie ist es, eine tiefgehende Analyse und dichte Beschreibung sozio-politischer und kultureller Phänomene im Sinne eines „understanding through richness, texture and detail“ (Ortner 2006: 43), zu ermöglichen. Ethnografie will komplexe gesellschaftliche Phänomene anhand eines kleinen Ausschnitts sozialer Wirklichkeit in ihrer Komplexität und Kontextualität verstehen. So deuten die Ergebnisse zwar über die Feldforschungssituation hinaus, gewinnen jedoch erst im Dialog mit anderen qualitativen wie quantitativen Studien an Reichweite und Verallgemeinerbarkeit. In diesem Sinne begleitete ich zwischen 2012 und 2016 die Frauenfußball- und Frauenrechtorganisation Discover Football (DF) in unterschiedlich intensiven Phasen der teilnehmenden Beobachtung (vgl. Faust 2019). Die in Berlin ansässige gemeinnützige Organisation hat sich der weltweiten Vernetzung gesellschafts- und geschlechterpolitisch aktiver Fußballerinnen, des Empowerment und des Kampfes für Geschlechtergerechtigkeit verschrieben. Aus einem kleinen Büro in Berlin heraus organisieren ein bis drei Hauptamtliche und etwa ein Dutzend Ehrenamtliche internationale Veranstaltungen mit Spielerinnen, Trainerinnen, Funktionärinnen und Schiedsrichterinnen, um gemeinsam mittels und über den Sport hinaus gesellschafts- und geschlechterpolitischen Wandel anzustoßen. Neben dem aktiven Mitmachen und dem reflektierten Einsatz des eigenen Körpers als Forschungsmethode (vgl. Faust/Heissenberger 2016) führte ich biografische und halbstrukturierte, problemzentrierte Interviews mit den Mitgliedern der Organisation, analysierte den medialen Auftritt der NGO sowie sportpolitische und verbandliche Dokumente. Meine Beobachtungen aus dieser partiellen Perspektive heraus hielt ich in Feldnotizen fest; meinen Datenkorpus analysierte ich softwaregestützt und angelehnt an das Kodierungsverfahren der Grounded Theory auf die Frage hin, wie die fußballerischen Geschlechterverhältnisse problematisiert werden.

1 Die vergeschlechtlichenden Sportpraktiken produzieren nicht nur Männlichkeiten und Weiblichkeiten. Die aktuellen Diskussionen um Hyperandrogenismus und trans-identitäre Athlet_innen zeigen, wie diese als deviant konstituiert werden und die Geschlechterbinarität des Sports dadurch verteidigt, zugleich aber als kontingent entlarvt wird. Im Folgenden fokussiere ich allerdings den Frauensport sowie all jene Personen, die diesen betreiben. Dies schließt sowohl Personen ein, die sich selbst als Frau identifizieren als auch von den verbandlichen Regularien als Frauen klassifiziert werden und auf die ich daher mit der weiblichen Genusform rekurriere. Sollte mir die Geschlechtsidentität von Personen nicht bekannt sein, oder beziehe ich mich auf eine gemischtgeschlechtliche Gruppe, bemühe ich mich um möglichst inklusive Schreibweisen.

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