Mobile Learning zur Verbesserung der Lernortkooperation in der Gastronomie

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung 3-2022: Lernortkooperation mit Mobile Learning: Entwicklung einer App für den Einsatz in gastgewerblichen Berufsschulklassen

Lernortkooperation mit Mobile Learning: Entwicklung einer App für den Einsatz in gastgewerblichen Berufsschulklassen

Heiko Hemjeoltmanns

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 3-2022, S. 18-33.

 

Kann die Lernortkooperation in den gastronomischen Ausbildungsberufen mit Mobile Learning verbessert werden, indem Schulwissen im Betrieb verfügbar gemacht wird? Das Konzept Mobile Learning hat an Bedeutung verloren. Die spezifischen Ausbildungsbedingungen in der Gastronomie könnten aber ein sinnvolles Anwendungsfeld bieten.

Schlüsselwörter: Mobile Learning, Lernortkooperation, Ausbildung, Gastronomie, App

 

School-Workplace-Connectivity with mobile learning: Developing an app to train hotel and restaurant apprentices

Can School-Workplace Connectivity be improved with mobile learning, by making school knowledge available in the workplace? The concept of mobile learning has lost its importance. However, the specific training conditions in gastronomy could offer a useful field of application.

Keywords: mobile learning, VET, app, school workplace connectivity, hotel and restaurant apprentices

 

1 Einleitung

In vielen Berufsfeldern wurde im letzten Jahrzehnt das Potenzial mobilen Lernens für die Aus- und Weiterbildung diskutiert (BMBF, 2020; Seufert et al., 2012; De Witt, 2012). Dabei ist nach anfänglicher Euphorie Ernüchterung eingekehrt: Studien zeigen, dass Mobile Learning nicht in jedem Fall die erhoffte Verbesserung der Lernergebnisse oder -motivation ermöglicht (Burchert et al., 2014, S. 155; Mauroux et al., 2014). Ebenso hat Mobile Learning häufig nicht die Entwicklung konstruktivistisch orientierter Lernumgebungen gefördert, wie von vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern erhofft. Wesentliche Anwendungsfelder sind vielmehr als Quizfragen, Prüfungswiederholung, „drill and practice-Übungen” o. Ä. zu nennen (Gloerfeld, 2018, S. 257 f.; Lund, 2018, S. 32; Seipold, 2018, S. 28; De Witt & Czerwionka, 2006, S. 53). Dies kann in der Praxis des dualen Systems zwar auch sinnvoll sein, dennoch ist Mobile Learning angesichts dieser Entwicklungen nicht mehr im Fokus der Forschung. Hinzu kommt, dass das Thema zunehmend schwerer abzugrenzen ist, da mittlerweile fast alle E-Learning Formen auch mobil genutzt werden können (Seipold, 2018, S. 34–36).

In diesem Beitrag wird am Beispiel der Kooperation der Lernorte Betrieb und Schule in der dualen Berufsausbildung untersucht, inwieweit Mobile Learning einen spezifischen Beitrag für den Unterricht an berufsbildenden Schulen leisten kann (Euler, 2004; Köhler et al., 2014). Zu diesem Zweck wurde eine App für den Einsatz in gastronomischen Ausbildungsberufen entwickelt und evaluiert, mit deren Hilfe berufsschulisches Wissen in der betrieblichen Handlungssituation verfügbar gemacht werden kann. Es wird aufgezeigt, welches Potenzial Mobile Learning mit seinen spezifischen Merkmalen, wie Orts- und Zeitunabhängigkeit (Kerres, 2018, S. 40; Wong & Looi, 2011), für die Unterstützung der Lernortkooperation hat. Als Beispiel dienen die gastronomischen Ausbildungsberufe, da bei diesen in berufsbildenden Schulen häufig faktenintensive, warenkundliche Inhalte thematisiert werden, die im Betrieb zu einer umfassenden Beratungskompetenz erweitert werden sollen. Ein typisches Beispiel ist, dass eine Auszubildende oder ein Auszubildender einem Gast einen Aperitif empfehlen soll. Eine mögliche Antwort wäre Martini bianco. Wenn der Gast dieses Getränk nicht kennt, muss die oder der Auszubildende in der Lage sein, wesentliche Informationen (Herstellung, Inhaltsstoffe, Verwendung, evtl. Geschichte) zu liefern, um das Beratungsgespräch führen zu können. Angesichts der Fülle von Informationen zu Speisen und Getränken ist dies schwierig, wird aber zugleich mit den in der neuen Ausbildungsordnung vorgesehenen Zusatzqualifikationen im Getränkebereich bedeutender (DEHOGA, 2022). Hinzu kommt, dass entsprechende Schulungen im Lernort Betrieb selten sind, da der Ausbildungsalltag häufig von Zeitknappheit und schwierigen Ausbildungsbedingungen geprägt ist (DGB, 2018, S. 19; Brutzer & Kastrup, 2019, S. 4). Am Lernort berufsbildende Schule wiederum sind die benötigten Informationen nutzbar und können in handlungsorientierte Lernarrangements eingebunden werden. Je nach Größe der Lerngruppe und methodischer Gestaltung kann die betriebliche Handlungssituation aber z. T. nur beobachtet und gedanklich nachvollzogen werden. Dies ist sinnvoll, kann aber das reale betriebliche Handeln nicht vollständig ersetzen.

Zur Förderung der Beratungskompetenz kann es daher sinnvoll sein, die in der berufsbildenden Schule erarbeiteten und ausgewählten fachlichen Informationen schnell, einfach und situativ im Betrieb zugänglich zu machen. Mobile Learning erweitert und verbessert bisherige Möglichkeiten, indem es die Gelegenheit schafft, fachliche Inhalte direkt in eine reale betriebliche Handlungssituation einzubetten, was weder mit analogen noch mit nicht-mobilen digitalen Medien möglich ist.

Mobile Geräte sind besonders geeignet, da diese entweder im Betrieb unkompliziert genutzt werden können oder Teil des Beratungsprozesses selbst sind (als sog. Ordermann oder als Kassenapp auf dem eigenen Smartphone). Für die Bereitstellung der fachlichen Inhalte auf dem mobilen Gerät wird eine Datenbank-App genutzt, für die eine entsprechende Datenbank entworfen wurde. Diese sollte mobil (zeit- und ortsunabhängig), schnell und einfach zu nutzen sein.

2 Überblick über den Stand der Forschung

2.1 Lernortkooperation

Nach § 2 des Berufsbildungsgesetzes sind die Partner des dualen Systems und die überbetrieblichen Ausbildungsorte zur Kooperation verpflichtet, um den Ausbildungserfolg zu gewährleisten. Dies erweist sich in der Praxis immer wieder als problematisch: Die Schwierigkeiten der mangelnden Zusammenarbeit (z. B. fehlender Austausch, wenig Koordination der Inhalte) von Ausbildungsbetrieb und Schule beschreibt z. B. Euler (2004, S. 20 f.).

Lernortkooperation wird unterschiedlich definiert, etwa durch das zugrundeliegende Kooperationsverständnis oder dessen Intensität (ebd., S. 14–16). Im hier betrachteten Zusammenhang wird die Lernortkooperation in drei Ebenen unterschieden: Die systemische Ebene (1), auf der die Institutionen des Berufsbildungssystems kooperieren, um zum Beispiel Rahmenlehrpläne neu zu verhandeln; die organisatorische Ebene (2), die vor allem den Austausch zwischen Ausbilderinnen und Ausbildern sowie Berufsschullehrerinnen und Berufsschullehrern betrifft; schließlich die individuelle Ebene (3), die die Verknüpfung der theoretischen und praktischen Ausbildungsinhalte durch die einzelnen Auszubildenden meint. Diese Ebene (3) ist für die geplante App und die Ausbildungsqualität unmittelbar relevant (Elsholz, 2013, S. 8), hier kommt es aber auch am häufigsten zu Schwierigkeiten (Aprea & Sappa., 2015, S. 27).

Zur Verwendung digitaler Mittel bei der Lernortkooperation stellen Köhler et al. (2014, S. 57 f.) darüber hinaus fest, dass schon seit Beginn des Jahrtausends die Möglichkeiten des Internets zur Lernortkooperation diskutiert werden und beschreiben das Potenzial, das durch zeit- und ortsunabhängig verfügbare Informationen bestehe. Gensicke et al. (2020, S. 104) konstatierten in einer aktualisierten Studie, dass digitale Medien, trotz der vorhandenen Möglichkeiten, zur Lernortkooperation bisher eher wenig verwendet wurden.

2.2 Mobile Learning

Eine Begriffsbestimmung, die die Nähe des Mobile Learning-Begriffs zur Lernortkooperation verdeutlicht, findet sich bei Wong und Looi (2011, S. 9). In einer zusammenfassenden Literaturanalyse bestimmen diese (ebd., S. 2372–2373) zehn Merkmale von Mobile Learning und führen dafür den Begriff Mobile Seamless Learning (MSL) ein:

(MSL1) Encompassing formal and informal learning;
(MSL2) Encompassing personalized and social learning;
(MSL3) Across time;
(MSL4) Across locations;
(MSL5) Ubiquitous knowledge access (a combination of context-aware learning, augmented reality learning, and ubiquitous Internet access);
(MSL6) Encompassing physical and digital worlds;
(MSL7) Combined use of multiple device types (including “stable” technologies such as desktop computers, interactive whiteboards);
(MSL8) Seamless switching between multiple learning tasks (such as data collection + analysis + communication).
(MSL9) Knowledge synthesis (a combination of prior + new knowledge, multiple levels of thinking skills, and multi-disciplinary learning);
(MSL10) Encompassing multiple pedagogical or learning activity models.

Dabei fällt die Ähnlichkeit des MSL-Begriffes mit dem Ziel der Lernortkooperation auf: Lernen soll auf unterschiedliche Weise (MSL-Merkmal 1 und 2), an verschiedenen Orten und Zeiten (MSL-Merkmal 3 und 4), aber als ganzheitlicher Prozess stattfinden (MSL-Merkmal 8, 9 und 10). MSL-Merkmal 3 und 4 bilden den Kern der Definition. Dies unterstreicht Wong (2012, S. E20), indem er die Bedeutung des überall und jederzeit Lernens noch einmal besonders hervorhebt. Dabei beschreiben MSL-Merkmal 5 und 6 die Umsetzung mit digitalen Mitteln (hier vor allem kontextabhängiges Lernen). MSL-Merkmal 7 dagegen hat angesichts der technischen Entwicklung vermutlich an Bedeutung verloren.

Deutlich wird, dass sich in den meisten Merkmalen Anknüpfungspunkte für die Kooperation von Lernorten finden lassen. Diese Sichtweise auf Mobile Learning liegt auch der Entwicklung der Datenbank-App zugrunde

2.3 Beispiele digitaler Lernortkooperation

Im Rahmen einer umfassenden Recherche zu digitalen Projekten zur Lernortkooperation konnten 40 Projekte auf den o. g. organisatorischen und individuellen Ebenen ausgemacht werden, die sich vorwiegend dem Mobile Learning zuordnen lassen (Hemjeoltmanns, 2021, S. 24–31). Die systemische Ebene dagegen ist in diesem Zusammenhang nicht relevant, da eine Kooperation hier nicht unmittelbar den Lernprozess der Auszubildenden betrifft.

Der organisatorischen Ebene lassen sich Praxisbeispiele zuordnen, die vor allem dem Austausch zwischen schulischen und betrieblichen Ausbilderinnen und Ausbildern dienen. Hierzu zählen Projekte zum Austausch von Materialien und Übungsaufgaben (z. B. BLIP, Webzubi) sowie digitale Ausbildungsnachweise (z. B. BloK online Berichtsheft). Die digitalen Ausbildungsnachweise können zudem teilweise auch der individuellen Lernortkooperation zugerechnet werden (z. B. Blok, Elkonet, ChemNet). Technisch werden die Projekte meist über Online-Plattformen oder E-Portfolios realisiert (BMBF, 2020, S. 12–115.).

Die meisten Projektbeispiele finden sich für die individuelle Ebene der Lernortkooperation (insgesamt 36). Ein Beispiel individueller Lernortkooperation, welches zudem den Bereich gastronomische Ausbildung betrifft, fand sich u. a. bei Schwendimann et al. (2015, S. 11–14; Mauroux et al., 2014, S. 219–235): Schweizer Koch- und Bäckerauszubildende wurden mit Smartphones ausgestattet, mit deren Hilfe sie Bilder am Arbeitsplatz aufnehmen und in ihre Online-Berichtshefte und Rezeptbücher integrieren konnten. Weitere Beispiele aus dem ernährungs- und hauswirtschaftlichen Bereich konnten nicht recherchiert werden (Arenskötter et al., 2019, S. 75–81).

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