Corona und die Folgen für private Haushalte

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung 1-2022: Plötzlich war alles anders – Private Haushalte in der Corona-Krise

Plötzlich war alles anders – Private Haushalte in der Corona-Krise

Georg Raacke

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 1-2022, S. 42-54.

 

Zusammenfassung: Die COVID-19-Pandemie hat gesellschaftliches und privates Leben fundamental verändert. Welche Folgen hatte dies für private Haushalte? Mit Hilfe der Kategorien ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital wird aufgezeigt, wer besonders die Folgen zu tragen hat(te), welche mit der Pandemie-Bekämpfung einhergingen.

Schlüsselwörter: Corona-Krise, ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital

 

Suddenly everything was different—private households in the Corona crisis

Abstract: The COVID 19 pandemic fundamentally changed social and private life. What consequences did this have for private households? With the help of the categories economic, cultural, and social capital, it is shown who had to bear the consequences of the pandemic.

Keywords: Corona crisis, economic capital, cultural capital, social capital

 

Ihr Herrn, urteilt jetzt selbst: ist das ein Leben? Ich finde nicht Geschmack an alledem Als kleines Kind schon hörte ich mit Beben: Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm. Bertolt Brecht

1 Einleitung

Ende des Jahres 2019 meldete die Volksrepublik China das Auftreten einer bislang unbekannten Lungenkrankheit an die Weltgesundheitsorganisation. Die WHO rief in Folge der sich ausbreitenden Krankheit am 30. Januar 2020 eine internationale Notlage aus, was wiederum auch Folgen hatte für die der WHO zugehörigen Staaten (Fangerau & Labisch, 2020, S. 21f). Schließlich wurde am 11. März 2020 seitens der WHO eine Pandemie festgestellt.

Nur wenig später, am 27. März 2020, beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Mit diesem Gesetz änderte sich das gesellschaftliche Leben in der Bundesrepublik fundamental (Fangerau & Labisch, 2020, S. 29). Zuvor war bereits am 22. März 2020 der sogenannte erste Lockdown in Kraft getreten. Das öffentliche Leben kam danach zum größten Teil zum Erliegen.

Dies bedeutete auch für die privaten Haushalte einen tiefen Einschnitt. Der folgende Artikel befasst sich mit der Situation privater Haushalte während der Corona-Pandemie. Die Frage lautet: Welche Folgen hatte die Krise für private Haushalte und welche Rolle spielte dabei in Anlehnung an die Kapitaltheorie von Bourdieu der unterschiedliche Besitz ökonomischen, kulturellen und sozialen Kapitals?

Zunächst jedoch erfolgt eine kurze subjektive Beschreibung der Erfahrungen des ersten Lockdowns, um die Besonderheit der Situation aus der Sicht von Betroffenen zu verdeutlichen.

2 „Weder gehört, noch beachtet“ – Ein Erfahrungsbericht*

Y. S., 42 Jahre, ist alleinerziehende Mutter und Studentin. Bereits vor Corona bedeutete ihre private Lebensführung für sie häufig eine Herausforderung. Doch die Pandemie hat die Situation noch einmal verschärft. Y. S. hat im Rahmen einer Lehrveranstaltung auf Bitte des Autors hin einen Erfahrungsbericht verfasst:

Zu der bereits vorhandenen Vierfachbelastung aus Studium, Haus- und Erwerbsarbeit sowie der Kindeserziehung, kamen nun weitere Belastungen wie das Homeschooling und die Übermittagsbetreuung hinzu. Die Schließung aller öffentlichen Einrichtungen hatte zur Folge, dass die Unterstützungsangebote für alleinerziehende Mütter von einem auf den anderen Tag weggefallen sind. Da ich einer systemrelevanten Erwerbstätigkeit nachgehe, konnte ich zwar weiterhin arbeiten gehen, jedoch musste ich die Betreuung meiner Tochter organisieren. Der Spagat zwischen Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung stellte mich vor eine große Herausforderung. Um dies realisieren zu können, musste ich logistische Hürden auf mich nehmen, in meinem Fall vor der Arbeit meine Tochter zu ihrem ca. 10 Kilometer entfernt lebenden Vater fahren und nach der Arbeit wieder abholen. Das digitale Studium erforderte das selbständige Vor- und Nacharbeiten von Vorlesungen und Seminaren im häuslichen Setting. Der Alltag sah nun so aus, dass gleich morgens die digitale Schule meiner Tochter stattfand, während ich gleichzeitig Online-Veranstaltungen zu belegen hatte. Die Schulstunden fanden jedoch selten parallel zu den von mir belegten Veranstaltungen statt. Nicht selten stand meine Tochter eine halbe Stunde später neben mir, da sie bereits „Schulschluss“ hatte, während ich mitten in der Veranstaltung war. Allerdings musste meine Tochter täglich Hausaufgaben bearbeiten und diese bis spätestens 14 Uhr der Lehrkraft zuleiten. Lehrinhalte wurden nicht mehr durch Lehrkräfte vermittelt, dies war fortan Aufgabe der Eltern. Die Vermittlung der Lehrinhalte erfolgte einzig und allein durch mich und musste auch umgehend erfolgen, damit meine Tochter ihre Hausaufgaben bearbeiten und fristgerecht der Lehrkraft via E-Mail zusenden konnte. Die Schulmensa fiel mit Schließung der Schule natürlich auch aus, was zur Folge hatte, dass ich die Mittagverpflegung meiner Tochter ebenfalls in den Vormittag mit einplanen musste. Den Luxus, jeden Tag abwechslungsreiche und gesunde Mahlzeiten von Dienstleistern zu bestellen, kann und konnte ich mir nicht leisten. Also musste ich meine Verpflichtungen beiseitelegen, um für meine Tochter das Mittagessen vorzubereiten. Die Kontaktbeschränkungen führten dazu, dass ich die bei meiner Tochter aufkommende Langeweile durch Spaziergänge, Fahrradtouren und gemeinsames Backen entgegenwirken musste. Tagsüber blieb kaum noch Zeit für mich, um meinen Verpflichtungen und Bedürfnissen nachzugehen. Diese verlagerte ich überwiegend auf die Abendstunden nach 20 Uhr. Wir haben das Privileg, in einer 3-Zimmer-Wohnung mit Garten zu leben, sodass wir genügend Freiräume und Rückzugsorte in der Wohnung haben. Die Vorstellung, zu Zeiten des Lockdowns in einer 2-Zimmer-Wohnung zu leben, vielleicht sogar ohne Balkon und Garten, stelle ich mir als sehr belastend vor. Während des Lockdowns wurden bestimmte Personengruppen, zu denen Kinder und Jugendliche sowie auch alleinerziehende Eltern gehören, weder gehört, noch beachtet. Die Eindämmung des Virus war höchste Priorität, um die Gesellschaft vor schweren Folgen zu schützen. Unbeachtet blieben jedoch häufig die Folgen des Lockdowns auf die psychische und physische Gesundheit und auf das Zusammenleben.“

An diesem Beispiel wird bereits deutlich, dass es vor allem vulnerable Gruppen der Gesellschaft waren und auch noch sind, die unter den Folgen der Pandemie und den damit verbundenen Beschränkungen zu leiden hatten und noch haben. So führten die weitreichenden Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 nicht selten zu Einbußen in finanzieller Hinsicht. Die Studentin Y. S. konnte ihrer Tätigkeit während des Lockdowns weiter nachgehen, weil sie in einem so genannten systemrelevanten Bereich tätig ist. Für viele weitere Erwerbstätige bedeutete der Lockdown aber einen gravierenden Einschnitt mit weitreichenden Beeinträchtigungen, wie im Folgenden deutlich gemacht wird.

3 Die Pandemie und ihre Folgen

Der Dichter Heinrich Heine schrieb angesichts der Cholera, die 1832 in der französischen Hauptstadt Paris wütete:

Das Volk murrte bitter, als es sah, wie die Reichen flohen, und bepackt mit Ärzten und Apotheken sich nach gesünderen Gegenden retteten. Mit Unmut sah der Arme, dass das Geld auch ein Schutzmittel gegen den Tod geworden. (Heine, 2020, S. 40).

Mit seinem untrüglichen Gespür verdeutlichte Heine die Verwerfungen sozialer Natur, welche die Seuche mit sich gebracht hatte. Doch wie ist es eigentlich aktuell während der Corona-Krise? Welche Bedeutung hat ökonomisches Kapital in der aktuellen Situation?

3.1 Wenn plötzlich das Geld fehlt – Über die Bedeutung des ökonomischen Kapitals in der Corona-Krise

Materielle Ressourcen bilden eine entscheidende Grundlage für die Lebensgestaltung. Ein wichtiger Teil der materiellen Ressourcen wird in den meisten privaten Haushalten über das Erwerbseinkommen generiert. Während der Bekämpfung der Pandemie änderte sich für viele jedoch die berufliche Situation:

So konnten bestimmte Berufsgruppen zwar nach wie vor ihrer Tätigkeit in den angestammten Arbeitsorten nachgehen, für andere Bereiche trat jedoch die Homeoffice-Pflicht in Kraft. Vor der Coronakrise war Homeoffice eher noch ein „Randphänomen“ (Laß, 2021, S. 484), das änderte sich aber. Letztlich waren es vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit höheren Einkommen und einer entsprechend höheren Qualifikation, welche im Homeoffice arbeiten konnten (Bonzin et al., 2021, S. 11). So waren es Ende März 2020 41 Prozent der Personen mit höherer Schulbildung, welche ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen konnten, bei den Personen mit niedriger Bildung waren es lediglich 13 Prozent (Blom & Möhring, 2021, S. 479). Die Homeoffice-Pflicht wurde zwischenzeitlich aufgehoben (1. Juli 2021), doch seit dem 24. November 2021 ist sie bundesweit wieder in Kraft und gilt vorerst bis zum 19. März 2022.

In vielen anderen Bereichen, so in den Care-Berufen, war eine Erwerbstätigkeit von zu Hause aus nicht möglich. Gleiches galt für Tätigkeiten in Supermärkten und Discountern. Sowohl in den Care-Berufen als auch in Supermärkten und Discountern sind vorwiegend Frauen tätig. Weitergearbeitet wurde aber auch in Industriebetrieben oder Schlachthöfen usw. In all diesen Bereichen setzten sich die Beschäftigten einer großen gesundheitlichen Gefährdung aus, hier war das Risiko einer Ansteckung um ein Vielfaches höher als im Homeoffice, dies wird weiter unten noch einmal thematisiert. Zumindest aber bezogen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin ihr Einkommen.

Erhebliche Folgen hatten die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie schließlich für den Arbeitsmarkt. Innerhalb eines Vierteljahres erhöhte sich im Frühjahr 2020 die Zahl der Arbeitslosen um 500.000 Personen (Dohmen & Hurrelmann, 2021, S. 11). Damit brach für viele Menschen eine entscheidende materielle Ressource weg, es fehlte das geregelte Einkommen. Die anfallenden Kosten in den Haushalten liefen jedoch weiter. Mieten mussten weiterhin gezahlt werden, ebenso Strom- und Energiekosten, Versicherungen usw. Dies bedeutete für viele Haushalte, dass sie ihren Lebensstandard nicht mehr halten konnten. Hinzu kam, dass es vor allem sozioökonomisch schlechter gestellte Personen waren, die arbeitslos wurden:

Während in der oberen Einkommensgruppe Übergänge in die Arbeitslosigkeit praktisch keine Rolle spielten und in der mittleren Einkommensgruppe nur gut 1 % im Verlauf arbeitslos wurden, betraf Arbeitslosigkeit gut 3 % der Personen in der unteren Einkommensgruppe. (Blom und Möhring, 2021, S. 482)

Diese Unterschiede zeigten sich auch, wenn es um die Einschätzung von finanziellen Schwierigkeiten zwischen Ende März und Anfang Juli 2020 ging: Bei den ungelernten Arbeiterinnen und Arbeitern sowie einfachen Angestellten betrug der Anteil 17 Prozent, bei Beamtinnen und Beamten lediglich 2,2 bis 2,5 Prozent (Göbel & Krause, 2021, S. 499). Zeitweilig waren 25 Prozent der Alleinerziehenden von finanziellen Schwierigkeiten und Risiken betroffen, im Gegensatz zu 6 Prozent bei Partnerhaushalten (ebd.).

Die Bundesregierung versuchte, sozialen Verwerfungen entgegen zu wirken. So wurden neben bereits bestehenden Absicherungen kurzfristige Maßnahmen ergriffen, um die Folgen der Pandemie-Bekämpfung abzufedern. Dazu gehörte zum Beispiel die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes. Vor der Corona-Krise wurde das Kurzarbeitergeld von wenigen Beschäftigten genutzt, in der Hauptsache von Männern. Dies änderte sich jedoch in Zeiten der Pandemie drastisch, mehr und mehr wurde Kurzarbeitergeld auch von Frauen beansprucht (Frey, 2021, S. 28).

Die kurzfristigen Änderungen der Regelungen für die Kurzarbeit retteten Betriebe vor Schließungen, damit konnten auch viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeit behalten, sie bedeuteten aber auch für einen Teil der Haushalte erhebliche finanzielle Einbußen (ebd.).

Bezogen auf die gesamtwirtschaftliche Situation folgte auf die Corona-Pandemie und die dagegen eingesetzten Maßnahmen „die stärkste Rezession in der deutschen Nachkriegsgeschichte“ (Bonzin et al., 2021, S. 13). Dabei hatte die ökonomische Krise in bestimmten Bereichen der Wirtschaft gravierendere Folgen als in anderen Sektoren:

So haben das Gastgewerbe und die sonstigen (einfachen und haushaltsnahen) Dienstleistungen kurzfristig die stärksten Beschäftigungsrückgänge zu verzeichnen. Dies betrifft aufgrund überproportionaler Beschäftigungsanteile in diesen Bereichen insbesondere Frauen, ausländische Beschäftigte, Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte sowie Geringqualifizierte. Mittelfristig entwickeln sich substanzielle Beschäftigungs- und Einkommensrisiken auch für männliche Fachkräfte, die im von der Corona-bedingten zu erwartenden längeren Exportkrise betroffenen Verarbeitenden Gewerbe überdurchschnittlich vertreten sind. (Bonzin et al., 2021, S. 19).

Bei vielen Betroffenen werden gleich mehrere der genannten Faktoren zusammentreffen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Corona-Pandemie wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten noch einmal verstärkt hat (Bonzin et al., 2021, S. 22 und Butterwegge, 2020, S. 141). So ging der Großteil der Anfang Juni 2020 von der Bundesregierung unter dem Motto „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sicher, Zukunftsfähigkeit stärken“ versprochenen Gelder in Wirtschaft, Unternehmen und an Besserverdienende (100 Milliarden), „während sich Arbeitnehmer/innen, Rentner/innen, Studierende, Transferleistungsbezieher/innen und ihre Familien die restlichen 30 Milliarden Euro teilen müssen“. (Butterwegge, 2020, S. 152).

* Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle der Studentin Y. S., die ihre persönlichen Erfahrungen während des ersten Lockdowns zur Verfügung gestellt hat!

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