Deutsche Universitäten und ihr Umgang mit Diversität und Rassismus

Let’s talk about race. Diversität und race an Universitäten zwischen Erinnerung und Datenschutz

Cana Weider

ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, Heft 1-2025, S. 22-37.

 

Zusammenfassung
Der Artikel untersucht den Umgang mit Rassismus und race als Diversitätskategorie an deutschen Universitäten. Mit Hilfe von semistrukturierten Interviews mit Diversitätsbeauftragten sowie einschlägigen Beispielen sollte geklärt werden, wie sich Universitäten zwischen den Polen des Nicht-Sprechens über race und der Reproduktion rassistischer Stereotype positionieren. Fehlende Begriffe und Konzepte sowie die Erinnerung an den Nationalsozialismus erschweren das Sprechen über race. Zwar gibt es mittlerweile erste Studien, die ethnische Daten in Deutschland erheben, dennoch bekräftigen datenschutzrechtliche Bedenken die Skepsis gegenüber Ethnic Monitoring.

Schlagwörter: Diversität, race, Universität, Ethnic Monitoring, Datenschutz

 

Let’s talk about race. Diversity and race at German universities between memory and data protection

Abstract
This article examines how German universities/HEIs deal with racism and the category race in their diversity work. Semi-structured interviews with diversity officers and relevant examples were used to analyze how universities navigate between the poles of not-talking about race and reproducing racist stereotypes. A lack of terms and concepts as well as the memory of National Socialism make it difficult to talk about race. Despite current developments in the field of ethnic data collection in Germany, data protection concerns reinforce the skepticism towards ethnic monitoring.

Keywords: diversity, race, university/HEI, ethnic monitoring, data protection

 

1. Einführung

Race1 dient einerseits als Marker für Diversität – man denke an das häufig in Prospekten und auf Websites von Bildungseinrichtungen verwendete Bild eines Kreises aus Händen verschiedener Hautfarben. Gleichzeitig wird race – anders als Geschlecht – im deutschen Diversitätsdiskurs kaum explizit adressiert.

Grob umrissen kann unter Diversität bzw. Diversity das Ideal einer vielfältigen Gruppe in Bezug auf verschiedene Merkmale wie Geschlecht, race, Religion, Klasse, sexuelle Orientierung, psychische und körperliche Gesundheit sowie Alter verstanden werden, innerhalb derer alle Personen gleiche Chancen auf Ressourcen wie Bildung haben. Häufig wird Diversität aber als Worthülse kritisiert, da das Konzept von historischen Kämpfen gegen Ungleichheit und Unterdrückung losgelöst sei. Diversität als „‚feel good‘ politics“ (Ahmed 2012: 69) stehe der als normativ notwendig betrachteten Antidiskriminierungsarbeit im Weg. Im Hochschulkontext werde eine bunte und gleichberechtigte Gruppe von Studierenden und Wissenschaftler*innen imaginiert und so ein „positive, shiny image of the organization“ (ebd.: 72) kreiert. Kritiker*innen bemängeln, dass auf diese Weise Diversität mit Exzellenz verknüpft und als prestigebringende Internationalisierungsmaßnahme anstatt als selbstzweckhafte Gleichstellung interpretiert worden sei (Alemann/Shinozaki 2019; Bender/Wolde 2013; Klein 2013; Lutz 2013; Peter 2018; Zimmermann/Dietrich 2020).

Den deutschen Diskurs um race im Zusammenhang mit Bildung dominierten bis in die 2010er Jahre Beiträge zur Leistungsfähigkeit und zum Leistungsvergleich von Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte (vgl. z.B. Nauck/Lotter 2014). Vor allem Studien zum Vergleich der Bildungswege von Menschen mit türkischem und vietnamesischem Migrationshintergrund erinnern an Untersuchungen an Kindern marokkanischer und vietnamesischer Väter während des Nationalsozialismus von Eugeniker*innen wie Wolfgang Abel (1937). Gleichzeitig spielte race im deutschen Diskurs um Diversität und insbesondere im Kontext der Hochschulpolitik kaum eine Rolle.

Der aktuelle Diskurs um race und Rassismus in Deutschland – auf den ich im Folgenden auch näher eingehen werde – steht weitestgehend losgelöst vom Diversitätsdiskurs. Dieser wird bislang von Gender dominiert (Gottburgsen/Jungbauer-Gans 2024: 4) und auch in der kritischen Literatur um Diversität werden hauptsächlich Ersatzkategorien wie „Migrationshintergrund“ verwendet (vgl. z.B. Bender/Wolde 2013; Klein 2013, Czock 2012, Meyer et al. 2022; Gottburgsen/Jungbauer-Gans 2024).

In den als Reaktion auf den Nationalsozialismus herausgegebenen Statements der UNESCO in den 1950er und 1960er Jahren zur ‚Rasse‘-Frage beteuerten Sozial- und Naturwissenschaftler*innen, dass Menschen sich nicht entlang bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten in voneinander abgrenzbare ‚Rassen‘ einteilen ließen.

Diese Diskreditierung von ‚Rasse‘-Konzepten führte in Deutschland und der deutschen Wissenschaftslandschaft einerseits zu eher kosmetischen Korrekturen, indem altbekannte rassistische Stereotype mit neuen Begriffen wie ‚Ethnie‘, ‚Ausländer‘, ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘ usw. umschrieben wurden. Andererseits führte aber gerade auch die Tabuisierung von race zur Verschleierung rassistischer Strukturen.

Von Rassismus betroffene Menschen können auf persönlicher Ebene diskriminiert werden, was bewusst geschehen, aber auch sowohl den Betroffenen als auch der diskriminierenden Person nicht bewusst sein kann. Zudem gibt es in Institutionen wie Universitäten strukturell verankerten Rassismus, der Betroffenen Zugangs- und Aufstiegsmöglichkeiten erschwert, sowie bis heute relevante Konsequenzen historisch gewachsener Ungleichheit. Beispielsweise stehen von Rassismus betroffenen Bevölkerungsgruppen weniger ökonomische Ressourcen zur Verfügung und ihre Perspektiven werden kaum in Unterrichts- und Lehrplänen abgebildet (vgl. dazu auch Peucker 2009).

Ein mögliches Mittel zur Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung ist Ethnic Monitoring. Peter Schaar (2009: 20) definiert Ethnic Monitoring als „die statistische Erfassung der ethnischen Gruppenzugehörigkeit […]. Ethnic Monitoring soll vielfach Ungleichheiten aufdecken und dazu beitragen, deren Ursachen auf die Spur zu kommen. Auch kann das Ethnic Monitoring dazu genutzt werden, um zu evaluieren, ob Maßnahmen zur Beseitigung von Diskriminierung erfolgreich sind oder ob spezifische Förderungen für bestimmte ethnische Gruppen notwendig und wirksam sind.“

Das explizite Abfragen von race kennt man hauptsächlich von US-amerikanischen Universitäten, die damit die Wirksamkeit von positiven Maßnahmen (affirmative action) prüfen wollen. Statistische Datenerhebungen zum Zweck der Gleichstellung von Frauen sind an deutschen Universitäten als Gender Monitoring fest etabliert. Im Zusammenhang mit race gibt es bisher jedoch nur Daten zur Nationalität und dem Migrationshintergrund von Studierenden. Auch das DZHW (Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung) erfasst in seinen Befragungen „Migrationshintergrund“ und „Nationalität/Staatsangehörigkeit“ (Gottburgsen/Jungbauer-Gans 2024: 7). Die Abfrage des Migrationshintergrunds gibt nur unzureichend Rückschluss über race oder Erfahrungen mit Rassismus. Menschen mit Migrationshintergrund müssen nicht von Rassismus betroffen sein – wie z.B. eine weiße Person mit einem aus der Schweiz stammenden Elternteil – und von Rassismus betroffene Menschen haben nicht zwingend eine Migrationsgeschichte.

Befürworter*innen von Ethnic Monitoring wie Citizens for Europe fordern deshalb, dass in Deutschland – unter bestimmten Rahmenbedingungen wie Freiwilligkeit und Anonymität – ethnische Daten erhoben werden und erhoffen sich dadurch Fortschritte in der Antidiskriminierungsarbeit. Kritiker*innen befürchten jedoch, dass Ethnic Monitoring mehr Schaden als Nutzen bringen könnte. Nach Schaar ist Ethnic Monitoring als Mittel zur Bekämpfung von Unterrepräsentanz unter bestimmten Rahmenbedingungen zwar mit dem Datenschutz vereinbar, dennoch dürfe das „Missbrauchspotenzial […] nicht unterschätzt werden“ (Schaar 2009: 24). Man könne einmal erhobene Daten zu späterem Zeitpunkt schließlich für ursprünglich nicht intendierte oder für die Betroffenen sogar schädliche Zwecke nutzen. Schaar nennt Ethnic Profiling als Negativbeispiel, da ethnische Daten hier gegen die von Rassismus betroffenen Bevölkerungsgruppen eingesetzt werden könnten (ebd.: 20). So könnten beispielsweise arabische Menschen unter dem Vorwand der Terrorismus-Prävention verstärkt von der Polizei kontrolliert werden.

2. Fragestellung und Methode

Ethnic Monitoring würde deutschen Universitäten die Chance bieten, rassistische Unterrepräsentanz aufzuzeigen und in der Folge Diskriminierung effektiv zu begegnen. Gleichzeitig birgt die Methode auch Gefahren, rassistische Stereotype zu reproduzieren. Im Zuge der Vorbereitung meiner Promotion habe ich fünf explorative Interviews mit Diversitätsbeauftragten deutscher Universitäten oder für das Thema Diversität an ihrer Universität zuständigen Personen geführt.2

Durch die Analyse der explorativen Interviews möchte ich erste Erkenntnisse zur folgenden Frage liefern:
• Wie navigieren deutsche Universitäten zwischen den beiden Polen des Nicht-Sprechens über race und der Reproduktion rassistischer Kategorien?
• Konkret beschäftige ich mich dafür auch mit der Frage: Wie positionieren sich Diversitätsbeauftragte deutscher Universitäten zum Thema Ethnic Monitoring?

Für die Interviews habe ich Universitäten deutschlandweit angeschrieben und dabei verschiedene Kriterien berücksichtigt wie Teilnahme am Diversity-Audit, Status als Exzellenz-Universität, Bundesland und Region, Größe, Angliederung der Diversitätsbeauftragten in einer Stabsstelle oder bei der Gleichstellungsbeauftragten. Die hier analysierten fünf Interviews, davon ein Interview mit zwei Gesprächspartnerinnen (D), umfassen Universitäten unterschiedlicher Größe und aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Vier der Universitäten haben am Diversity-Audit teilgenommen (A, B, D, E) und ich habe ein Interview mit einer Vertreterin einer Exzellenz-Universität (C) geführt. Bei zwei Universitäten ist das Thema Diversität der Gleichstellungsbeauftragten unterstellt (B, C) und bei zwei weiteren einem Prorektorat (D, E). Bei der fünften Universität gibt es eine weisungsfreie und unabhängige Stabsstelle für die Themen Antidiskriminierung und Diversität (A). Alle Interviews habe ich im Sommer 2023 geführt und sie dauerten jeweils 30 – 60 Minuten.

Die semistrukturierten Interviews folgten drei von mir vorgegebenen Schwerpunkten mit entsprechenden Leitfragen, zu denen die Gesprächspartnerinnen frei Stellung beziehen und weiter diskutieren konnten: Rassismus und rassistische Strukturen an der Universität, Organisationsstruktur für Diversität, eigene Positionierung und Einschätzung der Durchführbarkeit von Datenerhebungen zu race.

Die Ergebnisse der Interviews ordne ich im Lichte der wissenschaftlichen Debatte um race und Ethnic Monitoring ein. Da (universitäre) Datenerhebungen im Zusammenhang mit race bislang Ersatz-Kategorien verwenden, die auch in den Interviews kritisch besprochen wurden, gebe ich im Folgenden einen kurzen Abriss über die relevantesten Begriffe. Insbesondere kontextualisiere und problematisiere ich die Begriffe ‚Ausländer‘, ‚Migrationshintergrund‘, ‚ethnische Herkunft‘ sowie ‚Rassismuserfahrung‘ als Ersatz für race an Beispielen aus der Hochschulpolitik.

In einem zweiten Schritt setze ich mich konkret mit dem deutschen Diskurs um Ethnic Monitoring auseinander, der geprägt ist von Fragen nach adäquaten Begriffen sowie Möglichkeiten, race zu thematisieren und statistisch zu messen, ohne Rassismus zu reproduzieren. Diese Themen wurden auch in den Interviews und hier insbesondere mit Erinnerung an den Nationalsozialismus diskutiert. Im Zusammenhang mit Ethnic Monitoring ist Datenschutz besonders relevant. Neben den Einschätzungen meiner Gesprächspartnerinnen soll die rechtliche Grundlage skizziert werden.

1 Obwohl beispielsweise im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der ‚Rasse‘-Begriff verwendet wird, löst dieser aufgrund der deutschen Geschichte Irritation und Ablehnung aus. Ich möchte den Begriff deshalb auf Deutsch nicht verwenden, empfinde aber auch die im Deutschen häufig verwendeten Umschreibungen von ‚ethnischer Herkunft‘ oder ‚Ethnie‘ als problematisch, da sie weiterhin die Vorstellung ‚menschlicher Rassen‘ implizieren. Auch das DeZIM (Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung) unterstreicht die „Dringlichkeit für den inhaltlich-analytischen Austausch über das Konzept Rassismus sowie über ‚Rasse‘/race als analytische Kategorie“ (DeZIM 2023: 36). Aktuell bestehe in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft „keine Einigkeit darüber, ob ‚Rasse‘ als analytische Kategorie für eine kritische Rassismusforschung produktiv verwendet werden kann“ (ebd.). Im Folgenden verwende ich den im Englischen neutraler konnotierten Begriff race. Da es sich um ein Fremdwort handelt, schreibe ich race kursiv. Andere Begriffe wie ‚Ausländer‘ setze ich in einfache Anführungszeichen, sofern sie als Ersatz für race verwendet werden. Mit den einfachen Anführungszeichen möchte ich signalisieren, dass ich die Begriffe uneigentlich und distanziert verwende. Wie ich weiter entfalten werde, steht der fehlende Begriff sinnbildlich für die Schwierigkeiten, über race und damit auch Rassismus in Deutschland zu sprechen.
2 Insgesamt habe ich sieben explorative Interviews geführt. Neben den fünf genannten gehörte dazu auch jeweils ein Interview mit einer Frauenbeauftragten und mit einer studentischen Vertretung. Zur besseren Vergleichbarkeit der Aussagen analysiere ich im folgenden Artikel nur die Interviews der für das Thema Diversität an ihrer Universität hauptverantwortlichen Personen.

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Sie möchten gerne weiterlesen? Dieser Beitrag ist in Heft 1-2025 unserer ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management erschienen.

 

 

 

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