Zusammenarbeit mit der Schule aus Sicht von Eltern mit Migrationsgeschichte

ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management 1-2024: Gelingensbedingungen für die Eltern-Schule-Zusammenarbeit aus der Perspektive von Eltern mit Migrationsgeschichte

Gelingensbedingungen für die Eltern-Schule-Zusammenarbeit aus der Perspektive von Eltern mit Migrationsgeschichte

Jessica Lindner, Verena Scheuerer, Sabine Weiß und Ewald Kiel

ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, Heft 1-2024, S. 24-37.

 

Zusammenfassung
Die Studie fragt nach Gelingensbedingungen der Eltern-Schule-Zusammenarbeit aus der Perspektive von Eltern mit Migrationsgeschichte, eine von intersektionaler Benachteiligung tangierte Gruppe. In Gruppendiskussionen charakterisieren Eltern die Zusammenarbeit mit der Schule als reziprok, mit gemeinsamer Verantwortung für schulische Erfolge und Wohlbefinden der Kinder. Zentral ist für sie eine auf die individuellen Anliegen zugeschnittene Beratung, deren Notwendigkeit Eltern aus ihrer Herkunft und Biografie ableiten. Unterstützend wirken spezifische, teils digitale Gesprächsformate. Implikationen wie u.a. die Öffnung der Schule nach außen und die Einbindung von Eltern in Gremienarbeit werden aus einer machtkritischen Perspektive diskutiert.

Schlagwörter: Beratung, Eltern, Migrationsgeschichte, Schule, Zusammenarbeit

 

Conditions of success for the parent-school-collaboration from the perspective of parents with a migrant history

Abstract
The study investigated conditions of success on parent-school-collaboration from the perspective of parents with a migrant history. They are often threatened by intersectional discrimination. In group discussions, parents characterised the collaboration with the school as reciprocal, with shared responsibilities for the children’s academic success and well-being. Crucial is counseling tailored to individual concerns which parents derived from their origin and biographies. Supportive were specific, partly digital dialogue formats. Implications such as opening of the school to the outside world and parents’ involvement in committee work were discussed from a perspective that highlighted power asymmetries.

Keywords: collaboration, counselling, parents, migrant history, school

 

1. Einleitung

Im öffentlichen Diskurs wie auch der Forschung zu Familien mit Migrationsgeschichte im Kontext Schule liegt das Hauptaugenmerk auf den Kindern und Jugendlichen, v.a. auf deren schulischen Leistungen (z.B. Schwippert et al., 2020) und mit Blick auf die Erklärung von ungleichen Bildungserfolgen bei Schüler*innen wird das Paradigma der Intersektionalität diskutiert (z.B. Gottburgsen & Gross, 2012). Eltern als schulische Akteur*innen finden als Einflussgröße Berücksichtigung in den großen Schulvergleichsstudien, wenn familiäre Sozialisationsmuster, der sozioökonomische Hintergrund oder das kulturelle Kapital der Elternhäuser aufgegriffen werden (z.B. Gogolin et al., 2011; Reiss et al., 2019), dies mit und ohne Bezug zu Migrationsgeschichte. Es besteht Konsens darüber, dass Eltern einen großen Einfluss auf den Bildungserfolg ihrer Kinder ausüben (im Überblick z.B. Castro et al., 2015). Allerdings wird die individuelle Perspektive von Eltern auf Schule jenseits davon, eine ,Einflussgröße‘, z.B. in Schulvergleichsstudien, zu sein, kaum beachtet. Insbesondere trifft das für Eltern mit Migrationsgeschichte und deren Wahrnehmung des Eltern-Schule-Verhältnisses zu (Westphal, 2018). Gerade deren Perspektive bleibt vor dem Hintergrund bestehender gesellschaftlicher Strukturen oftmals ausgeklammert, analog zu ihren Kindern ist davon auszugehen, dass sich auch Eltern im Schulkontext intersektionaler Benachteiligung gegenüber sehen, die auf multiplen Differenzkategorien und deren Wechselwirkungen gründet (u.a. Brah & Phoenix, 2004; Winker & Degele, 2009).

Daher nimmt die vorliegende Studie die Perspektive von Eltern mit Migrationsgeschichte in den Blick und geht dabei ressourcenorientiert vor. Eltern mit Migrationsgeschichte als Agents of Change formulieren Gelingensbedingungen der Eltern-Schule-Zusammenarbeit. Der Einführung zu Eltern mit Migrationsgeschichte als Akteur*innen im Schulkontext folgt die Darstellung des methodischen Vorgehens, der Gruppendiskussionen zur Ermittlung der Gelingensbedingungen. Diese werden in den Ergebnissen entlang des Mehrebenenmodells von Bronfenbrenner (1981) systematisiert und abschließend hinsichtlich der schulpraktischen Umsetzung sowie aus einer machtkritischen pädagogischen Perspektive diskutiert.

2. Eltern mit Migrationsgeschichte als schulische Akteur*innen

2.1 Zum Verhältnis von Familien mit Migrationsgeschichte und Bildungsinstitutionen

Im Zuge schulischer Reformmaßnahmen, z.B. der veränderten Betreuungssituation durch den Ausbau des Ganztagesangebots, kommt es zur Ausgestaltung einer neuen „Ordnung der Sorge“, einer veränderten privaten und öffentlichen Aufgabenverteilung des „Sorgens“ und einer spezifischen Professionalisierung der Sorgearbeit (Toppe, 2010). Zuständigkeiten für Aufmerksamkeit, Fürsorge, Verantwortung und Kompetenz im Sinne einer Care-Ethik werden stärker an öffentlich verantwortete Bildungsorte und die dort Tätigen, u.a. an Lehrende, delegiert. Diese veränderten Zuständigkeiten beziehen sich nicht nur auf Schüler*innen, sondern auch auf deren Eltern. In einem solchen weiten Care-Verständnis lässt sich die Eltern-Lehrkräfte-Beziehung als ,reziproke Beziehungsarbeit‘ konzeptualisieren, wie sich dies auch im Begriff der ,Bildungs- und Erziehungspartnerschaft‘ (z.B. Göbel-Reinhardt & Lundbeck, 2015) widerspiegelt.

Care-Verhältnisse unterliegen der Kritik, asymmetrisch ausgerichtet zu sein, was auch das Eltern-Schule-Verhältnis charakterisiert. Dieses ist „asymmetrisch geordnet“ (Chamakalayil et al., 2022, S. 11). Ungleichverhältnisse werden insbesondere dann deutlich, wenn Familien in den Fokus rücken, die von der mehrheitsgesellschaftlich wahrgenommenen Norm abweichen. Solche Differenzmarkierungen sind maßgeblich an der Aufrechterhaltung von Ungleichheiten beteiligt. Sie sind Ergebnisse sozialer Zuschreibungsprozesse und drücken Machtverhältnisse aus (Emmerich & Hormel, 2013). Bestehende Zuschreibungen gegenüber Eltern mit Migrationsgeschichte sind v.a. solche einer ‚geringen Passung‘ in Bezug auf institutionelle Erwartungen oder einer ,problembehafteten kulturellen Prägung‘ (Ivanova-Chessex, 2020; Xyländer, 2011), in denen sich das defizitorientierte Bild manifestiert, „dass Migranteneltern sich nicht für die schulischen Belange ihrer Kinder engagieren, dass ihre Erziehungsvorstellungen unvereinbar mit den deutschen Erziehungszielen und -normen seien“ (Hawighorst, 2009, S. 53). Ein ähnliches Bild zeigen internationale Studien, in denen Eltern, oft einer bestimmten Herkunft, attribuiert wird, dass ihnen Interesse, Fähigkeiten, Sprachkenntnisse oder Wissen fehle, sich adäquat an der Bildung ihrer Kinder zu beteiligen (De Gaetano, 2007; Walker et al., 2011).

Auch die Einstellungen und Erwartungen von Eltern zu Bildungseinrichtungen variieren aufgrund divergierender biografischer Erfahrungen mit Schul- bzw. Bildungssystemen und es gibt teils unklare Vorstellungen über die Aufgabenverteilung von Eltern und pädagogischem Personal (Deniz, 2012; Hoover-Dempsey et al., 2005; Snell et al., 2009). Zudem gelten mit Blick auf den noch immer ausgeprägten ‚monolingualen Habitus‘ der Schule (Gogolin, 2008) deutsche Sprachkenntnisse im kommunikativen Austausch von Eltern und Lehrkräften als (unhinterfragte) Voraussetzung. Werden Eltern mit Blick auf die ‚Zielsprache‘ Deutsch (zu) geringe Sprachkenntnisse zugeschrieben, um sich adäquat an der Eltern-Lehrkräfte-Beziehung zu beteiligen, und zudem deren eigene sprachliche Ressourcen ausgeblendet (Natarajan, 2019), trägt das zur Reproduktion von Ungleichverhältnissen bei.

Internationale Reviews zu den Effekten von Elternbeteiligung (u.a. Castro et al., 2015; Hornby & Lafaele, 2011) wie auch Studien aus dem deutschsprachigen Raum verweisen auf die Wirksamkeit einer gelingenden Kooperation und Beziehungsgestaltung von Elternhaus und Schule für die Leistungsentwicklung und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen (vgl. Sacher, 2022). Allerdings ,schrecken‘ die skizzierten Asymmetrien und ungleichen Machtverhältnisse Eltern ab (Hanafin & Lynch, 2002); sie verhindern eine produktive Zusammenarbeit und Partnerschaft auf Augenhöhe (Betz et al., 2019). Die Wahrnehmung von Eltern mit Migrationsgeschichte als ‚andere‘ Eltern mit Desinteresse oder problembehafteten kulturellen Prägungen ist kontraproduktiv, denn die Studienlage zeigt: Eltern mit Zuwanderungsgeschichte haben i.d.R. ein hohes Interesse an einer Zusammenarbeit mit Lehrkräften und versprechen sich davon positive Effekte (Sormunen et al., 2011). Mitunter spielen politische Gründe (z.B. ein ungeklärter Aufenthaltsstatus), Erfahrung der Diskriminierung durch Bildungseinrichtungen oder implizite oder explizite Vorhaltungen, nicht ausreichend informiert zu sein sowie in der Folge Minderwertigkeitsgefühle, Überforderung und Hemmungen eine Rolle, wenn Eltern im Kontakt mit der Schule zurückhaltend sind (Cross et al., 2019; Hornby & Lafaele, 2011; Gomolla, 2009).

Betrachtet man diese Ausführungen in der Summe, werden aus (der Zuschreibung von) multiplen Differenzmerkmalen wie u.a. Sprache, ,kulturellen Prägungen‘, Herkunft etc. sowie deren Wechselwirkungen die skizzierten ungleichen Machtverhältnisse und die Gefahr intersektionaler Benachteiligung von Eltern mit Migrationsgeschichte deutlich, mit Auswirkungen auf die Beziehung von Eltern und in der Schule Tätigen. Nötig wäre ein die gelingende Zusammenarbeit von Elternhaus und Schule adressierendes, ressourcenorientiertes Herangehen, das insbesondere die Perspektive der Eltern mit Migrationsgeschichte stärkt und deren Interesse an einer Zusammenarbeit (Sormunen et al., 2011) einbezieht. Allerdings zeigt die deutschsprachige Forschung wenige diesbezügliche Erkenntnisse auf. Insbesondere zur Perspektive von Eltern mit Migrationsgeschichte sind die Ausführungen vage und auf allgemeine Handlungsempfehlungen ohne Bezug zu empirischen Daten beschränkt. Solche Empfehlungen adressieren verschiedene Ebenen von Schule bzw. der Eltern-Schule-Interaktion und zeigen die Zusammenarbeit von Schule und Eltern als Geflecht verschiedener Systeme. Sie lassen sich durch das Mehrebenenmodell von Bronfenbrenner (1981) systematisieren, das auch der folgenden Studie zugrunde liegt. Das Modell beschreibt die Beziehung einer Person mit ihrer Umwelt durch die miteinander interagierenden Ebenen Mikrosystem, Mesosystem, Exosystem und Makrosystem. Die folgende Studie verortet die diskutierten Gelingensbedingungen der Eltern-Schule-Zusammenarbeit daher in den verschiedenen Systemen.

2.2 Forschungsfragen

Der Forschungsstand zeigt, dass es an Studien fehlt, in denen Eltern ,selbst zu Wort kommen‘, die deren Perspektive erfassen und entgegen der defizitorientierten Darstellung Ressourcen in den Blick nehmen. In der vorliegenden Studie rückt die Sichtweise der Eltern in den Fokus, es werden Positionen sichtbar gemacht, die in den dominanten Diskursen der Fachwissenschaften und der Öffentlichkeit häufig nicht thematisiert werden. Für die systematische Darlegung von Gelingensbedingungen der Zusammenarbeit von Eltern und Schule sind folgende Fragestellungen leitend:
1. Welche Gelingensbedingungen der Eltern-Schule-Zusammenarbeit bzw. von Eltern und den in der Schule Tätigen beschreiben Eltern mit Migrationsgeschichte?
2. Welche Ebenen von Schule und welche Akteur*innen adressieren die Gelingensbedingungen?

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