Mit Concept Maps zum Wissen

Notizzettel an einer Pinwand

Wissenserwerb und Wissensstrukturierung für nachhaltiges Wirtschaften im Lebensmittelhandwerk durch Concept Maps

Meike Panschar, Sabine Scholle, Andreas Slopinski, Julia Kastrup & Karin Rebmann

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 3-2021, S. 97-112

 

Die Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung zielt darauf ab, die Bereitschaft und die Kompetenzen für nachhaltigkeitsorientiertes berufliches Handeln zu fördern. Bedingung dafür ist ein handlungswirksames Wissen. Der Beitrag beleuchtet vor diesem Hintergrund die Potenziale von Concept Maps zum Wissenserwerb und zur -strukturierung und in diesem Zuge Ergebnisse der Zusatzqualifikation für nachhaltiges Wirtschaften im Lebensmittelhandwerk „mach.werk“.

Schlüsselwörter: Concept Maps, handlungswirksames Wissen, Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung, Zusatzqualifikation, Lebensmittelhandwerk

 

Knowledge acquisition and knowledge structuring for sustainable management in the food trade through concept maps

Vocational education and training for sustainable development aims to promote the readiness and competencies for sustainability-oriented professional action. A prerequisite for this is actionable knowledge. Against this background, the article highlights the potential of concept maps for knowledge acquisition and structuring and, in this context, the results of the additional qualification for sustainable management in the food trade “mach.werk”.

Keywords: concept maps, actionable knowledge, vocational training for sustainable development, supplementary qualification, food craft sector

 

1. Einleitung

Zwei wesentliche Ziele der Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung (BBNE) liegen darin, den Wissenserwerb in Bezug auf nachhaltigkeitsorientiertes berufliches Handeln zu initiieren und Lernende zu motivieren, beruflich nachhaltig handeln zu wollen. Die zentrale Herausforderung für die BBNE besteht dabei darin, Lehr-Lernarrangements so zu gestalten, dass sie handlungswirksam sind. Wie aus zahlreichen Studien der Umweltbewusstseinsforschung bekannt, existiert jedoch häufig eine Kluft zwischen Einstellungen und Wissen auf der einen und entsprechendem Verhalten auf der anderen Seite (siehe dazu Rebmann & Slopinski, 2018). Für die Inkonsistenzen zwischen Bewusstsein, Handeln und Verhalten (dem sog. Mind-Behaviour-Gap) liegen zahlreiche Erklärungsansätze vor (Degenhardt, 2007, S. 46ff.; Nickolaus, 2001, S. 116ff.; Rebmann, 2006, S. 302). Hier sind (1) personale Merkmale und Einflussgrößen zu nennen, insbesondere konkurrierende Motive und Kosten-Nutzenabwägungen, Selbstwirksamkeitserwartungen, Verantwortungszuschreibungen sowie Gewohnheiten bzw. Habitualisierungen. Darüber hinaus wirken (2) situationale Merkmale und Einflussgrößen auf das Umweltverhalten von Individuen ein. Hierzu zählen insbesondere soziale Normen wie bspw. (nicht-)geteilte Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen sowie Handlungsangebote, die umweltgerechtes Verhalten verhindern oder erleichtern. Des Weiteren zeigen neuere Studien, dass Individuen zudem verschiedene Wahrnehmungsstrategien entwickeln, um ihre ökologischen Ansprüche mit nichtökologischem Verhalten in Einklang bringen zu können (Entzian, 2016).

Neben der Debatte, ob sich vorhandenes Wissen auf das Nachhaltigkeitshandeln auswirkt, ist die Frage von Interesse, wie das Wissen vorliegen muss, damit es sich als handlungswirksam erweisen kann. Handlungsunwirksames Wissen wird in diesem Zusammenhang zumeist als „träges“ Wissen deklariert. Träges Wissen zeichnet sich nach Gruber und Renkl (2000, S. 155ff.) dadurch aus, dass es zwar von einer Person erworben wurde und grundsätzlich zu kompetentem Handeln befähigen sollte, jedoch wendet die Person dieses Wissen nicht an. Sie führt demnach keine kompetente Handlung aus. Eine der zentralen Eigenschaften trägen Wissens ist, dass es aus isolierten Elementen besteht und demnach unstrukturiert und nicht mit anderen Wissensbeständen vernetzt vorliegt (Renkl, 1996).

Aus berufs- und wirtschaftspädagogischer Perspektive erwächst aus dieser Feststellung  die Aufgabe, nicht nur den Wissenserwerbsprozess über eine nachhaltige Entwicklung im beruflichen Kontext zu initiieren, sondern insbesondere auch darin, den Wissensstrukturierungsprozess zu unterstützen, damit Lernende mentale Modelle entwickeln und Wissen zu Handlungsabläufen strukturieren können (Johnson-Laird, 1983; Rebmann & Tenfelde, 2008). Aus didaktischer Sicht besteht eine Möglichkeit, Lernenden hierbei geeignete Angebote zu unterbreiten, im Einsatz von Concept Maps. Concept Maps sind Wissensstrukturkarten, in denen Begriffe (Konzepte) über gerichtete Pfeile (Relationen) in Zusammenhänge gebracht werden, sodass Wissensnetzwerke entstehen können (Mandl & Fischer, 2000; Ott & Neugebauer, 2013). Darüber hinaus stellen Concept Maps Forschungsgegenstände dar, die sich qualitativ (z. B. Fürstenau & Trojahner, 2005) und quantitativ (z. B. Ruiz-Primo & Shavelson, 1996) analysieren lassen.

Der vorliegende Beitrag berichtet darüber, wie Concept Maps im von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Verbundprojekt „Nachhaltiges Wirtschaften im Lebensmittelhandwerk“ eingesetzt und ausgewertet werden. Zunächst werden Eigenschaften, Einsatzszenarien und Auswertungsmöglichkeiten von Concept Maps betrachtet. Daran schließt sich eine Kurzvorstellung der im Verbundprojekt entwickelten Zusatzqualifikation mach.werk an, die sich an Auszubildende im Bäcker- und Konditorenhandwerk richtet und derzeit erprobt wird. Auf dieser Basis wird sodann geklärt, wie die methodischen Richtlinien zur Analyse von Concept Maps konkretisiert wurden. Es folgt eine Darstellung der Ergebnisse aus der Analyse von 17 Concept Maps, die von Auszubildenden im Rahmen der erstmaligen Erprobung der Zusatzqualifikation angefertigt wurden. Diese Ergebnisse führen zu einem abschließenden Ausblick.

2 Concept Maps als Instrument zur Entwicklung und Analyse von Wissensstrukturen

2.1 Begriffsbestimmung und Einsatzszenarien

 Schon in den 1970er Jahren entwickelte Novak (1990, S. 937) Concept Maps als ein Diagnoseinstrument, das auf der Assimilationstheorie von Ausubel (1968) basiert. Nach dieser Theorie ist Lernen ein Verknüpfen von neuen Informationen mit bestehendem Wissen. In diesem Sinne meint Concept Mapping eine Form der Strukturlegetechnik, mit der Wissensbestände bzw. Beziehungen zwischen Begriffen grafisch dargestellt werden können (Graf, 2014). Im Gegensatz zur Textdarstellung können Begriffe und Beziehungen nicht ausschließlich linear dargestellt werden, sondern in Form eines Netzwerkes in zwei Dimensionen miteinander verknüpft werden. Die grundlegenden Elemente einer Concept Map sind dabei einerseits die Konzepte (Objekte, Begriffe etc.) und andererseits die Relationen (Verben, Adjektive), die die Beziehungen zwischen Konzepten beschreiben. Die Verbindung zwischen zwei Konzepten mit Hilfe einer Relation wird Proposition genannt, die somit die kleinste Sinneinheit einer Concept Map bildet (Ruiz-Primo & Shavelson, 1996, S. 570). Im Unterschied zu anderen Mapping-Verfahren (z. B. Mind Mapping) werden Relationen nicht mit einfachen Strichen gekennzeichnet. Stattdessen werden Relationen mit einem gerichteten und beschrifteten Pfeil grafisch dargestellt. Durch diese Besonderheit erhält jede Proposition eine „Lesart“, die aufgrund der eindeutigen Richtung der Pfeile den Zusammenhang zwischen Konzepten expliziert (Mandl & Fischer, 2000; Ott & Neugebauer, 2013). Werden Konzepte nicht nur mit einer Relation, sondern mit mehreren miteinander verbunden, erscheinen sie als Knoten in einem Netzwerk, das auf ein spezielles Thema bzw. auf die Beantwortung einer Kernfrage ausgerichtet ist. Solche Netzwerke können sowohl hierarchisch als auch zyklisch oder systemisch aufgebaut sein (Fürstenau, 2011). Je nach Intention der Concept Map sowie in Abhängigkeit der Wissensbestände und der Mapping-Fähigkeiten können die entstehenden Netzwerke in ihrer Komplexität stark variieren. Eingesetzt als Lehr-Lernmedium bieten sie prinzipiell die Möglichkeit, komplexe Themenbereiche und Lerngegenstände in möglichst vielen Zusammenhängen zu betrachten, damit Einzelkonzepte nicht isoliert voneinander verbleiben und der Lerngegenstand nur fragmentiert erschlossen wird (Kinchin, 2000). Gleichzeitig können Inhalte auf Kernaussagen komprimiert werden und Zusammenhänge durch die Darstellung von Beziehungen dargestellt werden (Renkl & Nückles, 2006, S. 142). Dies wird vor allem durch die Nutzung von Cross-Links und Querverbindungen zwischen einzelnen Map-Regionen erreicht (Novak & Gowin, 1984, S. 15ff.).

In Lehr-Lernprozessen können Concept Maps unterschiedlich verwendet werden. Lehrende können sie beispielsweise zur Visualisierung der Ausdifferenzierung eines Themas bzw. eines Lerngegenstands einsetzen. Hier verbleiben die Lernenden jedoch in einer passiv-rezeptiven Rolle. Elaborationsstrategien zur Durchdringung des Lerngegenstands werden kaum eingefordert. Die Selbstkonstruktion von Concept Maps durch die Lernenden ist für effektive – also handlungswirksame – Lehr-Lernprozesse vorzuziehen (Bernd & Jüngst, 1999). Dabei muss entschieden werden, welche Gestaltungs- und Freiheitsgrade den Lernenden eingeräumt werden. Geringe Gestaltungs- und Freiheitsgrade werden bei der Verwendung von Lückenmaps gewährt (Hardy & Stadelhofer, 2006). In diesem Fall werden den Lernenden Konzepte und Relationen unsortiert vorgegeben, die in eine vorstrukturierte Map eingetragen werden sollen. Bisweilen werden zentrale Konzepte und Relationen auch bereits vorgegeben. Der Vorteil der Lückenmaps besteht darin, dass eine Bearbeitung durch die Lernenden sowie eine Auswertung durch die Lehrenden relativ schnell erfolgen kann. Allerdings fordern Lückenmaps weder dazu auf, sich der eigenen Konzepte und Relationen bezogen auf einen Lerngegenstand bzw. eine Fragestellung bewusst zu werden noch diese in einer Strukturkarte zu visualisieren (Graf, 2014). Dies wird erst erreicht, wenn Lernende große Gestaltungs- und Freiheitsgrade genießen und sowohl über die Konzepte als auch über die Relationen und die generelle Struktur selbst entscheiden dürfen (Sumfleth & Tiemann, 2000). Erst die freie Konstruktion von Concept Maps durch Lernende befördert daher die aktive und tiefe Verarbeitung von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Konzepten, indem sie entscheiden, welches die zentralen Konzepte überhaupt sind, wie sie sich zueinander verhalten und welche Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen ihnen bestehen (Nesbit & Adesope, 2006). Haben Lernende eine Concept Map kreiert (und wurden sie im Vorfeld hinsichtlich des Mapping-Verfahrens geschult), so lassen sich in diesen Wissensstrukturkarten kognitive Strukturen erkennen (Fischler & Peuckert, 2000; Clausen & Christian, 2012). Diese lassen sich verschiedenartig analysieren und vergleichen.

2.2 Analyse der Wissensstrukturen

Vielfach werden Concept Maps im Rahmen der Wissensdiagnostik verwendet, um die Ergebnisse als Basis für die Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen zu nutzen (Fürstenau, 2011). Valide Ergebnisse sind vor allem dann zu erzielen, wenn die Lernenden das Mapping sicher beherrschen (McCagg & Dansereau, 1991; Fischer et al., 2013). Für die Auswertung selbstkonstruierter Maps stehen dann verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:

  1. Die quantitative Auswertung umfasst ausschließlich die Quantifizierung der Begriffe und Relationen. Inhaltliche Aspekte (z. B. die Bedeutung verschiedener Relationen) rücken bei diesem Verfahren in den Hintergrund (Graf, 2014). Vielmehr geht es um die Ermittlung verschiedener Kennzahlen, die sich idealtypisch in zwei Varianten ausdrücken kann: (1) Bei der graphentheoretischen Methode erfolgt eine formale Beschreibung einer Concept Map. Als Maßstab der Bewertung gelten der Umfang (Gesamtzahl der Konzepte und Relationen), die Verknüpfungsdichte und die Zerklüftetheit (Stracke, 2004). Bei einer Korrespondenzanalyse steht (2) der Vergleich der Concept Map von Lernenden mit einer Experten-Map. Die Qualität einer Map von Lernenden wird dabei umso größer eingeschätzt, je stärker sie mit der Experten-Map übereinstimmt (Eckert, 1998).
  2. Die qualitative Auswertung strebt Aussagen über die strukturelle und inhaltliche Qualität von Concept Maps anhand der Wertung von Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der verwendeten Konzepte und Relationen an (Clausen, 2015). Zwei verschiedene Varianten der qualitativen Auswertung lassen sich unterscheiden: (1) Die globale Auswertungsstrategie beinhaltet die Betrachtung der Gesamtqualität von Concept Maps (Novak & Gowin, 1984, S. 7; Graf, 2014). Indikatoren der Qualität einer Concept Map sind hier die Anzahl der Hierarchiestufen (bei hierarchisch angeordneten Concept Maps) sowie insbesondere das Scoring verschiedener Relationsarten und Querverbindungen. Neben der globalen Auswertung kann (2) eine Differentialdiagnose erfolgen, die die sachliche Prüfung jeder einzelnen Komponente einer Map (Konzepte, Relationen, Propositionen) vorsieht (Graf, 1989). Sowohl falsche als auch korrekte Aussagen werden erfasst. Für die Bewertung der Map-Qualität ist das Verhältnis der fachlich angemessenen und fachlich unangemessenen Vorstellungen maßgebend. Diese Bewertungsmethode offenbart Missverständnisse von Zusammenhängen, falsche Deutungen und Vorstellungen (Graf, 2014).
  3. Die Kombination aus beiden Ansätzen kann eine umfassende Analyse von Concept Maps gewährleisten. So bietet es sich an, die Komponenten zunächst quantitativ auszuwerten und hieraus gewonnene Ergebnisse anschließend durch qualitative Analysen zu ergänzen (Graf, 2014, S. 333ff.). Hierbei muss vorab entschieden werden, ob bei der Berechnung von Umfang, Zerklüftetheit usw. alle von den Lernenden eingebrachten Konzepte und Relationen einfließen oder nur die sachlich richtigen. In diesem Falle geht eine qualitative Analyse der Maps einer quantitativen Auswertung voran.

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