Corona-Pandemie und Politikvertrauen in Deutschland

dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management 1-2022: Vertrauen in die Politik während der Corona-Krise

Vertrauen in die Politik während der Corona-Krise

Sebastian Jäckle, Uwe Wagschal

dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, Heft 1-2022, S. 149-174.

 

Zusammenfassung
Dieser Artikel untersucht, inwiefern sich das Vertrauen in die Politik während der Corona-Krise verändert hat. Dabei wird das spezifische Vertrauen in die konkreten politischen Entscheidungsträger, sowie das generalisierte Politikvertrauen, gemessen über das Vertrauen in weitere gesellschaftspolitische Akteure, betrachtet. Basierend auf drei Wellen des Politikpanel Deutschland, die zwischen Mai 2020 und Februar 2021 durchgeführt wurden (N = 3200 für alle drei Wellen), zeigt sich ein hohes Niveau des spezifischen Politikvertrauens, das im Laufe der Pandemie nur schwach abnimmt. Ein Rally-’round-the-Flag-Effekt ist v. a. für Unions- aber auch SPD- und Grünenanhänger/innen erkennbar, während Anhänger/innen von AfD, FDP und den neugegründeten Protestparteien (Widerstand 2020, WiR2020, dieBasis) das geringste Vertrauen aufweisen. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass Personen, die klassischen Medien und offiziellen Stellen in der Corona-Berichterstattung vertrauen, auch ein hohes spezifisches Politikvertrauen haben – ganz im Gegensatz zu denjenigen, die eher alternativen Internetquellen Glauben schenken. Das generalisierte Politikvertrauen, welches als Grundstock für den gesellschaftspolitischen Zusammenhalt gelten kann, blieb weitestgehend stabil.

Schlagworte: politisches Vertrauen, Covid-19, Panel-Umfrage, Parteineigung, Medienvertrauen

 

Trust in politics during the Covid-19 crisis

Abstract
This article examines the extent to which trust in politics changed during the Corona crisis. It looks at specific trust in concrete political decision-makers as well as generalized trust in other sociopolitical actors. Based on three waves of the Politikpanel Deutschland conducted between May 2020 and February 2021 (N = 3200), a high level of specific political trust is found that decreases only weakly over the course of the pandemic. A rally-round-the-flag effect is particularly evident for supporters of the CDU/CSU but also of the SPD and the Greens, while supporters of AfD, FDP and the newly founded protest parties (Widerstand 2020, WiR2020, dieBasis) show the lowest level of trust in politics. In addition, the results demonstrate that people who trust traditional media and official bodies in Covid-19 reporting also have a high specific trust in politics – in contrast to those who tend to believe alternative internet sources. Generalized political trust, which can be considered the foundation for sociopolitical cohesion, remained largely stable.

Keywords: political trust, Covid-19, panel survey, party affiliation, media trust

 

 

1 Einleitung

Die Polarisierung der Gesellschaft nimmt seit Jahren zu, wie auch aktuelle Umfrageergebnisse zeigen (Back, Echterhoff, Müller, Pollack & Schlipphak, 2021). Die Corona-Pandemie kann als Katalysator dieses Prozesses aufgefasst werden. Zahlreiche Demonstrationen, mitunter gewalttätige Proteste, die Verlagerung des Diskurses in untereinander nicht mehr miteinander kommunizierende Echokammern im Internet und die Radikalität, mit der die eigenen Positionen dort vertreten werden, sind Erscheinungen dieses Strukturwandels der politischen Kommunikation (Cinelli, De Francisci Morales, Galeazzi, Quattrociocchi & Starnini, 2021; Di Marco, Cinelli & Quattrociocchi, 2021). Den Corona-Protesten wird zudem ein „erhebliches, relativ stabiles Mobilisierungspotenzial“ (Grande, Hutter, Hunger & Kanol, 2021, S. 3) attestiert. Die Corona-Pandemie wird dabei zum Teil nicht nur als eine Krise des Gesundheitssystems wahrgenommen, sondern als Krise des gesamten politischen Systems. Dieser Aufsatz nimmt den Kern dieser möglichen Entwicklung in den Fokus, nämlich das Vertrauen in die Politik und versucht zu ergründen, welche Faktoren dieses Vertrauen in der Corona-Krise beeinflusst haben.

In der empirischen Demokratieforschung gilt, dass das politische Vertrauen eine wichtige Steuerungs- und Lenkungsressource für die Exekutive ist. Die theoretische (Hartmann & Offe, 2001) und empirische Forschung (Keman, 2014) hat gezeigt, dass Vertrauen in die Kerninstitutionen des Staates und in die wichtigsten Entscheidungsträger die Legitimation des politischen Systems unterstützt und auch eng mit Good-Governance-Indikatoren korreliert (Wagschal, 2019). Dabei gilt, dass im Beziehungsgeflecht von accountability und responsibility die Bindung zu den Parteien und letztlich zur Exekutive ebenfalls auf Vertrauen basiert. Auch in Bezug auf politisches Handeln stellt politisches Vertrauen, welches von Robert Putnam (2000) als Teil des Sozialkapitals beschrieben wird, eine zentrale Ressource dar. Die vergleichende Forschung hat dies empirisch mehrfach belegt (Ackermann & Freitag, 2015). Entsprechend stellt Vertrauen innerhalb der Politik ein zentrales Moment dar, dessen Betrachtung gerade in Krisenzeiten wichtige Erkenntnisse liefern kann.

Um zu ergründen, inwiefern sich die Corona-Pandemie auf das politische Vertrauen in Deutschland ausgewirkt hat, werden in dieser Arbeit sowohl das spezifische Vertrauen in die konkreten Haupt-Entscheidungsträger/innen während der Pandemie als auch das stärker generalisierte Politikvertrauen, operationalisiert über das Vertrauen in weitere gesellschaftspolitische Akteur/innen und Institutionen, als abhängige Variablen betrachtet. Die Arbeit folgt dabei grundsätzlich einer y-zentrierten Forschungslogik, d. h. Erkenntnisinteresse ist die Erklärung der Varianz in den beiden Vertrauenskategorien. Als erklärende Variablen werden primär die politische Einstellung, die Belastung durch Corona sowie das Vertrauen in klassische und soziale Medien als Informationsquelle in den Blick genommen. Datengrundlage für diese Analysen sind drei Wellen einer Online-Panelbefragung (Politikpanel Deutschland: https://www.politikpanel.uni-freiburg.de/), die im Mai 2020, im November 2020 sowie im Februar 2021 durchgeführt wurden.

2 Theorie

Politisches Vertrauen ist ein Sonderfall des sozialen Vertrauens. Es ist damit eine „Disposition von Akteuren, anderen Akteuren auf Dauer bestimmte Handlungsressourcen wie Macht, Geld, Zeit, Information zur Verfügung zu stellen“ (Gabriel, 2002, S. 494). Politisches Vertrauen kann definitorisch in unterschiedlicher Art und Weise differenziert werden, so beispielsweise zwischen einer vertikalen (Kaina, 2002) und einer horizontalen (Benz, 2002) Ebene, aber auch nach den Adressaten des Vertrauens – handelt es sich dabei um konkrete Personen, um bestimmte Institutionen oder noch umfassendere allgemeine Kategorien wie „den Staat“ oder „die Politik“? Eng verbunden hiermit ist die Frage, ob es sich um bewusstes, konkretes Vertrauen handelt oder um „generalisiertes, […] über Sozialisationsprozesse erworbenes Vertrauen“ (Kaina, 2004, S. 529). An dieser Stelle sollen nun theoretische Ansätze der Forschung zu politischem Vertrauen präsentiert werden, die es ermöglichen, aufzuzeigen, an welchen Stellen die Corona-Pandemie und die in deren Zuge getroffenen politischen Entscheidungen möglicherweise Auswirkungen auf politisches Vertrauen zeigen.

Nach David Easton (1965) hängt die Leistungsfähigkeit eines politischen Systems einerseits von der Zustimmung der Wähler/innen und Bürger/innen ab, was er als Input-Legitimation bezeichnet und andererseits von der auf Effizienz- und Nützlichkeitserwägungen basierenden Output-Legitimation. Er unterscheidet zudem zwischen diffuser und spezifischer Unterstützung. Unterstützung definiert Easton dabei wie folgt: „We can describe support as an attitude by which a person orients himself to an object either favorably or unfavorably, positively or negatively“ (Easton, 1975, p. 436). Die spezifische Unterstützung bildet dabei die Zufriedenheit der Bürger/innen mit konkreten Policies und politischen Akteuren ab (Easton, 1965, p. 268), während die diffuse Unterstützung, auf der die Input-Legitimation größtenteils basiert, eher die allgemeine Bewertung des gesamten politischen Systems ins Auge fasst (Easton, 1975, p. 445). Die beiden Arten von Unterstützung stehen zudem in einer Wechselwirkung, sodass eine negativ wahrgenommene Performanz der politischen Programme und somit eine geringe spezifische Unterstützung auf Dauer auch zu einer Erosion der diffusen Unterstützung führen kann. Ein generalisiertes Vertrauen sieht Easton dabei – neben der Legitimität eines politischen Systems – als zentrales Element der diffusen Unterstützung (Kaina, 2004).

Die zweite Ebene, die in Eastons systemtheoretischem Modell eine Rolle spielt, ist die Output-Legitimation. Auch Fritz Scharpf (1970) hat angemerkt, dass die Legitimität eines politischen Systems nicht nur von der Input-Legitimation abhängt, sondern auch von dessen Leistungserbringung. Der Kerngedanke dieses Ansatzes ist, dass ein politisches System umso mehr Legitimität besitzt, je mehr die Bürger/innen von dessen Leistungen – z. B. in Form einer niedrigen Arbeitslosenquote – profitieren. Im Fall der Corona-Krise kann die Leistungsfähigkeit der Politik auch an Inzidenzwerten und Todeszahlen sowie einer generell guten Krisenpolitik, auch was die wirtschaftlichen Konsequenzen der getroffenen Maßnahmen anbelangt, gemessen werden. Die Zustimmung zu einem politischen Gemeinwesen, aber eben auch das Vertrauen in die handelnden Politiker/innen – so die an die Scharpf’sche Demokratietheorie angelehnte Vermutung – nimmt immer weiter ab, je weniger die selbst definierten Ziele eines politischen Systems erreicht werden.

Im systemtheoretischen Modell von Easton steht zwischen Input und Output des politischen Systems der Throughput. Nach Vivien A. Schmidt (2013; 2015) kann auch an diesem Schritt eine eigenständige Legitimität festgemacht werden:

“ ‘Throughput’ legitimacy concentrates on what goes on inside the ‘black box’ […], in the space between the performance-oriented legitimacy of policy output and the participation-oriented legitimacy of political input. It is dependent upon the quality of the policymaking processes, including the efficacy of the decision-making, the accountability of those engaged in making the decisions, the transparency of the information, and the processes’ inclusiveness and openness to consultation with the interest groups of ‘civil society.’ ” (Schmidt, 2015, p. 25)

Kommt es also zu lang andauernden Entscheidungsverfahren während der Corona-Pandemie, einem sprunghaften Hin und Her zwischen Offenheit und Lockdown und einem föderalen Kompetenzwirrwarr, dann mag dies nicht nur das Vertrauen in die konkreten Handlungsträger/innen unterminieren, sondern auch das Vertrauen in die grundlegenden Institutionen und Verfahren der Demokratie beschädigen, weil die Legitimation durch Verfahren beschädigt ist.

Die psychologische Forschung zeigt zudem, dass Vertrauen eng mit Angst zusammenhängt. Vertrauen ist nur notwendig, wenn Menschen nicht die volle Kontrolle besitzen – dann stärkt es Bindungen zwischen ihnen. Bei fehlender Kontrolle kann sich aber auch Angst entfalten. Der Neurowissenschaftler Birbaumer beschreibt die Verbindung der beiden Gefühle im Interview folgendermaßen: „Wenn die Aktivität in bestimmten Regionen des Denkorgans, die uns Angst spüren lassen, sinkt, dann nimmt das Vertrauen zu“ (Weiß & Simon, 2017). Als politische Kategorie erstmals eingeführt wurde Angst von Franz Neumann (1954). Ulrich Beck (1986), dessen Risikotheorie in der Corona-Krise eine Renaissance erlebte, hat in seinen Arbeiten auf Eigenschaften moderner Gesellschaften hingewiesen, die gut zur Corona-Pandemie passen. So sind in der „Risikogesellschaft“ die Menschen immer stärker unsichtbaren Bedrohungen ausgesetzt, die nicht oder nur schwer zu kalkulieren sind. Die Merkmale dieser Risiken sind dabei Entgrenzung, Unkontrollierbarkeit, Nicht-Wissen und Nicht-Kompensierbarkeit. Dieses hohe Maß an Unsicherheit und Kontrollverlust könne wiederum zu einer Angstsituation führen, in der das generalisierte Vertrauen in die Politik abnähme.

In der folgenden Analyse sollen daher zwei Arten des politischen Vertrauens unterschieden werden: Erstens das spezifische Politikvertrauen in die zentralen, relevanten, politischen Entscheidungsträger/innen im Rahmen der Corona-Pandemie sowie zweitens das generalisierte Politikvertrauen, welches ein Grundvertrauen in das deutsche politische System im Allgemeinen und damit in weitere, die Gesellschaft prägende Institutionen (und weniger konkrete Personen) erfasst. Im Sinne der Output– und Throughput-Legitimität ist anzunehmen, dass sich das politische Handeln der Entscheidungsträger/innen vergleichsweise direkt im spezifischen Politikvertrauen widerspiegelt, wohingegen das generalisierte Politikvertrauen zeitlich stabiler sein sollte. Mit zunehmender Dauer der Pandemie könnte aber auch hier ein Abfall stattfinden.

* Zu diesem Artikel gehört ein Online-Anhang, der auf der Internetseite der Zeitschrift einzusehen ist.

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