Genderreflektierte Sprache und politisches Lernen

Politisches Lernen 3+4-2022: Die Relevanz von genderreflektiertem Sprachgebrauch für das politische Lernen in der Primarstufe

Die Relevanz von genderreflektiertem Sprachgebrauch für das politische Lernen in der Primarstufe

Verena Proksch

Politisches Lernen, Heft 3+4-2022, S. 4-9.

 

Zusammenfassung: In diesem Beitrag wird diskutiert, weshalb genderreflektierte Sprache für das politische Lernen bereits in der Primarstufe relevant ist. Es wird zunächst, nach einer knappen Definition des Begriffs Gender, aus bildungspolitischer Perspektive argumentiert, wobei exemplarisch Bildungspläne des österreichischen Bildungsministeriums herangezogen werden. Hiernach wird aus sprachwissenschaftlicher Perspektive erläutert, weshalb genderreflektierter Sprachgebrauch im Unterricht notwendig ist. Abschließend werden auf Chancen und Herausforderungen im schulpädagogischen Kontext eingegangen.

 

1. Zum Begriff Gender

Um den Konnex zwischen politischem Lernen1 und gen­derreflektiertem Sprachgebrauch deutlich machen zu können, muss der Begriff Gender2 zunächst in seiner Verwendung expliziert werden, da dieser je nach wis­senschaftlicher Disziplin, Intention und theoretischer Ausrichtung unterschiedlich definiert wird (Stephan 2006, S. 56 f.). Damit soll auch einer legitimen Kritik entgegenge­wirkt werden, welche eine denkbare Entpolitisierung und begriffliche Verengung thematisiert (Paulitz 2021, S. 355, 369). Gender soll an dieser Stelle aus der Perspektive dreier wesentlicher gendertheoretischer Strömungen kon­kretisiert werden, da diese unterschiedliche essenzielle Beschreibungsebenen enthalten und meines Erachtens durchaus parallel bestehen bleiben können. Etabliert wur­de der Begriff einerseits, um die soziokulturelle Bedeutung von Geschlecht von den physiologischen, biologischen Geschlechtsmerkmalen, dem Sex, abgrenzen zu können, andererseits, um diese Bedeutung sowohl in histori­schen sowie kulturellen Kontexten als auch in Diskursen verorten zu können (Babka / Posselt 2016, S. 57). Auch wenn Sex und Gender miteinander korrelieren, da sozio­kulturelle Vorstellungen und Diskurse immer auch auf die Wahrnehmung des biologischen, anatomischen Körpers einwirken, wird ein biologistisch argumentierter Kausalzusammenhang von allen genannten gendertheoretischen Strömungen entschieden abgelehnt (Villa 2020, S. 24–31). Dies ist insofern wichtig, als dass diese Argumentationen jahrhundertelang als Legitimation für den Ausschluss von FLINTA*3-Personen aus politischer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Partizipation bemüht wurden und damit Hierarchisierungen naturalisieren sollten (Degele 2008, S. 67). Gender ist folglich erstens als eine Strukturkategorie zu verstehen, welche gemeinsam mit den Begriffen „Race“ und Class die Trias darstellt (Babka / Posselt 2016, S. 57), um Interdependenzen von Herrschaftsstrukturen und Praktiken sozialer Ungleichheit sowohl benennen als auch analysieren zu können. Es wird darüber hinaus diskutiert, ob sexuelle Orientierung und Körper zwei weitere zentrale und damit unverzichtbare Strukturkategorien für eine solche Analyse seien. Diese Art der Analyse hat sich zunehmend weiterentwickelt und wird mit dem Begriff Intersektionalität benannt, bei welcher Kontext und Analysegegenstand gleichermaßen in den Fokus geraten (Degele 2020, S. 341–347). Eruiert werden Ursachen und Konsequenzen von Hierarchisierungen, Dichotomien und Differenzierungen und deren Auswirkung in diversen Kontexten (Stephan 2006, S. 62). Gender kann zweitens als Prozesskategorie verstanden werden, welche durch Interaktionen und Äußerlichkeiten hergestellt und damit konstruiert wird. Folglich kommt es zu Doing Gender und der Omnipräsenz sowie Omnirelevanz von Geschlecht. Im Zentrum der Analyse dieser Strömung stehen die Herstellungsmodi von sozialer Ungleichheit und die problematische Deutungshoheit der Gesellschaft, denn die gesellschaftliche Realität, ein Zusammenspiel von menschlichem Handeln und gesellschaftlichen Strukturen, wird als objektiver Maßstab verstanden. Zweigeschlechtlichkeit wird zudem als von der Gesellschaft oktroyiertes Konstrukt abgelehnt (Degele 2008, S. 78–82). Zu guter Letzt wird Gender auf der Ebene gesellschaftlicher Diskurse vor allem theorieimmanent thematisiert, wobei diese Strömung Kategorien als Produkte von gesellschaftlichen Machtverhältnissen ablehnt. Diese Zugangsweise rekurriert auf die Prämisse, dass Realität durch Sprache und Diskurse konstruiert wird und nimmt dabei auch jene Sachverhalte in den Blick, welche ausgespart werden. Wesentlich für diesen Zugang ist die noch stärkere Überzeugung, dass Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität aufgrund von Normierungsprozessen naturalisiert sowie hierarchisiert werden und bei Abweichungen von dieser Norm Sanktionierungen zur Wiederherstellung jener erwünschten gesellschaftlichen Norm angewandt werden (Degele 2008, S. 101–106). Alle drei Zugänge sind meines Erachtens im Rahmen von politischem Lernen substanziell: Ursachen, Konsequenzen und Herstellung von realpolitischer sozialer Ungleichheit unter Berücksichtigung vielfältiger Identitätskategorien einerseits, die sprachliche Konstruktion von Realität durch politische Sprache und Diskursen andererseits.

2. Bildungspolitische Relevanz

Schreiter erachtet es für notwendig, genderspezifische Themen bereits in der Primarstufe curricular zu veran­kern – sowohl in den schulischen Lehrplänen selbst als auch in der Hochschulausbildung angehender Lehrer*innen. Diesbezüglich sind ebenso rechtliche Richtlinien für eine konkrete Umsetzung unverzichtbar (Schreiter 2021, S. 69). Die Rahmenbedingungen für die Auseinandersetzung mit genderreflektierter Sprache im pädagogischen Alltag – auch in der Primarstufe – sind in Österreich bereits vorzufinden. Der Grundsatzerlass „Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung“ (2019), welcher eine normative Vorgabe des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung für sowohl alle Schulstufen als auch alle Schultypen in Österreich dar­stellt und an dieser Stelle exemplarisch für bildungspo­litische Richtlinien steht, weist zunächst auf den nöti­gen „professionellen und reflektierten Umgang mit der Dimension des Geschlechts […] und zwar auf Grundlage des verfassungsmäßig verankerten Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsauftrages“ (bmbwf 2019, S. 3) hin und führt des Weiteren aus, dass „[d]as Unterrichtsprinzip […] zur aktiven Auseinandersetzung mit damit verbunde­nen gesellschaftspolitischen Fragen und Wertehaltungen beitragen [soll]“ (ebd., S. 4). „Ausgrenzungs- und Abgrenzungsmechanismen“ solle durch „gemeinsame Erfahrungsräume […] entgegengewirkt werden“ (ebd., S. 4). Anhand dieser kurzen Auszüge ist bereits zu beobachten, dass eine reflexive Geschlechterpädagogik stets auch in einen politi­schen Kontext eingebettet wird. Der Grundsatzerlass for­dert unter anderem „geschlechterstereotype Zuweisungen und Festschreibungen zu überwinden“ sowie „ein differenziertes Denken jenseits bipolarer, verengter Geschlechterbilder zu entwickeln und damit präventiv gegen Homophobie zu wirken“ (ebd., S. 5). Schüler*innen sollen beispielsweise dazu „befähigt werden, ihr eigenes Kommunikations- und Interaktionsverhalten sowie die eigenen Bewertungsmuster, Vorurteile, Normen und Werte zu reflektieren“ (ebd., S. 7). Der Grundsatzerlass „Unterrichtsprinzip Politische Bildung“ (2015) fordert auf, Schüler*innen dazu zu befähigen, „gesellschaftliche Strukturen, Machtverhältnisse und mögliche Weiterentwicklungspotentiale zu erkennen und die dahinter ste­henden Interessen und Wertvorstellungen zu prüfen sowie im Hinblick auf eigene Auffassungen zu bewer­ten und allenfalls zu verändern“, „Interesse an gesell­schaftlichen Fragestellungen und die Bereitschaft [zu fördern], am politischen Leben teilzunehmen, um die ei­genen Interessen, die Anliegen anderer und die Belange des Gemeinwohls zu vertreten“ und „[…] wesentliche politische Fragestellungen auf[zugreifen], wie z. B. die Legitimation von politischer Macht und deren Kontrolle, eine gerechte Ressourcenverteilung, […] die Gleichheit der politischen Rechte“ (bmbwf 2015, S. 2). Für essenziell halte ich des Weiteren die demokratische Partizipation auf allen Ebenen – auch als Einzelperson – sowie die Übereinkunft, dass politische Bildung auf „demokratischen Prinzipien und auf Grundwerten wie Frieden, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität; die Überwindung von Vorurteilen, Stereotypen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie von Sexismus und Homophobie“ basiert (ebd., S. 2). Diese Ziele lassen sich in der Praxis meines Erachtens unter anderem durch eine genderreflektierte Sprache in pädagogischen Interaktionen als ein Baustein eines genderreflektierten pädagogischen Handelns umsetzen.

1 Politisches Lernen meint hier kein konkretes Unterrichtsfach, da dieses in der Primarstufe als solches noch nicht ange­legt ist, sondern das sukzessive Erlernen von Kompetenzen, welche den Schüler*innen politische und gesellschaftliche Partizipation ermöglichen.
2 Durch die Kursivschreibung soll der Konstruktionscharakter eines Begriffs und dessen Diskussion auf metasprachlicher Ebene deutlich gemacht werden.
3 Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter-, Non-binäre-, Trans- und Agender-Personen. Der Asterisk soll symbolisieren, dass die Aufzählung als unvollständig und da­mit als erweiterbar verstanden wird.

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