Reflektierte Entscheidungen in der alltäglichen Lebensführung

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung 1-2024: Recherchieren, Argumentieren und Debattieren als zentrale Handlungskompetenzen der alltäglichen Lebensführung

Recherchieren, Argumentieren und Debattieren als zentrale Handlungskompetenzen der alltäglichen Lebensführung

Claudia Wespi & Christian Graf

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 1-2024, S. 53-67.

 

Das Treffen von reflektierten Entscheidungen ist eine zentrale Handlungskompetenz in der alltäglichen Lebensführung von Menschen. Im Fach Wirtschaft – Arbeit – Haushalt lassen sich mit dem Lernsetting „Recherchieren, Argumentieren und Debattieren“ die dafür notwendigen fachlichen und überfachlichen Kompetenzen entwickeln, und zwar sowohl von angehenden Lehrpersonen wie auch von Lernenden auf der Zielstufe.

Schlüsselwörter: Recherchieren – Argumentieren – Debattieren, Handlungskompetenzen, alltägliche Lebensführung, Lehrpersonenbildung

 

Researching, arguing, and debating as key action competences in conduct of everyday life

Making well-considered decisions is a key action competence in conduct of everyday life. In the subject of Economy – Work – Home Economics, the learning setting “Researching, arguing, and debating” can be used to develop the necessary subject-specific and interdisciplinary competences, both in prospective teachers and in learners at the target level.

Keywords: researching – arguing – debating, action competence, conduct of everyday life, teacher education

 

1 Einleitung

Menschen treffen im Rahmen ihrer Lebensführung viele unterschiedliche Entscheidungen. So sind sie im politischen Diskurs als Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, ein Urteil über eine Sache zu fällen und sich inhaltlich zu positionieren. Sie nehmen damit Einfluss auf die Verhältnisse und die Bedingungen, unter denen sie ihr Leben führen. Täglich haben sie zudem in einer Vielzahl an Situationen zwischen mehreren Möglichkeiten auszuwählen bzw. zwischen Handlungsalternativen abzuwägen und sich somit für oder gegen etwas zu entscheiden.

Da sich die Lebensgestaltung und Lebensführung von Menschen im Zusammenspiel und in wechselseitiger Abhängigkeit von privaten Haushalten, Märkten und Staat sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen – dem sogenannten Versorgungsverbund – vollziehen (Schlegel-Matthies, 2018, S. 11), sind Entscheidungssituationen in diesen Kontext zu stellen. Im Rahmen einer Bildung für alltägliche Lebensführung ist es deshalb wichtig, diese gegenseitige Bedingtheit von privater Lebensgestaltung, Wirtschaft und Gesellschaft in den Blick zu nehmen und das sich dabei eröffnende Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Verantwortung zu thematisieren (Schlegel-Matthies, 2018, S. 13).

In diesem Beitrag stellen wir vor, wie wir im Fach Wirtschaft – Arbeit – Haushalt (WAH) an der Pädagogischen Hochschule Luzern im Studiengang Sekundarstufe l seit einigen Jahren bereits im ersten Ausbildungsmodul Auseinandersetzungen integrieren, damit Studierende Kompetenzen im reflektierten Umgang mit Entscheidungssituationen entwickeln können. Wir richten dabei den Fokus auf Entscheidungssituationen, die viele Menschen betreffen, und fokussieren die Auswirkungen entlang der drei Nachhaltigkeitsaspekte Soziales, Ökologie und Ökonomie. Dabei bietet es sich an, nicht einzig den fachlichen Lernzuwachs anzuvisieren, sondern zugleich auch die überfachliche Kompetenzentwicklung in den Bereichen Recherchieren, Argumentieren und Debattieren zu fördern. Dies führt zu einem handlungsorientierten Lernsetting, das nicht nur in der Ausbildung von Lehrpersonen interessant und bedeutsam ist, sondern sich auch für den Einsatz auf der Zielstufe anbietet. Deshalb setzen sich die Studierenden im weiteren Verlauf ihres Studiums auch in der Fachdidaktik damit auseinander, wie sie ihre Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung dieser zentralen Handlungskompetenzen im Rahmen des WAH-Unterrichts fördern können.

2 Recherchieren, Argumentieren und Debattieren im fachlichen Kontext

Debattieren, verstanden als das Verhandeln von bedeutsamen Argumenten zu einer Frage oder Situation, wird im Kontext von Schule in der Regel eher aus sprachlicher Sicht betrachtet und dem Fach Deutsch zugeordnet. Im Lehrplan 21 des Fachs Deutsch findet sich beispielsweise für die Sekundarstufe l die Kompetenz D.3.C1j: „Schülerinnen und Schüler können in Debatten argumentieren und einen Perspektivenwechsel vollziehen“ (Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz [DEDK], 2014a). Für die Politische Bildung wird Debattieren ebenfalls als wichtig erachtet und mit Projekten wie beispielsweise „Jugend debattiert“ (Young Enterprise Switzerland, 2023) oder „Schweiz debattiert“ (Netzwerk „Schweiz debattiert“, 2023) über die obligatorische Bildung hinaus gefördert. Auch für das Fach WAH ist Debattieren und die damit einhergehenden Teilschritte des Recherchierens, Bewertens und Gewichtens von Argumenten bedeutsam. Im Folgenden soll deshalb aufgezeigt werden, weshalb aus fachlicher Sicht Recherchieren, Argumentieren und Debattieren in der alltäglichen Lebensführung zentrale Handlungskompetenzen darstellen. Des Weiteren wird die (anspruchsvolle) Wahl und Formulierung von geeigneten Streitfragen thematisiert. In diesem Schritt muss es gelingen, sowohl die fachlichen Bildungsanliegen wie auch die Perspektive der Lernenden zu berücksichtigen, damit es zu vertieften Auseinandersetzungen mit fachlichen Konzepten und individuellen Standpunkten kommen kann.

2.1 Bildungsrelevanz für „Wirtschaft – Arbeit – Haushalt“

Haushalte sind der Lebensort von Menschen, von hier aus führen diese ihr Leben. Dabei bewältigen sie im Rahmen ihrer alltäglichen Lebensführung basale Aufgaben, die zur Lebenserhaltung beitragen bzw. das Überleben sichern. Menschen sind aufgefordert, eine Kultur des Zusammenlebens und Zusammenwirtschaftens zu entwickeln, sich diesbezüglich ein gemeinsames Wertesystem zu erarbeiten und dieses stetig mit den Erfordernissen und Veränderungen im Alltag abzustimmen und gegebenenfalls anzupassen (von Schweitzer, 2003, S. 24). Menschen führen ihr Leben jedoch nicht einzig in einem privaten Haushalt, sondern auch in einem lebensweltlichen Kontext. Diese Lebenswelt ist gemäß Schütz und Luckmann (2017, S. 109) „weder meine private Welt noch deine private Welt, … sondern die Welt unserer gemeinsamen Erfahrung“. Deshalb ist wenig erstaunlich, wenn in der Bundesverfassung der Schweiz in Artikel 6 der Allgemeinen Bestimmungen die individuelle und gesellschaftliche Verantwortung des Einzelnen erwähnt wird: „Jede Person nimmt Verantwortung für sich selber wahr und trägt nach ihren Kräften zur Bewältigung der Aufgaben in Staat und Gesellschaft bei“ (Schweizerische Eidgenossenschaft, 2023). Damit Menschen diese Erwartung zu erfüllen vermögen, braucht es entsprechende Förderung im Rahmen der allgemeinbildenden Schule. In den Anforderungen an die „Grundbildung“ hält die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren in Artikel 3 u. a. fest: „Die Schülerinnen und Schüler werden in ihrer Entwicklung zu eigenständigen Persönlichkeiten, beim Erwerb sozialer Kompetenzen sowie auf dem Weg zu verantwortungsvollem Handeln gegenüber Mitmenschen und Umwelt unterstützt“ (EDK, 2007, S. 3).

Da private Haushalte vielfältige Schnittstellen und Verknüpfungen mit den diversen gesellschaftlichen Institutionen aufweisen, ist es logisch und nachvollziehbar, dass sich die Haushaltswissenschaft mit dem „Spannungsfeld zwischen der Förderung und Sicherung individueller Lebensqualität und sozialer Gemeinschaft einerseits und der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung andererseits“ (Schlegel-Matthies, 2022, S. 32) beschäftigt. Dabei soll die Einflussnahme von Menschen in Haushalten auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt wahrgenommen sowie im Gegenzug realisiert werden, wie das Handeln im privaten Haushalt durch Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt mitbestimmt wird (Thiele-Wittig, 2003, S. 3-4).

Im Rahmen einer Bildung für Lebensführung sollen sich Jugendliche deshalb mit den wechselseitigen Verknüpfungen und Abhängigkeiten auseinandersetzen. Anhand von Situationen der alltäglichen Lebensführung sollen sie „sowohl individuelle Handlungsspielräume als auch Möglichkeiten der gesellschaftlichen Mitverantwortung erkennen“ (Wespi et al., 2019, S. 14). Heranwachsende eignen sich im Rahmen ihres Sozialisationsprozesses im familiären Kontext einen bestimmten Umgang mit Situationen der alltäglichen Lebensführung an und wissen somit bereits, „wie es geht“ bzw. was als „richtig“ und „falsch“ beurteilt wird (Wespi et al., 2023, S. 22). Im Unterricht ist es deshalb gemäß Schlegel-Matthies (2022, S. 43) ein wichtiges Ziel, Lernende zu befähigen, dass sie vermeintliche Gewissheiten hinterfragen können, indem sie eine Vielzahl unterschiedlicher Standpunkte überblicken und dabei auch Zielkonflikte und widersprüchliche Ansprüche wahrnehmen können. Dies soll einerseits eine selbstständige Urteilsbildung unterstützen und auch ermöglichen, andere Meinungen zu akzeptieren und respektieren. Weiter sind Reflexionen zu initiieren, um zu entscheiden „ob, wie und wofür Verantwortung übernommen werden kann und sollte“ (Schlegel-Matthies, 2022, S. 43). Im Zusammenhang mit der Verantwortungszuschreibung thematisiert Schlegel-Matthies (2022, S. 41) am Beispiel des Konsums die Verschmelzung der Rollen von Konsumierenden und Bürgerinnen und Bürgern („Consumer Citizenship“ bzw. „Citizen Consumer“). Sie verweist dabei auf Yang und Baringhorst (2017, S. 191), die sich damit beschäftigten, wie es gelingen kann, dass sich Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwohl einsetzen, um somit beispielsweise „auch im Bereich des alltäglichen Konsums wie ein/e Bürger/in zu agieren“. Damit Lernende ihre Kompetenzen in unterschiedlichen Situationen anwenden können, braucht es gemäß Schlegel-Matthies (2022, S. 52) „auch ein Verständnis davon, weshalb sich ein Sachverhalt so konstituiert, wie er geworden ist, was sein Kern und was seine (vielfältigen, variantenreichen) Facetten sind“. Weiter ist aus ihrer Sicht ein situatives Verständnis notwendig, damit herausgearbeitet werden kann, was auf die konkrete Situation bezogen relevant, weniger relevant oder vernachlässigbar ist.

Mit dem Debattieren und damit einhergehenden Recherchieren und Argumentieren wird möglich, die vorangehend angesprochene lebensweltliche Realität im unterrichtlichen Kontext zu simulieren. Lernende sind aufgefordert, ausgehend von einer Streitfrage die Perspektive der Konsumentin bzw. des Konsumenten und die Perspektive der Bürgerin bzw. des Bürgers einzunehmen. Damit ist das Ziel verbunden, jene fachlichen und überfachlichen Kompetenzen zu entwickeln, die es für den Umgang mit den angesprochenen situativen Anforderungen braucht.

* * *

Sie möchten gerne weiterlesen? Dieser Beitrag ist in Heft 1-2024 unserer Zeitschrift HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung erschienen.

 

 

 

Mehr Leseproben …

… finden Sie auf unserem Blog.

 

© Unsplash 2024, Foto: Burst