Emotionale Beeinträchtigung der Studierenden in der COVID-19-Pandemie

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung 1-2023: Kohärenzgefühl und emotionale Beeinträchtigung von Studierenden während der COVID-19-Pandemie

Kohärenzgefühl und emotionale Beeinträchtigung von Studierenden während der COVID-19-Pandemie

Joanna Hellweg & Johanna Koch

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 1-2023, S. 43-62.

 

Der Beitrag stellt eine quantitative Studie zur emotionalen Beeinträchtigung der Studierenden infolge von COVID-19 Pandemie dar, die im Rahmen einer Masterarbeit erarbeitet wurde. Ziel ist die Ermittlung von möglichen Zusammenhängen zwischen Kohärenzgefühl und negativem Affekt unter Berücksichtigung des Geschlechts und des angestrebten Studienabschlusses. Insbesondere sollen dabei Angst, allgemeine Besorgnis und Sorgen der Studierenden während der Pandemie ermittelt werden, da sie eine Störung psychosozialer Funktionsfähigkeit herbeiführen können

Schlüsselwörter: COVID-19, emotionale Beeinträchtigung, psychische Belastung, negativer Affekt, Kohärenzgefühl

 

Sense of coherence and emotional impairment of students during the COVID-19 pandemic

This paper presents a quantitative study of students’ emotional impairment as a result of the COVID-19 pandemic, which was developed as part of a master’s thesis. The aim is to determine possible relationships between a sense of coherence and negative affect, considering gender and intended degree. In particular, the aim is to identify students’ anxiety, general apprehension, and worry during the pandemic, as they may induce a disturbance of psychosocial functioning.

Keywords: COVID-19, emotional impairment, psychological distress, negative affect, sense of coherence

 

1 Ausgangslage

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie brachte zahlreiche Regelungen und Alltagsbeschränkungen und somit unerwartete Herausforderungen für die Lebensführung mit sich. Auch Studierende wurden davon stark betroffen. Aus den allgemein verhängten Hygiene- und Abstandsregeln sowie der Beschränkung sozialer Kontakte als Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung resultierte die zeitweise Schließung von Bildungsinstitutionen und somit auch die Umstellung von Präsenz- auf Online-Lehre. Darüber hinaus gingen studentische Jobs verloren, mussten Sport-, Kultur- und Freizeitaktivitäten für längere Zeit aufgegeben und soziale Interaktionen auf das Minimum reduziert werden.

Diese erzwungene Umstellung oder Veränderung der Lebensführung durch die Pandemie blieb für viele Menschen nicht spurlos und ging oftmals mit körperlichen und psychischen Belastungen einher. Davon waren auch junge Erwachsene, u. a. Studierende stark betroffen.

In einer Studie von Benke et al. konnte u. a. nachgewiesen werden, dass junge Erwachsene während der Lockdown-Maßnahmen mehr als andere Gruppen der Einsamkeit ausgesetzt und somit besonders vulnerabel für das Auftreten von Angststörungen und Depressionen waren (vgl. Benke et al., 2020). Studienergebnisse von Hein et al. Bestätigten außerdem, dass viele Studierende unter depressiven Störungen infolge der COVID-19-Pandemie litten und höheren emotionalen Belastungen als vor der Pandemie ausgesetzt waren (vgl. Hein et al., 2020, S. 4). Traus et al. konnten zudem empirisch belegen, dass die emotionale Belastung der Studierenden infolge der Pandemie viel höher von ihnen eingeschätzt wurde als die körperlichen Belastungen. (vgl. Traus et al., 2020).

Auch eine Studie von Cao et al. konnte eine hohe psychische Belastung bei Studierenden durch die COVID-19-Pandemie nachweisen. Im Ergebnis zeigte sich, dass sich viele Studierende vor den Auswirkungen der Pandemie auf ihr Studium fürchteten und u. a. Angst verspürten, das Studium nicht rechtzeitig abschließen zu können (vgl. Cao et al., 2020, S. 3).

Zu den häufig genannten psychischen Belastungen in der Pandemie wurden u. a. die Strukturlosigkeit des Studienalltags und die fehlende Alltagsroutine von Studierenden gezählt, die höhere Anforderungen an ihre Selbstorganisation und -disziplin stellten (vgl. Klug & Meister, 2020, S. 21). Das Leben und Arbeiten an einem Ort sowie finanzielle Sorgen, z. B. über die längerfristige Finanzierung des Studiums, wurden als weitere Belastungsfaktoren angegeben (vgl. ebd.).

Die COVID-19 Pandemie und vor allem die damit einhergehenden Maßnahmen, Anforderungen und Regelungen haben eindeutig den Alltag von Studierenden verändert und stark in ihre Lebensführung eingegriffen.

Die Art und Weise, wie die pandemiebedingten Veränderungen empfunden wurden, kann allerdings stark variieren und hängt häufig von ihrer kognitiven Bewertung ab. Die subjektive Wahrnehmung korreliert sehr häufig mit dem Belastungsempfinden (vgl. Born et al., 2008; Smith & Meyers, 2002) und hängt stark von dispositionsähnlichen Ressourcen ab, die für die eigene Belastbarkeit und das Stresserleben verantwortlich sind (vgl. Jerusalem, 1992; Antonovsky, 1997). Zu diesen Ressourcen gehört u. a. das Kohärenzgefühl (sense of coherence) von Aaron Antonovsky, das als subjektive Grundeinstellung eines Individuums gegenüber unvorhergesehenen Situationen definiert wird und darüber entscheidet, ob eine Situation als bewältigbare Herausforderung oder eher als Belastung wahrgenommen wird (vgl. Antonovsky, 1997, S. 36). Von dieser individuellen Bewertung hängt letztendlich ab, ob entsprechende Ressourcen zur Bewältigung aktiviert werden und das psychische Wohlbefinden dabei beeinträchtigt wird.

In bisherigen empirischen Untersuchungen zu emotionalen Belastungen von Studierenden infolge der COVID-19-Pandemie wurde das Kohärenzgefühl nicht berücksichtigt. Das Ziel dieser Studie ist daher zu erforschen, ob sich die COVID-19-Pandemie das emotionale Befinden von Studierenden beeinträchtigt und ob es hierzu mögliche Zusammenhänge mit dem Kohärenzgefühl als individuelle Disposition gibt.

Die Studie soll explizit der Frage nachgehen, ob es Unterschiede im Belastungsempfinden von Studierenden bezüglich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie in Abhängigkeit zum Kohärenzgefühl gibt und ob sich hierzu Differenzen hinsichtlich Geschlechts und angestrebtem Studienabschluss feststellen lassen.

2 Forschungsdesign

Bei der Studie handelt es sich um eine quantitative Querschnittsstudie, die zu Beginn des Sommersemesters 2021 (zwischen dem 19.03.2021 und dem 20.05.2021) durchgeführt wurde. Dabei wurde ein vollstandardisierter Fragebogen eingesetzt, um Aspekte des subjektiven Erlebens zu erfassen, die nicht direkt beobachtbar sind (beispielsweise Trait- und State-Angst oder die Neigung zu depressiven Störungen). Die schriftliche Befragung fand online statt, da zum Zeitpunkt der Studie keine Präsenzlehre möglich war und die Befragten nur auf digitalem Weg erreicht werden konnten.

Die Befragung wurde mithilfe des Online-Tools Lime Survey durchgeführt. Der Zugang erfolgte über einen Link, der durch Dozierende des Instituts EKG an alle Bachelor- und Masterstudierenden verschickt wurde. Aus forschungsethischen Gründen wurde darauf verzichtet, IP-Adressen der Befragten zu speichern, sodass die Daten vertraulich und anonym behandelt werden konnten. Dies sollte zudem die Bereitschaft erhöhen, die Fragen ehrlich zu beantworten (vgl. Döring & Bortz, 2016, S. 398).

Die Studie ist eine systematische Replikationsstudie, da sich ihr Design teilweise an bereits durchgeführten Studien orientiert (vgl. Hein et al., 2020). So wurde ein Teil des Fragebogens von Hein et al. übernommen, der den negativen Affekt enthält. Als negativer Affekt wird häufig das Ausmaß negativer Anspannung durch Niedergeschlagenheit, Ärger und Angst beschrieben (vgl. Watson & Tellegen, 1985, S. 221). In Anlehnung an Hein et al. (2020) wird ein negativer Affekt durch die Erfassung folgender Konstrukte abgebildet: (1) generalisierte Angststörungen, (2) Unsicherheitsintoleranz, (3) Angstintensität, (4) Depression und (5) auf COVID-19 bezogene Angst. Bei den einzelnen Konstrukten geht es hauptsächlich um die Ermittlung der individuellen Beeinträchtigung des emotionalen Erlebens während der COVID-19-Pandemie. Dabei spielen vor allem Angst, allgemeine Besorgnis und Sorgen eine zentrale Rolle, die eine Störung der psychosozialen Funktionsfähigkeit eines Individuums herbeiführen können.

Ein Teil der Fragen zum COVID-19 bezogenen Sicherheitsverhalten (vgl. Hein et al., 2020) wurde aus dem Fragebogen von Hein et al. entfernt, da er für die Fragestellung der Studie nicht relevant war. Stattdessen wurde der Fragebogen zum Kohärenzgefühl (Leipziger Kurzskala) hinzugefügt (vgl. Schuhmacher et al., 2001), um die individuellen SOC-Werte der Befragten zu ermitteln und diese in Bezug zum negativen Affekt zu setzen.

2.1 Stichprobe

Untersuchungsgegenstand sind Studierende des Instituts Ernährung, Konsum und Gesundheit der Universität Paderborn. Dabei wurden alle Bachelor- und Masterstudiengänge im Lehramt (Ernährungslehre, Hauswirtschaft, Ernährungs- und Haushaltwissenschaft sowie Lebensmitteltechnik) befragt.

Bei der Stichprobe handelt es sich um eine Gelegenheitsstichprobe. Die Studierenden wurden in den Lehrveranstaltungen, über die Webseite des Instituts sowie über die Lernplattform PANDA gebeten, an der Umfrage teilzunehmen. Es handelt sich somit um eine Selbstselektions-Stichprobe (vgl. Döring & Bortz, 2016, S. 306). An der Befragung nahmen 212 Studierende des Instituts EKG teil, von denen 145 den Fragebogen vollständig ausgefüllt haben. Die Rücklaufquote lag somit bei 68,3 Prozent. 80 Prozent der Befragten waren weiblich und 18,6 Prozent männlich. Die restlichen Befragten identifizierten sich als divers oder machten keine Angabe zum Geschlecht.

Der überwiegende Teil der Befragten studierte zum Zeitpunkt der Studie das Fach Hauswirtschaft (52,4 Prozent), 26,2 Prozent das Fach Ernährungslehre, 18,6 Prozent Ernährungs- und Haushaltswissenschaft und 2,75 Prozent Lebensmitteltechnik. 79,3 Prozent der Studierenden strebten den Bachelor- und 20,6 Prozent den  Masterstudienabschluss an. Im Zeitraum der Umfrage haben sich 43,4 Prozent der Befragten am Studienort Paderborn aufgehalten, 56,6 Prozent befanden sich in diesem Zeitraum an anderen Orten.

15,8 Prozent der Studierenden lebten allein, ohne weitere Haushaltsmitglieder. Die restlichen Befragten lebten mit einer und mehr Person im Haushalt. 53,8 Prozent der Studierenden finanzierten das Studium hauptsächlich mithilfe von Eltern oder Angehörigen. 27,6 Prozent der Studierenden gaben an, dass ihr Studium hauptsächlich durch BAFöG oder Stipendien finanziert wird. 18,6 Prozent der Studierenden finanzierten ihr Studium hauptsächlich selbst.

62,1 Prozent der Studierenden hatten zum Zeitpunkt der Befragung an COVID-19 erkrankte Personen im persönlichen Umfeld. Das persönliche Umfeld wird in der Studie als Familie sowie als enger Freundes- oder Bekanntenkreis definiert. 42,1 Prozent der Studierenden kannten eine Person mit einem leichten COVID-19-Krankheitsverlauf. 13,1 Prozent der Studierenden hatten eine Person mit einem schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung im persönlichen Umfeld. 6,9 Prozent der Studierenden kannten eine Person, die an COVID-19 verstorben ist. 37,9 Prozent der Studierenden hatten zum Zeitpunkt der Umfrage keine Person in ihrem persönlichen Umfeld, welche an COVID-19 erkrankt war.

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