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ein Beitrag von Swantje Lahm
Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Buch Schreiben in der Lehre von Swantje Lahm,
die im Bielefelder Schreiblabor Fortbildungen dazu anbietet, wie sich das Schreiben als Medium des Lernens in die Lehre integrieren lässt.
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Lehrende in unseren Workshops berichten häufig, dass die Leistungen bei schriftlichen Arbeiten stark auseinanderfallen: Es gibt Studierende, die ohne Anleitung exzellente Arbeiten schreiben, andere reihen lediglich Informationen aneinander, wissen nicht, wie man recherchiert etc. Bei einigen Texten von Studierenden lässt die Qualität vermuten, dass die Autor*innen weit von dem entfernt sind, was wir uns vom forschenden Schreiben für sie erhoffen und manchmal sind wir von den Ergebnissen regelrecht enttäuscht. Nach Gottschalk und Hjortshoj verursachen Missverständnisse diese Enttäuschungen: „Disappointment with research papers persists largely because students’ misconceptions of investigative writing remain unacknowledged and therefore unresolved. […]“ (Gottschalk/Hjortshoj 2004: 46).
Studierende haben beim forschenden Schreiben die Aufgabe, „nicht nur Antworten und die zugrunde liegenden Fragen zu verstehen, sondern sich wissenschaftliche Problemstellungen zu eigen zu machen bzw. selbst Fragestellungen zu entwickeln und einer wissenschaftlichen Bearbeitung zu unterziehen“ (Rhein 2013: 46). Das ist über die Fächergrenzen hinweg der gemeinsame Nenner von Seminar- und Abschlussarbeiten. Was Bezeichnungen wie „Seminararbeiten“, „Bachelorarbeiten“ etc. allerdings verbergen, sind die Unterschiede in den fachlichen Anforderungen. Selbst innerhalb eines Fachs ist man sich oft nicht darüber einig, welches Können in einer Bachelorarbeit unter Beweis gestellt werden soll. Und tatsächlich ist der Klärungsprozess oft mühsam. Trotzdem sollten Lehrende nicht darauf verzichten, denn gerade im Hinblick auf die spezifischen fachlichen Anforderungen sind Studierende auf die Unterstützung ihrer Lehrenden angewiesen.
Die Klärung der Anforderungen räumt selbstverständlich nicht sämtliche Schwierigkeiten aus dem Weg; wenn Studierende mit der Abschlussarbeit die erste längere schriftliche Arbeit im Studium verfassen, fehlt es ihnen einfach an Übung. Dennoch: Geklärte Aufträge sind der erste Schritt zu besseren Arbeiten. Da viele Studierende unsicher sind, was in Haus- und Abschlussarbeiten von ihnen verlangt wird, ist es hilfreich, für diese Arbeiten nicht einfach Themen, sondern Schreibaufträge zu vergeben. Hierfür gelten die gleichen Prinzipien wie für andere Schreib- und Arbeitsaufträge: Die Studierenden sollten nach der Lektüre wissen, worüber genau sie schreiben, für wen, mit welchem Ziel und in welcher Form. Auch dem Prozess sollte Aufmerksamkeit gewidmet werden: Wenn die Studierenden einzelne Arbeitsschritte in einer spezifischen Weise durchführen sollen (z. B. Interviews führen, Daten analysieren etc.), sollte das im Auftrag berücksichtigt werden.
Wie andere Schreibaufträge auch, können Sie Aufträge zum forschenden Schreiben auch als Szenarien gestalten, in denen Studierende in einer fiktiven oder echten Situation etwas ganz Konkretes tun und schreiben sollen. Für die Entwicklung von Szenarien eignet sich ein Template, das ein amerikanischer Kollege auf einer Tagung präsentiert hat und seither bei uns im Schreiblabor die „Russell-Formel“ heißt:
Die folgenden Beispiele für Aufträge forschenden Lernens wurden in Anlehnung an die Russell-Formel kondensiert:
Alle drei Aufgaben sind Aufträge für forschendes Schreiben, aber sie reduzieren gegenüber einem Forschungsartikel den Schwierigkeitsgrad und den Aufwand. Beispiel A greift das Auffinden von Quellen als einen Aspekt von Forschung in der Geschichtswissenschaft heraus. In Beispiel B planen die Studierenden ein Experiment und stellen ihr Vorgehen in einem Exposé dar, ohne die Forschung dann tatsächlich durchzuführen. In Beispiel C arbeiten die Studierenden sich anhand eines wissenschaftlichen Artikels in den Forschungsstand zu einem Thema ein. Auch wenn die Aufgaben Komplexität reduzieren, sind es keine künstlichen Schreibanlässe, denn jeder dieser Aufträge kann ein notwendiger Teilschritt in der Durchführung einer umfassenderen Arbeit sein. Auf diese Weise können Sie Aufgaben nach Komplexität staffeln und Missverständnisse vermeiden. Je expliziter die Anforderungen benannt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Studierenden gute Ergebnisse erzielen werden.
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Dieser Artikel ist erschienen in
Exposé – Zeitschrift für wissenschaftliches Schreiben und Publizieren
Heft 2-2022: Wissenschaftliche Lehre
© Titelbild: Unsplash.com | UX Indonesia © Foto Swantje Lahm: Bernhard Pierel/WESTFALEN-BLATT