Sensibilisierung von Kindern für eine gesunde und nachhaltige Ernährungsweise

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung 4-2023: „In meiner Jause steckt Nachhaltigkeit drin!“ Den Wert der Ernährungsweise im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung schätzen lernen

„In meiner Jause steckt Nachhaltigkeit drin!“ Den Wert der Ernährungsweise im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung schätzen lernen

Katharina Misslinger, Helga Mayr, Birgit Wild

HiBiFo – Haushalt in Bildung & Forschung, Heft 4-2023, S. 40-55.

 

Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Ernährungsweise im Volksschulalter. Durch zielgerichtete, didaktische Zugänge kann bereits bei den Jüngsten der Grundstein für eine nachhaltige Lebensführung gelegt werden, wie die Evaluation eines fächerübergreifenden Projektes darlegt. Das Forschungsdesign, das Interventionsprojekt und resultierende Ergebnisse, sowie ein Ausblick werden in diesem Beitrag vorgestellt.

Schlüsselwörter: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Nachhaltige Entwicklung, Ernährungsbildung, Gesundheitsförderung, Interventionsprojekt

 

“There’s sustainability in my snack!”—Learning to appreciate the value of nutrition in terms of sustainable development

This article deals with raising awareness for sustainable nutrition in elementary schools. The evaluation of an interdisciplinary project shows that targeted didactic approaches can provide the foundation for a sustainable lifestyle already among the youngest children. Research design, intervention project and results as well as an outlook are presented in this article.

Keywords: Education for Sustainable Development, Sustainable Development, nutrition education, health promotion, intervention project

 

1 Einleitung

In diesem Jahr wurden die Ressourcen der Erde, die der Menschheit rein rechnerisch pro Jahr zur Verfügung stehen, am 2. August aufgebraucht. Der Erdüberlastungstag veranschaulicht, dass global betrachtet, für die vorherrschende Lebensweise bereits mehr als eine Erde benötigt wird, obwohl nur diese eine zur Verfügung steht (Rieckmann, 2020; Global-Footprint-Network, 2023). Dominierende Lebens- und Wirtschaftsweisen haben zu ökologischen Krisen wie der Klimakrise oder der Biodiversitätskrise geführt. Während in einigen Bereichen die planetaren Belastungsgrenzen bereits überschritten sind, stehen wir in anderen knapp davor (UNESCO & DUK, 2021, S. 6; Steffen et. al., 2015). Unser Handeln hat existenzbedrohende Auswirkungen auf die Ökosysteme der Erde und gefährdet unsere Lebensgrundlage. Zu den ökologischen Krisen (Brand & Welzer, 2019) gesellen sich soziale Probleme und Herausforderungen. Ressourcen und Welteinkommen sind ungleich und zum Teil ungerecht verteilt und der ökologische Fußabdruck von Menschen in Ländern mit hohem Einkommen übersteigt „deutlich ihre inländische Extraktion“ (Fischer, 2023, S. 197). Sie eignen sich Ressourcen auf Umwelt- und Sozialkosten anderer an. Nach wie vor leben viele Menschen in Verhältnissen, in denen grundlegende soziale Standards, wie der Zugang zu ausreichender und gesunder Nahrung, zu Gesundheitsversorgung, Arbeitsbedingungen oder Bildung nicht gewährleistet sind (Raworth, 2018, 2020; André et. al. 2020; Rieckmann, 2020; Wulfmeyer, 2020). Die Herausforderung besteht darin, sozio-kulturelle, ökologische und ökonomische Aspekte synergetisch zu betrachten und einen Weg zu finden, um sowohl allen Menschen angemessene soziale Standards zu gewährleisten als auch innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen zu bleiben. Eine entsprechende sozial-ökologische Transformation (Brand, 2014) hin zu einer nachhaltigen Entwicklung ist daher notwendig und dringlich.

Die heutige Gesellschaft bewegt sich allerdings auf einem nicht-nachhaltigen Entwicklungspfad (Unteregger, 2018). Unsere Lebens- und Wirtschaftsweise ist maßgeblich verantwortlich für die großen globalen Herausforderungen und wie wir uns ernähren, wie wir Nahrungsmittel produzieren und in den Verkehr bringen, tragen enorm dazu bei (Bommert et al., 2016, S. 10f; WWF Deutschland, 2021). Verstärkte Anstrengungen sind daher notwendig, um den ökologischen Fußabdruck der Landwirtschaft zu verringern, den Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu verbessern, soziale Gerechtigkeit entlang der gesamten Lieferkette sicherzustellen und eine nachhaltige Ernährungsweise zu fördern (Bommert et al., 2016; Von Koerber, 2015; WWF Deutschland, 2021). Eine nachhaltige Ernährungsweise hat positive Auswirkungen und dies nicht nur auf die menschliche Gesundheit, sondern auch auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Wirtschaft (Bommert et. al., 2016; WWF Deutschland, 2021).

Im vorliegenden Beitrag wird der Frage nachgegangen, inwiefern es im Rahmen des Unterrichts gelingt, bereits Kinder im Volkschulalter für eine gesunde und planetenfreundliche Ernährungsweise zu sensibilisieren und sie durch geeignete didaktische Zugänge in der Entwicklung einer gesunden Lebensweise zu unterstützen. Dazu wurde ein fächerübergreifendes Ernährungsbildungsprojekt mit Fokus auf Nachhaltigkeit entwickelt und in einer 3. Klasse Primarstufe umgesetzt sowie evaluiert. Nach Überlegungen zum theoretischen Hintergrund werden in diesem Beitrag das Bildungsprojekt, das Forschungsdesign und ausgewählte Erkenntnisse beschrieben.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Nachhaltige Entwicklung

Die bekannteste Definition von nachhaltiger Entwicklung (NE) stammt von der Brundtland-Kommission (United Nations, 1987), die NE als „Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generationen befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Heinrichs & Michelsen, 2014; Hauff, 1987, S. 46) beschreibt. Diese Definition beinhaltet intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit, berücksichtigt die globale Perspektive sowie die ökologische, sozio-kulturelle und ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit.

NE ist seit dem „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro (United Nations, 1992) globales Leitbild. Im Rahmen diverser Agenden, wie der Agenda 21 (United Nations, 1992) und der Agenda 2030 (United Nations, 2015) wurde es politisch verankert. Die Agenda 2030 beinhaltet 17 Ziele für eine NE (Sustainable Development Goals), die einen Orientierungsrahmen für menschliches Handeln liefern.

Das Konzept „Nachhaltige Entwicklung“ ist aber nicht nur politisches Programm, sondern umfasst ethische und normative Dimensionen (Michelsen & Adomßent, 2014) auf der Basis von Werten wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Frieden oder Nachhaltigkeit. Es bezieht sich darauf, wie Individuen und die Gesellschaft Entscheidungen treffen, leben und wirtschaften sollen oder besser müssen, um die Lebensgrundlagen für Menschen und alle Lebewesen auf dem Planeten Erde dauerhaft und auf eine gerechte Art und Weise zu sichern. Es gibt allerdings unterschiedliche Vorstellungen von Nachhaltigkeit, von NE und davon, wie diese mit „Inhalt gefüllt und in der Praxis umgesetzt werden sollen“ (Grunwald, 2016, S. 23). NE ist somit ein „individueller und gesellschaftlicher Such-, Lern- und Gestaltungsprozess mit dem Anspruch der Aushandlung der besten Lösungen unter dem ethischen Prinzip einer nachhaltigen Entwicklung“ (Stoltenberg & Burandt, 2014, S. 568).

Auch wenn Nachhaltigkeit aktuell in aller Munde ist (Pufé, 2017), bleiben Maßnahmen oft an der Oberfläche, strukturelle Probleme werden nicht oder nicht angemessen angegangen und die für die nicht-nachhaltige Entwicklung verantwortlichen Denk- und Handlungsweisen werden nicht ausreichend hinterfragt und geändert. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass in der Agenda 2030 Wirtschaftswachstum nach wie vor als konkretes Ziel (SDG 8) genannt ist, wenn auch mit dem Zusatz „nachhaltig“. Das Bevölkerungswachstum und dessen Auswirkungen werden nicht in Frage gestellt (Michelsen & Adomßent, 2014; Bommert et al., 2016), zudem wird der Umwelt sowie allen anderen Lebewesen nach wie vor kein Eigenwert zugestanden und kein entsprechender Rechtsstatus eingeräumt (Andre et al., 2020; Krebs, 2023).

Das Modell der Donut-Ökonomie (Raworth, 2018, 2021) zeigt einen möglichen alternativen Zugang. Im Sinne eines starken Nachhaltigkeitsverständnisses geht Raworth (2018, 2021) davon aus, dass die Erhaltung der natürlichen Ressourcen und Ökosysteme für die Menschheit überlebensnotwendig sind und daher dem Handlungsspielraum Grenzen gesetzt sind. Darüber hinaus fordert sie soziale Mindeststandards für alle Menschen – sie bilden das gesellschaftliche Fundament. Die ökologische Decke (planetare Belastungsgrenzen) und das gesellschaftliche Fundament stecken den sicheren und gerechten Handlungsraum für die Menschheit ab. Dies führt konsequenterweise zur Forderung nach einer regenerativen und distributiven Ökonomie, die sich auf Erhalt und Schaffung von Ressourcen und sich selbst erneuernden und regenerierenden Systemen (regenerativ), sowie auf die gerechtere Verteilung von Ressourcen und Wohlstand (distributiv) konzentriert (Raworth, 2018, 2021).

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