Theoretisches Wissen als auch praktisches Knowhow für die Entwicklung und Förderung von Diversitätskompetenz im Hochschulbereich: Wir haben ein Interview mit Autorin Evangelia Karagiannakis über ihr neues Buch Diversitätskompetenz. Ein Arbeitsbuch für Studium und Beruf geführt.
Interview zum Buch „Diversitätskompetenz“
Liebe Evangelia Karagiannakis, worum geht es in Diversitätskompetenz?
Kurz zusammengefasst geht es um Fragen wie Was ist überhaupt Diversität? Wie steht es darum in unserem eigenen Umfeld? Was gehört zur Diversitätskompetenz? Warum sollten wir sie besitzen und wie können wir sie uns aneignen?
Ein wichtiges Anliegen ist es zu zeigen, dass Diversität in allen Lebensbereichen der Normalzustand ist und welchen Einfluss sie auf Alltag, Studium und Beruf hat. Dazu gehört leider auch, dass Diversität oft negativ wahrgenommen wird, was – bewusst oder unbewusst – zu Diskriminierung führt. Um das zu verstehen, dem entgegenzuwirken und die Vorteile von Diversität nutzen zu können, benötigen wir Diversitätskompetenz. Das ist der zweite, zentrale Aspekt der Publikation.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Ja, den gab es, und er ist auf den ersten Blick fast ein wenig banal: Es gibt meines Wissens bisher keine umfassende Publikation zum Thema Diversitätskompetenz, die sich explizit an Studierende und junge Wissenschaftler*innen richtet. Jedenfalls keine, die als eine Art „Selbstlernkurs“ konzipiert ist und immer wieder die Brücke zum eigenen Alltag schlägt.
Natürlich gibt es viele, sehr gute Publikationen zum Thema Diversität, auch für die Hochschule. Der Fokus liegt aber immer auf Aspekten der Personalentwicklung und/oder der diversitätsgerechten Lehre. Mir schien, es fehlte etwas, dass die jungen Menschen genau dort abholt, wo sie gerade stehen: am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn in einer rundum diversen Welt.
Ein weiterer Grund ist ein Phänomen, das ich in meinen Seminaren beobachte: Den Teilnehmenden ist das Thema Diversität zwar wichtig, viele relevante Zusammenhänge sind ihnen jedoch nicht bekannt oder nicht bewusst. Das führt oft zu überraschenden Entdeckungen und dem Wunsch, das Thema praxisnah und selbstgesteuert zu vertiefen. Ich hoffe, dass dieses Arbeitsbuch dabei helfen kann.
Welchen aktuellen Herausforderungen, die im Buch behandelt werden, stehen Studierende und Nachwuchswissenschaftler*innen in Bezug auf Diversität gegenüber?
Wie bereits erwähnt ist Diversität in der heutigen Gesellschaft die Regel und normal. In der Wissenschaft gehört Heterogenität ohnehin dazu, Hochschulen sind seit jeher Orte für vielfältige Fachdisziplinen und Fachkulturen. Durch Globalisierung, internationale Kooperationen und Projekte, durch Flucht, Migration und andere gesamtgesellschaftliche Veränderungen nimmt Diversität weiter zu. Das betrifft Hochschulen, Unternehmen, Verwaltung, Freizeit oder Nachbarschaft usw. Und es geschieht in einem rasanten Tempo.
Das ist bereichernd, aber auch herausfordernd und manchmal unbequem. Ohne Diversitätskompetenz ist ein wertschätzender Umgang mit Vielfalt kaum möglich. Hinzu kommt, dass die vielen gesellschaftlichen, sozialen und beruflichen Veränderungen auch immer wieder neue, veränderte Teilkompetenzen erfordern, z. B. Wahrnehmung eigener und fremder Bedürfnisse, respektvolle und wertschätzende Kommunikation, Kenntnisse über Teamprozesse und deren positive Steuerung, Konfliktkompetenz u. a.
Das mag auf den ersten Blick alles selbstverständlich klingen, ist es aber in der Praxis nicht. Diversitätskompetenz hat man nicht einfach so, man muss sie aktiv erwerben. Das umfasst auch Selbstreflexion über eigene Haltungen, Sorgen und Stereotype. Für all das „darf“ und sollte man sich Zeit nehmen. Das Buch Diversitätskompetenz ermutigt zur Auseinandersetzung mit diesen und verwandten Themen und bietet praktische Anregungen dafür.
Bei Diversitätskompetenz handelt es sich um ein interaktives Arbeitsbuch. Würden Sie uns ein praktisches Beispiel geben?
Sehr gerne. Vorher möchte ich kurz das zugrunde liegende Konzept erläutern. Es leitet die Lesenden dazu an, sich in drei Schritten das jeweilige Teilthema zu erschließen: (1) theoretischen Input erarbeiten → (2) praktisch anwenden und ausprobieren → (3) auswerten und persönliche Konsequenzen ziehen. So ist der Transfer in die eigene Umgebung gewährleistet. Hierzu gibt es im Buch regelmäßig Impulse zum Reflektieren, Tipps und Arbeitsanregungen. Dieser didaktische Dreischritt, der sich seit vielen Jahren durch meine Seminare, Workshops und Lehr-Lern-Materialien zieht, hat sich in der Praxis bewährt und wird von Studierenden besonders geschätzt.
Eingerahmt werden die Kapitel von einem anfänglichen Impuls zur Einstimmung auf das jeweilige Thema (z. B. Bildbeschreibung, Gedankenexperiment, Quiz, kreatives Schreiben o. A.) und den sogenannten Stimmen von Studierenden am Ende. Das sind authentische Erfahrungsberichte zu den vorangegangenen Inhalten von Studierenden meiner Seminare. Hieraus lassen sich oft weitere Tipps und Anregungen ableiten.
Nun ein Beispiel: Im Buch gibt es ein Kapitel zum sogenannten Ethnozentrismus. Überspitzt formuliert ist dies die meist unbewusste Haltung „Meine Kultur ist die beste und das Maß aller Dinge“. Die Lesenden erarbeiten zunächst Basisinformationen zum Ethnozentrismus (1), z. B. dass er unsere Wahrnehmung und unser Verhalten unbewusst steuert und wir deshalb häufig Menschen mit anderen kulturellen Gepflogenheiten als minderwertig einstufen. Für die praktische Anwendungsphase (2) gibt es zwei Arbeitsanregungen: (a) Ethnozentrismus in den Medien aufspüren und analysieren; (b) in zwei Schritten den eigenen Ethnozentrismus erkunden, nämlich: eine erste Selbsteinschätzung notieren, danach konkrete Selbstbeobachtungen in einem festgelegten Zeitraum durchführen. Im letzten Schritt (3) vergleichen die Lesenden die konkreten Beobachtungen mit der anfänglichen Selbsteinschätzung, werten die Ergebnisse aus und legen bewusst und aktiv fest, was sie an der eigenen Haltung verbessern möchten.
Ein anderes interaktives Element, das sich durch das Arbeitsbuch zieht, ist mein Cross Culture Writing-Konzept, eine Kombination aus kreativem Schreiben und interkulturellem Lernen. Ich habe es aus Elementen meiner Arbeitsschwerpunkte Reflexives Lernen, Schreibdidaktik sowie Interkulturelle und Diversity-Trainings vor langer Zeit entwickelt, erprobt und – gemeinsam mit den Teilnehmenden – verbessert. Nicht nur, aber gerade Themen, die emotional berühren, lassen sich damit leichter und dennoch tiefgründig bearbeiten.
Wie würden Sie die Botschaft Ihres Buchs in maximal drei Sätzen zusammenfassen?
Diversitätskompetenz ist heute eine unerlässliche Schlüsselkompetenz. Sie stärkt unsere Persönlichkeit und eröffnet uns neue Chancen für bereichernde Beziehungen, Kooperationen und Innovation. Diversitätskompetenz fällt nicht vom Himmel, man kann und sollte sie aber systematisch auf- und ausbauen.
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Evangelia Karagiannakis:
Diversitätskompetenz. Ein Arbeitsbuch für Studium und Beruf
Die Autorin
Evangelia Karagiannakis studierte Linguistik und Sprachdidaktik und war drei Jahrzehnte lang in der Qualifizierung von Lehrenden auf dem Globus unterwegs – von Finnland über Deutschland bis Südafrika, von Vietnam über Peru bis Kanada, an Pädagogischen Hochschulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen. Diese Arbeit gepaart mit der eigenen Biografie führte sie in die Welt der Vielfalt und Diversity. Heute ist sie Trainerin für Interkulturelle & Diversity Kompetenz, wertschätzende Kommunikation, Konfliktmanagement und Teambildung. Sie berät Organisationen und Einrichtungen und lehrt Soft Skills an Universitäten.
Zur Website: www.competencing.de
Über „Diversitätskompetenz“
Diversität ist in allen Bereichen unserer demokratischen Gesellschaft Normalzustand geworden. Somit ist Diversitätskompetenz eine Schlüsselkompetenz für das Studium und die akademische Praxis. Dieses interaktive Arbeitsbuch vermittelt sowohl theoretisches Wissen als auch praktisches Knowhow für die Entwicklung und Förderung von Diversitätskompetenz im Hochschulbereich.
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© Foto Evangelia Karagiannakis: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com