50. Jubiläum des Beitritts Deutschlands zu den Vereinten Nationen

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik 3-2023: Vom „Feindstaat“ zum Pfeiler der Vereinten Nationen: 50 Jahre nach seinem Beitritt setzt sich Deutschland weiter für eine starke Weltorganisation ein

Vom „Feindstaat“ zum Pfeiler der Vereinten Nationen: 50 Jahre nach seinem Beitritt setzt sich Deutschland weiter für eine starke Weltorganisation ein

Sven Bernhard Gareis

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, Heft 3-2023, S. 327-339.

 

Zusammenfassung
Am 18. September 1973 traten die Bundesrepublik Deutschland und die DDR den Vereinten Nationen (VN) bei. Bereits zuvor konnte sich die Bundesrepublik schon zwanzig Jahre als „aktives Nichtmitglied“ hohes Ansehen als verlässliche Partnerin in der weltweiten multilateralen Zusammenarbeit erarbeiten. Nach der Wiedervereinigung setzte Deutschland diese Politik des umfassenden Engagements fast nahtlos fort. Das 50. Jubiläum seines VN-Beitritts ist daher ein guter Anlass, anhand ausgewählter Politikfelder Deutschlands Beitrag zu den VN zu untersuchen und zu diskutieren, inwieweit das Land seinen selbstgestellten Ansprüchen gerecht wurde – und weiterhin werden will. Dies soll nach einem kurzen Rückblick auf das VN-Engagement beider deutscher Staaten vor und nach ihrem Beitritt unternommen werden.

 

Schließlich ging alles dann sehr schnell: Kurz nachdem die 28. Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) in ihrer konstituierenden Sitzung am 18. September 1973 mit Resolution 3050 (XXVIII) die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hatte, lud VN-Generalsekretär Kurt Waldheim zu einer kleinen Zeremonie. In Anwesenheit von Bundesaußenminister Walter Scheel und seinem Ost-Berliner Kollegen Otto Winzer wurden am Hauptsitz der Weltorganisation erstmals die Flaggen der beiden deutschen Staaten gehisst. 28 Jahre nach Gründung der VN in der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges war der letzte der „Feindstaaten“, gegen welche die Organisation gegründet wurde, in zweifacher Gestalt angekommen im Kreis der „friedliebenden Staaten, welche die Verpflichtungen aus dieser Charta zu übernehmen“ (Artikel 4 VN-Charta).

Anders als bei den übrigen „Feindstaaten“, die wie Bulgarien, Japan oder Rumänien bis 1955 alle Mitglieder der VN geworden waren, stand einer Aufnahme Deutschlands dessen Teilung entgegen. Die Bundesrepublik wollte eine Aufwertung der DDR zu einem international anerkannten Staat verhindern, ihr alleiniger Beitritt scheiterte am Widerstand der Sowjetunion im Sicherheitsrat.

Die fehlende Mitgliedschaft stellte für die Bundesrepublik indes kein Hindernis dar, sich bereits sehr früh im multilateralen Kooperationsrahmen der VN zu engagieren. Binnen kurzem gehörte sie praktisch allen Sonder- und Unterorganisationen an und konnte sich als wirtschafts- und finanzstarkes sowie vor allem auch entwicklungspolitisch sehr aktives Nichtmitglied rasch eine hohe internationale Wertschätzung erwerben. Daran konnte – und wollte – die DDR auch nach dem gemeinsamen VN-Beitritt nicht anknüpfen (vgl. Bruns 1978).

Schon vor seiner Wiedervereinigung 1990 war (West)Deutschland also ein Pfeiler der Weltorganisation und blieb dies seither: Seit langem ist Deutschland einer der größten Geldgeber sowie eine auf vielen Politikfeldern engagierte Nation. Als Sitzstaat beherbergt es mehr als dreißig VN-Organe, davon neunzehn auf dem VN-Campus in Bonn. Deutschland zählt zu den Ländern, die in der seit Mitte der 1990er Jahre laufenden Diskussion über die VN-Reform immer wieder als Kandidaten für einen Ständigen Sitz in einem reformierten VN-Sicherheitsrat gehandelt werden. Der Zuspruch, den Deutschland in dieser Debatte erhält, und die guten Ergebnisse bei Wahlen für nichtständige Sitze im Sicherheitsrat sowie zu anderen Gremien belegen seine hohe Wertschätzung in den VN. Die Vereinten Nationen sind bei ihren Bemühungen um internationale Kooperation für Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung mehr denn je auf einflussreiche Staaten wie Deutschland angewiesen – wie auch Deutschland umgekehrt ein hohes Interesse an einer funktionierenden Weltorganisation hat.

2023 steckt die Organisation jedoch in einer bereits Jahre andauernden, tiefen Krise, die geprägt ist durch vielfältige globale Herausforderungen wie die Kriege in der Ukraine, Syrien, Jemen oder Sudan, Klimawandel, die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie, Entwicklungsdisparitäten sowie beispiellosen Flucht- und Migrationsbewegungen bei gleichzeitig schwindender Kooperationsbereitschaft unter den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates und der Staatenwelt insgesamt.

Seit seiner Wiedervereinigung hat Deutschland stets betont, die Bemühungen der VN um einen effektiven Multilateralismus aktiv zu unterstützen (siehe Auswärtiges Amt 1998; Knapp 2003). In seiner Rede vor der 77. Generalversammlung im September 2022 hat Bundeskanzler Olaf Scholz dieses Versprechen vor dem Hintergrund der russischen Aggression gegen die Ukraine nochmals unterstrichen und weiteres deutsches Engagement zugesagt (siehe Bundesregierung 2022).

Das 50. Jubiläum seines VN-Beitritts ist daher ein guter Anlass, anhand ausgewählter Politikfelder Deutschlands Beitrag zu den VN zu untersuchen und zu diskutieren, inwieweit das Land seinen selbstgestellten Ansprüchen bislang gerecht wurde – und weiterhin werden will. Dies soll nach einem kurzen Rückblick auf das VN-Engagement von Bundesrepublik und DDR vor und nach ihrem Beitritt unternommen werden.

Ein langer Anlauf: Die „deutsche Frage“ als Hindernis für den VN-Beitritt

Das kollektive Sicherheitssystem der VN richtete sich zunächst gegen die unterlegenen Feindstaaten. Anders jedoch als dem Völkerbund blieb den VN die „Hypothek eines Vollzugsorgans für die Durchführung der Friedensverträge des Zweiten Weltkriegs“ (Unser 2004: 287) erspart. Die Feindstaatenklauseln der Artikel 53 und 107 der VN-Charta stellten Sonderregelungen für den unwahrscheinlichen Fall einer neuen Kriegsgefahr durch die früheren Aggressoren dar, aber keine Instrumente zu deren dauerhafter Unterwerfung.

Während alle ehemaligen Feindstaaten binnen eines Jahrzehnts den VN beitraten, verhinderte die deutsche Teilung eine schnelle Mitgliedschaft. Ein alleiniger Beitritt der Bundesrepublik kam angesichts der sowjetischen Vetomacht im VN-Sicherheitsrat, welcher jedem Aufnahmeersuchen zustimmen muss, nicht in Frage. Ein gemeinsamer Beitritt war für Bonn wegen der damit verbundenen Aufwertung der DDR nicht akzeptabel. Schließlich hielt die Bundesrepublik eisern ihren Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland aufrecht und trat im internationalen Bereich jeglicher Anerkennung der DDR als eigenem Staat entgegen.

Beide deutsche Staaten bemühten sich daher um Mitwirkung in den VN unterhalb der Schwelle einer Vollmitgliedschaft. Hierbei erwies sich die Bundesrepublik als sehr erfolgreich und konnte ihren Status rasch zu einer „aktiven Nichtmitgliedschaft“ ausbauen. Bereits 1950 trat sie der Welternährungsorganisation (FAO) sowie im folgenden Jahr der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Weltkulturorganisation (UNESCO) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei. Bis Mitte der 1950er Jahre war die Bundesrepublik in allen Sonderorganisationen sowie den meisten der VN-Untergliederungen vertreten, die keine Vollmitgliedschaft in der Hauptorganisation forderten. Zudem hatte die Bundesrepublik bereits 1952 einen permanenten Beobachterstatus am Hauptsitz der VN in New York, 1953 dann auch beim europäischen VN-Sekretariat in Genf erhalten. Aufgrund der „Wiener Formel“ konnte sie schließlich als Mitglied mehrerer Unterorganisationen zu allen VN-Konferenzen eingeladen werden. Die Bundesrepublik war so auf das Engste in die Arbeit der VN eingebunden, erwarb sich den Ruf eines geschätzten Partners und wurde aufgrund ihres wachsenden wirtschaftlichen Gewichts rasch auch zu einem der finanziellen Stützpfeiler der Organisation.

Das frühe VN-Engagement war aber auch stark deutschlandpolitisch motiviert und mit ihrer „Hallstein-Doktrin“ darauf gerichtet, eine Statusverbesserung oder gar Mitgliedschaft der DDR zu verhindern (vgl. Arnold 2000). In diesem Bestreben war die Bundesrepublik lange Zeit sehr erfolgreich: Der DDR blieb eine auch nur mittelbare Einbindung in das VN-System praktisch vollständig versagt. Alle Aufnahmeanträge zu Sonderorganisationen wurden abgelehnt, auch ein Einzug in die regionale Wirtschaftskommission für Europa (ECE) scheiterte. Einzig die Entsendung eines Ständigen Beobachters bei der ECE in Genf wurde der DDR ab 1955 zugestanden. Ein eigener Aufnahmeantrag der DDR vom 28. Februar 1966 wurde im Sicherheitsrat gar nicht erst auf die Agenda gesetzt, weil die Bundesrepublik ihre verbündeten Ständigen Mitglieder Frankreich, Großbritannien und USA überzeugen konnte, dass die DDR kein Staat sei. Erst am 24. November 1972, unter veränderten innerdeutschen Vorzeichen nach Abschluss des Grundlagenvertrags und dem auch von der Bundesrepublik unterstützten Beitritt zur UNESCO, konnte die DDR mit der Bundesrepublik im Status eines Ständigen Beobachters bei den VN gleichziehen (vgl. Bruns 1978: 154).

Die parallele VN-Mitgliedschaft beider deutscher Staaten

In den späten 1960er Jahren konnte sich die Bundesrepublik indes internationalen Ansprüchen auf normalisierte Beziehungen auch zur DDR kaum mehr entgegenstellen. Nach dem Regierungswechsel 1969 bemühte sich die sozial-liberale Bundesregierung unter Willy Brandt und Walter Scheel im Zuge ihrer Entspannungspolitik erfolgreich um neue Bewegung in den festgefahrenen Ost-West-Beziehungen. Der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag vom 8. November 1972, machte dann den Weg in die VN frei. Am 18. September 1973 wurden die DDR und die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 28. Generalversammlung als 133. und 134. Mitgliedstaat aufgenommen. Damit war – jedenfalls für die internationale Gemeinschaft – die „deutsche Frage“ beigelegt und Willy Brandt erklärte in der ersten Rede eines Bundeskanzlers vor der Generalversammlung: „Wir sind nicht hierher gekommen, um die Vereinten Nationen als Klagemauer für die deutschen Probleme zu betrachten (…). Wir sind vielmehr gekommen, um – auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten – Verantwortung zu übernehmen“ (zitiert nach Auswärtiges Amt 1998: 20). Mit der Aufnahme der beiden deutschen Staaten wurden auch die Feindstaatenklauseln endgültig obsolet – wenngleich ihre Streichung aus der Charta erst 2005 formell beschlossen wurde.

Die Bundesrepublik knüpfte nach ihrem Beitritt an ihre Strategie einer möglichst umfassenden Präsenz in den VN-Gremien an. Neben der Arbeit in den allen Mitgliedern offenstehenden Plenarorganen wurde sie auch immer wieder in Untergliederungen mit beschränkter Mitgliedschaft gewählt, beispielsweise in die Menschenrechtskommission oder den Wirtschafts- und Sozialrat. Bereits vier Jahre nach ihrem Beitritt übernahm die Bundesrepublik 1977/78 erstmals einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat, eine zweite Amtszeit folgte 1987/88. Im September 1980 wurde der bundesdeutsche VN-Botschafter Rüdiger von Wechmar zum Präsidenten der 35. Generalversammlung berufen.

Als global tätige Wirtschaftsmacht engagierte sich die Bundesrepublik weiterhin stark in finanzieller Hinsicht, sowohl innerhalb des VN-Systems als auch in der Unterstützung für die im Zuge der Dekolonisation wachsende Zahl von Entwicklungsländern. Ein weiteres Arbeitsfeld bestand im Ausbau des Menschenrechtsschutzes und des Völkerrechts. Seit 1975 fast ununterbrochen Mitglied der VN-Menschenrechtskommission hat die Bundesrepublik eine Reihe von Initiativen ergriffen, etwa mit dem „Fakultativprotokoll zur Abschaffung der Todesstrafe“ oder der „Konvention gegen die Geiselnahme“. Im Bereich der Friedenssicherung indes verweigerte sie bis 1989 eine aktive Rolle. Sie beteiligte sich erstmals mit 50 Beamten des Bundesgrenzschutzes an der UN Transition Advisory Group (UNTAG) zur Unterstützung des Übergangs von Namibia in die Unabhängigkeit. Zu dieser Mission entsandte auch die DDR ein kleines Kontingent ihrer Volkspolizei.

Die DDR setzte hingegen auf eine selektive Mitwirkung im VN-System. Den westlich dominierten Finanzinstitutionen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds, Entwicklungsbank) trat sie aus ideologischen Gründen nicht bei, blieb aber auch kostenintensiven Entwicklungsorganisationen und Hilfsprogrammen fern. Sie verortete sich – wie das gesamte sozialistische Lager – als „natürlicher Verbündeter“ der in den Vereinten Nationen neu entstandenen Mehrheitsgruppe ökonomisch schwacher Staaten und stimmte in den Gremien auch stets im mainstream der neuen Mehrheitsverhältnisse (vgl. Neugebauer 2000). Die DDR, die rund ein Prozent zum VN-Haushalt beisteuerte, war 1980/81 ebenfalls als Nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat vertreten, 1987/88 war ihr VN-Botschafter Peter Florin Präsident der Generalversammlung.

In den siebzehn Jahren ihrer VN-Mitgliedschaft blieben beide Staaten fest in ihre jeweiligen Machtblöcke eingebunden. Während die DDR immer eng an die Sowjetunion angelehnt verharrte, verfügte die Bundesrepublik über größere Freiheitsgrade, musste aber auch Rücksichten auf ihre Verbündeten nehmen. Gemeinsame Aktivitäten beider deutscher Staaten blieben weitgehend auf den seit 1974 zusammen mit Österreich unterhaltenen deutschen Übersetzungsdienst beschränkt, der bis heute wesentliche VN-Dokumente zeitnah ins Deutsche überträgt.

Nach dem Ende der Ost-Westkonfrontation und der dadurch ermöglichten Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 endete die parallele Mitgliedschaft der beiden deutschen Staaten. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher teilte VN-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar mit, dass die wiedervereinte Nation künftig unter der Staatsbezeichnung „Deutschland“ (Germany) in den VN firmieren werde (Auswärtiges Amt 1998: 22).

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