„Mit Freude lehren“: Leseprobe

Mit Freude lehren

Was eine coachende Haltung an der Hochschule bewirkt

von Andrea Klein

 

Über das Buch

Wenn Lehrende Freude an ihrer Tätigkeit empfinden, fühlen sich Lehren und Lernen leichter an und alle Beteiligten sind zufriedener. Was aber, wenn sich die Freude einfach nicht einstellen mag? Weitere didaktische Tools und Methoden bringen die Lehrenden in dieser Situation nur bedingt voran. Die Lehrenden erfahren in diesem Buch stattdessen, wie sie Schritt für Schritt eine coachende Haltung aufbauen und welche Veränderungen das in der Lehre und bei der Betreuung von Studierenden bewirkt. Diese grundlegend andere Herangehensweise an die Lehre hilft dabei, Motivation und Freude neu zu entdecken.

Leseprobe aus den Seiten 108 bis 111

 

d. Impulse setzen

Für die coachende Arbeit braucht es einen guten Rahmen, den Sie durch Ihre Person maßgeblich prägen. Wie das konkret aussehen kann, lesen Sie hier. Daran schließen sich einige Gedanken zur Auswahl passender sogenannter Interventionen an. Diese binden zum einen den ganzen Menschen und nicht nur die Ratio in das Lernen ein, zum anderen wird der soziale Aspekt des Lernens behandelt.

In diesem Kapitel müssen wir nur noch 1 und 1 zusammenzählen, indem wir die Inhal­te aus den Kapiteln zum Zuhören, zum Fragenstellen und zum Erkennen des nächsten Schritts aufeinander beziehen. Es geht nun darum, Studierende in lern- und entwick­lungsförderliche Situationen zu bringen. Dass damit nun nicht nur das Lernen von fachlichen Inhalten, also „Stoff“, sondern auch das Erlernen von neuen Denk- und Handlungsmustern gemeint ist, sollte deutlich geworden sein.

 

Einen guten Rahmen bieten

Zunächst einmal geht es darum, einen guten Rahmen für Lehrveranstaltungen zu schaffen. Das bezieht sich in unserem Zusammenhang nicht auf die Ausstattung der Räume, auf die zeitliche Gestaltung der Lehre oder andere organisatorische Rahmen­bedingungen – auch wenn es natürlich hilft, wenn diese angenehm sind. Hier soll es vielmehr um eine Art atmosphärischen Rahmen für die Studierenden gehen, inner­halb dessen sie sich wohlfühlen und sicher fühlen. In einem solchen Rahmen herrscht Vertrauen unter den Beteiligten. Es ist möglich, sich zu öffnen, etwas von sich preiszu­geben und Schwächen zu zeigen. Es ist ein Raum des gemeinsamen Denkens, bei dem auch einmal (oder aber auch ständig!) Fehler geschehen. Diese bilden den Ausgangs­punkt für weiteres Lernen.

Kurzum: Es ist ein Raum voller Personen und Persönlichkeiten. Sie erinnern sich vielleicht, das lateinische personare heißt durchtönen, klingen lassen. In einem solchen Raum zeigen sich die unterschiedlichen Lernenden, sie werden gesehen und gehört.

Was braucht es, um einen guten Rahmen zu schaffen? Allgemeine Merkmale für Situationen, in denen sich nach systemisch-konstruktivistischer Auffassung gut lernen lässt, werden unter dem Stichwort „konstruktivistische Lernarrangements“ gebündelt (beispielsweise Konrad, 2018, S.127 ff.).Als förderlich gelten etwa situiertes Lernen in authentischen Kontexten und auch die aktive, selbstverantwortete Steuerung des Lernens durch die Lernenden. Solche Ansätze kennen Sie vermutlich aus der aktuel­len hochschuldidaktischen Diskussion. Für einen vertrauensvollen Rahmen im gera­de beschriebenen Sinn benötigen wir allerdings mehr. Arnold nennt dies didaktische „Schmierstoffe“ für eine sogenannte ermöglichungsdidaktische Lernbegleitung und fasst dies unter dem Akronym HELFEN zusammen (2020, S.110).Da geht es um po­sitiv besetzte Begriffe wie Heiterkeit, Ermutigung und Leichtigkeit, zudem um Feed­back, aber auch um eher unerwartete Begriffe wie Erfolgskontrolle und Nachdruck, die auf den ersten Blick nicht in die Aufzählung zu passen scheinen. Was verbirgt sich hinter den einzelnen Begriffen?

  • Heiterkeit
    Hiermit ist jene Art von Heiterkeit gemeint, die zwischen Albernheit und Ernsthaf­tigkeit angesiedelt ist und die dazu beiträgt, einen angstfreien Raum zu erschaffen. Arnold nennt „Humor, Lebensfreude und Augenzwinkern“ (2020, S.110), die das Lernen erleichtern, das ja letztlich eine Reise durch unbekannte Wissensgebiete ist.
  • Ermutigung
    Lernen ist bekanntermaßen nicht immer einfach und verläuft oft nicht nach Plan, die Lernenden müssen unter Umständen mit Rückschlägen fertig werden. Bei all dem ist es vorteilhaft, wenn sie Unterstützung in Form eines Vertrauensvorschus­ses erhalten (im Sinne der Doppeldecker-These 8) und ihnen ihre Ressourcen be­wusst gemacht werden.
  • Leichtigkeit
    Die Gelassenheit der Lehrperson ist von großer Bedeutung, wenn es um die Frage nach Richtig und Falsch geht. Die Studierenden erproben sich in ihrer neuen Fach­lichkeit und sollten dabei keine Risiken scheuen müssen, nur weil die Lehrperson sie beurteilt oder vielleicht sogar über sie urteilt. Nehmen Sie es leicht, wenn Fehler passieren oder Irrwege beschritten werden.
  • Feedback
    Eine Rückmeldung kann von Lehrenden, aber auch von Mitstudierenden kommen. Sie ist nötig, damit die Lernenden die Auswirkungen ihres Denkens und Handelns erkennen können.
  • Erfolgskontrolle
    Das Wort klingt nach Leistungsdruck und Bewertung. Gemeint sind jedoch nicht nur der Kompetenzaufbau und dessen Zertifizierung, sondern auch Erfolgserleb­nisse und das damit einhergehende Selbstwirksamkeitsempfinden, also – verkürzt gesagt – es baut sich bei den Lernenden die Annahme auf, dass das eigene Handeln etwas bewirken kann.
  • Nachdruck
    Nachdruck meint das bestimmte und wohlwollende Nachfragen einer Lehrperson, wenn Studierende in ihrem Lernprozess gerade nicht vorankommen. Sie merken, dass es jemandem auffällt, wenn sie an einer bestimmten Stelle feststecken.

Wie können Sie die Studierenden wissen lassen, dass sie ein solcher Raum erwartet? Denn eines ist so gut wie sicher: Erwarten tun sie ihn nicht! In meinen Gesprächen mit Studierenden wurde mir eines deutlich: Eine solche Atmosphäre ist keineswegs üblich, sondern eine Ausnahme. Studierende werden beispielsweise selten überhaupt danach gefragt, wie sie lernen möchten, und sind von dieser Frage daher meist erst ein­mal überfordert. Sie kennen zwar die Formate Vorlesung, Seminar und Übung usw. Es fehlt jedoch an Vorstellungskraft für die vielen Möglichkeiten und Freiräume innerhalb dieser Formate. Gleichermaßen ist es für viele Studierende schwer vorstellbar, dass im Lernprozess Fehler in Ordnung und sogar erwünscht sein könnten. All dies sollten Sie ihnen mitteilen.

Beginnen Sie also bei sich und lassen Sie die Studierenden zunächst wissen und später erleben, welche Art von Lehre Sie gern gemeinsam mit ihnen gestalten wol­len. Vorzugsweise vor Semester- bzw. Kursbeginn können Sie einen entsprechenden Text oder ein kurzes Video zur Verfügung stellen. Falls vorhanden, überlassen Sie den Studierenden Ihre Lehrphilosophie (Teaching Statement) vorab, sodass sie sich schon einmal damit befassen und sich gedanklich darauf einrichten können (meine Lehrphi­losophie finden Sie zur Anschauung auf S.60).Zusätzlich sollten Sie diese Dinge in der ersten Veranstaltung besprechen, Fragen klären und mögliche Bedenken ausräumen. Nach meiner Erfahrung gibt es übrigens nie ernsthafte Bedenken, sondern eher un­gläubiges Staunen („Meinen Sie das wirklich ernst?“).

Dieser Einstieg in ein Semester oder einen Kurs bietet sich an, wenn Sie eine Grup­pe neuer Studierender übernehmen oder schon seit geraumer Zeit in der Lehre mit den Elementen der coachenden Haltung arbeiten, auch wenn Sie diese vielleicht nicht so benannt haben. Die Studierenden werden Sie und Ihren Stil in Ihren Ausführun­gen wiedererkennen. Für den Fall, dass die Lektüre dieses Buches Sie zu einem deut­lichen Wechsel in der Herangehensweise an die Lehre veranlasst, sind wahrscheinlich ausführlichere Erklärungen nötig, damit Sie für die Studierenden glaubwürdig und überzeugend bleiben. Gleichzeitig könnte dies ein erster Schritt sein, um Ihre eigene Lern- und Entwicklungsreise transparent zu machen (ganz im Sinne der Doppeldecker-Thesen 2 und 3).

 

Vertrauen

Vertrauen zwischen Personen ist nicht von vornherein gegeben und lässt sich auch nicht erzwingen. Denn die Person, die einer anderen Person das Vertrauen schenkt, geht ein Risiko ein. Sie könnte verletzt werden, wenn ihr Vertrauen missbraucht wird. Es ist daher rein rational betrachtet nur klug, jemandem zu vertrauen, wenn dieses Risiko sehr klein ist oder wenn es sogar etwas zu gewinnen gibt. Es ist nun an Ihnen als Lehrperson, die eine machtvolle Position einnimmt, den Vertrauensaufbau wahr­scheinlicher zu machen, indem Sie zeigen, wie klein das Risiko und wie groß der potenzielle Gewinn ist. Darüber hinaus können Sie den Studierenden einen Vertrau­ensvorschuss geben, sich öffnen und etwas von sich preisgeben. Erzählen Sie etwas von sich, das Sie nahbar macht. Berichten Sie beispielsweise davon, wie Sie einmal im Studium gescheitert sind. Machen Sie Ihre Unsicherheiten und Zweifel transparent.

Damit es Ihnen zu Beginn leichter fällt, empfiehlt es sich, eine Begebenheit zu wählen, die schon etwas länger zurückliegt. So können Sie sich, wenn es Ihnen damit unwohl wird, zur Not darauf zurückziehen, dass Sie in der Zwischenzeit viel dazu­gelernt haben. Ich erzähle beispielsweise in Kursen zum wissenschaftlichen Arbeiten gern die Entstehungsgeschichte meiner ersten Anglistik-Hausarbeit an der Universität. Die Kurzfassung lautet: Ich habe viel zu spät begonnen, habe nicht gut recherchiert und in der Folge eher unpassende Quellen verwendet. Das Ergebnis war zwar nicht katastrophal, aber sicher auch nicht so, dass es zu meiner beruflichen Tätigkeit passt, denn damals habe ich mich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Ich erzähle diese Ge­schichte, um zu zeigen, dass nicht immer alles von Anfang an perfekt läuft. Ich erzähle sie (zumindest an der Stelle des Kurses) explizit nicht, um die Studierenden gleich einmal darüber zu belehren, dass man doch mit dem Schreiben der Hausarbeit bitte schön frühzeitig anfangen soll. Das kann später immer noch einfließen, wenn es nötig sein sollte. An dieser Stelle geht es um Vertrauensaufbau.

Im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung ist es Ihnen vielleicht sogar möglich, auch aktuelle Unsicherheiten und Verletzlichkeiten zu thematisieren. Hierbei ist etwas Fingerspitzengefühl gefragt, damit nicht Ihr eigenes Risiko durch den Vertrauensvor­schuss zu groß wird.

Verlässlichkeit trägt ebenfalls zum Vertrauen bei. Halten Sie Ihre Zusagen und Versprechen ein.

 

Gemeinsames Denken und Fehler machen – ohne Druck

Worauf ist beim gemeinsamen Denken zu achten? Wie können Sie eine Fehlerkultur etablieren, die dem Lernen zuträglich ist? Es liegt auf der Hand, dass eine wertschät­zende Sprache hierfür unerlässlich ist. Alle Beteiligten müssen sich sicher sein kön­nen, nicht abgekanzelt oder verlacht zu werden, wenn sie unfertige Gedanken äußern. Sonst sagt schließlich niemand mehr etwas.

Lassen Sie uns an dieser Stelle noch einmal einen Blick auf die Formulierung von Fragen werfen. Viele von uns sind zwar sensibilisiert für die Wirkung ihrer Aussagen beim Feedbackgeben und achten daher bei dieser Gelegenheit besonders auf ihre Worte. Allerdings kommt dem Stellen von Fragen in der Kommunikation, wie Sie bereits wissen, ebenfalls eine große Rolle zu. In der coachenden Haltung sollen Fragen offene Antworten zu Tage fördern und möglichst keinen Druck aufbauen. Aus diesem Grund lohnt sich hier noch einmal eine Vertiefung der obigen Ausführungen zum Fragen.

Das Thema „Druck“ lässt sich – will man es in Gänze erfassen – nicht losgelöst von nonverbalen und paraverbalen Signalen wie Körpersprache und Stimme, also bei­spielsweise von der Haltung und der Lautstärke, betrachten. Dies würde hier allerdings zu weit führen. In Tabelle 2 finden Sie daher nur Aspekte, die sich auf die Fragen als solche beziehen. In den anschließenden Beispielen sehen Sie, wie Sie den Fragedruck bei Bedarf verringern können.

 

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