Zulassungsverfahren an deutschen Hochschulen

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung 2-2021: Wie werden in Deutschland Bewerberinnen und Bewerber um einen Studienplatz ausgewählt? Eine empirische Analyse der aktuellen Zulassungspraxis getrennt nach Fächergruppen und Hochschulen unterschiedlicher Trägerschaft

Wie werden in Deutschland Bewerberinnen und Bewerber um einen Studienplatz ausgewählt? Eine empirische Analyse der aktuellen Zulassungspraxis getrennt nach Fächergruppen und Hochschulen unterschiedlicher Trägerschaft

Jannika Haase, Edith Braun, Julia Böttger, Bettina Hannover

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung, Heft 2-2021, S. 122-140.

 

Zusammenfassung: Die Studienplatzvergabe in Deutschland ist deutlichen Veränderungen unterworfen und wird immer vielfältiger. Wir erarbeiteten einen systematischen Überblick über alle derzeit an deutschen Hochschulen eingesetzten Zulassungsverfahren, getrennt nach Fächergruppen und Hochschulträgerschaft. Dazu zogen wir eine zufällige, geschichtete Stichprobe von 1,000 Studiengängen. Die Ergebnisse zeigen u.a., dass in MINT die Vergabe von Studienplätzen besonders häufig ausschließlich über die Abiturnote/HZB erfolgt, und dies häufiger als in Wirtschaft und Recht oder den Gesellschaftswissenschaften. In Wirtschaft und Recht werden die Bewerbenden besonders oft auf der Grundlage eines von der jeweiligen Hochschule selbst entwickelten Zulassungsverfahrens ausgewählt. Kombinationen aus mehreren unterschiedlichen Kriterien werden vor allem an privaten Hochschulen in den Gesundheitswissenschaften eingesetzt. Personen ohne HZB haben Zugang zu einem beträchtlichen Anteil der Studiengänge. Wir diskutieren die Befunde vor dem Hintergrund der zunehmenden Heterogenität der Studienplatzinteressierten hinsichtlich Chancengleichheit und Fairness.

Schlüsselwörter: Zulassungsverfahren, Review, Abiturnote bzw. Hochschulzugangsberechtigung (HZB), private vs. staatliche Hochschulen, Fairness

 

How are applicants for study places in higher education selected in Germany? A systematic overview of current admission practices by subject area and higher education institutions of different sponsorship

Summary: The allocation of study places in higher education in Germany is subject to profound changes. In a systematic overview, we describe all currently used admission procedures at German higher education institutions, split by subject area and sponsorship of the higher education institution. We drew a random, stratified sample of 1,000 study programs. Results show, among other things, that within STEM, the allocation of study places is particularly often based exclusively on the average grade in the school leaving certificate (Abitur), and this more frequently than in economic sciences and law or the social sciences. In economic sciences and law, applicants are particularly often selected via admission procedures developed by the respective higher education institution itself. Combinations of different criteria are used most frequently at private universities in health sciences. Applicants without university entrance qualification have access to a considerable proportion of study programs. Results are discussed against the background of the increasing heterogeneity of applicants for university study places in terms of equal opportunities and fairness.

Keywords: higher education entrance procedure, review, average grade of Abitur/university entrance qualification, private versus state universities, fairness

 

1 Einleitung

In Deutschland hat jede Person mit einer Hochschulzugangsberechtigung (HZB), d.h., die ein Abitur, ein Fachabitur oder eine fachgebundene Hochschulreife vorweisen kann, das Recht, ein Studium an einer Hochschule ihrer Wahl aufzunehmen. Der freie Zugang zu Hochschulen ergibt sich aus dem deutschen Grundgesetz (Art. 3 und Art. 12 GG; Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes Art. 20 Abs. 1 GG) und Zulassungsbeschränkungen dürfen nur dann eingesetzt werden, wenn „die Ausbildungskapazitäten voll ausgeschöpft sind und die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber nach sachgerechten Kriterien stattfindet, wobei alle Bewerberinnen und Bewerber zumindest eine Chance auf einen Studienplatz haben müssen“ (Hochschulrektorenkonferenz [HRK], 2020, Absatz 2).

1.1 Gesetzliche Grundlagen einer veränderten Zulassungspraxis

Aufgrund des starken Anstiegs der Anzahl von Studienbewerbenden in den letzten Jahrzehnten und dem damit verbundenen Missverhältnis zwischen Gesamtnachfrage und vorhandener Kapazität an Studienplätzen mussten in vielen grundständigen Studiengängen an deutschen Hochschulen Zulassungsgrenzen etabliert werden. Zulassungsgrenzen meinen den Umstand, dass es aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen für einen bestimmten Studiengang nur eine im Voraus festgelegte begrenzte Anzahl von Studienplätzen gibt (Numerus Clausus [NC]) und somit verschiedene Zulassungskriterien gelten können (vgl. Centrum für Hochschulentwicklung [CHE], 2018). Das Spektrum der Zulassungskriterien hat sich seit 2004 mit der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes erweitert (Siebtes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes: 7. HRGÄndG, 2004). Auch die Bundesländer änderten ihre gesetzlichen Grundlagen für die Vergabe von Studienplätzen in örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen. So ist beispielsweise die Teilnahme an einem Orientierungstest (OT) für die Immatrikulation in Studiengängen eines ersten berufsqualifizierenden Abschlusses in Baden-Württemberg verpflichtend (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, 2021). Da die zentralen Vergabeverfahren für Studienplätze (Zentrale Vergabestelle für Studienplätze [ZVS]; Stiftung für Hochschulzulassung [SfH]) außer in den bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen von hochschuleigenen Vergabeverfahren abgelöst wurden, gewannen deutsche Hochschulen in den letzten Jahren an Autonomie für die Konzeption ihrer Zulassungsverfahren. Auch in bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen erhielten die Hochschulen in den letzten Jahren Handlungsspielräume für die Konkretisierung der Auswahlkriterien, da die Zulassungszahlen nun nach den Regularien der Landesrechte und auf Grundlage der jährlichen Aufnahmekapazitäten festgesetzt werden (Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 12 Absatz 1, Staatsvertrag über die Hochschulzulassung, 2019). Im Unterschied zu nicht-bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen legt aber grundsätzlich der Gesetzgeber die allgemeinen Kriterien für die Vergabe von knappen Studienplätzen fest (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 2017). Das Bundesverfassungsurteil von 2017, nach dem Studienplätze nicht mehr auf alleiniger Grundlage der Abiturnote vergeben werden dürfen, sondern weitere Kriterien Berücksichtigung finden müssen (BVerfG, 2017, 1 BvL 3/14; 1 BvL 4/14), sorgte ebenfalls für Modifikationen innerhalb von Zulassungsverfahren und somit für hochschulische Differenzierungsprozesse. Dabei muss von den Hochschulen eine Standardisierung und Strukturierung der eingesetzten Zulassungsverfahren und Auswahlkriterien gewährleistet werden (BVerfG, 2017, Leitsatz 5).

1.2 Funktion von Verfahren zur Zulassung von Studienplatzbewerberinnen und -bewerbern

Mit Zulassungsverfahren sollen die Bewerberinnen und Bewerber identifiziert werden, die ein Studium aller Voraussicht nach erfolgreich abschließen werden. Gleichzeitig soll eine optimale Passung zwischen den Profilen der Hochschulen oder den studiengangspezifischen Charakteristika und den individuellen Interessen und Voraussetzungen der Bewerbenden erreicht werden. Insbesondere aufgrund der verstärkten Nachfrage einer „in ihren bildungsbiografischen, kognitiven und motivationalen Voraussetzungen und Erwartungen zunehmend heterogene[n]“ (Heine, Briedis, Didi, Haase & Trost, 2006, S. 6) Studierendenschaft scheint es notwendig, dass Hochschulen differenzierte Profilbildung, auch im Rahmen ihrer Zulassungsverfahren, betreiben. Kritische Stimmen sehen in diversifizierten Zulassungsverfahren hingegen eine „verwirrende Vielfalt“ (Selbmann, 2012, S. 1373) und heben die Entwertung des Abiturs, die Förderung eines Elitegedankens und einen hohen organisatorischen Aufwand hervor (Heine et al., 2006).

1.3 Prognose von Studienerfolg

Weil Zulassungsverfahren mit Selektionsentscheidungen zusammenhängen und Ablehnungen Einfluss auf die Zukunft der Bewerbenden haben, müssen Zulassungsverfahren „hohen Ansprüchen an Validität“ (Formazin, Schroeders, Köller, Wilhelm & Westmeyer, 2011, S. 221) gerecht werden.

Empirische Studien haben die Vorhersagbarkeit von Studienerfolg durch verschiedene Indikatoren untersucht (z.B. Huber, 2009; Konegen-Grenier, Kuhlmann & Maier, 2002; Schüpbach, Pixner & Zapf, 2006). Die Abiturnote, ein über zwei Jahre und über zahlreiche Schulfächer aggregierter Leistungsindikator, hat eine hohe Prädiktionskraft für Studienerfolg (Gold & Souvignier, 2005; Hell, Trapmann & Schuler, 2008; Janke & Dickhäuser, 2018; Richardson, Abraham & Bond, 2012; Trapmann, Hell, Weigand & Schuler, 2007). Schulabschlussnoten können neben kognitiver Leistungsfähigkeit auch nicht-kognitive Anteile wie Motivation widerspiegeln (Hell et al., 2008). Standardisierte Studierfähigkeitstests haben über die Abiturdurchschnittsnote hinaus eine inkrementelle Validität für die Vorhersage von Studienerfolg (Camara & Echternat, 2000; Formazin et al., 2011). Andere spezifische Verfahren wie Auswahlgespräche zeigen eine eher geringe Prognosekraft (Hell, Trapmann, Weigand & Schuler, 2007; Schult, Hofmann & Stegt, 2019).

1.4 Systematischer Überblick über die derzeit von deutschen Hochschulen genutzten Zulassungsverfahren

Während zur Validität unterschiedlicher Zulassungsverfahren empirische Belege vorliegen, ist unklar, welche Zulassungsverfahren derzeit an deutschen Hochschulen in verschiedenen Fächergruppen in welchen Anteilen zur Anwendung kommen. Mit der vorliegenden Studie möchten wir einen systematischen Überblick über die derzeit von deutschen Hochschulen genutzten Verfahren bereitstellen. Unserer Kenntnis nach wurde seit dem Bundesverfassungsurteil von 2017 keine systematische Beschreibung mehr vorgelegt, in der nach Arten der Zulassungsverfahren, Fächergruppen und unterschiedlicher Trägerschaft systematisch unterschieden worden wäre. Die letzte bundesweite Analyse dieser Art wurde im Jahr 2006 durchgeführt (s. Heine et al., 2006). Die Ergebnisse unserer Analyse werden entlang folgender Forschungsfragen vorgestellt:

  1. Nach welchen Zulassungsverfahren werden Studienplätze vergeben?
  2. Wie werden Studienplätze an Hochschulen unterschiedlicher Trägerschaft vergeben?
  3. Wie werden Studienplätze in verschiedenen Fächergruppen vergeben?
  4. Welche Verfahren werden von Hochschulen selbst entwickelt (sog. interne Kriterien), um Bewerberinnen und Bewerber auszuwählen?

2 Methode

2.1 Klassifikation der Zulassungsverfahren

Aus der Grundgesamtheit aller Studiengänge, in denen sich Studieninteressierte im Jahr 2019 an einer deutschen Hochschule bewerben konnten, zogen wir eine Zufallsstichprobe von knapp 1,000 Studiengängen. Die Zulassungsverfahren für alle zufällig gezogenen Studiengänge differenzierten wir nun danach, welche Kriterien für die Auswahl der Bewerbenden herangezogen werden, und zwar neben der Abiturnote/HZB externe, interne und Kombinationen von externen und internen Kriterien (in Anlehnung an Borowski, Schauberger & Weimar, 2018). Externe Kriterien sind dabei Merkmale, die die Bewerberinnen und Bewerber neben der Abiturnote/HZB an die Universität mitbringen (z.B. Schulfächernoten, Fremdsprachenkenntnisse, bisherige Berufserfahrung, Praktika, ehrenamtliches Engagement, Motivationsschreiben). Interne Kriterien sind Merkmale, die im Rahmen der durch die jeweiligen Hochschulen für die Bewerbenden-Auswahl eingesetzten Verfahren generiert werden (z.B. standardisierte Tests, Aufnahmegespräche, Online-Self-Assessment)1. Wenn für die Auswahl eine Kombination von externen und internen Kriterien genutzt wurde, wurde dies entsprechend kodiert. Externe und interne Zulassungsverfahren können vielfältige Kriterien beinhalten. Bei den externen Kriterien können die Hochschulen lediglich wählen, ob und wenn ja, welche von ihnen sie berücksichtigen wollen. Bei den internen Kriterien haben sie hingegen selbst die Möglichkeit ihrer Ausgestaltung. Um einen Eindruck zu vermitteln, welche Wege die Hochschulen dabei gehen, haben wir unterschiedliche Arten der internen Verfahren in Kapitel 3.3 und in Tabelle 5 nach Untergruppen differenziert aufgeführt. Eine Extrakategorie haben wir für Zulassungsverfahren gebildet, die von Hochschulen als Alternative zum Abitur/zur HZB angeboten wurden. Hierbei handelt es sich um Zulassungsverfahren, die von Bewerberinnen und Bewerbern genutzt werden können, die keine Abiturnote/keine HZB vorweisen können. Die Nutzung eines solchen selbst entwickelten Verfahrens wird von den Hochschulen ausdrücklich als Alternative zum Zugang über die Abiturnote/die HZB angeboten. Eine weitere Gruppe von Studienplatzinteressierten, die diese Art von Zulassungsverfahren nutzen kann, sind beruflich Qualifizierte, die eine mindestens zweijährige Berufsausbildung (nach BBiG, HwO oder durch Bundes-/ Landesrecht geregelt) und eine mindestens dreijährige Berufspraxis vorweisen können. Aber auch Bewerberinnen und Bewerber ohne HZB und ohne eine solche berufliche Qualifikation können das Verfahren nutzen.

Im Ergebnis wurde in unserer Analyse jeder Studiengang einer der folgenden Arten von Zulassungsverfahren zugeordnet: (a) ausschließlich Abiturnote, (b) ausschließlich Vorliegen einer HZB, (c) Abiturnote/HZB und externe Kriterien, (d) Abiturnote/HZB und interne Kriterien, (e) Abiturnote/HZB und Kombinationen von externen und internen Kriterien, (f) Alternativen zum Abitur/zur HZB, (g) andere Studiengänge (s. Tabelle 2). Im Folgenden werden die Kategorien (a) und (b) für die Darstellung in einer Kategorie zusammengefasst.

1 In wenigen Ausnahmen (n = 4) werden interne Verfahren auch lediglich von den Hochschulen eingesetzt und nicht selbst entwickelt (z.B. Test ProfileXT®); Durchführung und Auswertung finden aber immer im Rahmen des Eingangsverfahrens an den Hochschulen selbst statt. Somit werden die Ergebnisse dieser Verfahren nicht, wie im Falle externer Kriterien, von den Bewerbenden mit der Bewerbung eingereicht und deshalb als interne Kriterien gewertet.

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