„Die ZQF ist weiterhin von Relevanz, weil die zukünftigen Themen der qualitativen Forschung es sein werden!“ – Interview mit der geschäftsführenden Herausgeberin Heike Ohlbrecht zur Zeitschrift „ZQF”

Interview mit der geschäftsführenden Herausgeberin Heike Ohlbrecht zur Zeitschrift „ZQF”

25jähriges Jubiläum der ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung: Warum hat die Zeitschrift nichts von Ihrer Aktualität verloren? Wie ist die Zeitschrift für die nächsten 25 Jahre aufgestellt? Wir haben mit Prof. Dr. Heike Ohlbrecht, der geschäftsführenden Herausgeberin der ZQF, gesprochen.

 

Über die Zeitschrift ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung

Die ZQF – Zeitschrift für Qualitative Forschung ist eine 2x jährlich erscheinende interdisziplinäre Zeitschrift für Methodenentwicklung und Methodendiskussion innerhalb der qualitativen Forschung. Sie begleitet seit nun 25 Jahren die Ausbreitung und Ausdifferenzierung interpretativer und rekonstruktiver Forschungszugänge im ganzen Spektrum der Sozial-, Geistes- und Gesundheitswissenschaften und begreift sich selbst als Produkt dieser Entwicklungen und Diskussionen. Inhaltlich erstrecken sich die Beiträge von der Diskussion theoretischer und methodologischer Probleme qualitativer Forschung über die Darstellung qualitativer Forschungsansätze und Methodeninnovationen bis hin zur Reflexion von qualitativen Forschungsdesigns und Forschungsergebnissen in allen Bereichen der Sozial-, Geistes- und Gesundheitswissenschaften.

 

Liebe Frau Ohlbrecht, Sie sind nun seit ca. einem Jahr geschäftsführende Herausgeberin der ZQF, der Zeitschrift allerdings schon länger u.a. als Autorin oder Gastherausgeberin verbunden. Hat sich durch Ihre Funktion als geschäftsführende Herausgeberin die Sicht auf die Zeitschrift verändert?

Nein ganz und gar nicht, als junge Wissenschaftlerin erfüllte es mich mit Stolz, einen Artikel in dieser wichtigen Zeitschrift platzieren zu können. Ich beobachtete die ZQF dann stets und war immer Leserin. Sehr froh war ich dann, als in den Kreis der Herausgeber*innen eintrat und einige Jahre später von Jürgen Raab, die Geschäftsführung übernahm. Ich übernahm damit ein „gut bestelltes Feld“, ich hatte eine sehr schöne Übergabe und die ZQF befand und befindet sich auf einem stetigen Erfolgsweg, das machte es mir leicht, in die großen Fußstapfen meiner Vorgänger/innen zu treten. Meine Sicht auf die Zeitschrift hat sich seither nicht verändert, ich habe die ZQF immer als ein wichtiges Organ für die qualitative Forschung wahrgenommen. Verändert hat sich allenfalls meine weiter gestiegene Hochachtung für die vielfältigen Tätigkeiten von Redaktionen und Lektoraten, die – insbesondere in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereichen – nicht immer mit den finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sind, die es eigentlich bedürfte.

 

Die ZQF feiert in diesem Jahr ihr 25jähriges Jubiläum: Wie haben Sie die Entwicklung der Zeitschrift in diesen Jahren wahrgenommen? Welche Ereignisse oder auch Ausgaben der ZQF sind aus Ihrer Sicht besonders hervorzuheben?

In den letzten 25 Jahren sind so viele Ausgaben mit herausragenden Beiträgen entstanden, dass ich mich kaum auf einige wenige beschränken möchte. Sicherlich zeigt sich aber im Verlauf der Entwicklung der ZQF die thematische, methodische und methodologische Vielfältigkeit der qualitativen Forschungslandschaft, ihrer Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung. Dafür steht die ZQF – mittlerweile schon seit einem Vierteljahrhundert!

 

Warum ist die ZQF für Leser*innen bzw. Wissenschaftler*innen immer noch oder heutzutage gerade wichtig?

Die ZQF ist weiterhin von Relevanz, weil die zukünftigen Themen der qualitativen Forschung es sein werden! Die Methodenlandschaft wird immer vielfältiger und allgemeine gesellschaftliche Trends oder technische Entwicklungen wirken auch in je unterschiedlicher Weise auf die Methoden und Methodologien der qualitativen Forschung: denken wir nur an den linguistic turn im 20. Jahrhundert, der ab den 1960er Jahren nicht zuletzt aufgrund der breit zugänglichen Möglichkeit der Interviewaufzeichnung die qualitative Forschungslandschaft nachhaltig prägt(e). Die Herausforderungen im 21. Jahrhundert werden für die qualitative Forschung sicherlich im Umgang mit KI liegen. Es wird beispielsweise an KI-gestützten Tools zur Auswertung qualitativer Daten gearbeitet usw. Dies wird sicherlich ein nächster großer und diskussionswürdiger Entwicklungsschritt, den es innerhalb der Scientific Community – auch am konkreten Forschungsgegenstand – zu diskutieren gilt. Wir versuchen auch auf unterschiedlichen Wegen die ZQF aktuell zu halten und Diskussionsformate anzubieten, um neuen Entwicklungen und Diskussionen Raum zu geben. So hat mein Vorgänger Prof. Jürgen Raab beispielsweise die Debatte als neues Format der ZQF ins Leben gerufen, in der dazu eingeladen wird, aktuelle Themen und Entwicklungen in der qualitativen Forschung durchaus kontrovers zu diskutieren.

 

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage und die Zukunft der wissenschaftlichen Zeitschriften generell? Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die ZQF?

Mein Eindruck ist, dass die Zeitschriftenlandschaft immer vielfältiger und größer wird. Es gibt ein breites Angebot für viele unterschiedliche Themen und auch Disziplinen. Gleichzeitig steigt der Publikationsdruck vor allem für Wissenschaftler*innen in der Qualifizierungsphase, durch veränderte Anforderungen an Promotionen, dies verändert u.a. die Publikationskultur: Der Trend geht beispielsweise selbst in den Geistes- und Sozialwissenschaften weg von der Monographie und hin zur kumulativen Promotion, die sich aus mehreren Papers und einem Rahmentext zusammensetzt. Ich möchte überhaupt nicht bewerten ob dieser Trend begrüßenswert ist oder nicht – wahrscheinlich hängt diese Entscheidung auch an unterschiedlichen anderen Faktoren, wie der Länge der Arbeitsverträge in der Wissenschaft, dem Ziel und Inhalt der geplanten Promotion etc. und auch ich selbst begleite Promovierende in beiden Schreib- und Arbeitsprozessen – vielmehr ist es eine Beobachtung meinerseits: Die wissenschaftlichen Zeitschriften scheinen somit in ihrer Relevanz (nicht in ihrer Finanzierung!) gestärkt zu sein, denn Publikationen, zum Beispiel in einem Buch, werden seltener. Leider werden die Buchbeiträge in Tagungs- und Sammelbänden mittlerweile geringer geschätzt, angesichts des Publikationsdrucks und der Diskussion von Impactfaktoren und erreichten Scores in der zunehmenden „Vermessung“ auch der Sozialwissenschaften. Als geschäftsführende Herausgeberin freue ich mich natürlich über die vielen Beiträge, die in der Redaktion eingehen und die vielen hochkarätigen Beiträge, die veröffentlicht werden können. Als Wissenschaftlerin beobachte ich die Entwicklungen einer immer größeren Steigerung des Outcomes von Wissenschaftler*innen aber auch mit einer gewissen Skepsis.

 

Wie sehen Sie die ZQF für die nächsten 25 Jahre aufgestellt? Was werden die größten Herausforderungen für die Zeitschrift und ggf. auch den Verlag sein? Was wünschen Sie sich für die Zeitschrift?

Mit dem Budrich-Verlag haben wir einen kompetenten Partner an unserer Seite, der uns tatkräftig und in jeder Hinsicht dabei unterstützt, eine Zeitschrift auf hohem Niveau herauszugeben – dafür sind wir sehr dankbar! Deswegen blicke ich recht gelassen auf die nächsten Schritte, die der ZQF bevorstehen. Ich denke dabei zum Beispiel daran, dass wir mit dem Verlag planen, wie die ZQF bspw. als Open Access-Angebot gestaltet werden kann. Dieser wichtige Schritt wird mit Sicherheit die Sichtbarkeit der Zeitschrift erhöhen und sie einem breiteren Publikum zugänglich machen. Das ist großartig! Darüber hinaus stehen wir mit der Zeitschrift immer wieder vor einer bestimmten Herausforderung, die mit einer nicht mehr wegzudenkenden Internationalisierung der Forschungslandschaft in Verbindung steht: Nachvollziehbarerweise forcieren Forscher*innen immer stärker englischsprachige Veröffentlichungen, sie begeben sich mit ihren Forschungsergebnissen in internationale Gefilde und dagegen ist zunächst nichts auszusetzen. Die qualitative Forschung steht jedoch in besonderer Weise in Verbindung zu ihrem Forschungsgegenstand; die dezidierte Arbeit entlang des Materials ist zentraler Bestandteil, auf den ein besonderes Augenmerk gelegt wird – dies steht konzeptionell ebenso im Vordergrund der ZQF. Daraus ergibt sich jedoch ein schmaler Grat zwischen internationaler Sichtbarkeit und Gegenstandsgebundenheit. Das wird zu einer immer größeren Herausforderung.

Ich wünsche mir für die Zukunft eine weiterhin starke Sichtbarkeit der ZQF, ich hoffe, dass wir es schaffen die qualitative Forschung in all ihrer Vielfalt zu repräsentieren und Diskussionen anzustoßen. In diesem Zusammenhang möchte ich gern noch etwas erwähnen: mein Dank gilt der langjährigen Unterstützung durch den Verlag Barbara Budrich, darüber hinaus wäre diese Zeitschrift ohne das starke Engagement der Gründungsgeneration nicht entstanden (Ralf Bohnsack, Heinz-Hermann Krüger, Winfried Marotzki, Fritz Schütze, Ursula Rabe-Kleberg, Jörg Frommer und Richard Huisinga), die das Fundament legten, auf dem die ZQF so stabil wachsen konnte. Ganz generell gilt, dass diese Zeitschrift ohne die sehr gute und kollegiale Zusammenarbeit im Herausgebendenkreis nicht funktionieren könnte. An dieser Stelle sei dem Herausgebendenkreis und dem wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift gedankt. Des Weiteren ist mir sehr wichtig herauszustreichen, dass eine Arbeit an einer Zeitschrift immer Teamwork ist, in diesem Zusammenhang hat insbesondere die Redaktion und das Lektorat in den letzten Jahren großartiges geleistet. Und auch hier ist unbedingt anzuerkennen, dass diese Arbeit von Kolleg*innen geschultert wurde, die sich in Qualifizierungsphasen befanden und mit all ihrem Enthusiasmus dazu beitrugen und beitragen, dass die ZQF in das 25. Jahr ihres Erscheinens gehen kann.

 

Kurzvita von Prof. Dr. Heike Ohlbrecht in eigenen Worten

• Seit 2015 Lehrstuhlinhaberin Allgemeine Soziologie/Mikrosoziologie an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
• Seit 2016 Herausgeberin der Buchreihe Qualitative Fall- und Prozessanalysen
• Seit 2018: Mitglied im Vorstand des Zentrums für Sozialweltforschung und Methodenentwicklung an der OvGU
• Seit 2023 geschäftsführende Herausgeberin der ZQF
• Arbeitsschwerpunkte im Bereich der qualitativen Gesundheitsforschung, Wandel der Arbeitswelt und die Auswirkungen auf die Gesundheit, Biografie und Identität, Familien- und Jugendsoziologie
• Studium der Soziologie sowie Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin

 

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© Foto Heike Ohlbrecht: Hannah Theile (OVGU Magdeburg) | Titelbild gestaltet mit canva.com