Den Klimawandel als soziales Phänomen für die Soziale Arbeit begreifbar machen

Yannick Liedholz Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel Interview

Der Klimawandel zählt zu den größten sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Doch was kann die Soziale Arbeit zu einer klimagerechten Gesellschaft beitragen? Wir haben ein Interview mit Yannick Liedholz zur frisch erschienen 2., überarbeiteten Auflage seines Buchs Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Perspektiven und Handlungsspielräume geführt.

 

Interview mit Yannick Liedholz

 

Lieber Yannick Liedholz, worum geht es in Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel?

Das Hauptanliegen des Buchs ist es, Verbindungslinien zwischen dem Klimawandel und der Sozialen Arbeit aufzuzeigen. In der Sozialen Arbeit herrscht stellenweise noch der Eindruck vor, dass der Klimawandel die eigene Profession und Disziplin nicht tangiert. Das Buch versucht, den Klimawandel als ein soziales Phänomen für die Soziale Arbeit begreifbar zu machen. Es gibt große soziale Unterschiede in den Verantwortlichkeiten für den Klimawandel. Klimaänderungen wie häufigere Hitzewellen wirken sich auf die Lebensbedingungen von Menschen aus. Zudem ist die Bearbeitung des Klimawandels eine soziale Frage.

  • Welche Transformationsstrategien werden verfolgt, um die Treibhausgasemissionen zu senken?
  • Wer kann bei der öffentlichen Auseinandersetzung um den Klimawandel mitreden?
  • Welche Perspektiven werden gehört?

Dahingehend befasst sich das Buch im ersten Hauptteil mit neun Themenbereichen, in denen der Klimawandel für die Soziale Arbeit relevant ist. Es geht zum Beispiel um Klimaklassismus, Klimarassismus, Klimaflucht und Klimamigration, Gesundheit, Menschenrechte, Geschlechter- und Generationenfragen. Bei diesen Punkten wird erkennbar, wie der Klimawandel und die Klimapolitik in die Soziale Arbeit hineinragen.

So weist zum Beispiel die bisherige Klimapolitik in Deutschland eine ,soziale Schieflage‘ auf und wird kaum aus der Perspektive von Armutsbetroffenen gestaltet. Gesundheitliche Risiken durch den Klimawandel sind insbesondere für obdachlose Menschen, ältere Menschen, Schwangere, (Klein-)Kinder und vorerkrankte Menschen hoch, die in vielen Fällen von der Sozialen Arbeit adressiert werden. Die Generationenfragen rund um den Klimawandel treffen die Kinder- und Jugendhilfe ins Mark. Mit dem Klimawandel steht eine lebenswerte Zukunft für nachkommende Generationen auf dem Spiel.

Der zweite Hauptteil des Buchs fokussiert dann mögliche gesellschaftspolitische und pädagogische Handlungsspielräume der Sozialen Arbeit zum Klimawandel. Es wird erörtert, was die Soziale Arbeit zu einer klimagerechteren Gesellschaft beitragen kann.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, die 1. Auflage des Buchs zu schreiben, das 2020 bei Budrich erschienen ist? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Im Vorwort zur zweiten Auflage reflektiere ich kurz die Entstehungszeit der ersten Auflage: Ich war zu dieser Zeit hauptberuflich als Sozialarbeiter tätig und nahm mir frei, um das Manuskript zu schreiben. Damals war ich mir gar nicht so sicher, ob das eine gute Idee war. Mein Antrieb lag vor allem darin, meine Überlegungen auf Papier zu bringen, die ich im Rahmen meiner nebenberuflichen Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Alice Salomon Hochschule Berlin entwickelt hatte. Mit dem Buch wollte ich meine Gedanken teilen und eine erste Bestandsaufnahme für diejenigen anbieten, die sich innerhalb der Sozialen Arbeit ebenfalls für den Klimawandel interessieren.

 

Inwiefern unterscheidet sich die 2. Auflage konkret von der vorherigen?

Der größte Unterschied besteht sicher darin, dass ich die Grundstruktur der ersten Auflage anhand des neu entstandenen Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurses der Sozialen Arbeit inhaltlich angereichert habe.

Seit der ersten Auflage ist in der Sozialen Arbeit viel passiert. Es gibt mittlerweile mehrere Veröffentlichungen und Projekte spezifisch zum Klimawandel. Klimakatastrophen wie die Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 im Westen von Deutschland haben die Soziale Arbeit unmittelbar getroffen. Darüber hinaus haben sich die Wohlfahrtsverbände ambitionierte Klima- und Nachhaltigkeitsziele gesetzt.

Die Bearbeitung des Klimawandels kommt als eine Aufgabe in der deutschsprachigen Sozialen Arbeit an. Das alles habe ich bestmöglich eingefangen und mithilfe von konkreten Beispielen und Projekten dargestellt. Insofern geht die zweite Auflage deutlich über die erste hinaus. Ich würde sagen, es ist ein neues Buch, das einen aktualisierten und verbesserten Überblick zum Thema bietet.

 

Im Werbetext zum Buch heißt es „Es wird deutlich, dass die Soziale Arbeit eigene Antworten auf den Klimawandel geben kann“. Würden Sie uns ein Beispiel geben?

Ich finde, ein gutes Beispiel sind Klimagerechtigkeitskonzepte, die ich für die Soziale Arbeit diskutiere. Aus einer Gerechtigkeits- und Menschenrechtsperspektive heraus werden bei Klimagerechtigkeit die sozialen Strukturen hinter dem Klimawandel thematisiert. Damit rücken anders als bei den dominanten Klimaschutz- und Klimaneutralitätskonzepten vornehmlich sozial-kulturelle Transformationsstrategien in den Fokus. Also: Postwachstum, solidarische Ökonomien, Commons, Suffizienz und Subsistenz. Was für alle diese Transformationsansätze vonnöten ist, ist der Aufbau von sozialen Ressourcen, womit wir bei der Sozialen Arbeit sind. Beziehungsarbeit, Gruppenbildung, interkulturelle Verständigung, Stärkung von Handlungskompetenzen, Empowerment, Gemeinwesenarbeit – da haben wir viel Know-how, das wir für sozial-kulturelle Transformationsstrategien einsetzen können.

Als ein Beispiel führe ich in meinem Buch ein Nachbarschaftsgartenprojekt in Berlin an, das Sozialarbeiter*innen der mobilen Stadtteilarbeit und der Gebietskoordination initiiert haben. In Nachbarschaftsgärten kann Nachbarschaftshilfe gelebt und zugleich eine lokale, klimafreundliche Nahrungsmittelversorgung gefördert werden. Adressat*innen der Sozialen Arbeit können in Nachbarschaftsgärten zu Koproduzent*innen einer klimagerechteren Gesellschaft werden und ihre Lebenssituation verbessern. Das ist in meinen Augen eine Antwort, welche die Soziale Arbeit auf die Herausforderungen des Klimawandels geben kann.

 

Darum bin ich Autor bei Budrich

Der Verlag Barbara Budrich hat den Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurs der Sozialen Arbeit mit seinem Programm wesentlich unterstützt. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit meinen Büchern ein Teil davon sein kann. Insgesamt erlebe ich den Verlag Barbara Budrich als einen sehr zuverlässigen und engagierten Publikationspartner, der den Büchern eine hohe Sichtbarkeit verleiht.

 

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Liedholz Soziale Arbeit und Klimawandel 150 pxYannick Liedholz:

Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel. Perspektiven und Handlungsspielräume

2., überarbeitete Auflage

Leseprobe

 

 

Der Autor: Yannick Liedholz

Yannick Liedholz 2024 © privatYannick Liedholz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit und BNE an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Zusammen mit Prof. Dr. Johannes Verch hat er das Buch Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit (2023) herausgegeben. Er ist Doktorand an der Freien Universität Berlin.

 

 

 

Über das Buch

Der Klimawandel zählt zu den größten sozialen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Er wirft zwingend Fragen nach Menschenrechten, Postkolonialismus, Gender, Gesundheit und Gerechtigkeit auf und berührt damit Kernthemen der Sozialen Arbeit. Die überarbeitete und aktualisierte Auflage liefert anhand des neu entstandenen Klimadiskurses der Sozialen Arbeit eine erweiterte Einführung zur Thematik. Es wird deutlich, dass die Soziale Arbeit eigene Antworten auf den Klimawandel geben kann.

 

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© Foto Yannick Liedholz: privat | Titelbild gestaltet mit canva.com