Stress und Bewältigungsstrategien von Studierenden

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung 2-2022: Zusammenhänge von Stress belastung und Coping mit Stresssymptomen und Lebenszufriedenheit – ein personenzentrierter Ansatz bei Studierenden

Leseprobe zum Thema Stress aus unserer Zeitschrift ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung.

***

Zusammenhänge von Stressbelastung und Coping mit Stress-Symptomen und Lebenszufriedenheit – ein personenzentrierter Ansatz bei Studierenden

Sarah Bebermeier, Nina Ostenkötter, Kim Laura Austerschmidt, Ziwen Teuber

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung, Heft 2-2022, S. 113-130.

 

Zusammenfassung: Stress ist eine zentrale Herausforderung für Studierende. Diese Studie untersucht mit einem personenzentrierten Ansatz Zusammenhänge von Stress- und Copingprofilzugehörigkeit mit Stresssymptomen und Lebenszufriedenheit. Auf Basis der Angaben von 912 Studierenden wurden drei Stress- und vier Copingprofile identifiziert. Die Stressprofile unterscheiden die Höhe der Stressbelastung (leicht unterdurchschnittlich, leicht überdurchschnittlich, hoch), die Copingprofile die Fokussierung beziehungsweise Vernachlässigung einzelner Strategien (Verzicht auf Unterstützung-, Glaube-, Suchtmittel-, Durchschnitt-Coper). Sehr gestresste Personen nutzen häufiger maladaptive Copingstrategien, und Stress- und Copingprofilzugehörigkeit hängt mit Symptomen und Lebenszufriedenheit zusammen. Interaktionseffekte von Stress- und Copingprofilzugehörigkeit zeigen sich nicht. Implikationen für die Identifikation von Risikopersonen und die Stressbewältigung an der Hochschule werden diskutiert.

Schlüsselwörter: Stressbewältigung, psychische Gesundheit, Wohlbefinden, Studierende, Covid-19, latente Profilanalyse

 

Relations of stress and coping with stress symptoms and life satisfaction – a person-oriented approach for university students

Summary: Stress is a key challenge for university students. Using a person-oriented approach, this study examines effects of stress- and coping profile membership on stress symp-toms and life satisfaction. Based on data from 912 students, three stress profiles and four coping profiles were found. The stress profiles differed in the stress level (slightly below average, slightly above average, high), whereas the coping profiles differed regarding the focusing or neglecting of strategies (declining support-, focusing faith-, focusing substance use-, average-copers). Correlation analyses showed that severely stressed individuals use maladaptive coping strategies more often, and that stress and coping profile membership were related to stress symptoms and life satisfaction. No interaction effects of stress and coping profile membership were found. Finally, practical implications for the identification of students with a high risk for stress and the stress management in higher education are discussed.

Keywords: stress management, mental health, well-being, students, Covid-19, latent profile analysis

 

1 Einleitung

Studierende begegnen vielen Herausforderungen und erleben oft Stress (Niewöhner et al., 2021). Im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen fühlten sich Studierende bereits vor der Covid-19-Pandemie sehr gestresst (Herbst et al., 2016), und während der Pandemie nahmen 75% der Studierenden die Anforderungen im digitalen Studium im Vergleich zur Präsenzlehre als höher wahr (Traus et al., 2020) und zeigten sich psychisch belastet (Chaturvedi et al., 2021). In den letzten Jahren beschäftigten sich Forschungsarbeiten meist variablenzentriert mit Stress am Studienbeginn (Clinciu, 2013; Geng & Midford, 2015), in verschiedenen Studiengängen (Bergin & Pakenham, 2015; El-Ghoroury et al., 2012) oder während der Covid-19-Pandemie (Husky et al., 2020).

Insgesamt existieren nur wenige personenzentrierte Ansätze, die berücksichtigen, dass sich Studierende im Stresserleben (Kökçam et al., 2021; Perkins et al., 2021) und in ihren Bewältigungsstrategien (Doron et al., 2014; Freire et al., 2020) unterscheiden. Es mangelt vor allem an Studien zum Zusammenwirken von individuellen Stress und Bewältigungsstrategien im Hinblick auf die psychische und physische Gesundheit. Personenzentrierte Studien betrachteten entweder Coping als Prädiktor und Stress als Kriterium und fanden, dass bestimmte Bewältigungsstrategien die Stressbelastung besser reduzieren als andere (Doron et al., 2014; Kavčič et al., 2022), oder sie fokussierten Auswirkungen von Stress auf Gesundheit und zeigten, dass physische und psychische Symptome vom Stressprofil abhängen (Mayerl et al., 2017). Die vorliegende Studie untersucht nun erstmals personenorientiert Stress und Bewältigungsstrategien als gemeinsame Prädiktoren für Symptome und Lebensqualität.

2 Stand der Forschung

2.1 Stress

Dieselben Stressoren führen bei Individuen zu unterschiedlichen Reaktionen. Dabei entscheidet sowohl die Bewertung einer kritischen Situation als auch der Umgang damit darüber, wie intensiv Stress erlebt wird und welche Folgen resultieren (Lazarus & Folkman, 1984, 1987). Bei Konfrontation mit einem Stressor erfolgt eine primäre kognitive Bewertung: Die Situation wird als irrelevant, positiv oder stressend eingeschätzt. Werden in einer sekundären Bewertung die individuellen psychosozialen Ressourcen (z.B. Kompetenzen, Unterstützung) als nicht ausreichend eingeschätzt, um die Situation zu bewältigen, kommt es zu einer Stressreaktion. Dabei ist es irrelevant, ob das negative Ereignis tatsächlich eintritt – Stress entsteht, wenn Situationen als unsicher, bedrohlich oder hoffnungslos eingeschätzt werden. Dementsprechend sollte die Stressbelastung umso ausgeprägter sein, je größer die Unsicherheit in wichtigen Lebensbereichen ist, je größer die wahrgenommene Überforderung bei der Bewältigung von Anforderungen ist und je mehr Verluste schon eingetreten sind (Satow, 2012).

Bei Studierenden steht Stress im Zusammenhang mit schlechten Studienleistungen (z.B. Khan et al., 2013) und geringer Lebensqualität (Ribeiro et al., 2018) und kann Alkoholmissbrauch (Sadava & Pak, 1993) und depressive Symptome (Barker et al., 2018) verstärken. Während der Covid-19-Pandemie berichteten Studierende Stress durch Einschränkungen in sozialen Kontakten und bei Nebenbeschäftigungen (Ehrentreich et al., 2022) sowie Unsicherheit in Bezug auf den zu erwartenden Verlauf der Pandemie und ihre persönliche Studiensituation (Hahn et al., 2021).

Die Annahme, dass Stressbelastung aus der Akkumulation von Stressoren resultiert, lässt sich durch personenzentrierte Ansätze belegen. Kökçam et al. (2021) fanden fünf Stressprofile bei Studierenden, die sich in der Höhe der individuellen Stressausprägung, von extrem gering bis extrem hoch, differenzieren ließen. Analog dazu identifizierten Perkins et al. (2021) bei Studierenden der Ingenieurswissenschaften ähnliche fünf Profile.

2.2 Stressbewältigung und Copingstrategien

Die Bewältigung von Stress gelingt unterschiedlich gut. Der Umgang mit Stress wird als Coping bezeichnet (Lazarus & Folkman, 1984) und kann problemorientiert-aufsuchend (Lösungsversuche, Suche nach Unterstützung), emotionsbezogen (Bewältigung negativer Emotionen z.B. durch Abreagieren, mit Humor sehen) oder passiv (Aushalten des Stressors, Ablenkung) erfolgen (Bengel & Lyssenko, 2012). Einige Copingstrategien hängen positiv mit mentaler Gesundheit und gesundheitsförderlichem Verhalten zusammen (Penley et al., 2002), z.B. positives Denken, aktive Stressbewältigung, Suche nach sozialer Unterstützung und Suche nach Halt im Glauben (Krägeloh, 2011). Schädliche Bewältigung hingegen umfasst passiv vermeidende Strategien, z.B. Konsum von Suchtmitteln. Psychische Gesundheit ist mit aktivem, problemorientiertem Coping und geringer Vermeidung assoziiert, Vermeidungsstrategien und Passivität hingegen mit psychisch schlechterer Verfassung (Doron et al., 2014). Aktives Coping wirkt sich grundsätzlich positiver auf Wohlbefinden aus als passives Coping (z.B. Nielsen & Knardahl, 2014), unabhängig davon, ob es problemorientiert oder emotionsbezogen ist (Bengel & Lyssenko, 2012; Kavčič et al., 2022). Darüber hinaus fand Satow (2012), dass Personen, die adaptiv copen, trotz hoher Stressbelastung nur wenige Symptome entwickeln. Zusammenfassend können also adaptive und maladaptive Copingstrategien unterschieden werden – letztere gelten als stärker prädiktiv für gesundheitliche Beeinträchtigungen (Moritz et al., 2016).

Variablenzentrierte Ansätze zeigen, dass gestresste Studierende oft maladaptiv copen, sie nutzen selten problemorientierte Strategien (Kausar, 2010) und konsumieren häufig Alkohol (Böke et al., 2019). Vizoso et al. (2018) zeigten, dass sich adaptives Coping über eine Erhöhung des Engagements positiv auf Studienleistungen auswirkt, während maladaptives Coping mit schlechteren Leistungen in Zusammenhang steht. Und Coiro et al. (2017) fanden, dass Bewältigungsstrategien von Studierenden den Zusammenhang von Stress und psychischen Symptomen großteilig erklären.

Personenzentrierte Ansätze ermitteln häufig drei differenzierbare Profile: Personen, die vor allem problemorientierte Ansätze verfolgen, Personen, die vermeidende Strategien nutzen, und solche, die kaum Coping anwenden (Kavčič et al., 2022; Nielsen & Knardahl, 2014). Untersuchungen mit Studierenden fanden jeweils 4 Profile: Doron et al. (2014) zeigten zwei Profile mit quantitativen Unterschieden: Personen, die viele (vs. wenige) Strategien einsetzen (unabhängig vom Strategie-Fokus). Zwei weitere Profile bildeten eher qualitative Unterschiede ab: Personen, die vor allem adaptiv (vs. maladaptiv) copen. Freire et al. (2020) gelangten zu einer 4-Profillösung mit Personen, die sich in qualitativer Hinsicht durch vornehmlich soziales Coping vs. vornehmlich kognitives Coping und in quantitativer Hinsicht durch hohen vs. geringen Einsatz problemorientierter, aufsuchender Strategien auszeichnen.

2.3 Stress und Coping – Einflussvariablen

Während Satow (2012) keine Zusammenhänge von Geschlecht und Alter mit Stress, Coping und Symptomen fand, zeigten andere Studien ein höheres Stresslevel bei weiblichen Studierenden (Bozorgnia et al., 2020; Herbst et al., 2016) beziehungsweise männlichen Erstsemesterstudierenden (Aguayo et al., 2019). Matud (2004) fand bei höher belasteten weiblichen Personen eine verstärkte Nutzung emotionsbezogener Bewältigungsstrategien. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) scheint negativ mit Stressbelastung (Bozorgnia et al., 2020; Mayerl et al., 2017; Schönfeld et al., 2019) und positiv mit adaptivem Coping (Freire et al., 2020) assoziiert zu sein. Geschlecht, Alter, Fachsemester und SWE werden daher in dieser Studie als Kovariaten analysiert.

2.4 Diese Studie

Mit einem personenorientieren Ansatz werden Stress- und Copingprofile von Studierenden sowie Profileffekte auf Symptome und Lebenszufriedenheit während der Covid-19-Pandemie analysiert.

Personenzentrierte Ansätze können Untergruppen von Personen identifizieren, die Kombinationen interessierender Variablen teilen, während variablenzentrierte Ansätze annehmen, dass die Beziehungen der Variablen für die gesamte Stichprobe gelten. Demnach ist ein Vorteil des personenzentrierten Ansatzes in dieser Studie, dass jeweils mehrere Stress- und Copingvariablen (drei Aspekte der Stressbelastung, fünf Bewältigungsstrategien) simultan analysiert und zur Gruppenbildung genutzt werden. In einem regressionsanalytischen, variablenzentrierten Ansatz würde die Berücksichtigung der drei Aspekte der Stressbelastung erfordern, dass neben der Dreifachinteraktion der Variablen auch alle Zweifachinteraktionen sowie alle Haupteffekte einbezogen werden. Dies erhöht den benötigten Stichprobenumfang und erschwert Analyse und Interpretationen.

Nach unserer Kenntnis liegt bislang keine Studie vor, die Stress und Coping personenzentriert als Prädiktoren relevanter Variablen analysiert und entsprechend auch keine Untersuchung zum Zusammenspiel individueller Stress- und Copingprofile im Sinne von Interaktionseffekten. Mit dieser Arbeit möchten wir daher zu einem besseren Verständnis der Haupteffekte individueller Stress- und Copingprofilzugehörigkeit von Studierenden auf psychische Gesundheit beitragen sowie erstmals Zusammenhänge der Profilzugehörigkeiten analysieren und Implikationen für den Hochschulbereich ableiten.

Vier Fragestellungen werden adressiert. Für die ersten drei lassen sich Hypothesen ableiten, während die vierte Fragestellung zum Zusammenwirken von Stress- und Copingprofilzugehörigkeit explorativen Charakter hat:

(1) Wie viele und welche Stressprofile hinsichtlich der Belastungsfaktoren Unsicherheit, Überforderung und negativer Ereignisse finden sich bei Studierenden?
H1: Die Profile unterscheiden sich in quantitativer Hinsicht; es finden sich Profile, die die Höhe der individuellen Stressbelastung differenzieren.

(2) Wie viele und welche Copingprofile hinsichtlich sozialem, aktivem, positivem, suchtmittelbezogenem und religiösem Coping finden sich bei Studierenden?
H2: Die Profile unterscheiden sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht; es finden sich Copingprofile, die die qualitative Funktion einzelner Strategien und das Nutzungsausmaß differenzieren.

(3) Profilzusammenhänge und -effekte: Inwiefern stehen Stress- und Copingprofile mit Symptomausprägungen und Lebenszufriedenheit in Zusammenhang, wenn für die Kovariaten Geschlecht, Alter, Semesteranzahl und SWE kontrolliert wird?
H3: Stress: Profile mit hohem Stress zeigen höhere Symptomausprägungen und geringere Lebenszufriedenheit.
H4: Coping: Profile mit maladaptivem Coping zeigen höhere Symptomausprägungen und geringere Lebenszufriedenheit.

(4) Profileffekte: Gibt es neben den erwarteten Haupteffekten (vgl. Hypothesen 3 und 4) eine Wechselwirkung der Stress- und Copingprofilzugehörigkeit auf Symptome und Lebenszufriedenheit? (explorative Analyse)

* * *

Sie möchten gerne weiterlesen? Dieser Beitrag ist in Heft 2-2022 unserer ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung erschienen.

 

 

 

Die Autor*innen

Dr. Sarah Bebermeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der Leibniz-Universität Hannover.

Nina Ostenkötter ist wissenschaftliche Hilfskraft an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld.

Dr. rer. nat. Kim Laura Austerschmidt forscht an der Universitätsklinik OWL für Psychatrie und Psychotherapie in Bielefeld.

Dr. Ziwen Teuber ist Research Scientist am Department of Behavioural and Cognitive Sciences der University of Luxembourg.

 

Mehr Leseproben …

… finden Sie auf unserem Blog.

 

© Unsplash 2023, Foto: Christian Erfurt