Schwarzer Feminismus der Grenze. Die Refugee-Frauenbewegung und das Schwarze Mittelmeer
Céline Barry
Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Heft 2-2021, S. 36-48
Im Rahmen des Schwarzen Widerstandes gegen rassistische Polizeigewalt lenken Geflüchteten-Organisationen in Europa und weltweit die Aufmerksamkeit auf die Anti-Schwarze Gewalt der neokolonialen Grenzen und Lager- und Abschiebesysteme.1 Dekolonisierung und die Abschaffung der Grenzen des rassifizierten Kapitalismus werden so zu einem wichtigen Anliegen antirassistischer Bewegungen wie Black Lives Matter (BLM) (IWS 2021a). Angesichts der Dominanz repräsentations- und teilhabeorientierter Lösungen, die im mehrheitsdemokratischen Kontext zunehmende Legitimität erfahren, gerät bei antirassistischen Initiativen die Frage der Dekolonisierung – im materiellen Sinn – allerdings oft in den Hintergrund. Die Arbeiten Schwarzer anti-kolonialer Theoretiker*innen zeigen jedoch, wie eng Anti-Schwarzer Rassismus und (neo-)kolonialer Kapitalismus verstrickt sind. Struktureller Anti-Schwarzer Rassismus, der sich in der Überausbeutung, Repression und Tötung Schwarzer Menschen auf transnationaler Ebene ausdrückt, geht aus der neokolonialen Weltwirtschaft hervor, die afrikanische Ökonomien instrumentalisiert, unterdrückt und verarmt (Fanon 1961, 611; 1964; Rodney 1972; Robinson 1983; Adi 2018, 168). Erst die Dekolonisierung kann Anti-Schwarze rassistische Strukturen grundlegend überwinden.
Neokoloniale Ausbeutungsverhältnisse verbinden sich indessen auch mit Ausbeutungen in und durch Geschlechterverhältnisse (Combahee River Collective 1977; Boyce Davies 2014). Dies äußert sich in genderspezifischer Kriminalisierung, (Hyper-)Ausbeutung in der Reproduktions- und Produktionsarbeit, der Marginalisierung beim Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und in sexualisierter Gewalt gegen Schwarze Frauen wie auch Schwarze Lesben, Non-Binaries, Queers, Trans und Inter, die in diesen Feldern spezifische Unterdrückungen erfahren. Diese Herrschaftsverhältnisse verlaufen dabei im Globalen Süden und im Globalen Norden auf unterschiedliche, aber miteinander verwobene Weise (Oyěwùmí 1997; Bhattacharya 2018; Dhawan/Castro Varela 2019; Vergès 2019a; 2019b; N.N. 2021, 125ff.).
Wie radikale intersektionale Schwarze feministische Bewegungen historisch sowie gegenwärtig einfordern, ist die Frage der Dekolonisierung in Kämpfen gegen Rassismus zentral. In diesem Sinne behandelt mein Artikel die Frage der antikolonialen Ausrichtung der Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland: An welchen Stellen werden vergeschlechtlichte Manifestationen von Anti-Schwarzem Rassismus mit der Frage neokolonialer Grenzregime, die heteropatriarchale Anti-Schwarze Strukturen untermauern, in Verbindung gebracht? Ich gehe der Frage aus einer Schwarzen feministischen Perspektive nach, die das Wissen und die situierten Kämpfe von Frauen, Non-Binaries, Queers, Trans und Inter als Grundlage für die Erarbeitung transformativer Analysen und Lösungen für soziale Probleme heranzieht (Bergold-Caldwell 2020; Hill Collins 2000). Diasporische, panafrikanische und afrofeministische Theoriebildung begleitet mich in meinem Unterfangen (El Tayeb 2015; Kisukidi 2019; Tamale 2020). Ich konzentriere mich indessen auf das, was als Frauenbewegung bezeichnet wird. Diese verstehe ich allerdings als intrinsisch verbunden mit und abhängig von queeren, nicht-binären, trans- und inter-Bewegungen. Schließlich lässt sich Feminismus ohne sie nicht umfassend realisieren.
Im ersten Teil frage ich nach dem diasporischen Engagement innerhalb der Schwarzen Frauenbewegung. Es zeigt sich, dass antikoloniale Praxis fest in die Schwarze feministische Bewegungsgeschichte Deutschlands eingeschrieben ist. In diesem Zusammenhang lege ich, zweitens, meinen Blick auf den Feminismus der Grenze, den Geflüchteten-Frauenbewegungen praktizieren und in denen Schwarze Frauen aus afrikanischen Kontexten eine tragende Rolle spielen. Antikoloniale Perspektiven kommen hier in besonderem Maße zum Tragen und befördern die Entfaltung des widerständigen solidarischen Raums des Schwarzen Mittelmeers (Di Maio 2013; Smythe 2018). Ich zeige daraufhin in zwei Schritten, wie die situierte Kritik Schwarzer Refugee-Frauenbewegungen an der neokolonialen, imperialen Struktur des Grenzregimes sowie an den spezifisch Anti-Schwarzen Rassifizierungsprozessen innerhalb des Abschiebe- und Lagersystems für eine antikoloniale Schwarze feministische Praxis wesentlich ist.
Das panafrikanische Erbe
In der politischen Tradition des Panafrikanismus ist die Bildung afrikanischer Einheit für den Dekolonisierungsprozess von zentraler Bedeutung (Boukari-Yabara 2019). Menschen der Afrikanischen Diaspora werden dabei als Teil des Kontinents und Mitwirkende des Dekolonisierungsprozesses verstanden (Kisukidi 2019; Tsikata 2014). Historisch gesehen fällt die Entstehung des Panafrikanismus mit dem Aufstreben des Internationalismus im 20. Jahrhundert zusammen. Panafrikanische Kongresse und Zusammenkünfte brachten diasporische und kontinentale Schwarze Menschen zusammen. Wie Theoretiker*innen vielerorts hervorheben, waren diese von postkolonialen Klassenwidersprüchen und intersektionalen Konfliktlinien geprägt (z.B. Tamale 2020, 349f.; Adi 2018, 168ff.). Dies berücksichtigend, ist hier von besonderem Interesse, dass Antirassismus im Norden und die Dekolonisierung Afrikas zusammengedacht werden und als sich gegenseitig bedingende Bewegungen im Panafrikanismus Raum finden (ebd.). In dieser Tradition setzten sich auch viele in Deutschland lebende afrikanische diasporische Aktivist*innen für Antirassismus sowie die Dekolonisierung ein (Aitken/Rosenhaft 2013). Wie Carole Boyce Davies (2014) vergegenwärtigt, prägen Frauen die panafrikanische Bewegung kontinuierlich mit und lenken die Aufmerksamkeit auf den Zusammenhang von Kolonialismus und (Hetero-)Patriarchat (Ossome 2013, 42). Feministische Praxis müsse in diesem Zusammenhang transnational ausgerichtet sein. Den vom Panafrikanismus beeinflussten transnationalen Schwarzen Feminismus erachtet sie aufgrund seiner antiimperialistischen Haltung als richtungsweisend und hebt den historischen Beitrag Schwarzer Kommunistinnen besonders hervor, in dem
Anti-Imperialismus und Dekolonialisierung, Kämpfe für die Rechte von Arbeiterinnen, Kritik an der Aneignung der Arbeit Schwarzer Frauen, Kampfansagen gegen den einheimischen und den internationalen Rassismus und ihre Verbindung mit dem Kolonialismus (ebd., 55)
zusammengebracht werden.
Wie etwa die Beiträge in Farbe bekennen (Oguntoye/Ayim/Schultz 1984), Schwarze Frauen der Welt (Kraft/Ashraf-Kahn 1994) sowie in der von ADEFRA herausgebrachten Zeitung Afrekete für afro-deutsche und schwarze Frauen (1988-1990) zeigen, stellen auch in Deutschland panafrikanisch aktive Frauen, Lesben, Non-Binaries, Queers, Trans und Inter „die konsistente(n) Verbindungen zwischen afrikanisch-nationalen, afrikanisch-kommunistischen und feministischen Positionen (her)“ (Boyce Davies 2014, 41). Tiffany Florvil zeigt in Mobilizing Black Germany (2020) mit besonderer Aufmerksamkeit für die Diskurse intellektueller Frauen (ebd., 7), wie die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland ab den 1980er Jahren, im Zusammenspiel mit den aufstrebenden Third-World-Frauen- und Frauen-of-Color-Bewegungen, an der Formation globaler Allianzen gegen Rassismus, Sexismus, Kapitalismus, Neokolonialismus und Neofaschismus beteiligt waren. Im Hinblick auf eine solidarische diasporische Praxis sind vor allem die Konferenzen interessant, bei denen Aktivistinnen transnational zusammenkamen: ADEFRAs Mitwirkung bei Kongressen von und für Schwarze/im Exil lebende, migrantische und jüdische Frauen; May Ayims Engagement gegen Europas rassistische Grenzpolitik und Neokolonialismus; sowie die internationalen Frauenkonferenzen und -Workshops in den 1990ern, bei denen Frauen der Diaspora und des Kontinents zusammentrafen.
Die expliziten Bezüge zum EU-Migrationsregime und zur Situation afrikanischer Migrant*innen und Geflüchteter, die in der abolitionistischen Reflexion, bei panafrikanischen Kongressen, im Rahmen der UN-Dekade für Menschen Afrikanischer Herkunft sowie durch Black Lives Matter hergestellt werden, verweisen darauf, dass das panafrikanische Erbe in der Gegenwart weitergetragen wird (Arbeitskreis Panafrikanismus 2015; Generation ADEFRA 2019; German Civil Society Delegation 2017; Bündnis Schwarzer Organisationen in Deutschland 2021). Die Arbeit der Pan-African Women’s Empowerment and Liberation Organisation (PAWLO) Germany oder von Joliba e.V. für afrikanische migrierte und geflüchtete Frauen sowie all die weniger sichtbaren, nicht-formalisierten Initiativen afrikanischer Frauen in Verbänden, Küchen, Wohnzimmern, Afro-Shops, die von finanziellem Support über Bildungsinitiativen bis hin zu Gesundheitsprävention hier und auf dem Kontinent reichen, sind aufgrund ihrer intersektionalen Qualität an dieser Stelle ausdrücklich zu würdigen.
Anmerkungen
1 Ich bedanke mich für den geschwisterlichen Austausch bei Saraya Gomis, Pinar Tuczu und Heidi Renée Lewis, bei den Gutachter*innen und Schwerpunktredakteurinnen.
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