Rollenerwartungen und wenn Gründerinnen sie nicht erfüllen – Szenarien zur Startup-Finanzierung und -Berichterstattung
Melanie Slavici und Veronika Kneip
ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, Heft 2-2024, S. 143-156.
Zusammenfassung
Unser Beitrag fragt nach unterschiedlichen Rollenerwartungen, die innerhalb des Startup-Ökosystems an Gründerinnen und Gründer gestellt werden, und verknüpft dafür die Role Congruity Theory (RCT) mit der Expectancy Violations Theory (EVT). Über 12 leitfadengestützte Interviews mit Investor*innen und Medienschaffenden erheben wir geschlechtsspezifische Rollenerwartungen, prüfen dann, ob diese von den Gründerinnen erfüllt werden und schließlich, inwieweit rollen(in)kongruentes Verhalten belohnt oder sanktioniert wird. Entlang von vier Szenarien zeigen wir, dass Gründerinnen keinesfalls „nur“ die Wahl zwischen Belohnung für Rollenkongruenz oder Sanktion für Rolleninkongruenz haben.
Schlagwörter: Female Entrepreneurship, Rollenerwartungen, Startups
Role expectations and when female founders fail to meet them – Scenarios for startup financing and media coverage
Abstract
Our paper investigates different role expectations for female and male founders within the startup ecosystem by linking Role Congruity Theory (RCT) with Expectancy Violations Theory (EVT). Through 12 guided interviews with investors and journalists, we identify genderspecific role expectations, then examine whether these are fulfilled by female founders, and finally, to what extent role (in)congruent behavior is rewarded or sanctioned. Using four scenarios, we show that female founders do not “only” have the choice between rewarded role congruency or sanctioned for role incongruency.
Keywords: Female Entrepreneurship, Role expectations, Startups
1. Einleitung
Die Startup-Szene gilt als innovativ, technologieorientiert und explizit wachstumsorientiert; der Anteil von Gründerinnen beträgt hier jedoch lediglich 21 Prozent (Bundesverband Deutsche Startups e.V. 2023, 7) und liegt damit noch einmal deutlich unter den ca. 39 Prozent Existenzgründerinnen (KfW Bankengruppe 2023, 3).
Besonders der gender finance gap (Brush et al. 2018; Guzman und Kacperczyk 2019), also die anteilig geringere Finanzierung für weiblich (mit)gegründete Startups, ist ein Indikator für das geschlechterspezifische Ungleichgewicht in der Startup-Szene. So erhalten Gründerinnen in Finanzierungsrunden mehr Fragen nach unternehmerischen Risiken wie bspw. Konkurrenzunternehmen (Kanze et al. 2018) und männliche Investoren sanktionieren nach wie vor Risiko-Aversion und zurückhaltende Sprache oder Rhetorik als „typisch weibliche“ Verhaltensweisen (Balachandra et al. 2019). Studien zur medialen Sichtbarkeit von Frauen bescheinigen zudem eine übermäßige, oft unerwünschte Fokussierung auf das Geschlecht anstelle bspw. der unternehmerischen Aktivität (Buchanan und Settles 2019; Fernando et al. 2019).
Wir schließen an die bestehenden Studien zum gender finance gap an, erweitern die oft auf Finanzierungen begrenzte Studienlage und suchen nach sich überschneidenden und sich unterscheidenden Logiken im Finanz- und Mediensystem. Dabei stellen wir die Bedeutung (nicht) erfüllter Rollenerwartungen in den Mittelpunkt und fragen: Stellen Investor*innen („Zugang zu Kapital“) und Medienschaffende („Zugang zu medialer Öffentlichkeit“) andere Erwartungen an Gründerinnen als an Gründer und inwieweit erschwert Gründerinnen das den Zugang zur sowie das erfolgreiche Bestehen in der Startup-Szene? Beide Akteursgruppen betrachten wir somit als Gatekeeper, deren Rollenerwartungen aufgrund ihrer Machtposition im Startup-Ökosystem besondere Relevanz haben und sich mutmaßlich gegenseitig in ihren Handlungen beeinflussen. Über leitfadengestützte Interviews mit Investor*innen und Medienschaffenden sowie rückgebunden an die Role Congruity Theory (RCT) und die Expectancy Violations Theory (EVT) untersuchen wir, inwieweit erstens geschlechtsspezifische Rollenerwartungen bestehen, zweitens ob diese von den Gründerinnen erfüllt werden und drittens, inwieweit rollen(in)kongruentes Verhalten durch die Gatekeeper belohnt oder sanktioniert wird.
Aus wissenschaftlicher Sicht leisten wir damit einen Beitrag, den Female Entrepreneurship-Diskurs theoretisch rückgebunden an Rollenerwartungen zweier mächtiger, interdependenter Akteursgruppen zu erweitern. Praktisch verhilft unsere Studie nicht nur zur Reflexion unbewusster Erwartungen durch Investor*innen und Medienschaffende selbst, sondern gibt Gründerinnen auch das Wissen um bestehende geschlechterspezifische Rollenerwartungen und einen möglichen Umgang damit an die Hand.
Kapitel 2 erörtert mit der RCT und der EVT zwei Erklärungsansätze und arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Nachdem Kapitel 3 den Forschungsstand und Kapitel 4 die methodischen Grundlagen skizziert hat, widmet sich Kapitel 5 den Szenarien zu (nicht) erfüllten Rollenerwartungen aus der Perspektive von Investor*innen und Medienschaffenden. Kapitel 6 subsummiert und diskutiert unsere Erkenntnisse, Kapitel 7 zeigt Implikationen für weiteren Forschungsbedarf auf.
2. Theorien zu Rollenerwartungen
Die RCT formuliert gesellschaftlich erwartete Geschlechterrollen, deren Nichteinhalten tendenziell sozial sanktioniert wird. Die EVT wiederum argumentiert, das Durchbrechen von Rollenerwartungen könne unter bestimmten Voraussetzungen positive Folgen haben, je nach Kontext sogar positivere Folgen als rollenkongruentes Handeln.
2.1 Role Congruity Theory (RCT)
Eagly und Karau (2002) haben die RCT zur sozialpsychologischen Analyse von Stereotypisierungen weiblicher Führungskräfte entwickelt. Auf deskriptiver Ebene werden Männern eher „harte“, sogenannte agentische Eigenschaften (durchsetzungsstark, selbstbewusst, kontrollierend, ehrgeizig) zugeschrieben und Frauen eher „weiche“, sogenannte kommunale Eigenschaften (liebevoll, hilfsbereit, einfühlsam, fürsorglich, sensibel) (Eagly 2004, 82–83; Eagly und Karau 2002, 574–576). Auf normativer Ebene wiederum wirken Denkweisen, wie Personen sich entsprechend ihrer Geschlechterrolle verhalten sollten. Für Frauen kollidiert die Geschlechterrolle mit Erwartungen, die traditionell an Führungspersonen gestellt werden (Steffens und Ebert 2016, 160).
Weiter theoretisieren Eagly und Karau (2002, 574–576) die Konsequenzen, die mit solchen Rollenverletzungen einhergehen. Aus den deskriptiven Stereotypen resultiert für Frauen eine mutmaßlich geringere Kompetenz für die zu erfüllenden Führungsaufgaben. Aufgrund des normativen Vorurteils ist es für sie außerdem schwieriger, Führungskraft zu werden und diese Rolle mit Erfolg auszuüben. Sanktionen für rolleninkongruentes Handeln wären bspw., wenn weibliche Führungskräfte bei dominantem Verhalten Missbilligung erfahren (vgl. auch Eagly 2004, 85).
Zugleich mildern verschiedene moderierende Effekte mögliche Sanktionen ab (Eagly und Karau 2002, 576–578; Eagly 2004, 85). Weniger „männliche“, androgyn definierte Führungsrollen reduzieren die Rolleninkongruenz. Zudem entscheidet die Zustimmung zu traditionellen Geschlechterrollen, inwieweit Personen rolleninkongruentes Handeln sanktionieren. Rollenverstärkend wiederum wirken als besonders weiblich kategorisierte Eigenschaften wie feminine Kleidung, Schwangerschaft oder die Ausübung von Care-Arbeiten. Hinzuweisen ist schließlich auf eine aktuelle Meta-Studie von del Carmen Triana et al. (2023, 22–23), nach der Rolleninkongruenz – wenn auch in seltenen Fällen – durchaus positive Effekte haben kann. Wenn bspw. Frauen die an sie gestellten Erwartungen „übertreffen“ oder traditionelle Rollenstereotype verletzen, kann es andere positiv überraschen. Damit steht die jüngere Rezeption der RCT im Einklang mit der EVT.
2.2 Expectancy Violations Theory (EVT)
Die EVT erklärt die Verletzung von Rollenerwartungen explizit als möglicherweise vorteilhafter gegenüber dem Einhalten von Rollenerwartungen. Als Theorie zwischenmenschlicher Kommunikation unterscheidet sie in Kommunikator*innen und Empfänger*innen (Burgoon 2016, 1; Burgoon und Ebesu Hubbard 2005, 150).
Nach Burgoon (2016, 2) sind erfüllte Erwartungen Erwartungsbestätigungen und unerfüllte Erwartungen, also rolleninkongruentes Verhalten, Erwartungsverletzungen. Je größer die Distanz von Erwartung und tatsächlichem Handeln, desto größer der Effekt. Ob es sich um positive oder negative Effekte handelt, hängt dabei von der Belohnungsvalenz der Kommunikator*innen ab. Eine hohe Belohnungsvalenz liegt bspw. bei hoher Attraktivität, hohem Status, Intelligenz oder Charisma vor. Eine geringe Belohnungsvalenz besteht bei Personen mit sozial weniger anerkannten bis hin zu unerwünschten Eigenschaften (Burgoon 2016, 3–4). Wird eine Person etwa als nicht zuverlässig eingeschätzt und entspricht ihr Handeln dann genau dieser Erwartung, liegt folglich eine negative Bestätigung vor. Bei Kommunikator*innen mit einer hohen Belohnungsvalenz (z.B. nachgewiesener Expertise von Mitarbeitenden) können positive Erwartungsverletzungen (z.B. forsches Auftreten im Kundengespräch) hingegen sogar bessere Folgen hervorrufen als positive Erwartungsbestätigungen (Burgoon 2016, 5, Burgoon und Ebesu Hubbard 2005, 158–159). Dabei erzeugt rolleninkongruentes Handeln immer Aufmerksamkeit an sich, was jedoch vom tatsächlichen Inhalt ablenken kann (Burgoon 2016, 4).
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