Wie ist die Arbeit in der Redaktion einer wissenschaftlichen Zeitschrift organisiert und wozu braucht es überhaupt (noch) Zeitschriftenredaktionen? Diese und weitere Fragen haben wir Cathrin Mund vom Soziologiemagazin und dem Redaktionskollektiv der Debatte. Beiträge zur Erwachsenenbildung in einem Doppelinterview gestellt.
Ein Gespräch mit den Redaktionen des Soziologiemagazins und der Debatte
Liebe Cathrin Mund, liebes Debatte-Redaktionskollektiv, stellen Sie Ihre Zeitschrift doch bitte kurz vor. Was veröffentlichen Sie in Ihrer Zeitschrift und was ist das Besondere an ihr?
Cathrin Mund für das Soziologiemagazin: Das Soziologiemagazin ist eine nachwuchswissenschaftliche Zeitschrift für soziologische und angrenzende Fragestellungen. Hinter der Zeitschrift steht der gleichnamige Verein soziologiemagazin e.V. Er wurde 2007 im Anschluss an den 1. Studentischen Soziologiekongress in Halle (Saale) von Studierenden und Absolvent*innen der Soziologie gegründet, um nachwuchswissenschaftlichen Perspektiven mehr Sichtbarkeit zu verschaffen – gleichzeitig aber auch die Möglichkeit zu bieten, erste Erfahrungen im wissenschaftlichen Schreiben und Veröffentlichen zu sammeln. Dieser Vereinszweck trägt unsere diversen Aktivitäten bis heute grundlegend.
Redaktionskollektiv Debatte: Die Zeitschrift Debatte. Beiträge zur Erwachsenenbildung hat einen ähnlichen Ausgangspunkt, da sie 2016 ebenfalls von Wissenschaftler*innen in Qualifizierungsphasen gegründet wurde und sich unser Redaktionskollektiv auch heute noch überwiegend aus dieser Gruppe zusammensetzt. Unsere Zeitschrift bietet ein Forum für den diskursiven Austausch in der erziehungswissenschaftlichen Disziplin der Erwachsenenbildung. Statt der bloßen thematischen Versammlung nebeneinanderstehender Texte steht die Verknüpfung sich aufeinander beziehender Beiträge im Fokus – hierdurch schafft die Debatte die einen Raum für Auseinandersetzungen, um den Fachdiskurs weiterzuentwickeln. Das Besondere dabei ist unser Format: In der Regel besteht ein Heft aus einem Themenbeitrag und sich darauf beziehende Repliken. Jede Ausgabe der Debatte widmet sich einem Thema, wobei sich eine Diskussion dann auch über mehrere Hefte entfalten kann.
Wie ist die Redaktionsarbeit organisiert?
Cathrin Mund (SozMag): Unsere Arbeit organisiert sich rund um unsere regulären Zeitschriftenausgaben. Jährlich geben wir zwei themenbasierte Hefte im Open Access heraus. Darüber hinaus betreuen wir den soziologieblog – Nachwuchswissenschaftler*innen können hier niedrigschwellig und turnusunabhängig kürzere Beiträge veröffentlichen, wie Essays, Konferenzberichte und Rezensionen. Einige kümmern sich um unsere Social-Media-Kanäle, wir bereiten Veranstaltungen vor, auf die wir als Redaktion gehen. In den vergangenen Jahren haben wir außer der Reihe immer auch Sonderhefte oder Ausgaben unserer Working-Paper-Reihe „Fragmente“ begleitet. Das alles findet ehrenamtlich statt, wir finanzieren uns durch kleinere Anzeigenerlöse, Mitgliedsbeiträge und Spenden. Zentral ist aber: Alle, die sozialwissenschaftlich interessiert sind, können Mitglied werden und mitwirken. Wir verstehen uns als ein doppeltes „Probierfeld“ (Rudolfi/Krüger 2018, 67) – um an Vorredner*innen der Redaktion anzuschließen. Nicht nur junge Forschende werden durch die verschiedenen Phasen des Veröffentlichungsprozess intensiv begleitet, sondern auch die Redaktionsmitglieder lernen beständig – zu reviewen, zu redigieren, zu lektorieren und dabei Entscheidungen möglichst transparent und nachvollziehbar zu kommunizieren.
Redaktionskollektiv Debatte: Wir haben uns als Redaktionskollektiv zusammengeschlossen, d.h. wir haben keine individuellen, hierarchischen Strukturen entwickelt, in welchen z.B. eine Person für ein Heft verantwortlich ist, eine andere für ein anderes. Wir treffen Entscheidungen in gemeinsamer Beratung und Abwägung mit allen Mitgliedern. Unser Kollektiv besteht aus Wissenschaftler*innen an unterschiedlichen Hochschulen in Deutschland und Österreich, die zweimal im Monat für koordinative und inhaltliche Abstimmungen zusammenkommen Wir profitieren sehr von den digitalen Austauschmöglichkeiten, ergänzen unsere regelmäßigen Treffen aber auch um ganztägige Redaktionsklausuren, in denen wir auch mal aus unseren Routinen heraus in kreative Prozesse etwa für die Themenfindung und -setzung einsteigen können. In diesem Zusammenspiel zwischen etablierten Abläufen und Offenheit für neue Arbeitsstrukturen vollziehen sich die Begutachtung von Manuskripten sowie die zentral strukturierende Themen- und Zeitplanung der Veröffentlichungen. Externe Unterstützung erhalten wir für das Korrektorat und den Satz. Ähnlich wie das Soziologiemagazin fußt unsere Redaktionsarbeit auf dem ehrenamtlichen Engagement aller Mitglieder und ist auf finanzielle Unterstützung durch Spenden angewiesen. Uns ist es nicht zuletzt ein Anliegen, in einen offenen und kooperativen Austausch zu treten, in welchem jede Stimme zählt. Dabei sind wir darum bemüht, die Arbeitsteilung nach den Interessen aller Mitglieder und unter Berücksichtigung individueller Kapazitäten zu gestalten.
Warum sind Sie Teil der Redaktion geworden?
Redaktionskollektiv Debatte: In unserem Redaktionskollektiv gibt es unterschiedliche Beweggründe oder Hintergründe, warum wir je Teil der Redaktion geworden sind. Was wir teilen, ist unser Bezug zur Erwachsenenbildungswissenschaft, verbunden mit dem Wunsch, etwas zur disziplinären Entwicklung beizutragen. Indem wir anstreben, Diskurse aus dem Feld zu versammeln, auch Randthemen aufzugreifen und sie in einen Widerstreit differenter Perspektiven einmünden zu lassen. Wir haben diese Frage auf unser Kollektiv ausgeweitet und uns ihr assoziativ angenähert, indem wir Begriffe in einer Wortwolke festgehalten haben. Deutlich wird, dass für uns sowohl die die inhaltliche Seite, die Diskursgestaltung, aber auch das Gemeinschaftliche, Kollegialität und die Zusammenarbeit bedeutsam für die Mitwirkung an der Redaktion sind.
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Cathrin Mund (SozMag): Auf die Aktivitäten aufmerksam geworden bin ich, als die Redaktion 2019 auf (noch) Twitter nach Rezensent*innen für ihren Blog gesucht haben. Begeistert hat mich dann die Möglichkeit, mich mit meiner redaktionellen Erfahrung in die Herausgabe einer sozialwissenschaftlichen Zeitschrift einzubringen – und überzeugt hat mich schließlich der Peer-Ansatz der Zeitschrift. Die Vereinsidee antizipiert, dass Forschende gerade zu Beginn ihrer Karriere noch viele praktische und organisatorische Fähigkeiten einüben müssen. Und sie stellt sich gegen die Annahmen, wissenschaftliche Reputation basiere vor allem auf Fachwissen oder ein erfolgreich absolviertes Studium sei eine Garantie für eine wissenschaftliche Karriere. Wissenschaftler*innen müssen sich über vielfältige Aktivitäten herstellen. Das Wissen hierfür bleibt dennoch vielfach implizit. Der Ansatz ist es, Teile des Wissens explizit und anwendbar zu machen. Von Lernenden für Lernende.
Mit welchen Herausforderungen sieht sich Ihre Redaktion aktuell und vielleicht auch zukünftig konfrontiert?
Redaktionskollektiv Debatte: Wir würden das Problem „Zeit“ klar als den Endgegner einer Redaktionsarbeit begreifen. Wir bewegen uns alle an unterschiedlichen Punkten des Wissenschaftssystems, das nicht gerade einfache Ausgangsbedingungen bietet, um „on top“ und ehrenamtlich eine Redaktion zu organisieren. Aber damit sind wir nicht allein. Auch die Autor*innen, die wir bei ihrer Manuskripterstellung intensiv begleiten, sind mehrfach eingebunden. Deshalb versuchen wir ihnen soweit es unser Zeitrahmen ermöglicht entgegenzukommen, um eine Veröffentlichung auf den Weg zu bringen. Nicht weniger herausfordernd ist die Finanzierung der Zeitschrift, wie wir zuvor schon erwähnt haben. Da wir für jede Ausgabe Gelder für Satz und Korrektorat einwerben müssen und somit beständig nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen, ist die Idee entstanden, den Verein Debatten zur Erwachsenenbildung e.V. zu gründen, über den wir nun seit letztem Jahr Spenden annehmen können. Was uns auch in letzter Zeit beschäftigt, ist er Übergang in ein Open-Access-Modell, um die Zugänglichkeit der Zeitschrift zu erhöhen und ihre Sichtbarkeit in der Publikationslandschaft der Erwachsenenbildung und darüber hinaus zu fördern.
Cathrin Mund (SozMag): An das Thema Zeit können wir sehr gut anschließen. Mit unseren Aktivitäten begleiten wir ‚Phasen des Übergangs‘ vom Studium in die Wissenschaft – und in ebensolchen Phasen befinden sich auch die meisten unserer Redaktionsmitglieder, Studierende, Absolvent*innen und Promovierende. Wir alle hantieren mit wechselnden Zeitbudgets, manchmal ändern sich Verfügbarkeiten von einem Tag auf den anderen. Als Redaktion benötigen wir dennoch eine gewisse Planbarkeit; unsere regulären Ausgaben entstehen über den Verlauf eines halben Jahres. Die Herausforderung der ‚Fluidität‘ hat uns zwar immer begleitet, wir sehen aber, dass nach den „Covid-Jahren“ auch eine Ermüdung eingetreten ist, sich online zu organisieren. Auch nehmen immer weniger Studierende ein Soziologiestudium auf. Schade ist, dass wir dadurch neben den laufenden Prozessen andere Ziele nicht in dem Maße verfolgen können, wie wir es uns vornehmen. Wir möchten nicht nur Beiträge, die jenseits des soziologischen Fachjargons verständlich sind, veröffentlichen – sondern mit unseren Aktivitäten auch im Sinne einer Public Sociology bestehen können. Um die Fachdiskussionen zu öffnen, bedarf es diverse Formate, Kanäle, die Ansprache von diversen Communities. Hierfür fehlen uns allerdings oft Kapazitäten. Kurz gesagt: Wir freuen uns über Interessierte, die uns mit ihren Fähigkeiten im Review, Lektorat, im Satz oder auf Social Media auch längerfristig unterstützen möchten!
Wozu braucht es aber Zeitschriftenredaktionen?
Cathrin Mund (SozMag): Eine zentrale Aufgabe ist die Qualitätssicherung. Je nach Organisation reicht das von der Koordination des Reviews bis hin zu seiner Durchführung, von der Auswahl der Beiträge bis hin zum Lektorat. Gleichermaßen sind Zeitschriftenredaktionen damit selbst Akteur*innen des wissenschaftlichen Diskurses. Sie gestalten ihn unter anderem durch Themensetzungen mit, geben Fragestellungen Raum und verstärken sie. Unsere Redaktionsarbeit wird aber besonders in der Begleitung der Early Careers wichtig: Wir bieten ein Format, das Lernen erlaubt – durch enge Autor*innenbetreuung, Textfeedback auf Augenhöhe und friendly review. Das aber auch veritable Veröffentlichungen produziert. Denn wir lehnen uns an das Vorgehen etablierter Journals an – hierfür steht zum Beispiel auch die Entscheidung, einen Wissenschaftlichen Beirat aus erfahrenen Wissenschaftler*innen aufzubauen, der uns im Reviewprozess unterstützt. Mit unserer Arbeit besetzen wir eine Schnittstelle, in einem Feld, das weiterhin überwiegend hierarchisch organisiert ist.
Redaktionskollektiv Debatte: Wenn die Frage darauf abzielt, wozu es Redaktionen generell braucht, mögen Argumente der Qualitätssicherung und Wissenschaftskommunikation naheliegend sein. Wenn wir sie aber auf das konkrete Bestehen unserer Zeitschrift beziehen, dann können wir neben unserem inhaltlichen Anspruch, Debatten (wieder) sichtbar zu machen und produktiv zu führen, auch nur unser Anliegen betonen, einen Gegenpol zu den hierarchisch strukturierten Reviewverfahren zu setzen. Bekanntermaßen fungieren, wie gerade angedeutet, Redaktionen auch als Gatekeeper in einem umkämpften Wissenschaftsfeld. Indem wir diese Funktion so wahrnehmen und ausgestalten, dass wir einerseits hohen Wert auf die Qualität der Beiträge legen, den Reviewingprozess von Beiträgen bis zur Veröffentlichung jedoch andererseits als Praxis solidarischer Zusammenarbeit mit den Autor*innen gestalten, versuchen wir auch irrationalen, unmenschlichen Konkurrenzprinzipien im wissenschaftlichen Publikationsbetrieb entgegenzutreten.
Was würden Sie Early Career Researchers oder generell Personen raten, die Interesse an der Mitarbeit in der Redaktion einer wissenschaftlichen Zeitschrift haben?
Cathrin Mund (SozMag): Zunächst würde ich mich fragen, in welchem meiner Fachbereiche ich mich „zu Hause“ fühle und dort nach Publikationen sowie Möglichkeiten der Mitarbeit schauen. Wo habe ich selbst vielleicht schon einmal veröffentlicht oder welche Zeitschriften zitiere ich? Wie arbeiten die Redaktionen dort? Wenn ich davon ein Bild habe, kann es helfen sich zu fragen: Möchte ich etwas Bestimmtes lernen? Welche zeitlichen Ressourcen habe ich? Welche Erwartungen hat die Redaktion? Passt das zusammen, ermöglicht die Redaktionsarbeit einen großartigen Einblick in diverse Bereiche des wissenschaftlichen Publizierens. In unserem Fall beginnt die Mitarbeit mit einem Kennlerngespräch, bei dem Interessent*innen einen Überblick über die verschiedenen Aufgaben erhalten. Wenn danach weiterhin Interesse besteht, schauen wir, dass wir der Person gleich eine kleine Aufgabe anvertrauen – um direkt ins Probieren zu kommen.
Redaktionskollektiv Debatte: Wir würden raten: Bildet Banden! Mit einer Gruppe, die euer Anliegen oder euer Interesse teilt, und gründet eine Zeitschrift! Das ist natürlich etwas überspitzt, aber wir möchten damit auf die Frage des Zugangs hinweisen und die von Cathrin Mund aufgeworfenen Fragen um diese Perspektive des Gemeinschaftlichen erweitern. Wer wird von wem angefragt, welche Rolle spielen hier Titel, Position, symbolisches Kapital und gibt es überhaupt Möglichkeiten, sich ohne Anfrage selbst ins Spiel zu bringen? Auch für uns haben diese Fragen sicher eine Rolle gespielt und wir haben die eigene Zeitschrift und unser selbstgewähltes Redaktionskollektiv als Ort der Mitgestaltung gewählt, welcher sich durch wechselnde Mitglieder auch immer wieder aufs Neue gestaltet. Aus den zuvor angesprochenen Spielregeln und damit einhergehenden Inklusions- und Exklusionsmechanismen ergibt sich an Redaktionen die Forderung: Mehr Transparenz! In Bezug auf die Sichtbarkeit von Redaktionsarbeit samt ihrer Abläufe, aber eben auch hinsichtlich von Zugangsmöglichkeiten.
Das Interview wurde von Michelle Giez vom Soziologiemagazin lektoriert.
Die Interviewten
Cathrin Mund hat Linguistik und Soziologie studiert und war neben ihrer Tätigkeit für den Verlag Barbara Budrich unter anderem als Lehrbeauftragte an der Universität Bayreuth tätig. Seit 2019 ist sie Mitglied des soziologiemagazin e.V., ab 2019 auch im Beirat des Vereins aktiv. Von 2021 bis 2023 war sie stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Sie begeistert andere gerne für linguistische und soziologische Fragestellungen und hält es dabei bevorzugt mit Hannah Arendts „Denken ohne Geländer“.
Informationen zu den weiteren Redaktionsmitgliedern des Soziologiemagazins:
www.soziologieblog.hypotheses.org/die-redaktion
Das Redaktionskollektiv der Debatte besteht aus: Songül Cora (Universität Duisburg-Essen), Lukas Eble (Universität Duisburg-Essen), Malte Ebner von Eschenbach (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Stephanie Freide (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Simone Müller (Karl-Franzens-Universität Graz), Stefan Rundel (Universität der Bundeswehr München), Jörg Schwarz (Philipps-Universität Marburg), Maria Stimm (Universität Koblenz) und Farina Wagner (Universität Duisburg-Essen)
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Soziologiemagazin
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