Wie kann ich als Promotionsbetreuer*in meine Promovend*innen optimal begleiten und unterstützen? Eine Leseprobe aus „Promovierende betreuen. Ein Leitfaden für gute Beratung“ von Jutta Wergen.
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Promovierende betreuen: Einleitung
Es gibt mittlerweile viele Ratgeber, die sich mit der Professionalisierung der Hochschullehre beschäftigen, aber nur wenige, die das Thema Promotionsbetreuung als Begleit- und Beratungsformat berücksichtigen. Dies soll sich mit diesem Buch ändern. Es liefert Anregungen zur Reflexion der eigenen Promotionsberatung und Impulse zur Gestaltung einer kompetenzorientierten Promotionsbetreuung. Auch wenn die Promotionsbetreuung eine Aufgabe sowohl der Promovierenden als auch der Betreuenden ist, richtet sich dieses Buch an die Betreuungspersonen.
Die Promotionsbetreuung ist ein wichtiger Hebel in der Promotion, da sie sich sowohl auf die Dauer als auch auf die Qualität von Promotionen auswirkt. Sie beeinflusst den weiteren Weg der Forschenden, sie beeinflusst beispielsweise, wie und ob sie eine wissenschaftliche Karriere realisieren können oder wollen. Die Promotionsbetreuung beeinflusst auch die Entwicklung der Promovierenden, z. B. die Aus- und Weiterbildung sowie ihre Vernetzungsmöglichkeiten. Die Promotionsbetreuung ist eine Form der akademischen Sozialisation, die Promovierende zu erfolgreichen Wissenschaftler*innen machen kann.
Ein Promotionsvorhaben kann nicht losgelöst von den Personen betrachtet werden, die es durchführen. Da die Identifikation der Promovierenden mit ihrem Promotionsvorhaben sehr hoch ist, werden Fortschritte und Erfolge von den Promovierenden oft persönlich genommen.
Eine gute Promotionsbetreuung kann durch eine gewinnbringende Beziehungsgestaltung und hilfreiche Strukturen Promovierende zum Abschluss der Promotion beflügeln oder im schlimmsten Fall so sehr in Selbstzweifel stürzen, dass sie ihr Promotionsvorhaben unverrichteter Dinge abbrechen.
Deshalb ist es wichtig, dass sich Promovierende und Promotionsbetreuende mit dem Thema Promotionsbetreuung beschäftigen. Dieser Leitfaden soll Promotionsbetreuende dabei unterstützen, ihre Erwartungen zu klären und diese transparent an die Promovierenden zu kommunizieren.
Die Gruppe der Promovierenden wird heterogener. Längst haben Akteur*innen in Hochschulen erkannt, dass sie auf die Erfahrungen, Kompetenzen und Perspektiven, die etwa ältere und nicht-traditionelle Promovierende aus der Praxis mitbringen, in der Forschung nicht verzichten können. Auch der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse gelingt nur durch die Verbindung von Wissenschaft und Praxis. Die Betreuer*innen von Promotionsvorhaben müssen deshalb mehr und mehr auch die Bedürfnisse der Gruppe nicht-traditioneller Promovierender und die der Praxis berücksichtigen.
Eine Promotion bringt für Promovierende viele Herausforderungen mit sich. Bei Promovierenden sind es neben zeitlichen Herausforderungen und Anforderungen, der schwierigen Vereinbarkeit von Promotion, Erwerbsarbeit und Care-Arbeit, der prekären Beschäftigungssituation auch immer wieder die Promotionsbetreuung, die das Promovieren schwierig macht. Da sind beispielsweise Promotionsbetreuende, die keine Rückmeldung geben, Promovierende, die nach dem Promotionskolloquium verunsichert sind oder jene, die kein Promotionskolloquium besuchen können, weil es zeitlich nicht vereinbar ist oder durch Betreuende nicht angeboten wird.
Auch Promotionsbetreuende stehen in der Betreuung von Promovierenden vor Herausforderungen. Da sind Promovierende, die Fristen oder Absprachen nicht einhalten, keine Betreuung nachfragen, Empfehlungen nicht umsetzen, das Kolloquium nicht besuchen oder sich nicht an den Diskussionen im Promotionskolloquium beteiligen.
Eine gute Promotionsbetreuung setzt voraus, dass Betreuungspersonen die Perspektive wechseln können und den Blick auch auf die Beziehungsgestaltung mit Promovierenden legen. Darum geht es in diesem Ratgeber. Er soll ebenso ein Impuls sein, sich Aspekte in Erinnerung zu rufen, die im Arbeits- und Betreuungsalltag untergehen – weil jede Promotion besonders ist und jede und jeder Promovierende das beste gibt und dafür eine gute Promotionsbetreuung verdient.
1.1 Warum ich dieses Buch geschrieben habe
Dieses Buch ist aus meiner Tätigkeit als Coachin1, Workshopleiterin und Schreibtrainerin für Promovierende entstanden. Als ich 2006 Trainerin für Schlüsselkompetenzen des Promovierens, Schreibtrainerin und Coachin für Promovierende wurde, geriet das Thema Promotionsbetreuung bald als Säule einer guten Promotionsberatung in meinen Blick. Und so begann ich, Doktorand*innen dabei zu unterstützen, Verantwortung für ihre Promotionsbetreuung zu übernehmen und ihre Promotionsbetreuung gewinnbringend zu gestalten. In vielen Coachings und Workshops gab ich zunächst Promovierenden und später dann Promotionsbetreuenden Impulse dafür, die eigene Promotionsbetreuung nicht als Einbahnstraße zu sehen und sie stattdessen kooperativ zu gestalten. Dabei hörte ich viele Geschichten darüber, wie Promotionsbetreuung nicht funktioniert:
- Promotionsbetreuende, die nicht auf Mails antworten
- Promotionsbetreuende, die ihre Erwartungen nicht kommunizieren oder bei jedem Gespräch andere Erwartungen und Anforderungen stellen
- Promotionsbetreuende, deren Feedback wenig hilfreich und nicht konstruktiv für die Promovierenden ist
- Promotionsbetreuende, die kein Kolloquium und keinen Raum des Austauschs und der Entwicklung bieten
Mir wurde durch die Gespräche aber sehr schnell klar, dass auch die Betreuerinnen und Betreuer bei der Promotionsbetreuung unterstützt werden müssen, denn auch sie brachten verschiedene Anliegen mit in die Beratung. Sie berichteten, was die Betreuung von Promovierenden aus ihrer Sicht schwierig macht:
- Promovierende, die sich einfach nicht mehr melden
- Promovierende, die von sich aus keine Beratung nachfragen oder Ratschläge nicht umsetzen
- Promovierende, die sich im Kolloquium nicht beteiligen
- Promovierende, die ihre Promotion abbrechen
- Promovierende, die den Aufwand einer Promotion falsch einschätzen
Schließlich kommt hinzu, dass in manchen Bereichen im Laufe der Promotionszeit das Interesse an einer Promotion nachlässt und viele Absolvent*innen lieber alternativ einen Berufseinstieg in weniger prekäre Bereiche des Arbeitsmarktes wählen. Nicht nur bei den Promovierenden, auch bei den Betreuenden sind die Unsicherheiten groß.
Für wen das Buch ist
Dieses Buch ist ein Leitfaden für Promotionsbetreuer*innen, die am Anfang ihrer Promotionsbetreuung stehen. Es richtet sich aber auch an fortgeschrittene Betreuende, die sich Impulse für die Veränderung und Verbesserung ihrer Betreuungsarbeit wünschen. Der Leitfaden kann auch von Promotionsbetreuenden genutzt werden, die mit konkreten oder neuen Herausforderungen in der Betreuung ihrer Doktorand*innen konfrontiert sind und sich Hilfe erhoffen.
Schließlich profitieren auch diejenigen, die in der Graduiertenförderung mit Promotionsbetreuenden arbeiten, und auch Promovierende können mithilfe dieses Ratgebers die Perspektive wechseln und für sich erarbeiten und entscheiden, wie sie ihre Promotionsbetreuung gestalten wollen. Dieser Ratgeber gibt hier praktische Hilfestellungen, Ideen und Impulse für die Gestaltung der Promotionsbetreuung.
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1 Der Duden kennt mittlerweile auch das Femininum „Coachin“, deswegen benutze ich es hier.
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