Medien-Statements zum deutschen Föderalismus

dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management 2-2021: Die mediale Darstellung des Föderalismus während der Corona-Pandemie – Eine Auswertung von Positionen, Konnotationen und Bewertungen in deutschen Tageszeitungen

Die mediale Darstellung des Föderalismus während der Corona-Pandemie – Eine Auswertung von Positionen, Konnotationen und Bewertungen in deutschen Tageszeitungen

Iris Reus

dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, Heft 2-2021, S. 373-391

 

Zusammenfassung

Die vorliegende Studie stellt die erste umfassende und systematische Analyse der Medienberichterstattung zum deutschen Föderalismus dar. Ausgewertet wurden Positionen, Konnotationen und Bewertungen in 449 Statements aus 14 Tageszeitungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie für den Zeitraum März bis September 2020. Methodisch werden quantitative und qualitative Ansätze kombiniert, um sowohl Verteilungsmuster als auch Themen und Motive zu erfassen. Die Ergebnisse bestätigen für die Krise, was die Literatur für ‚normale Zeiten‘ annimmt: Eine deutliche Mehrheit aller veröffentlichten Statements zum Föderalismus fällt negativ aus. Dies änderte auch die Phase der Einheitlichkeit der Landesregelungen infolge der Einigung auf einen umfassenden bundesweiten Lockdown nicht. Die erfolgreiche Stabilisierung des Infektionsgeschehens ‚trotz‘ unterschiedlicher Lockerungen in den Ländern führte (absolut) zu weniger negativen Statements, aber nicht zu substantiell positiven. Mehrheitlich negative Statements finden sich in der Gruppe der Bevölkerung, der JournalistInnen und auch der PolitikerInnen insgesamt; mehrheitlich positive Statements finden sich lediglich bei LandespolitikerInnen der CDU/CSU.

Schlagworte: Föderalismus, Medienberichterstattung, Covid-19, Corona, Pandemie

 

Abstract

Media reporting on federalism during the Covid-19 pandemic – Examination of positions, connotations and evaluations in German newspapers

This contribution represents the first comprehensive and systematic analysis of media reporting on German federalism. The study examines 449 statements related to the Covid-19 pandemic published by 14 newspapers between March and September 2020. It combines quantitative and qualitative methods to capture distribution patterns as well as themes and motives. The results confirm for the crisis situation what is generally expected in the literature: A clear majority of all statements published by the newspapers turns out to be negative. This finding was not changed for the period of uniformity of regulations following the Länder’s (German federal states) decision for a nationwide lockdown. The successful stabilization of the occurrence of infection ‘despite’ different relaxations in the Länder led to less negative reporting in absolute terms but not to substantially positive statements. A majority of negative statements can be found for the groups ‘population’, ‘journalists’ and also ‘politicians’; only Land politicians with a partisan affiliation to CDU/CSU by majority express positive views on federalism.

Keywords: federalism, media reporting, Covid-19, pandemic

 

1 Einleitung

Die Bewältigung der durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Krise stellt eine immense Herausforderung für alle Staaten dar. In der Bundesrepublik Deutschland gerät dies auch zur „Bewährungsprobe für den Föderalismus“ (Ensminger, 2020), da die Zuständigkeitsverteilung beim Katastrophenschutz den Ländern und nicht der Bundesregierung die Primärkompetenz zuschreibt (Lemke, 2020, S. 3). Somit sind, anders als in ‚normalen Zeiten‘, in der Krise nun die Länder – bzw. die Landesexekutiven – und nicht der Bund dominierend in der Rechtsetzung (Thiele, 2012, S. 78 f.). Zwar regelt der Bund Grundsätzliches zu möglichen Schutzmaßnahmen, die Landesregierungen bestimmen aber selbst, ob, wann und zu welchem Grad diese eingeführt werden1.

Obwohl das Bundesstaatsgebot zum unabänderlichen Kern der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 GG, Art. 79 Abs. 3 GG) gehört, wurde die damit einhergehende Vorstellung von föderaler Vielfalt in Deutschland über Jahrzehnte durch die Leitidee der ‚Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse‘ überlagert (Hesse, 1962, S. 12, 20; Mehde, 2012, S. 444-446; Scharpf, 2008, p. 510; Sturm, 2008, S. 31). Wie Umfragen vielfach erbracht haben, ist die unitarische Orientierung der Bevölkerung stark ausgeprägt, die große Mehrheit befürwortet bundesweit einheitliche Policies (u. a. Grube, 2001, S. 109 f.; Oberhofer, Stehlin & Sturm, 2011, S. 183; Petersen, 2019, S. 122 f.). Davon ausgehend bezweifelt Roland Sturm (Sturm, 2007, S. 42), ob hierzulande „der Grundgedanke jeder Föderalismuskultur, dass nämlich Subsidiarität und Vielfalt keine Gefahr bedeuten, sondern das Wesen des Föderalismus ausmachen, ausreichend verankert“ sei. Im Rahmen der Pandemiepolitik ist die Zuständigkeit der Länder sehr weitreichend und umfasst zahlreiche Aspekte von Wirtschaft und Gesellschaft, von öffentlichen Veranstaltungen bis hin zu privaten Treffen. In der Folge unterschieden sich die Regelungen in den Ländern – trotz regelmäßiger Koordinierungsrunden von Bund und Ländern – teilweise erheblich. Der Konflikt mit der unitarischen Orientierung kommt also noch einmal mehr zum Tragen als sonst. Gleichzeitig könnte jedoch das regional unterschiedliche und potentiell sehr dynamische Infektionsgeschehen den Blick auf mögliche Vorteile des Föderalismus wie schnelleres Handeln oder passgenauere Maßnahmen lenken. Der Föderalismus kann zudem im Angesicht der tiefen Grundrechtseingriffe auf dem Wege der Exekutivpolitik, bei der sich Entscheidungen von Parlamenten weg verlagern und dadurch weniger transparent werden, als Korrektiv wirken – allein schon durch die breitere öffentliche Diskussion mit unterschiedlichen Standpunkten, die durch die größere Zahl der Entscheidenden entsteht.

Ersten Kommentaren nach fällt das von den Medien vermittelte Bild des Föderalismus in der ‚Bewährungsprobe‘ negativ aus. Sabine Kropp führt aus, der Föderalismus geriete „wieder einmal ins Fadenkreuz der ohnedies kritischen Berichterstattung“ (Kropp, 2020, S. 1) und Ursula Münch merkt an, „ohne die Worte ‚Flickenteppich‘ und ‚vorgeprescht‘ kam kaum ein Journalist oder eine Moderatorin bei der Beschreibung der Entscheidungsabläufe in Bund und Ländern aus“ (Münch, 2020, S. 209). Eine systematische und umfassende Auswertung der Medienberichterstattung zum Föderalismus wurde allerdings bislang – für die Zeit der Pandemie wie auch generell – noch nicht vorgenommen.

Der vorliegende Beitrag stellt daher den ersten Schritt dar, um diese Lücke zu füllen. Das untersuchte Sample schließt 449 Statements aus 14 Tageszeitungen während der ersten sieben Monate der Corona-Pandemie (konkret: von März bis September 2020) ein. Das Vorgehen kombiniert quantitative und qualitative Herangehensweisen. Nach der Beschreibung der Forschungslücke werden im zweiten Kapitel die Auswahl des Samples sowie die Codierung der Statements erläutert. Das dritte Kapitel umfasst die empirische Auswertung, wobei im ersten Teil quantitative Verteilungsmuster und im zweiten Teil mittels qualitativer Analyse der Inhalte explorativ Themen und Motive untersucht werden. Der Beitrag schließt im vierten Kapitel mit einer Zusammenfassung und einem kurzen Ausblick.

2 Forschungslücke und methodisches Vorgehen

Wie bereits erläutert, nimmt die bisherige Forschung vor allem die Einstellungen der Bevölkerung in den Blick. Hinsichtlich der Medien finden sich zwar Verweise in der Literatur, dass die unitarische Kultur in Deutschland insbesondere auch von den Medien getragen wird (Kropp, 2010, S. 226), doch ist der „Unitarismus der Medien“ (Scharpf, 2009, S. 109) von der Forschung bislang nicht näher untersucht worden. Die einzige Aussage mit gewisser empirischer Grundlage findet sich bei Albert Funk (2013), welcher auf Basis der Lektüre der größeren überregionalen Zeitungen eine unitarische Tendenz konstatiert. Zwar pflegten manche einen stärker föderalistischen Ansatz, doch gebe es allenfalls „ein Mehr oder Weniger an Unitarismus“ (Funk, 2013, S. 221). Bereits nachgewiesen wurde der unitarisierende Einfluss der Medien in einer vergleichenden Analyse der Nichtraucherschutzgesetzgebung der 16 Länder (Reus, 2016, p. 14), wobei hier die Berichterstattung nicht selbst Untersuchungsgegenstand, sondern ein Erklärungsfaktor mit Blick auf die Policies der Länder war. Die folgende Analyse stellt somit die erste umfassende und systematische Auswertung von Statements zum Föderalismus in deutschen Tageszeitungen dar.

Untersuchungsgegenstand dieser Studie sind dabei Aussagen zum deutschen Föderalismus im Zusammenhang mit Covid-19, die während der ersten Phase der Pandemie in deutschen Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 1. März bis zum 30. September 2020. Ein detaillierter Überblick über die Datenbasis findet sich im Anhang. Ausgewählt wurden zunächst 14 Tageszeitungen, die bei möglichst hoher Auflagenstärke die Bundesrepublik Deutschland geographisch möglichst breit abdecken. In deren Archiven wurde nach Artikeln gefiltert, die den Suchterm „[F]föderal* UND (Corona* ODER Covid*)“ enthalten. Die Überlegung, weitere in Deutschland häufig verwendete Begriffe wie „Flickenteppich“ oder „einheitlich*“ aufzunehmen, musste verworfen werden, da dies zu selection bias geführt hätte. Die probeweise Auswertung mehrerer Zufallsstichproben mit dem breiteren Suchterm „Länder* UND (Regierung* ODER Kabinett* ODER Minister*) UND (Corona* ODER Covid*)“ ergab, dass solche gemeinsamen Signalwörter vor allem bei negativer Berichterstattung zu finden sind, während positive Berichterstattung kontext-abhängig unterschiedliche Formulierungen verwendet.

Eine Codiereinheit entspricht einem Statement und ist definiert als die Aussage einer Person. Dieses kann mehrere Sätze sowie mehrere inhaltliche Aspekte umfassen. Die Abgrenzung anhand der die Aussage machenden Person ist der typischen Gestaltung von Zeitungsartikeln geschuldet, in denen neben Aussagen der JournalistInnen selbst auch Aussagen dritter Personen direkt oder indirekt wiedergegeben werden. Würde man den Artikel als Ganzes codieren, müsste man aus den verschiedenen Statements eine Gesamtbewertung erstellen, wodurch eine differenzierte Betrachtung (insbesondere nach Personengruppen) nicht mehr möglich wäre. Um eine solche zu erreichen, wurden bei allen Statements die Sprechenden nach den Gruppen ‚JournalistInnen‘, ‚PolitikerInnen‘ und ‚Bevölkerung‘ codiert. Die Residualkategorie ‚Sonstige‘ umfasst u. a. Wirtschaft, Sport, Verbände, Verwaltung und WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, welche aufgrund der geringeren Anzahl der Statements nicht als separate Gruppen codiert werden konnten. Des Weiteren wurde in der Gruppe der PolitikerInnen die Parteizugehörigkeit und die bundesstaatliche Ebene (Bund / Land) codiert.

Insgesamt wurden 449 Statements codiert. Da noch keine Vorarbeiten in der Literatur in Form ähnlicher Analysen existieren, auf denen diese Studie aufbauen könnte, wird im Vorfeld keine Vorstrukturierung nach Unterthemen vorgenommen. Durch den nicht weiter eingegrenzten Suchbegriff „[F]föderal*“ beziehen sich die Statements daher inhaltlich auf eine große Bandbreite verschiedener Aspekte von Föderalismus, von Zuständigkeiten beider Ebenen über das Verhalten der politischen Akteure im Bundesstaat bis hin zur Ausgestaltung politischer Maßnahmen. Gemäß den darin enthaltenen Positionen, Konnotationen und Bewertungen werden die Statements – unabhängig von deren konkretem Thema – nach den folgenden drei Kategorien codiert:

‒ -1 = negativ bzw. ablehnend (ggü. Föderalismus)
‒ 0 = neutral bzw. ambivalent (ggü. Föderalismus)
‒ 1 = positiv bzw. befürwortend (ggü. Föderalismus)

Der Code 0 bedeutet entweder, dass keine Position, Konnotation oder Bewertung im Statement enthalten ist (neutral) oder positive und negative Aspekte einander gegenübergestellt werden, ohne ein Resümee in der einen oder anderen Richtung zu ziehen (ambivalent). Eine positive Position zum Föderalismus wäre bspw. eine befürwortende Aussage zu landesspezifischen Reaktionen auf die Pandemie. Ein Plädoyer für einheitliche Regelungen auf Bundesebene wird analog als negative Haltung gegenüber föderal unterschiedlichen Regelungen eingestuft. Eine positive Bewertung wäre bspw. ein Lob für den Erfolg dieser unterschiedlichen Maßnahmen in den Ländern. Eine negative Bewertung würde umgekehrt das Funktionieren des föderalen Systems im Angesicht der Corona-Pandemie als nicht erfolgreich einschätzen.

1 Der Untersuchungszeitraum endet vor der sogenannten ‚Bundes-Notbremse‘ (Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 22. April 2021).

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