„Geil dabei zu sein“ – Livestreams als Kommunikationsmittel rechtsextremer Proteste
Linus Pook, Rocío Rocha Dietz, Grischa Stanjek
ZRex – Zeitschrift für Rechtsextremismusforschung, Heft 1-2022, S. 72-90.
Zusammenfassung: Livestreams von politischen Ereignissen, wie die Proteste gegen die Covid-19-Schutzverordnungen, etablierten sich als fester Bestandteil der rechtsextremen Protest- und Kommunikationskultur. Sie haben einen wesentlichen Anteil an der Normalisierung extrem rechter Akteure und Positionen. Ziel ist es, durch erste theoretische Überlegungen und darauf aufbauende interdisziplinäre Analysen die Funktion des Livestreams zu untersuchen. Dieser Untersuchungsgegenstand stellt bisher eine Leerstelle in der Rechtsextremismusforschung dar. Es werden folgend Schnittstellen zur Medienwissenschaft aufgezeigt und der Livestream dort eingeordnet. Methodisch erfolgt zunächst eine theaterwissenschaftliche Beschreibung als theatrales Ereignis, gefolgt von einer korpuslinguistischen Analyse zur Funktion des dazugehörigen Chats. Diese ersten Analysen belegen, dass der Livestream eine eigenständige Protestform darstellt, die auf die Beziehungsebene abzielt. Der Artikel umreißt diese neuartige Protestform und bietet Anstöße zur weiteren interdisziplinären Diskussion.
Schlüsselbegriffe: Livestream, YouTube, Rechtsextremismus, Corona Demonstrationen, Videoaktivismus, soziale Medien
Title: „Awesome to be part of this“ – Livestreams as a new means of communication for rightwing extremist protests
Summary: Livestreams of political events such as the protests against the Covid-19 protection regulations, established themselves as an integral part of the far-right protest and communication culture. They play a significant role in the normalization of extreme rightwing actors and positions. The aim of this study was to investigate the function of livestreams through initial theoretical considerations and interdisciplinary analyses based on these. So far, there has been no research on this topic in the field of right-wing extremism. In the following, intersections to media studies will be indicated and the livestream will be integrated there. Methodologically, a theatrical description as a theatrical event was conducted first, followed by a corpus linguistic analysis of the function of the accompanying chat. These initial analyses reveal that the livestream is a form of protest in its own right, aiming at the relational level. The article outlines this novel form of protest and provides an opening for further interdisciplinary discussion.
Keywords: Livestream, YouTube, Right-Wing Extremism, anti-lockdown protests, Videoactivism, Social Media
1 Einleitung
Livestreams von Demonstrationen und Kundgebungen etablierten sich in den zurückliegenden Jahren als fester Bestandteil der rechtsextremen Protest- und Kommunikationskultur, wie zuletzt die Proteste gegen die Covid-19-Schutzverordnungen in Deutschland 2020 und 2021 zeigten. Bereits seit Herbst 2014 wurden PEGIDA-Veranstaltungen von rechtsextremen Aktivist:innen live übertragen und so die dort vorgetragenen Inhalte einem größeren Publikum zugänglich gemacht. Streamende profitieren aktuell von dem zunehmenden Selbstbewusstsein der Teilnehmenden an rechtsextremen Versammlungen, die sich gern einem erweiterten Publikum zeigen, sowie von der zunehmenden Radikalisierung der Zuschauenden, die ihnen hohe Klickzahlen bescheren.
Obwohl sich das Medium des Livestreams von Demonstrationen grundlegend von anderen Kommunikationsmitteln unterscheidet, indem es eine durch den Stream vermittelte trilaterale Interaktion von Protestierenden, Streamenden und Zuschauenden aufmacht und so eine neuartige Aufhebung der Grenzen analoger und digitaler Räume darstellt, wird ihm in der Antisemitismus-, Rechtsextremismus- und Protestforschung bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Bedeutung der digitalen Bildzeugenschaft für soziale und politische Bewegungen des 21. Jahrhunderts ist seit dem „Arabischen Frühling“ unbestritten und in Bezug auf die Propaganda des Islamischen Staats Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (vgl. Schankweiler 2016; Christoph 2015). Die Analyse des Mediums des Livestreams innerhalb rechtsextremer Protestbewegungen stellt indes, mit Ausnahme der Untersuchung von Streams rechtsterroristischer Attentäter, eine Leerstelle der Forschung dar (vgl. zum Verhältnis von Livestreaming und Rechtsterrorismus Baeck/Speit 2020; Miller-Idriss 2020). Livestreams müssen heute als eine neue Form des politischen Kommunikationsmittels betrachtet werden, die insbesondere von Protestformen wie Demonstrationen, Kundgebungen, Flashmobs oder politischen Vlogs abzugrenzen sind und die eine vertiefte wissenschaftliche Beschäftigung verdienen.
Livestreams, so die These, stellen ein eigenständiges Kommunikationsmittel und eine neuartige Protestform innerhalb rechtsextremer Protestbewegungen dar. Im Folgenden werden exemplarisch anhand eines Livestreams Grundzüge der verschiedenen Interaktionsebenen und deren Funktionsweisen dargestellt. Dabei wird das Verhältnis der unterschiedlichen Akteur:innen zueinander und das Entstehen einer Affektgemeinschaft im Sinne von Schwankweiler (2019) untersucht. Zunächst wird dazu die Entwicklung der Bedeutung des Livestreams in der deutschen extremen Rechten dargestellt, ehe anhand einer knappen Beschreibung eines exemplarischen Livestreams als theatrales Ereignis zentrale Merkmale dieser Protestform herausgearbeitet werden. Eine korpuslinguistische explorative Untersuchung fokussiert im Anschluss die Interaktion im zum Livestream gehörigen Chat.
2 Livestreams im Kontext von Rechtsextremismus in Deutschland
Nachdem YouTube Ende 2013 das Livestreaming für alle Nutzer:innen der Plattform freischaltete (vgl. Stückler 2013), dauerte es rund ein Jahr, bis eine politische Bewegung in Deutschland von diesen neuen technischen Möglichkeiten Gebrauch machte: Während die „Mahnwachen für den Frieden“ ab März 2014 noch primär auf Zusammenschnitte von Kundgebungen und Redebeiträgen setzten (vgl. etwa die teils rund zweistündigen Zusammenschnitte des YouTube-Kanals Filmproduktion, Filmproduktion 2014), ging der Bedeutungsgewinn der rechtsextremen PEGIDA-Bewegung eng mit der Popularisierung des Demonstrations-Livestreams einher. Die Nachrichtenagentur Ruptly, ein Tochterunternehmen des russischen Staatssenders RT, übertrug die Kundgebungen teils mit mehreren Kameras live (Ruptly 2014), auch weitere bewegungsnahe YouTube-Kanäle begannen mit dem Streaming (vgl. Freie Presse 2014). In den letzten Jahren haben sich sogenannte Alternativmedien sowie einzelne Streamende aus verschwörungsideologischen und extrem rechten Milieus zunehmend professionalisiert. In Abgrenzung zu Alternativmedien soll im Folgenden der Fokus auf Livestreams von Aktivist:innen gerichtet werden, die in der Regel ihre Inhalte als Einzelpersonen selbst produzieren und veröffentlichen.
Mit dem Begriff „Empörten-Bewegungen“ bezeichnete Peter Ullrich (2015) die „Mahnwachen für den Frieden“ und die PEGIDA-Bewegung; heute lassen sich diesem Ausdruck auch die seit 2017 in Kandel, Cottbus und Chemnitz aufgekommenen rechtsextremen Bürgerbewegungen, aus denen sich mehrfach Terrorzellen entwickelten (vgl. Leonow 2015), und die 2020 entstandene Querdenken-Bewegung zuzählen. Diese Bewegung zeichnet sich durch ihre starke Heterogenität hinsichtlich der sozialen und politischen Milieus und Subkulturen, aus denen ihre Träger:innen stammen, aus. So können einschlägige Codes und politische Bekenntnisse, die sich in anderen Kontexten widersprechen oder feindlich gegenüberstehen würden, nebeneinander existieren. Meinungsverschiedenheiten werden jedenfalls während Protesten auf der Straße kaum ausgetragen und eine Abgrenzung gegen „Reichsbürger“, Souveränist:innen und Rechtsextreme blieb aus. Vielmehr bilden Querdenken und seine verbundenen Organisationen „einen zentralen Bezugspunkt für neue und alte Verschwörungsideolog:innen“ (Rathje 2021), bei dem der Verschwörungsglaube mit zugrundliegendem antisemitischen Weltbild kontinuierlich ein integrierendes Element bietet (vgl. Salzborn 2021). Als vereinendes Element lässt sich ein starkes Misstrauen gegen politische Institutionen nachweisen (Nachtwey 2020). Die „Empörten-Bewegungen“ zeichnet sich nach Ullrich aus durch eine „radikale Ablehnung des politischen Systems […], das minimale Vertrauen in politische und sonstige Institutionen, geringe politische Erfahrung und organisatorische Einbindung […] vor allem spontaner Protest auf Basis schwacher Identitäten, die stark durch internetgeprägte Subjektivitäten gekennzeichnet sind“ (Ullrich 2015: 21).
Diesen Bewegungen entsprang ein Typus des Livestreams, der im Folgenden als eigenständiges Kommunikationsmittel untersucht werden soll. Dessen wesentliche Merkmale sind: eine dominante Figur des Streamers und dessen Authentizitätsanspruch, Demonstrationen so zu zeigen, wie sie seien; der vermeintliche rege Austausch aller Beteiligten und die enge politische Nähe zu den Veranstaltungen, von denen vorgeblich neutral berichtet wird. In der Szene populäre Beispiele für diese Figur des Streamers sind etwa Lutz Bachmann in der PEGIDA-Anfangszeit, Henryk Stöckl, Ignaz Bearth oder Lisa Licentia (vgl. Ayyadi 2020). Die Interaktion von online Zuschauenden, dem Streamenden und dem Geschehen, in dem sich Letzterer befindet, eröffnet einen neuartigen Raum der politischen Kommunikation. Der Streamende stellt dabei das Verbindungsglied des affektiven Protestes auf der Straße und der affirmierenden Masse im digitalen Raum dar. Die Ablehnung herkömmlicher Massenmedien, der Hang zum Verschwörungsglauben und die Inanspruchnahme des „gesunden Menschenverstands“ gegen „Corona-Wahnsinn“ und „Großen Austausch“, die die genannten Akteur:innen thematisch einen, sind eng verschränkt mit ihrer Vorliebe für das Medium des Livestreams.
Im Gegensatz zu Liveübertragungen von (rechts‐)terroristischen Anschlägen wurden Livestreams von rechtsextremen und verschwörungsideologischen Demonstrationen in der Forschung bisher kaum beachtet. Die Livestreams der Attentäter von Christchurch und Halle wurden, wie bereits Liveübertragungen von jihadistischen Anschlägen zuvor, in einzelnen Veröffentlichungen ausführlicher hinsichtlich ihrer Inhalte und Verbreitung untersucht und als Beleg für eine „Gamifizierung des Terrors“ eingebracht (siehe Baeck/Speit 2020; Miller-Idriss 2020; Macklin 2019 u. a.). Diese von den Tätern live übertragenen Videos wurden während der Anschläge durch vergleichsweise wenige Zuschauer:innen mitverfolgt1 und erst nach der Verbreitung der durch Dritte aufgezeichneten Videos rezipiert.
In Abgrenzung zu Livevideos von Terroristen soll es im Folgenden um Livestreams von politischen Veranstaltungen oder Ereignissen gehen, in denen die Interaktion zwischen Streamer:innen und Zuschauer:innen zentral ist und üblicherweise durch die filmende Person vermittelt wird.
1 Während der Tat wurde das Video des Attentäters in Christchurch laut Facebook von weniger als 200 Personen gesehen. Laut Microsoft wurde das Video des Täters in Halle (an der Saale) von fünf Personen live verfolgt.
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© Unsplash 2022, Foto: Christian Wiediger