Wie in der Schule über den Nahostkonflikt sprechen? Wie Schüler*innen für Antisemitismus sensibilisieren? Wir haben ein Interview mit Elizaveta Firsova-Eckert und Kai E. Schubert über ihr neues Buch Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung. Analysen und didaktische Impulse geführt.
Interview zum Buch „Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung“
Liebe Elizaveta Firsova-Eckert, lieber Kai E. Schubert, worum geht es in Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung?
Unser Buch beschäftigt sich mit der Frage, wie der pädagogische Umgang mit dem Nahostkonflikt sowohl in der Schule als auch im außerschulischen Bereich gestaltet werden kann. Dafür haben wir verschiedene Autor*innen aus Wissenschaft und Bildungspraxis eingeladen, ihre Forschungsergebnisse und praxisrelevanten Erfahrungen zu diesem Thema zu teilen. Dabei geht es weniger darum, eine perfekte Lösung oder ein „Rezept“ für den Umgang mit dem Nahostkonflikt zu liefern, sondern vielmehr darum, der oft unterkomplex geführten Debatte neue Impulse zu geben.
Im Fokus stehen der israelbezogene Antisemitismus und der Nahostkonflikt als Themen der pädagogischen Arbeit. Das Buch umreißt einerseits die weitgehende Forschungslücke zu diesem Thema und stellt innovative empirische Vorhaben vor. Der Band beleuchtet andererseits Best-Practice-Beispiele, stellt konkrete Praxisansätze vor, wie etwa die Arbeit mit Bildungsvideos zu Israel und Palästina oder den Einsatz des Films „Lemon Tree“ im (schulischen und universitären) Unterricht. Durch diese Perspektiven wird der Frage nachgegangen, welche Herausforderungen und Chancen sich beim pädagogischen Umgang mit diesen Themen ergeben. Unser Ziel ist es, einen weiteren Beitrag zur Debatte zu leisten, anstatt ein allgemeingültiges Konzept zu präsentieren.
Wie ist Ihr Buch entstanden?
Der Anstoß für das Buch war die (bereits vor langem eingesetzte) Erkenntnis, dass der Nahostkonflikt, trotz seiner zentralen Bedeutung für die pädagogische Praxis, nur selten explizit in Publikationen behandelt wird, die ihre Implikationen in den Bereich der Bildung fällen – wie auch umgekehrt pädagogische Aspekte kaum in Publikationen über den Nahostkonflikt oder israelbezogenen Antisemitismus enthalten sind. Es gibt zwar eine Vielzahl an theoretischen Auseinandersetzungen, aber die Frage, wie genau man mit diesem kontroversen, konfliktbeladenen und hoch emotionalisierten Thema im schulischen und außerschulischen Kontext pädagogisch arbeiten kann, bleibt oft unbeantwortet. Deshalb entstand der Wunsch, mit diesem Buch eine Leerstelle zu adressieren und konkrete Ansätze für den pädagogischen Umgang mit dem Nahostkonflikt zu bieten.
Die Idee zu diesem Buchprojekt entstand bereits vor dem 7. Oktober, da der Nahostkonflikt auch vor den jüngsten Gewaltausbrüchen eine zentrale Rolle in Bildungsprozessen spielte – sichtbar z.B. bereits nach den massiven Antisemitismuswellen 2014 und 2021, die auf Eskalationen des Nahostkonflikts folgten. Schon lange wird der Konflikt sowohl in Klassenzimmern als auch in außerschulischen Bildungskontexten thematisiert, oft verbunden mit Herausforderungen im Umgang mit kontroversen Positionen oder auch antisemitischen Tendenzen. Uns war es wichtig, vor diesem Hintergrund eine Plattform zu schaffen, die sowohl theoretische als auch praxisnahe Impulse für die Bildungsarbeit bietet.
Wie beurteilen Sie den aktuellen Stand der empirischen Bemühungen und pädagogischen Auseinandersetzungen zum Themenkomplex?
Die von uns berührten Themen sind gesellschaftlich und in pädagogischen Räumen sehr polarisiert. Aber auch in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen nehmen wir Diskursverengungen wahr.
Die empirische Forschung zu Bildung und Antisemitismus sollte u.E. unbedingt gestärkt werden, eine institutionelle Absicherung hat sie bislang nicht. Dies ist sicherlich auch eine Finanzierungsfrage. Einer Erhebung im Auftrag der Europäischen Union zufolge, die die Forschungslandschaft zu aktuellem jüdischen Leben und Antisemitismus in Europa 2023 kartographierte, ist dieses Problem aber sogar international gegeben.
Diverse Vorhaben in unserem thematischen Feld werden in Form von Qualifikationsarbeiten umgesetzt, daher würden wir uns eine verstärkte Förderung von Early Career Researchers wünschen.
Aus unserer Sicht sollte die Interdisziplinarität von fachwissenschaftlicher Antisemitismusforschung und pädagogischen Wissenschaften dringend gestärkt werden. Außerdem sollten verstärkt Kooperationen zwischen Hochschulen und den Praxisakteur*innen angestrebt werden, die sich z.T. ja bereits über viele Jahre hinweg professionalisiert haben.
In Bezug auf die Praxis ist zu sagen: Kürzungen in sämtlichen Bereichen der politischen Bildung erscheinen angesichts aktueller Herausforderungen fragwürdig. Die Erwartung, kompetent, wissenschaftsgestützt und innovativ Bildung zu Antisemitismus umzusetzen, setzt u.a. eine Entprekarisierung insbesondere der Arbeit in der außerschulischen Bildung voraus.
Ihr Buch beinhaltet konkrete innovative pädagogische Projekte und Konzepte, um Lernenden ein besseres Verständnis des Konflikts zu ermöglichen und sie zu kritischem Denken anzuleiten. Würden Sie uns ein Beispiel geben?
Ein Beispiel für ein innovatives pädagogisches Konzept, das im Buch vorgestellt wird, ist die Behandlung des israelisch-palästinensischen Konflikts anhand des Films Lemon Tree von Eran Riklis im Beitrag von Christina Brüning und Keren Cohen. Der Film konzentriert sich auf das private Leben in Israel und den palästinensischen Gebieten und zeigt, wie sich der Konflikt im Alltag von Palästinenser*innen und Israelis, insbesondere von Frauen, widerspiegelt. Er bietet eine vielschichtige, differenzierte Kritik und eignet sich hervorragend für eine tiefgehende Analyse im (schulischen, universitären oder auch außerschulischen) Unterricht.
Im Artikel werden Vorschläge gemacht, wie der Film im Unterricht an weiterführenden Schulen und Hochschulen in der heutigen postmigrantischen deutschen Gesellschaft genutzt werden kann, um den Lernenden ein besseres Verständnis des Konflikts zu vermitteln und sie zu kritischem Denken anzuregen.
Darum sind wir Autor*innen bei Budrich
Die Zusammenarbeit empfanden wir als überaus produktiv, respektvoll und gegenseitig befruchtend. Wir haben einen sehr unkomplizierten, aber zugleich präzisen Lektorats- und Betreuungsprozess beim Barbara Budrich Verlag erlebt. Besonders schätzen wir die konstruktive und offene Kommunikation, die die Zusammenarbeit nicht nur erleichtert, sondern auch bereichert hat.
Die Mitarbeiter*innen des Verlags haben den Wert unserer Publikation von Anfang an erkannt und ihr Interesse schnell und deutlich zum Ausdruck gebracht. Das hat uns in unserem Vorhaben bestärkt und gezeigt, dass unsere Arbeit auf fruchtbaren Boden fällt. Durch den wertschätzenden Umgang und die professionelle Unterstützung konnten wir unser Projekt weiterentwickeln und erfolgreich zu Ende führen. Wir sind dankbar für die stets partnerschaftliche Kooperation, die Verbesserungsvorschläge sowie die Hilfe bei der Verbreitungsstrategie und freuen uns darauf, die Publikation einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
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Elizaveta Firsova-Eckert, Kai E. Schubert (Hrsg.):
auch im Open Access erhältlich
Die Herausgeber*innen
Dr. Elizaveta Firsova-Eckert ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Didaktik der Demokratie der Leibniz Universität Hannover tätig. Vorher hat sie Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Freien Universität Berlin studiert und war anschließen als Bildungsreferentin bei der NGO Proof: Media for Social Justice tätig.
2024 veröffentlichte sie ihre Monografie zur politischen Bildung im Nahostkonflikt, in der sie die Auswirkungen des deutsch-israelischen Jugendaustauschs auf die Wahrnehmung des Nahostkonflikts untersucht (erschienen im Springer Verlag). Derzeit arbeitet sie gemeinsam mit Prof. Dr. Christoph Wolf von der International University an einer weiteren Monografie zum Thema Antisemitismus und Antisemitismuskritik, die voraussichtlich 2025 im Kohlhammer-Verlag erscheinen wird.
Kai E. Schubert (M.A.) studierte Politikwissenschaft, Jüdische Studien und Interdisziplinäre Antisemitismusforschung in Berlin und Potsdam. Als hauptamtlicher wie auch freiberuflicher Bildungsreferent setzt(e) er sich insbesondere mit aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus sowie dem Nahostkonflikt auseinander. Er promoviert seit 2020 am Institut für Politikwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Das Projekt über unterschiedliche Ausdrucksformen des Antisemitismus und ihre Bearbeitung durch Politische Bildung wird durch das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk gefördert.
Aktuell arbeitet er als Teil eines Teams an der Herausgabe eines Bandes, der die Tagung „Ticketdenken. Gesellschaftskritische Perspektiven auf Antisemitismus und Bildung“ dokumentiert und 2025 erscheinen soll.
Über „Israelbezogener Antisemitismus, der Nahostkonflikt und Bildung“
Wie in der Schule über den Nahostkonflikt sprechen? Wie Schüler*innen für Antisemitismus sensibilisieren? Seit dem 7. Oktober 2023 stehen Bildungsinstitutionen verstärkt vor der Herausforderung, diese mit Überforderung und Verunsicherung verbundene Thematik zu bearbeiten. Der Band bietet einen Überblick über empirische Erforschung und Praxis des pädagogischen Umgangs mit israelbezogenem Antisemitismus und dem Nahostkonflikt. Die Beiträge untersuchen, wie Bildungsakteure in Deutschland den mit dem israelisch-arabischen Konflikt zusammenhängenden Antisemitismus behandeln und welche Herausforderungen und Chancen sich dabei ergeben. Konkrete innovative pädagogische Konzepte zeigen Wege, Lernenden ein besseres Verständnis des Konflikts zu ermöglichen und sie zu kritischem Denken anzuleiten.
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