„Die Praxis Sozialer Arbeit mit Eltern mit Lernschwierigkeiten muss menschenrechtsorientierter und demokratischer erfolgen.“ – 5 Fragen an Rahel More

3D Cover MoreIm Verlag Barbara Budrich ist erschienen:

Disability, Elternschaft und Soziale Arbeit. Zur Bedeutung von Zuschreibungen, Fremdwahrnehmungen und Selbstverständnissen für Eltern mit Lernschwierigkeiten

von Rahel More

 

Über das Buch

Autorin Rahel More befasst sich mit Elternschaft von Müttern und Vätern mit sogenannten Lernschwierigkeiten, die häufig mit Vorurteilen gegenüber ihren Fähigkeiten in der Elternrolle konfrontiert werden. Ihre Arbeit orientiert sich an der Gesellschaftskritik der Disability Studies und verfolgt einen emanzipatorisch-partizipativen Zugang. Als besonders relevant nach Analyse von gesellschaftlichen Diskussionen in Newsgroups, Interviews mit Fachkräften der Sozialen Arbeit und Interviews mit Eltern mit Lernschwierigkeiten zeigen sich mehrdimensionale Benachteiligungen und die jeweils (nicht) existenten Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung der Elternrolle.

 

Kurzvita der Autorin in eigenen Worten

Studium der Sozialpädagogik sowie Disability Studies. Promotion in Erziehungswissenschaft, Bereich Sozial- und Integrationspädagogik. Seit 2013 wissenschaftlich tätig, zunächst am Centre for Disability Studies an der Universität Island in Reykjavík und seit 2017 an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Eine Übersicht meiner aktuellen Publikationen sind zu finden auf:

 

1) Liebe Rahel More, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Disability, Elternschaft und Soziale Arbeit für unsere Leser*innen zusammen.

Es geht darin um die Ergebnisse einer empirischen Studie über die Elternschaft von Müttern und Vätern mit sogenannten Lernschwierigkeiten in Österreich. Menschen mit Lernschwierigkeiten sind Personen, denen eine Behinderung zugeschrieben wird und die aufgrund von verschiedenen Barrieren auch Behinderungen erfahren. Oft sind Frauen und Männer mit Lernschwierigkeiten mit Vorurteilen konfrontiert, vor allem gegenüber ihren Fähigkeiten in der Elternrolle.

Die Soziale Arbeit bietet als breites Praxisfeld Möglichkeiten der Unterstützung bei der Kindererziehung für Familien. Tatsächlich erfahren viele Eltern mit Lernschwierigkeiten verschiedene Maßnahmen aber als kontrollierend, bevormundend oder schlichtweg als die falsche Unterstützung. An selbstbestimmten Assistenz- und Unterstützungsmöglichkeiten für Mütter und Väter mit Lernschwierigkeiten fehlt es bislang in Österreich weitgehend.

Eltern mit Lernschwierigkeiten sind häufig von Interventionen der Kinder- und Jugendhilfe betroffen. Ihre Kinder werden zum Teil ohne vorhergehende ausreichende Unterstützung im Familienalltag fremduntergebracht. Das hängt auch damit zusammen, dass die dominierenden Entwürfe guter Mutter- und Vaterschaft zumindest auf den ersten Blick nicht mit Vorstellungen von Behinderung vereinbar sind. In der Publikation geht es deshalb um das Zusammenspiel von Zuschreibungen gegenüber sowie Fremdwahrnehmungen von Eltern mit Lernschwierigkeiten und den Erfahrungen und Selbstverständnissen von Müttern und Vätern mit Lernschwierigkeiten.

Ein Teil der durchgeführten Forschung war partizipativ, das heißt es hat eine enge Kooperation mit Eltern mit Lernschwierigkeiten gegeben. Diese Zusammenarbeit war und ist auch deshalb wichtig, weil häufig über Menschen mit Lernschwierigkeiten und über behinderte Menschen im Allgemeinen geforscht wird und weitaus seltener mit Forschungspartner*innen mit Lernschwierigkeiten.

 

2) Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Die Anliegen von Eltern mit Lernschwierigkeiten begleiten mich nun bereits seit einigen Jahren. Ich sehe mich als Verbündete von behinderten Menschen und mein Forschungsinteresse ist unter anderem auf meine ehemalige Tätigkeit in der Praxis zurückzuführen. Ich arbeitete als Unterstützerin für eine Mutter und einen Vater mit Lernschwierigkeiten in Island, die mich immer wieder auf die herausfordernden Bedingungen ihres Familienlebens unter Beobachtung des Jugendamtes aufmerksam machten. Daraus entstanden zunächst meine Masterarbeit und meine Mitarbeit an zwei Forschungsprojekten an der Universität Island in Reykjavík.

Als ich schließlich auch damit begann, zu den Lebenslagen von Eltern mit Lernschwierigkeiten in Österreich zu recherchieren, wurde ich nicht fündig. Es existierte keine publizierte Forschung und es galt diese Forschungslücke zu füllen. Nach wie vor erfahren die Anliegen von Müttern und Vätern mit Lernschwierigkeiten wenig Aufmerksamkeit im Fachdiskurs der Sozialen Arbeit, aber auch in Öffentlichkeit und Politik. Selbstvertreter*innen mit Lernschwierigkeiten bemühen sich wiederholt, ihr Recht auf Unterstützung bei der Kindererziehung auch öffentlich stark zu machen. Dafür fehlt es aber oft an Ressourcen.

 

3) Welchen Herausforderungen steht Ihr Forschungsbereich „Disability und Elternschaft“ derzeit gegenüber?

Es gibt sowohl in der Forschung als auch in der Praxis einen großen Aufholbedarf in Österreich. Weitere Forschungsprojekte müssen umgesetzt werden, um mehr über die Barrieren aber auch die Möglichkeiten für Eltern mit Lernschwierigkeiten im Kontext der Sozialen Arbeit herauszufinden. Ein Desiderat ist hier auf jeden Fall auch die Väterforschung sowie eine geschlechterkritische Auseinandersetzung mit Elternschaft, wie ich sie auch in meiner Publikation vornehme. Forschungsprojekte sowie Unterstützungsmaßnahmen und Interventionen sind bislang fast ausschließlich mütterzentriert. Dadurch wird Müttern mit Lernschwierigkeiten die Hauptlast an Verantwortung für ihre Kinder auferlegt, während Väter mit Lernschwierigkeiten sich oft exkludiert fühlen und um Anerkennung kämpfen.

Die Praxis Sozialer Arbeit mit Eltern mit Lernschwierigkeiten muss menschenrechtsorientierter und demokratischer erfolgen. Es braucht selbstbestimmte Unterstützungsformen, auf die Familien mit einem Unterstützungsbedarf möglichst ohne Angst vor einer Trennung vom Kind zurückgreifen können. Außerdem arbeiten nach wie vor verschiedene Bereiche Sozialer Arbeit unzureichend zusammen, das heißt es gibt Kooperationsschwierigkeiten zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Diensten für behinderte Menschen. Diese wirken sich negativ auf die Unterstützungsstrukturen und somit auf das Familienleben von Eltern mit Lernschwierigkeiten aus.

 

4) Welche Aspekte von Disability und Elternschaft werden Ihrer Einschätzung nach künftig stärker in den Fokus rücken?

In Zukunft muss die Diversität von Familien breiter gedacht werden. Zwar werden mittlerweile vielfältigere Familienkonstellationen gesellschaftlich anerkannt, auf Familien mit einer behinderten Mutter oder einem behinderten Vater trifft dies aber nicht unbedingt zu. Fragen von Disability und Elternschaft werden überwiegend auf behinderte Kinder und ihre (meist nichtbehinderten) Eltern bezogen. Die Sichtweisen behinderter Eltern auf Familienleben und Kindererziehung werden weitaus seltener thematisiert.

Betreffend Eltern mit Lernschwierigkeiten wird vor allem der Aspekt der sozialen Herkunft bzw. Klasse (in Wechselwirkung mit Geschlecht und Behinderung sowie einem zugeschriebenen Migrationshintergrund) noch stärker in den Fokus rücken. Eines meiner Anliegen ist es die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, inwiefern Leitbilder gelingender Mutter- und Vaterschaft manche Familien privilegieren und zugleich andere Familien marginalisieren.

 

5) Darum bin ich Autorin bei Budrich

Es freut mich, dass meine Dissertation in der Buchreihe der Sektion Sozialpädagogik der ÖFEB bei Budrich erschienen ist. Zahlreiche Publikationen des Verlags sind für mich als Wissenschaftlerin, Lehrende und Autorin relevant. Dazu zählen auch die Budrich Journals, etwa die Zeitschrift GENDER. Mit Sarah Rögl war eine kompetente und freundliche Ansprechperson des Verlags für meine Buchpublikation zuständig.

 

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© Autorinnenfoto: privat

 

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