„Im Zentrum der Publikation steht der Zusammenhang von biografischem Verlauf und erlebtem Körper.“ – 5 Fragen an Sabine Gabriel

3D Cover GabrielIm Verlag Barbara Budrich ist erschienen:

Körper in biografieanalytischer Perspektive. Zum Verhältnis von Körper, Biografie und ihrer Erforschbarkeit

von Sabine Gabriel

 

Über das Buch

Wie bilden sich Erlebens- und Deutungsweisen des eigenen Körpers heraus? In welchem Zusammenhang stehen sie mit Erfahrungen? Sabine Gabriel bietet einen Ordnungsversuch der Relationen von biografischem Verlaufs- und Körpererleben sowie ihrer Erforschbarkeit. Dafür wurden narrative Interviews mit Berufstanzenden mit einer modifizierten, leibphänomenologisch angereicherten sozialwissenschaftlichen Prozessanalyse ausgewertet. Mit dieser ‚Leibheuristik‘, die Körper als Erfahrungselemente auch mit spürenden Qualitäten berücksichtigt, liegt nicht zuletzt ein Empirisierungsvorschlag für Körper vor, der grundlegende forschungspraktische Anschlüsse eröffnet.

 

Kurzvita der Autorin in eigenen Worten

Sabine Gabriel hat Ethnologie, Soziologie sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Rahmen eines Magisterstudiums an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und den Promotionsstudiengang Qualitative Bildungs- und Sozialforschung an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg studiert. Sie war Gastkollegiatin am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt und Stipendiatin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, an der sie in der Erziehungswissenschaft promoviert hat. Sabine Gabriel war einige Jahre am Institut für Pädagogik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am Arbeitsbereich Quantitative und Qualitative Forschungsmethoden tätig, für eine Pilotstudie zu schulischen Schutzkonzepten am Deutschen Jugendinstitut in München und ist nun am Zentrum für Lehrer*innenbildung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

 

1) Liebe Sabine Gabriel, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Körper in biografieanalytischer Perspektive für unsere Leser*innen zusammen.

Im Zentrum der Publikation steht der Zusammenhang von biografischem Verlauf und erlebtem Körper. Mich interessierte, wie sich Erfahrungen und längerfristige Lebenszusammenhänge auf das Erleben und Deuten des eigenen Körpers auswirken sowie wie Körpererfahrungen in das eigene Handeln einfließen. Dabei war es mir wichtig, den Körper mit seinen vielfältigen Qualitäten und Eigenschaften einzubeziehen. So konzipierte ich in der Forschung, die der Publikation zugrunde liegt, einen spürfähigen Körper, sodass leiblich-affektive Erfahrungen (auch solche unterhalb der Reflexionsschwelle) in der Analyse von lebensgeschichtlich relevanten Prozessen dezidierter berücksichtigt werden können. Erhoben wurden Biografien von semiprofessionellen und professionellen Balletttänzerinnen und -tänzern, die dem Tanzen aktiv nachgehen beziehungsweise nachgegangen sind. Dieser Fallauswahl gingen u.a. Überlegungen hinsichtlich des Sprechens über den eigenen Körper voraus.

Da dieses Vorhaben auf wissenschaftliche Leerstellen wie eine gewisse ‚Leibferne‘ und Engstellen wie eine starke Fokussierung auf die Materialität von Körpern trifft, lagen für das zugrunde gelegte Konzept leiblicher Körperlichkeit bzw. leibfundierter Erfahrungen kaum umfassende verfahrenstechnische Vorgehensweisen für die Erhebung von Datenmaterial und seiner Analyse vor. Vor diesem Hintergrund sind in der Publikation zwei Erkenntnisebenen besprochen: Neben dem Untersuchungsfokus auf biografische Prozesse des subjektiven Körpererlebens verläuft mit den methodologischen Grundlegungen und methodischen Vorgehensweisen, wie sie entlang der leibphänomenologischen Anreichung für den Blickwinkel auf (Körper-)Erfahrungen in der Forschung herausgearbeitet wurden, ein zweiter Erkenntnisstrang. Die ausführliche Thematisierung der method(olog)ischen Anlage findet sich nach den ersten Kapiteln, in denen der theoretische Zuschnitt der Arbeit auf leibliche Körper und Biografie diskutiert sowie erste Einblicke in die sozialen Welten von Balletttanzenden geben werden. Die nachfolgenden Kapitel haben die Fallstudien zum Inhalt. Zunächst auf Einzelfallebene und dann auf fallvergleichender Ebene werden verschiedene Abstraktionsgrade der analytischen Auslotung der Relevanz des er- und gelebten Körpers für das eigene Sogewordensein dargelegt und diskutiert.

Insgesamt sehe ich die Arbeit als einen Ordnungsversuch der Relationen von Körper- und biografischem Verlaufserleben ebenso wie von (leib-)phänomenologischen mit method(olog)ischen Bezügen bzw. Verfahrensweisen. Neben biografietheoretischen Perspektiven diskutiere ich dabei auch sozialisationstheoretische ebenso wie organisationspädagogische Bezüge hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung von Körpererleben und ausgebildeten Konzepten über den eigenen Körper.

 

2) Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit dem Themenfeld Körper und sein Erleben, Wahrnehmen und Deuten sowie dem Umgang mit ihm. Aus einem gendertheoretischen Interesse heraus stellte ich den Körper in einer empirischen Forschung im Rahmen meiner Magisterarbeit in das Zentrum und befragte Personen, die sich als transsexuell bezeichnen (lassen müssen) nach ihren Lebensgeschichten. Die Untersuchung der Prozessverläufe in den dargebotenen Erzählungen verblieb damals aber einerseits stärker auf einer deskriptiven Analyseebene als auch andererseits unter dem Schirm eines eher diffusen Körperbegriffs. Aus der Beschäftigung mit gendertheoretischen bzw. poststrukturalistischen Zugängen, den Körper konzeptionell zu fassen, und einer biografieanalytischen Perspektive, sozusagen Geschichten der leiblichen Körpererfahrung zu rekonstruieren, wuchs dann mein Interesse, die Gleichzeitigkeit diskursiven Körperwissens und leibfundierter Erfahrungen systematischer in den Blick nehmen zu wollen.

 

3) Welchen Herausforderungen steht die Leibheuristik derzeit gegenüber?

Die leibphänomenologischen Anreicherungen der biografieanalytischen Perspektive und Methoden, die ich im Rahmen meines Promotionsprojektes erarbeitet, erprobt und durch analytische Verdichtungen zu plausibilisieren versucht habe, sehe ich als eine Möglichkeit, einen konkreten Ausschnitt sozialer Wirklichkeit zu untersuchen. Der Anwendungsvorschlag der leibheuristischen Ergänzungen auf die sozialwissenschaftliche Prozessanalyse ist auf das Vorhaben der Freilegung und Untersuchung von Prozessstrukturen im jeweilig dargebotenen biografischen Verlaufsgesehen abgestellt. Das binäre Spannungsfeld zwischen aktivem und passivem Erleben, dass bei der klassischen Prozessstrukturtypologie nach Fritz Schütze angelegt ist, kann mit dem leibdynamischen Wechselspiel von Enge und Weite nach Hermann Schmitz stärker feindifferenziert werden. Dennoch erfolgt bei leibphänomenologisch orientierten Untersuchungen aufgrund der Inkommensurabilität des Leibes zum einen zwangsläufig ein Bruch, die im Konzept angelegten besonderen Eigenschaften des Leibes durch die analytische Hinwendung zum ihm aufzulösen. Zum anderen sehe ich die Gefahr von Reifizierungen infolge der Singularität des je eigenen Leibes. Versteht man allerdings Erfahrungen – und davon gehe ich aus – stets als leibfundiert, sind damit Herausforderungen benannt, die grundsätzlich in empirischer Forschung, insbesondere aber bei biografieanalytischen Vorgehensweise, zu berücksichtigen wären.

 

4) Welche Aspekte der Leibheuristik werden Ihrer Einschätzung nach künftig stärker in den Fokus rücken?

Ich würde mich prinzipiell über einen stärkeren Einbezug von zum Beispiel leiblichen und affektiven Methodologien und entsprechenden methodischen Verfahrenstechniken in die empirische Forschung freuen. Die grundlegende Unterscheidung in impliziten und expliziten Wissen- oder Sinnebenen, die rekonstruktiver Forschung beispielsweise für gewöhnlich zugrunde gelegt wird, könnte von der Annahme, das Körperlich-Leibliche als konstitutives Moment von sozialem Geschehen zu verstehen, profitieren. Der Leib fungiert in dieser Perspektive als Bezugspunkt für Prozesse, Erfahrungen, Orientierungen in Form von je spezifischen Welt-Selbst-Verhältnissen. Das hieße auch, der Leib ist als wesentliches Merkmal von zum Beispiel Lern- und Bildungsprozessen zu begreifen. Sich thematisch Dimensionen des Körper-Leiblichen zuwenden, sehe ich deshalb etwa auch als basalen Baustein für die Lehrer*innenausbildung.

 

5) Darum bin ich Autor*in bei Budrich

Die Zusammenarbeit mit dem Verlag Barbara Budrich gefiel mir sehr. Für mich stach vor allem die gute Betreuung, die stete konstruktive und freundliche Hilfsbereitschaft sowie die Geduld, wurde es zeitlich etwas enger, heraus. Zudem empfand ich den Austausch sehr anerkennend und wertschätzend.

 

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Qualitative Fall- und Prozessanalysen. Biographie – Interaktion – soziale Welten, Band 20

 

 

 

 

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