Zur medialen Diskussion über die 11FREUNDE-Aktion #ihrkönntaufunszählen

FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft 2-2021: #ihrkönntaufunszählen – die Norm bestimmt den Diskurs. Eine theoretische und empirische Diskussion der 11-Freunde-Aktion

#ihrkönntaufunszählen – die Norm bestimmt den Diskurs. Eine theoretische und empirische Diskussion der 11-Freunde-Aktion

Eva Spittka, Anne Beier

FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft, Heft 2-2021, S. 119-133.

 

Zusammenfassung: Immer noch gibt es in der deutschen Fußballbundesliga der Herren keinen einzigen aktiven als homosexuell geouteten Fußballspieler. Kampf, Männlichkeit und Leistung – Attribute, die scheinbar nicht zu einem schwulen Athleten passen, aber mit dem Fußball seit jeher assoziiert sind. Im Sport herrscht die Norm der Zweigeschlechtlichkeit vor, im Fußball dominiert einzig die Norm der Heterosexualität. Mit der Initiative #ihrkönntaufunszählen macht die Zeitschrift 11 Freunde darauf aufmerksam – und stellt diese Norm scheinbar infrage. In diesem Beitrag wird die darauf bezogene mediale Diskussion anhand einer qualitativen Fallstudie ausgewählter Printmedien untersucht. Denn Sport und Medien sind eng miteinander verknüpft. Es zeigt sich eine begrenzte Berichterstattung: Die heterosexuelle Perspektive bestimmt auch diese Debatte, die gesellschaftswirkliche Verhandlung von Homosexualität im Fußball wird auf die Zukunft verlagert.

Schlüsselwörter: Homosexualität, Sport, Medien, qualitative Fallstudie, Printberichterstattung

 

#ihrkönntaufunszählen – the norm determines the discourse. A theoretical and empirical discussion of the 11 Freunde initiative

Summary: Until today, no active male football player in Germany’s Bundesliga has outed himself as homosexual. The spirit of the fight, masculinity, and high performance – attributes that seemingly do not fit a gay athlete but have always been associated with football. In sports, the two-gender hegemony prevails; in male football it is reinforced with the expectations of heterosexual normativity. With the initiative #ihrkönntaufunszählen, the magazine 11 Freunde draws attention to this – and seemingly challenges this norm. This paper examines the media discourse in this regard using a qualitative case study of selected print media. After all, sports and the media are closely intertwined. A limited coverage emerges. The heterosexual perspective determines the debate, the societal negotiation of homosexuality in football is postponed to the future.

Keywords: homosexuality, sports, media, qualitative case study, print coverage

 

1 Problemaufriss und Kontextualisierung

„Ist es wirklich nötig, dass Ihr über Eure sexuellen Neigungen sprecht? Heteros tun das doch auch nicht.“ 2017 wandte sich der ehemalige niederländische Fußballspieler Clarence Seedorf auf einem FIFA-Kongress mit dieser Frage an Thomas Hitzlsperger, dem einzigen deutschen Fußballprofi, der sich bisher zu seiner Homosexualität bekannt hat – allerdings erst nach dem Karriereende und verbunden mit enormer medialer Aufmerksamkeit. Seine Antwort war eindeutig: Es sei „sehr wichtig“, denn Fußballspieler seien auch Vorbilder (Dorfer 2017). Bis heute hat sich kein aktiver männlicher Fußballer in der obersten deutschen Spielklasse, der Bundesliga, als homosexuell geoutet. „Gibt es nicht. Kenne ich nicht. Es gibt keine schwulen Fußballer.“ Ein Zitat aus dem Jahr 2008, so geäußert von Mario Basler – es ist bis heute aktuell.1

Schätzungen zum Prozentsatz Homosexueller an der Gesamtgesellschaft sind schwierig. Sie sind abhängig vom Definitionsbegriff der Homosexualität und von der Eigeneinschätzung der befragten Personen. Dass aber in der gesamten Fußballbundesliga, bei über 450 Sportlern, kein einziger homo- oder bisexuell sein soll? Äußerst unwahrscheinlich. Heterosexualität ist folglich die Norm, von der es keine Abweichung gibt, vielleicht auch keine Abweichung geben darf. So „scheint Schwulsein und Fußball auf keinen Fall zusammen zu passen“ (Degele/Janz 2012: 195). Konträr stellt sich die Situation im ökonomisch weit weniger erfolgreichen Frauenfußball dar, lesbische oder bisexuelle Fußballerinnen sind in der öffentlichen Wahrnehmung kaum brisant, Steffi Jones oder Nadine Angerer sind nur zwei Beispiele, die sich bereits während ihrer aktiven Zeit zu ihrer Homo- bzw. Bisexualität bekannt haben. In anderen Bereichen des Hochleistungssports kam es ebenfalls zu Outings, vor allem ausländischer Athlet:innen. Bekannte Namen sind unter anderem Brian Boitano (Eiskunstlauf), Orlando Cruz (Boxen), Martina Navrátilová (Tennis), Nadine Müller (Diskuswerfen), Gareth Thomas (Rugby) oder John Amaechi (Basketball).

In einer Gesellschaft, in der Sex allgegenwärtig ist, in der unterschiedliche sexuelle Identitäten sowie Konzepte von Männlichkeit jenseits der Hypermaskulinität zunehmend akzeptiert sind (Kaelberer 2020: 796), ist es ein Unikum, dass Homo- oder Bisexualität in einigen Teilbereichen des Hochleistungssports schlicht nicht existiert. Es erfolgt eine „bewusste Nicht-Thematisierung“ (Schaaf/Nieland 2011: 14). Noch vor zehn Jahren bescheinigte man dem deutschen Männerfußball einen „Zwang zur Heterosexualität“ (Schaaf/Nieland 2011: 13). Auch wenn sich hier im Sinne von Fan- und Clubaktionen einiges getan hat, die Kapitänsbinde mitunter sogar bei Spielen der deutschen Nationalmannschaft in Regenbogenfarben getragen wird, gibt es noch immer mindestens zwei sicht- und hörbare Dimensionen der Homophobie im deutschen Männerfußball: homophobe Spitznamen und Fangesänge sowie die Unsichtbarkeit von offen homosexuellen Topspielern (Kaelberer 2020: 796). Dabei könnte die Sichtbarkeit sexueller Vielfalt im Sport zu einer weiter steigenden Akzeptanz in der Gesellschaft beitragen. Denn Sport verbindet unterschiedlichste Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Nur wenige mediale Ereignisse wie der Sport stellen eine so diverse Öffentlichkeit her (Ludwig/Nieland 2013: 220). Mit seiner „hohen Integrationskraft und der Möglichkeit, gerade auch über den Weg der Vorbildfunktion Denk- und Handlungsmuster zu prägen“ (Schweer 2018: 7), könnte beispielsweise über ein Gruppenouting ein enormes Signal gesendet werden.

Wieso outen sich schwule Fußballer also nicht, lesbische Fußballerinen oder schwule Boxer aber schon? Dieser Frage begegnete das Fußballmagazin 11 Freunde im Februar 2021 mit einer Solidaritätsaktion: „Ihr könnt auf uns zählen“ – das haben 800 Sportler:innen schwulen Fußballern versichert. Mit dem Titel und den Reaktionen darauf sieht die 11 Freunde „auch Anlass zur Debatte: Wie wird im deutschen Profifußball über Sexualität gesprochen?“ (Ahrens 2021). Zeitgleich veröffentlichte der ehemalige Fußballnationalspieler Philipp Lahm sein Buch „Das Spiel: Die Welt des Fußballs“, in dem er homosexuellen Fußballspielern von einem Coming-out abrät. Denn nach wie vor seien „die Chancen gering, so einen Versuch in der Bundesliga zu wagen und halbwegs unbeschadet davonzukommen“ (Hofmann 2021). Der mögliche Schaden wird zwar nicht definiert, jedoch scheint die Abweichung von der heterosexuellen Norm eine Gefahr für Karriere und Finanzen in einem Feld, das von je her mehr als andere auf Leistung angelegt ist.

Es stellt sich die Frage, wie der öffentliche Diskurs geführt wird, wenn diese Norm scheinbar infrage gestellt wird, wie es bei der Aktion der 11 Freunde der Fall war. Solidaritätsbekundungen erzeugen Aufmerksamkeit und stehen für eine offene Gesellschaft, bergen im Vergleich zu einem Outing allerdings kein Risiko. Frei nach dem Motto: Es ist normal, homosexuell zu sein, aber wir sind es nicht.

Die Frage nach der Normalitätskonstruktion von Homosexualität im Spitzenfußball der Herren im Zusammenhang mit der Aktion #ihrkönntaufunszählen steht im Mittelpunkt dieses Beitrags. Das liegt einerseits im Verhältnis von Sport und Medien und andererseits im Verhältnis von Sport und Geschlecht begründet. Denn Sport, Medien und Geschlecht sind Teilbereiche der Gesellschaft, die miteinander verzahnt sind. So hängen einerseits Geschlecht und Medien miteinander zusammen (Lünenborg/Maier 2013: 7). Andererseits sind Sport und Medien eng miteinander verbunden (Bertling/Schierl 2020: 15; Dimitriou 2015: 60; Schneider/Köhler/Schumann 2016: 12; Schwier 2002: 5) und bis zu einem gewissen Grad voneinander abhängig. Bereits vor zwanzig Jahren stellte Schwier (Schwier 2002:5) richtigerweise fest: „Man kann jedenfalls heute kaum noch über den Sport sprechen ohne sich auf von Medien hergestellte Repräsentationen zu beziehen“ Dieser Befund gilt bis heute.

2 Zum Verhältnis von Sport und Massenmedien

Sport nimmt in modernen, ausdifferenzierten und mediatisierten Gesellschaften eine wichtige Rolle, einen „prominente[n] Platz […] in der öffentlichen Wahrnehmung“ (Meyen/Nieland 2017: 274) ein. Er kann den Zusammenhalt stärken, aber auch trennen (Schweer 2018: 5–6). Die bereits angesprochene enge Verbindung zwischen Sport und Medien lässt sich bereits früh beobachten (Bertling/Schierl 2020: 14; Leder/Nieland/Schaaf 2020: 44), ist bislang nicht abgerissen und ein Ende der Bedeutungszunahme des Sports für die Massenmedien – und vice versa – ist nicht abzusehen. Neue Anstoßzeiten der Fußballbundesliga der Herren oder die Diskussion darüber, die Fußballweltmeisterschaft der Herren alle zwei statt vier Jahre stattfinden zu lassen, zeugen davon. Mit den sozialen Medien gibt es eine Vielzahl weiterer Kommunikationskanäle, auf denen klassische Medienanbieter, Vereine und Sportler:innen selbst sowie das Publikum aktiv sind, bis hin „zum professionellen Sportmarketing“ (Utz 2019: 14).

Eine Tageszeitung ohne Sportteil ist ebenso undenkbar wie das Fernsehprogramm ohne Sportberichterstattung, auch online lassen sich mit Leistungssport hohe Reichweiten generieren. Nicht nur bei sportlichen Großereignissen sitzen Millionen vor den Fernsehgeräten. Sport ist nach wie vor in der Lage, den Großteil oder zumindest einen großen Teil der Gesellschaft zu erreichen – und das in Zeiten sich immer weiter ausdifferenzierender Medienangebote und Konsument:innen. Die wenigsten Spiele oder Turniere sind durch persönliches Erleben erfahrbar, eine vermittelnde Instanz in Form medialer Berichterstattung ist nötig. Kurzum: „Der moderne Sport war und ist immer schon Mediensport gewesen“ (Leder/Nieland/Schaaf 2020: 460). Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der Sportberichterstattung dennoch um ein nicht umfassend untersuchtes Gebiet (Loosen 2008: 10).

Hier wird klar: Die Verbindung zwischen Sport und Medien ist von einem dritten Faktor geprägt, der Wirtschaft. Bertling und Schier (2020: 16) bezeichnen die Konstellation als „magisches Dreieck“. Denn Sport und Medien sind bis zu einem gewissen Grad – auch aus ökonomischen Gesichtspunkten – voneinander abhängig (Dimitriou 2015: 59; Bertling/Schierl 2020: 16; Schaffrath 2016: 703). Ökonomisch gesehen, nimmt vor allem der Fernsehsport, insbesondere der Fußball, eine herausgehobene und dominierende Stellung ein (Heinecke 2016: 43; Meier/Hagenah 2016: 12; Vögele 2018: 3).

Sport und Medien profitieren gegenseitig voneinander. Sportberichterstattung generiert für die Medienanbieter nicht nur hohe Reichweiten, sondern auch die Möglichkeit, sich mit einem entsprechenden Formatprofil eine exponierte Marktstellung zu sichern (Bertling/Schierl 2020: 17–21). Immer wieder neue Wettkämpfe, Siege und Niederlagen, strahlende Gewinner:innen und gedemütigte Verlier:innen, Spannung und Rekorde – Sportereignisse bieten ein besonders interessantes tagesaktuelles Berichterstattungsobjekt (Bölz 2018: 45; Schaffrath 2016: 702) Zudem ist die journalistische Bearbeitung nicht auf die jeweilige Live-Übertragung beschränkt, sondern bietet Potenzial für Vor- und Nachbesprechung sowie Anschlusskommunikation auf verschiedenen Kanälen (Bertling/Schierl 2020: 21–22). Gleichzeitig gewinnen auch Sportveranstalter:innen und Sportler:innen. Denn mit dem Verkauf der Übertragungsrechte lassen sich ebenso hohe Erträge erwirtschaften wie mit dem Abschluss von Werbedeals prominenter und beliebter Leistungssportler:innen. Zudem lässt sich die Popularität verschiedener Sportarten durch die mediale Verbreitung steigern, was wiederum zu einem Zuwachs an ökonomischen Gewinnen führen kann (Bertling/Schierl 2020: 22–26).

Dabei handelt es sich längst nicht nur um einen reinen Zeitvertreib, um die Rezeption unterhaltender Medieninhalte ohne größere Bedeutung. Sport ist zu einem „Kulturobjekt“ (Bölz 2018: 48), zu einer „dominanten globalen Kulturform“ (Leder/Nieland/Schaaf 2020: 9) avanciert: „Die Inszenierung und Kommerzialisierung des Sports in denMedien sorgt für eine perfekte kommunikative Durchdringung der Gesellschaft“ (Bölz 2018: 45). Mit dieser Durchdringung besteht die Chance, Einfluss zu nehmen auf den Alltag, auf Sichtweisen und Einstellungen, auf das, was akzeptiert wird. So kann der „Mediensport einen hervorragenden Beitrag zur Wahrnehmung der gesellschaftlichen, kulturellen und ethischen Vielfalt leisten“ (Dimitriou 2015: 71) – die Betonung liegt hier auf „kann“. Denn der Mediensport kann ebenfalls dazu beitragen, Normabweichungen und das Trennende zu betonen.

Gerade im Wettkampfcharakter liegt das Potenzial des Sports auch und besonders als regionales Identifikationsobjekt begründet; Identifikation bzw. Identitätssicherung ist dabei ein relevantes Nutzungsmotiv bzw. spielt Sport bei Identitätsprozessen eine Rolle (Dimitriou 2015: 60; Horky 2009: 304; Schauerte 2005: 258). Sport gilt „als fixe Größe regionaler aber auch nationaler Identifikation“ (Ihle 2012: 135), die sich aus gemeinschaftlich erlebten Siegen und Niederlagen und der Konstruktion des „Wir“ gegen „die Anderen“ ergibt. Vor allem Sportler:innen sind „Identifikationsgrößen für das Publikum“ (Bette 2007: 246). Ein geouteter homosexueller Fußballspieler hätte folglich hohes Identifikationspotenzial. Gleichzeitig könnte er Prozesse der Abgrenzung und Ausstoßung anstoßen – aufgrund der Abweichung von der Norm. Es ist anzunehmen, dass die Frage der medialen Bearbeitung des Outings eine zentrale Rolle spielt. Durch die Thematisierung in der Berichterstattung, durch gesetzte Schwerpunkte und durch die konkrete Darstellung tragen die Massenmedien zur gesellschaftlichen Wahrnehmung und zur Sozialisation bei. Eine qualitative Inhaltsanalyse der Zeitungsberichterstattung nach Hitzlspergers Outing lässt den Schluss zu, dass dieses positiv aufgenommen wurde. Gleichzeitig wurde angeprangert, dass in der Gesellschaft ein stärkeres Engagement gegen Homophobie nötig wäre (Schallhorn/Hempel 2017: 1198–99).

Derzeit gibt es nur „äußerst wenige belastbare und methodisch sehr differente Ergebnisse zu den Erlebens- und Bewertungsmustern relevanter Akteur*innen im Sport und den daraus resultierenden Konsequenzen auf individueller und systemischer Ebene“ (Schweer 2018: 5). Insbesondere in der kommunikationswissenschaftlichen Bearbeitung ist eine Forschungslücke auszumachen. Zwar existieren vereinzelte Studien (z. B. Küppers 2018; Schallhorn/Hempel 2017; Sabisch 2014), es „fehlen jedoch systematische empirische Analysen mit entsprechender theoretischer Fundierung zur Darstellung von Homosexualität in der Sportberichterstattung […]“ (Schweer 2011: 263). Und dieser Umstand gilt, obwohl sich die „Sexualisierung des Sports in den Medien deutlich ausdifferenziert hat“ (Schaaf/Nieland 2011: 10), was eine empirische Bearbeitung dieser Fragestellung besonders relevant macht.

1 Ausgestrahlt in DSF-Reportage „Das große Tabu – Homosexualität & Fußball“, DSF, 28. Mai 2008.

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