Tools zur Optimierung von Stellenausschreibungen aus Geschlechterperspektive

ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management 1-2022: Geschlechterstereotype decodieren? Technologien für geschlechtergerechte Stellenanzeigen

Geschlechterstereotype decodieren? Technologien für geschlechtergerechte Stellenanzeigen

Katja Dill, Helena Mihaljević, Ivana Müller, Aysel Yollu-Tok

ZDfm – Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, Heft 1-2022, S. 8-21.

 

Zusammenfassung
Mit der Digitalisierung der Arbeitswelt werden zunehmend Technologien eingeführt, die eine geschlechtergerechte Personalgewinnung fördern sollen, darunter Tools zur Optimierung von Stellenausschreibungen. Wir untersuchen drei dieser Tools anhand ihrer theoretischen Grundlagen und ihrer Funktionsweise aus einer Geschlechterperspektive, um die Möglichkeiten und Grenzen technologischer Übersetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie deren (Aus)Wirkungen zu diskutieren. Hierfür wurde ein Korpus von mehr als 160.000 Stellenanzeigen auf drei Jobplattformen verglichen. Trotz gemeinsamer theoretischer Bezugspunkte zeigt sich, dass sich die Tools in ihrer Funktionsweise und den Ergebnissen grundlegend unterscheiden.

Schlüsselwörter: Digitalisierung, Geschlechtersegregation, Personalgewinnung, Stellenausschreibungen, Geschlechterstereotype

 

Decoding gender stereotypes? Technologies for gender‐inclusive job postings

Abstract
With the digitalization of the world of work, technologies are increasingly being introduced to promote gender-equitable recruitment – such as tools for optimizing job postings. We examine three of these tools based on their theoretical foundations and their functioning from a gender perspective in order to discuss the possibilities and limitations of technological translation of scientific findings as well as their impact. For this purpose, a corpus of more than 160,000 job postings on three job platforms was compared. Despite common theoretical points of reference, it becomes apparent that the tools differ fundamentally in their mode of operation and results.

Keywords: digitalization, occupational sex segregation, recruitment, job advertisement, gender stereotypes

 

1 Einleitung

Mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt bekommt die Verlagerung einzelner Prozesse im Personaleinstellungsverfahren auf digitale Technologien eine neue Qualität. Im vorliegenden Beitrag betrachten wir die Methodik digitaler Technologien zur Erkennung und Korrektur geschlechtsbezogener Zuschreibungen in Stellenausschreibungen. Stellenanzeigen fungieren als erste Informationsquelle über die ausgeschriebene Stelle bzw. die Organisation und beeinflussen so die wahrgenommene Attraktivität des Unternehmens (Avery 2003), das Image (Highhouse et al. 1998), die Glaubwürdigkeit (Walker et al. 2009) und nicht zuletzt auch die Bewerbungsanzahl (Reeve/Shultz 2004).

Stellenanzeigen gehen mit einer Selbstbewertung einher: Arbeitssuchende schätzen ihre Eignung für eine Stelle ein, indem sie die formulierten Anforderungen mit der Wahrnehmung ihrer Eigenschaften und Kompetenzen vergleichen (Walker/Hinojosa 2013), ein Zusammenhang, den Heilman (1983) im Lack-of-Fit-Modell beschreibt. Insofern kommt der sprachlichen Gestaltung von Stellenanzeigen eine wichtige Bedeutung zu: Je höher die wahrgenommene Übereinstimmung zwischen den formulierten Stellenanforderungen und den persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften ausfällt, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich die arbeitsuchende Person bewirbt (Hentschel/Horvath 2015). Jede fünfte Stellenanzeige birgt Diskriminierungsrisiken, da sprachliche Formulierungen und implizite Bilder so gewählt werden, dass sich unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen nicht bzw. weniger angesprochen fühlen (ADS 2018). Weitere Studien im deutschsprachigen Raum zeigen, dass Stellenanzeigen insb. geschlechtsspezifische Diskriminierungsrisiken aufweisen (Bauhoff/ Schneider 2013; Koch 2012).

So bestimmen auch 15 Jahre nach Einführung des AGG noch sehr häufig weiblich bzw. männlich konnotierte Zu- und Einschreibungen die Ausrichtung von Stellenanzeigen, wodurch sich die geschlechtsspezifische Segregation auf dem Arbeitsmarkt verstetigt. Haben Frauen eine geringere Identifikation bzw. Passung mit einer männlich konnotierten Stellenausschreibung, schätzen sie die Stelle für sich selbst als weniger attraktiv ein (Damelang/Rückel 2021).

Vor diesem Hintergrund bietet eine Reihe von Technologien ein automatisiertes Screening von Texten auf mögliche geschlechtsspezifische Ausschlüsse an. Einige davon machen explizit Vorschläge zur Ersetzung entsprechender Begriffe. Die Angebote reichen vom Durchsuchen der Texte nach Wörtern in manuell erstellten Wortlisten bis hin zum Einsatz komplexer Algorithmen.

Wir gehen hier der Frage nach, welchen Beitrag solche Technologien zur Reduktion geschlechtsspezifischer Ausschlüsse in Stellenausschreibungen leisten können. Im Rahmen des vom IFAF Berlin geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts „Divers-AITechHR“, das sich mit den Auswirkungen intelligenter Technologien auf die betriebliche Auswahl beschäftigt, haben wir drei technologische Lösungen auf dem deutschsprachigen Markt anhand von 160.000 Stellenanzeigen untersucht (Mihaljević et al. i.E.). Es zeigt sich, dass die Technologien zu teils sehr unterschiedlichen Einschätzungen gelangen, trotz Gemeinsamkeiten in ihren wissenschaftlichen Bezügen. Aufbauend auf den Ergebnissen der empirischen Analyse beleuchten wir den Weg von sozialpsychologischer Forschung zur Implementierung technologischer Lösungen und diskutieren die praktischen Schwierigkeiten bei der Übersetzung wissenschaftlicher Befunde in Technologie. Daran anschließend geben wir Impulse für die Nutzung technologischer Lösungen in der HR-Praxis sowie zum Forschungsdiskurs zu Gender, Diversity und Technologie.

2 Stellenanzeigen: Sprache macht Geschlechterstereotype

Geschlechtsbezogene Stereotype enthalten Annahmen darüber, wie Frauen und Männer seien und welche Eigenschaften sie besäßen. Frauen werden Eigenschaften wie uneigennützig, emotional und empathisch zugeschrieben, die sich „in den Konzepten der Wärme oder Expressivität” (Eckes 2008: 179) zusammenfassen lassen. Männer seien bspw. dominant, kompetitiv, durchsetzungsfähig – Konzepte einer „(aufgabenbezogenen) Kompetenz oder Instrumentalität“ (Eckes 2008: 179). Die damit angesprochene Unterscheidung der Big Two (Paulhus/Trapnell 2008; Sczesny et al. 2019) geht auf Bakan (1966) zurück und spiegelt die Idee wider, dass es zwei grundlegende Ausrichtungen im menschlichen Leben gibt: das Streben nach Individualität oder Verwirklichung der eigenen Ziele (agency) und das Streben nach sozialen Beziehungen (communion). Solche Zuschreibungen und Erwartungen gehen als Fremdzuschreibung von der Gesellschaft aus, können aber auch zu einem inneren Verhaltensmuster von Menschen werden und somit die Selbstwahrnehmung beeinflussen (Schneider-Düker/Kohler 1988; Wood/Eagly 2009).

Geschlechterstereotype führen zu geschlechtsbezogener Arbeitsmarktsegregation: So werden Männern entsprechend den agentisch wahrgenommenen Charakterzügen eher Führungspositionen zugesprochen (Eagly/Karau 2002) – die sog. vertikale Segregation. Frauen werden aufgrund kommunaler Charakterzuschreibungen stärker mit der Sorge- und Hausarbeit verbunden (Croft et al. 2015); folglich sind Frauen v.a. in Berufen der Pflege, Erziehung, Reinigung oder einfachen Bürotätigkeiten vertreten – die sog. horizontale Segregation (Achatz 2018). Die kommunalen bzw. agentischen Zuschreibungen zu einzelnen Berufen und Hierarchieebenen spiegeln sich in Stellenausschreibungen wider. Zahlreiche Studien untersuchten die Wirkung von Geschlechterstereotypen in Stellenanzeigen unter der Annahme, dass eine männlich konnotierte Sprache Frauen davon abhält, sich auf (Führungs-)Positionen in männerdominierten Bereichen zu bewerben. Gaucher et al. (2011) fanden unter Laborbedingungen heraus, dass männlich konnotierte Worte wie dominant oder kompetitiv Frauen davon abhalten würden, sich zu bewerben. Weitere Studien zeigen, dass Frauen seltener beabsichtigen sich auf männlich konnotierte Stellenanzeigen zu bewerben, bspw. auf Stellenangebote mit flexiblem Stundenlohn (Flory et al. 2015). Auch Bosak und Sczesny (2008) machen deutlich, dass geschlechtergerechte Sprache einen Einfluss auf die Bewerbungsabsicht von Frauen und Männern hat. Damelang und Rückel (2021), die 224 weibliche Erwerbstätige zur Gestaltung und Attraktivitätseinschätzung von Stellenanzeigen befragen, zeigen, dass sich geschlechtersensible Berufstitel sowie stereotyp weibliche Formulierungen positiv auf die Bewertung von Stellenausschreibung auswirken.

Im Hinblick auf Berufstitel zeigen Studien zudem, dass die Nutzung des generischen Maskulinums eine Hürde ist (Horvath 2015; Hodel et al. 2017). Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht fügen viele Arbeitgebende Zusätze wie „(m/w/d)“ zum Stellentitel hinzu. Allerdings wird das generische Maskulinum gesamtgesellschaftlich überwiegend mit Männern verbunden, während die Verwendung beider Wortformen den sog. male bias – die männerzentrierte Ausrichtung von Zusammenhängen – in der Wahrnehmung abschwächt (Stahlberg et al. 2007). Hier wird deutlich, dass Sprache Bilder und (geschlechtsspezifische) Wirklichkeiten konstruiert (Semin 2000) und dass eine geschlechtergerechte Sprache auch im Arbeitskontext eine große Rolle spielt.

Letztlich zeigen zahlreiche Studien, dass eine geschlechtergerechte Formulierung von Stellenanzeigen relevant für den Abbau herrschender struktureller Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt ist (Fütty et al. 2020; Prout at Work 2019). Mit Hilfe digitaler Technologien wird es möglich, Stellenausschreibungen geschlechtergerechter zu formulieren.

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