“Ein Überblick über das Phänomen Antifeminismus/(Anti-)Genderismus.” – 5 Fragen an die Herausgeber*innen des GENDER-Sonderhefts 6

Im Verlag Barbara Budrich ist erschienen:

Anette Henninger, Denise Bergold-Caldwell, Sabine Grenz, Barbara Grubner, Helga Krüger-Kirn, Susanne Maurer, Marion Näser-Lather, Sandra Beaufaÿs (Hrsg.): Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘. Erscheinungsformen, Erklärungsversuche und Gegenstrategien

 

Über das Buch

Die Rhetorik gegen eine angebliche ‚Genderideologie‘ richtet sich gegen zweierlei: Herrschaftskritik an der Geschlechterordnung und Forderungen nach sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung. Das Heft analysiert die diskursiven und politischen Strategien der gegen ‚Gender‘ und den Feminismus gerichteten Mobilisierungen im Kontext des Erstarkens von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus und fragt nach emanzipatorischen Gegenstrategien. Es bietet einen Überblick über dieses Phänomen, das in der Forschung teils als Antifeminismus, teils als Anti-‚Genderismus‘ bezeichnet wird. Das Heft leistet demnach einen Beitrag zur Schließung von Forschungslücken in einem boomenden interdisziplinären Forschungsfeld.

 

Die Herausgeber*innen

Prof.in Dr. Annette Henninger, Professur für Politik und Geschlechterverhältnisse mit Schwerpunkt Sozial- und Arbeitspolitik, Philipps-Universität Marburg

Dr.in Denise Bergold-Caldwell, wissenschaftliche Referentin des Zentrums für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg

Ass.-Prof.in Sabine Grenz, Professur für interdisziplinäre Gender-Studies am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien und Privatdozentin für Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin

Dr.in Barbara Grubner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien (Fachbereich Gender Studies) und Mitbegründerin des Vereins plurivers. Netzwerk feministische Bildung und Pluralität (außeruniversitäre Erwachsenenbildung)

Prof.in Dr. Helga Krüger-Kirn, Honorarprofessorin am Fachbereich Erziehungswissenschaften und am Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps Universität Marburg sowie niedergelassene Psychoanalytikerin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene und Lehr- und Kontrollanalytikerin (DGPT)

Prof.in Dr. Susanne Maurer, Professur für Sozialpädagogik, Philipps-Universität Marburg

Privatdozentin Dr.in Marion Näser-Lather, derzeit Gastprofessorin am Institut für Geschichtswissenschaften & Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck, ab 01.07.21 Bearbeitung und Co-Leitung des Projekts „Diskriminierung und geschlechtsbasierte Gewalt im Hochschulkontext“ an der der Philipps-Universität Marburg

Dr.in Sandra Beaufaÿs, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW an der Universität Duisburg-Essen

 

Dieses Interview ist in Kooperation mit https://www.gender-blog.de/ entstanden.

 

1) Liebe Herausgeber*innen, bitte fassen Sie den Inhalt des GENDER-Sonderhefts Band 6 für unsere Leser*innen zusammen.

Seit einigen Jahren beobachten wir in Deutschland, aber auch international im Kontext des Erstarkens von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus Polemiken gegen eine angebliche ‚Gender-Ideologie‘. Diese richten sich gegen herrschaftskritische Perspektiven auf die gegenwärtige Geschlechterordnung – und gegen Forderungen nach sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung. In der Forschung wird das teils als Antifeminismus, teils als (Anti-)Genderismus diskutiert. Das Sonderheft bietet einen Überblick über dieses Phänomen.

Die Einleitung wirft übergreifende begriffliche und konzeptionelle Fragen auf. Die Beiträge analysieren Mobilisierungen gegen ‚Gender‘ und Feminismus aus historischer, zeitdiagnostischer und ländervergleichender Perspektive. Untersucht werden dabei Verschränkungen mit Rassismus und Antisemitismus sowie scheinbar widersprüchliche Bezugnahmen auf Feminismus, Frauenrechte und ‚Gender‘. Gefragt wird aber auch, wie die Geschlechterforschung diese hervorgerufenen Herausforderungen selbstkritisch nutzen könnte, um die eigenen Erkenntnisse und Positionen zu schärfen.

 

2) Wie kam es zur Auswahl des Themenschwerpunkts Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘? Gab es einen „Stein des Anstoßes“ hierfür?

Am Marburger Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung beschäftigen wir uns schon länger mit dieser Thematik. So haben Kolleg_innen aus verschiedenen Fachgebieten 2017-2020 in einem großen, vom BMBF geförderten Forschungsprojekt untersucht, wie sich die Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘ in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zeigen und dort wirken. Wir haben dazu fünf Fallstudien in den Feldern Wissenschaft, Integrationsarbeit, (Sexual-)Pädagogik, Mutterschaft und ‚Ehe für alle‘ durchgeführt. Zu anderen Themen blieben Fragen offen, auch ein Ländervergleich war in diesem Projekt nicht angelegt. Diese Diskurse und Mobilisierungen entwickeln sich zudem beständig weiter. Dies war für uns Anlass, den Heftschwerpunkt zu gestalten und zur Einsendung von Beiträgen hierzu einzuladen.

 

3) Gibt es emanzipatorische Strategien gegen diese Entwicklungen – und wenn ja, welche?

„Ganz“ wichtig ist Solidarisierung: Verschiedene kritische Strömungen und Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzen, die Pluralität anerkennt und auch wertschätzt, dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Das heißt nicht, dass kontroverse Ideen nicht mehr öffentlich verhandelt werden dürfen. Aber es geht um konstruktive Kritik und gemeinsame Bezugspunkte – wie etwa soziale Gerechtigkeit und Gleichrangigkeit von Verschiedenheit/der Verschiedenen. Es geht zugleich auch um klare „no go’s“ – überall dort, wo die Menschenwürde verletzt wird, die unsere Verfassung ja als unantastbar definiert, oder wo demokratieverachtend gesprochen und gehandelt wird, müssen wir ganz klar und deutlich Gegen-Positionen beziehen – je nach Problemlage oder Art des Angriffs in der Wissenschaft, in öffentlichen Debatten oder auch mit kreativen Strategien in der Populärkultur, z.B. mit politischer Satire oder in Rap-Songs. Wichtig sind aber auch erprobte Angebote der Bildungsarbeit, etwa im Bereich der Geschlecht reflektierenden Kinder- und Jugendarbeit, im Rahmen diskriminierungssensibler Bildungsarbeit oder im Bereich der Demokratiebildung. Diese Angebote müssen unbedingt weitergeführt werden und brauchen verlässliche staatliche Unterstützung.

 

4) Wie prognostizieren Sie die Entwicklung der Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘ für die nächsten Jahre – werden sie eher zu- oder abnehmen?

Zu befürchten ist, dass schwierige und konflikthafte gesellschaftliche Situationen (wie derzeit infolge der Corona-Pandemie) von anti-demokratischen Akteur_innen dazu genutzt werden bestehende Ressentiments zu verstärken. In solchen Situationen treten gesellschaftliche Spannungen noch stärker hervor. Im Marburger Antifeminismus-Projekt haben wir Diskurse über eine Krise der Geschlechterverhältnisse als Symptome latenter regulatorischen Krisen analysiert. So haben beispielsweise ökonomische Transformationsprozesse zu einer Zunahme an Komplexität und Unsicherheit geführt; die Geschlechterforschung diskutiert seit einigen Jahren über eine Care-Krise. Gleichzeitig befindet die Geschlechterordnung am Übergang zu einer Flexibilisierung, die eine verstärkte Präsenz vielfältiger, nicht-heteronormativer Lebensweisen impliziert. Gender Studies und feministische Bewegungen stellen unhinterfragte Überzeugungen und Meinungen zum Thema „Geschlecht“ in Frage. In Krisenzeiten gibt es jedoch ein Bedürfnis nach Sicherheit, das sich häufig in Retraditionalisierungs-Tendenzen manifestiert, wie sie sich beispielsweise während des Lockdowns im Bereich der Care-Arbeit zeigen, aber auch in der Abwehr von Liberalisierungen der Geschlechternormen und in Interventionen gegen geschlechtergerechte Sprache. Dem müssen wir solidarische und demokratische Praktiken entgegensetzen, um gemeinsam eine Vision einer lebenswerten, pluralen und offenen Gesellschaft zu entwickeln, die auf einen Abbau statt eine Verstärkung von Ungleichheiten zielt.

 

5) Darum sind wir Autor*innen bei Budrich

Im Vergleich zu manchen anderen – den Markt sehr stark dominierenden – Verlagen erleben wir bei Budrich eine sehr gute Betreuung und Begleitung wissenschaftlicher Publikationen und eine sorgfältige Öffentlichkeitsarbeit. Zudem wissen wir das langjährige Engagement von Barbara Budrich für Themen aus der Geschlechterforschung sehr zu schätzen!

 

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Anette Henninger, Denise Bergold-Caldwell, Sabine Grenz, Barbara Grubner, Helga Krüger-Kirn, Susanne Maurer, Marion Näser-Lather, Sandra Beaufaÿs (Hrsg.): Mobilisierungen gegen Feminismus und ‚Gender‘. Erscheinungsformen, Erklärungsversuche und Gegenstrategien

GENDER-Sonderheft Band 6

 

 

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