1970 – vor 50 Jahren – hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Frauenfußball-Verbot aufgehoben. Zu diesem Anlass freuen wir uns sehr, dass sich Esther M. Franke Zeit für einen Gastbeitrag zum Thema genommen hat.
Esther M. Franke (M.A.) promoviert in Politikwissenschaft an der New School for Social Research in New York mit Schwerpunkten auf feministischer politischer Theorie, Queer Theory und transnationalen feministischen Politiken und Solidaritäten. Zudem ist Esther seit 2013 für die Berliner NGO Discover Football aktiv, die international zu Frauenfußball und Geschlechtergerechtigkeit arbeitet.
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Frauenfußball in Deutschland ist nicht nur ein weites, sondern auch ein umkämpftes Feld. So ist schon der Slogan „50 Jahre Frauenfußball“ irreführend. 50 Jahre ist es her, dass der Deutsche Fußball Bund erlaubt hat, Frauenfußball in seinen Strukturen zu organisieren. Fußball spielende Frauen gibt es in Deutschland – sowohl West als auch Ost – viel länger als 50 Jahre und es ist ihr Druck auf den DFB, der zum Aufheben des Verbots geführt hat. Geschichts- und Erinnerungspolitiken sind also auch in Bezug auf Frauen im Fußball ein wichtiger Aspekt, wie verschiedene Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen betonen. Allein dieser Aspekt zeigt, dass Fußball – auch wenn es manche nach wie vor nicht wahrhaben wollen – politisch ist, da er in gesellschaftliche Strukturen eingebunden ist.
Frauenfußball: Ambitionen und Ambivalenzen
Karin Plötz argumentiert in ihrem Beitrag für diese Reihe, dass fußballspielende Frauen nun zwar akzeptiert seien und aufgeholt hätten, aber noch nicht am Ziel wären. Zweifelsohne ist es leichter für die meisten Frauen in Deutschland zu spielen, zu trainieren oder zu pfeifen, auch die Professionalsierung schreitet voran. Allerdings erleben wir trotzdem im professionellen Bereich in Deutschland Stagnation– andere in Europa, die mehr in den Frauenfußball investieren, holen auf und überholen, Ligen sowie Nationalteams.
Nach wie vor erscheinen Frauenteams auf Homepages von Vereinen zumeist nach allen männlichen Jugendteams, Spiele werden zu ungünstigen Zeiten angesetzt und immer wieder entscheiden sich finanziell angeschlagene Vereine als erstes ihre Frauenabteilungen zu schließen. Gleichzeitig verschwinden Vereine, die Jahrzehnte lang für Frauenfußball gekämpft haben, weil sie für mehr finanzielle Möglichkeiten in Männervereinen aufgehen.
Wie Lisa Gutowski in ihrem Beitrag zeigt, wurde Frauenfußball als Marke und Markt längst entdeckt und schließt – verortet im neoliberalen Kapitalismus – bestimmte Formen der Abweichung von Normen als Produktivkräfte mit ein. Diese Vermarktung geht mit Feminisierung und Heterosexualisierung einher, die Frauenfußball als möglichen Schutzraum angreifen. Einen einfachen linearen Fortschritt zu sehen, wäre also zu einfach.
Zweifelsohne bedeutet ein Eingebunden sein des Fußballs in gesellschaftliche Strukturen auch, dass sich die im Männerfußball weit verbreiteten Diskriminierungen auch im und um den Frauenfußball zeigen. Meine eigenen Erfahrungen in und mit Teams in NRW, Berlin und Frankfurt zeigen zahlreiche Vorfälle von Transfeindlichkeit und Rassismus meinen Mitspielerinnen und unserem Team gegenüber – sowohl von Spielerinnen auf dem Feld als auch von Zuschauer*innen. Dies sollte nicht verschwiegen werden. Gleichzeitig eröffnet die historische Nähe von Frauenfußball zu queeren Bewegungen und Lebensweisen mehr Möglichkeiten, diese Ungleichheitsstrukturen anzuprangern als der zutiefst heteronormative Kontext des Männerfußballs.
Im Fußball als „Arena der Männlichkeit“ (Kreisky/Spitaler 2006), in die zwar einzelne Frauen integriert werden und dort zweifelsohne bewundernswerte Arbeit leisten, halten sich diskriminierende Strukturen hartnäckig. Die Studie „Warum sich Strukturen ändern müssen: eine Analyse von Barrieren zu Führungspositionen für Frauen im Sport in Europa“ (Step Up Equality 2020), die unter Mitwirkung von Discover Football entstanden ist, zeigt, dass die starke Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen im Sport nicht etwa mit fehlender Motivation oder Selbstvertrauen von Frauen zu tun hat, sondern mit strukturellen Hindernissen. Viele Studienteilnehmerinnen beschreiben, wie sie sich als Frau im Fußball immer erst Respekt erarbeiten mussten und besonders unter Beobachtung stehen, weil sich nach wie vor die Annahme hält, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts über geringere Expertise verfügen. 75% der in Führungspositionen im Sport aktiven Frauenhaben bereits darüber nachgedacht, ihre Position aufzugeben. Der Hauptgrund sind ein nicht unterstützendes Umfeld sowie fehlende Anerkennung, gefolgt von zu vielen Aufgaben gepaart mit zu wenig Zeit.
Angelika Wetterer (2005) weist mit dem Konzept der „rhetorischen Modernisierung“ darauf hin, dass es durch ein diskursives Bekenntnis zu Geschlechtergerechtigkeit beispielweise in Institutionen schwerer wird auf nach wie vor präsente Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Dies scheint auch im Fußball relevant zu sein und hier zeigt sich das Problem mit Strukturen. Auf einzelne Erfolge von Frauen lässt sich leicht verweisen ohne konsequent strukturelle Benachteiligungen angehen zu müssen.
Von Affektiver Dissonanz zu Solidarität
Sara Ahmeds Konzept der „feminist killjoys“ ist nach wie vor relevant für fußballspielende Frauen. Ahmed beschreibt so die Position derer, die Freude anderer zerstören, welche auf einem Wunsch nach der Aufrechterhaltung des Status Quo basiert, der von Ausschlüssen und Diskriminierungen geprägt ist – beispielsweise ein Hinweisen auf sexistische Witze oder rassistische Rufe. Die Freude könnte auch verstanden werden als das Verständnis von sogenannten „klassischen“ Geschlechterrollen und Körperbildern, in die fußballspielende Frauen oft nicht hineinpassen (wollen). Friederike Faust und Johanna Kösters (2006) weisen auf diesen Zusammenhang für den deutschen Kontext hin. So sind es nicht nur fußballspielende Frauen beispielsweise im Iran oder in Afghanistan, die durch ihre bloße Präsenz als Spielerinnen, Empörung und Gewalt auf sich ziehen, Es sind – nach wie vor – auch Frauen im deutschen Fußball, die durch ihre Anwesenheit auf Fußballplätzen und auch durch Hinweise auf Sexismus, Homophobie oder Rassismus Ärger auf sich ziehen. Nur zu oft hören wir im Fußball, wir sollten doch die Männer nicht überstrapazieren mit Forderungen und es wäre nun einmal ein langsamer Prozess, Platzzeiten anders zu verteilen oder sich beispielsweise an Gender-Sternchen oder gar konkrete Diskussionen um geschlechtliche Vielfalt zu gewöhnen. Mit Diskriminierungen soll also gelebt werden, damit die Herren in ihrer Vorstellung von Geschlechterverhältnissen nicht allzu sehr gestört werden.
Ein feminist killjoy ist auch Ada Hegerberg, die der letzten WM aus Protest um die Arbeits- und Spielbedingungen in ihrem Verband fernbleibt. Sie macht damit deutlich, dass sie sich nicht mit dem Status Quo zufriedengibt.
Die feministische Theoretikern Clare Hemmings schlägt mit dem Konzept der „affektiven Dissonanz“ (2012) vor, die Gefühle zu benennen, die aus der Diskrepanz zwischen einer erstrebenswerten Lebenswirklichkeit und dem Existieren in gegenwärtigen Strukturen entstehen – also zwischen Gegebenem und dem Wissen um Alternativen. Etwas fühlt sich nicht ganz richtig an, eine Ungerechtigkeit wird verspürt bevor sie benannt werden kann. Hemmings sieht diese Dissonanzen als Ausgangspunkte für feministische Transformation und für potenzielle Solidaritäten über Differenzen hinweg.
Sowohl das Konzept der feminist killjoys als auch das der affektiven Dissonanz sehen negative Gefühl als produktiv. Sie müssen nicht etwa geschluckt werden, sondern können dazu beitragen, diskriminierende Strukturen zu erkennen. Allerdings lässt Hemmings offen, wie aus affektiven Dissonanzen Solidaritäten werden können. Faust und Kösters zeigen, wie transnationale Zusammenkünfte von Fußballerinnen als Deutungsangebote (vgl. Franke/Wember 2019) für affektive Dissonanzen dienen können, die dann zu Solidaritäten über Differenzen hinweg führen können. Gemeinsames Bearbeiten der Gefühle von Nicht-Zugehörigkeit und von gemeinsamer Freude und Stärke schafft die Kollektivität, die für emanzipatorische Anliegen nötig ist.
Solidaritäten können dabei über den Fußball hinausreichen, da sie nicht auf Identitäten aufbauen, sondern auf Gefühlen in diskriminierenden Strukturen. Dies scheint in Zeiten sich verstärkender antifeministischer und frauenfeindlicher Strömungen besonders wichtig.
Hier lohnt sich der Blick nach Argentinien. Nicht nur gibt es eine enge Verzahnung von Frauen im Fußball und feministischen Bewegungen etwa im Kampf um sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung, sondern auch im Bemühen um die Verbesserungen der Strukturen für Frauenfußball. Es zeigt sich, wie hier über Erfahrungen im Fußball Verbindungen zu anderen Strukturen aufgebaut werden konnten, um jeweilige Kämpfe zu unterstützen.
Wo soll es mit dem Frauenfußball hingehen?
Verschiedene aktive Organisationen und Gruppen tun dies im und um den Frauenfußball in Deutschland und nutzen ihn und die Position der killjoys, um weiterhin auf diskriminierende Strukturen hinzuweisen und alternative solidarische Strukturen aufzubauen. Dies könnte aber sicherlich zusammen mit der kollektiven Debatte um Zukünfte für den Frauenfußball und welche Ziele eigentlich verfolgt werden, noch verstärkt werden.
Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland bricht mit einfachen Fortschritts-Ideen. Frauenfußball in Deutschland schwankt zwischen Kommerzialisierung und Emanzipation, Individualisierung und kollektiver Stärke, Allianzen und Auseinandersetzungen. Das macht ihn spannend – sowohl auf als auch neben dem Feld.
Literatur
Ahmed, Sara (2010): Killing Joy. Feminism and the History of Happiness. In: Signs 35(3), S. 571-594.
Faust, Friederike und Johanna Kösters (2016): The joy of the killjoys. Pain and pleasure among women’s football activists. In: Friederike Faust und Stefan Heissenberger (Hrsg.): Emotionen im Spiel. Beiträge zu einer Ethnologie des Sports. Berlin: Panama, S. 72–83.
Franke, Esther M.; Carla Wember (2019): ’The Power of Food to Bring People Together and Create Common Ground’ – Affektive Dissonance und Transnationale Solidarität in einem Ernährungsnetzwerk. In: Femina Politica 03/2019, S. 94-107.
Hemmings, Clare (2021): Affective solidarity. Feminist reflexivity and political transformation. Feminist Theory 13(2), S. 147–161.
Kreisky, Eva; Georg Spitaler (2006): Arena der Männlichkeit. Über das Verhätlnis von Fußball und Geschlecht. Campus.
Step Up Equality (2020): Warum sich Strukturen ändern müssen: eine Analyse von Barrieren zu Führungspositionen für Frauen im Sport in Europa.
Vogt, Jürgen (2020): „Der beste Moment meines Lebens. Trans Fußballerin in der Profiliga“ Taz Online. 8.12.2020. https://taz.de/Trans-Fussballerin-in-der-Profiliga/!5730698/
Wetterer, Angelika (2005): Rhetorische Modernisierung und institutionelle Reflexivität Die Diskrepanz zwischen Alltagswissen und Alltags-praxis in arbeitsteiligen Geschlechterarrangements. Freiburger Frauenstudien 16, S. 75-96.
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