Leistungsbeurteilungen nehmen in der Hochschullehre eine zentrale Rolle ein. Feedback zu geben, das zeitnah und lernförderlich ist, fordert Lehrende jedoch oft stark heraus. Wie kann Feedback motivierend gestaltet werden?
Ein Gastbeitrag von Dr. phil. Tobias Zimmermann, Leiter des Zentrums für Hochschuldidaktik und -entwicklung, Pädagogische Hochschule Zürich
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Michael ist bitter enttäuscht. Seit seiner Kindheit war er ein hoch talentierter Ballsportler, der in American Football, Baseball und Basketball glänzte. Doch nun als Teenager ist er nicht in die Spitzenmannschaft seiner Schule aufgenommen worden, und das ausgerechnet in seinem Lieblingssport Basketball. Soll er sich besser auf Baseball oder American Football fokussieren, in denen er ja auch talentiert ist? Motiviert durch seine Eltern und Trainer entscheidet er sich für einen anderen Weg. Er nimmt das Angebot an, im Juniorenteam der Schule zu spielen, und trainiert noch härter. Oft verlässt er morgens um 6 Uhr sein Elternhaus, um vor Schulbeginn in der Turnhalle an seinen Skills zu feilen.
Sein Einsatz zahlt sich aus: Michael wird zum Star des Juniorenteams und im nächsten Jahr ins Spitzenteam aufgenommen. Auch dort brilliert er und wird nach der College-Zeit als drittbester (nicht bester!) Spieler seines Jahrgangs von den Chicago Bulls als Profi verpflichtet. Auch jetzt noch ruht er sich nie auf seinen Lorbeeren aus, sondern versucht sich immer weiter zu verbessern. Heute gilt Michael Jordan (geboren 1963) als der beste Basketballer seiner Generation und einer der größten aller Zeiten.
Vom Rückschlag zum Antrieb
Die ursprüngliche Ablehnung der Aufnahme ins Spitzenteam dürfte entscheidend sein für den großen Erfolg von Michael Jordan. Zentral war das Feedback, das er nach der Ablehnung erhielt. Seine Eltern und Trainer vermittelten ihm die Überzeugung, dass er sich durch harte Arbeit weiter verbessern und so im nächsten Jahr einen Platz im Spitzenteam erarbeiten könne. Die Einstellung, sich ständig weiter verbessern zu können, verinnerlichte Michael Jordan. Später sagt er in einer Werbung für einen Sportartikelhersteller:
«Ich habe mehr als neuntausend Würfe verfehlt. Ich habe fast dreihundert Spiele verloren. Sechsundzwanzig Mal wurde mir der spielentscheidende Wurf anvertraut, und ich habe nicht getroffen.» (Übersetzung T. Zimmermann nach Dweck 2007, Mindset).
Nicht alle haben diese Werbung verstanden. Am besten lässt sie sich wohl mit einem weiteren Zitat erklären, das vom Schriftsteller Samuel Beckett stammt:
«Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern» (mehr zum Thema «Produktiv Scheitern»).
Nur harte Arbeit mit dem Ziel, sich zu verbessern, ermöglicht Entwicklung und Wachstum. Entscheidend ist nicht Perfektion – sondern Entwicklung. Und hier spielen Personen, die entwicklungsorientiertes Feedback geben, eine entscheidende Rolle – auch im akademischen Lernen.
Der Kern motivationsförderlicher Rückmeldungen
Leistungsbeurteilungen nehmen in der Hochschullehre eine zentrale Rolle ein. Feedback zu geben, das zeitnah und lernförderlich ist, fordert Lehrende jedoch oft stark heraus. Viele haben den Eindruck, dass ihr Feedback wenig bewirkt oder auch gar nicht beachtet wird. Für Studierende hingegen stellt sich oft die Frage, wie sie die wichtigsten Informationen aus dem Feedback ableiten und für ihr weiteres Lernen nutzen können. In diesem Zusammenhang ist Feedback zentral, das auf die Studierenden motivierend wirkt. Aber wie kann Feedback motivierend gestaltet werden? Drei Aspekte sind dabei zentral: hohe Erwartungen, Entwicklungsorientierung und das Stärken der Beziehungsebene.
Hohe Erwartungen formulieren
Eine der effektivsten Methoden, um die Motivation zu fördern, besteht darin, hohe Erwartungen an die Studierenden zu kommunizieren. Der sogenannte Pygmalion-Effekt zeigt eindrücklich, wie Lehrpersonen durch ihre Erwartungen die Leistungen von Studierenden positiv beeinflussen können. Rosenthal und Jacobson (1968) führten eine Studie durch, bei der Lehrkräften gesagt wurde, dass bestimmte Schüler:innen im kommenden Jahr besonders große Fortschritte machen würden. Diese «Aufblüher» («Bloomers») waren allerdings rein zufällig ausgewählt worden. Das Resultat am Ende zeigte, dass sich der IQ der Aufblüher im Laufe dieses Jahres deutlich stärker steigerte als jene der anderen Schüler. Wichtig ist hier der Hinweis, dass der abstrakte Messwert IQ sich steigerte, also nicht einfach Schulnoten oder andere unterrichtsbezogene Messungen.
Da die Lehrpersonen keine anderen Informationen als jene einer zu erwartenden, besonders großen Leistungssteigerung erhalten hatten, kann der Unterschied nur mit den höheren Erwartungen der Lehrpersonen erklärt werden. Diese dürften von den Lernenden internalisiert worden sein und führten über mehr Selbstvertrauen und Motivation zu einer intensivierten kognitiven Entwicklung. Mit anderen Worten: Die Wirkung, die unterschiedliche Erwartungen von Lehrenden an einzelne Lernende haben können, sind enorm.
Daraus folgt, dass Studierende höhere Leistungen erbringen, wenn sie das Gefühl haben, dass Lehrende großes Potenzial in ihnen sehen. Für Lehrende folgt daraus das Motto «Erwarte viel und fordere viel» (vgl. Hattie und Zierer 2017). Die Erwartungen sollen natürlich realistisch bleiben, dürfen/sollten aber am oberen Ende dessen liegen, was man der jeweiligen Person zutraut. Solche hohen, klar kommunizierten Erwartungen können den Lernzuwachs erheblich steigern – wobei es wichtig ist, den Lernenden tatsächlich viel zuzutrauen. Bloßes Vortäuschen hoher Erwartungen reicht nicht aus – es geht hier auch darum, dass die Studierenden das Vertrauen in ihr Potenzial spüren. Dies hängt auch mit der Beziehungsebene zusammen, deren Wichtigkeit unten erläutert wird. Auch Michael Jordan dürfte gespürt haben, dass hinter den fordernden Rückmeldungen der Eltern und Trainer das Vertrauen stand, dass er großes Potenzial besitzt.
Entwicklungsorientiertes Feedback geben
Neben hohen Erwartungen ist es entscheidend, das Feedback auf die Entwicklung der Studierenden auszurichten. Ein zentraler Aspekt entwicklungsorientierter Rückmeldungen ist die Kausalattribution: In der Lernpsychologie geht man davon aus, dass Menschen generalisierte Überzeugungen bezüglich ihrer Lernfähigkeiten haben. Diese können je nach Gebiet unterschiedlich sein. So kann sich jemand z.B. für sprachlich begabt halten, aber für mathematisch unbegabt. Oder jemand kann sich für sprachlich begabt halten, aber davon überzeugt sein, die Kommaregel nicht zu beherrschen.
Solche Selbstkonzepte haben eine erhebliche Auswirkung auf das Lernverhalten und die Lernmotivation. Für unseren Kontext sind vor allem die sogenannten Kausalattributionen bei Erfolg und Misserfolg interessant. Diese Taxonomie geht davon aus, dass Menschen sich darin unterscheiden:
- ob sie Lernergebnisse z.B. eher durch in ihrer eigenen Person liegende Ursachen oder durch äußerliche Umstände erklären – internale vs. externale Zuschreibung.
- ob sie die Lernergebnisse auf zeitlich veränderliche oder überdauernde Faktoren zurückführen, also auf stabile oder variable Ursachen.
- ob sie die Bedingungen der Leistungserbringung als durch sie selbst kontrollierbar erachten oder nicht.
Es ist gut belegt, dass eine internale, kontrollierbare und variable Attribuierung, also die Erklärung des eigenen Lernerfolgs durch Anstrengung, sich positiv auf den Lernerfolg auswirkt. Im Gegenzug ist es besonders ungünstig, wenn jemand Misserfolg durch mangelnde Begabung erklärt.
Generell sind variable Ursachen und kontrollierbare Bedingungen günstigere Attributionen, da sie Veränderungsmöglichkeiten implizieren und man sich so als wirksam erlebt. Demgegenüber wird jemand, der Erfolg oder Misserfolg seines Lernens als fremdgesteuert, als unkontrollierbar erlebt, wenig Wirksamkeit und Eigenständigkeit verspüren und seinen Lernerfolg als wenig beeinflussbar erleben.
Für eine hohe Motivation ist also wichtig, eine kontrollierbare, internale, variable Attribuierung von Erfolg und Misserfolg zu begünstigen. Lernende kommen dabei zur Überzeugung: Je mehr ich mich anstrenge, desto erfolgreicher bin ich. Michael Jordan bringt dies in der folgenden berühmten Aussage zum Ausdruck:
«Some people want it to happen, some wish it would happen, others make it happen.»
Anstelle von Lob für angeborene Fähigkeiten wie „Begabung“ sollte der Fokus deshalb auf dem Engagement und der Anstrengung liegen. Studien von Mueller und Dweck (1998) zeigen, dass Lob für Begabung, Intelligenz oder Talent dazu führen kann, dass Lernende Herausforderungen meiden und ihre lernbezogene Motivation sinkt. Demgegenüber fördert Lob für Anstrengung die Lernbereitschaft, das Selbstvertrauen, auch anspruchsvolle Herausforderungen in diesem Fachgebiet bewältigen zu können und somit die intrinsische Motivation, sich weiter damit zu beschäftigen.
Dies fördert das sogenannte Growth Mindset im Sinne von Carol Dweck. Gemeint ist die Überzeugung, dass Fähigkeiten durch Anstrengung und Lernen weiterentwickelt werden können. Ein Fixed Mindset, bei dem Intelligenz oder Fähigkeiten als statisch angesehen werden, führt dagegen häufig zu einem hilflosen Reaktionsmuster bei Rückschlägen. Die Studie von Robins und Pals (2002) bestätigte genau dies anhand der Reaktionsmuster von College-Studierenden auf Rückschläge im Studium.
Die Beziehungsebene stärken
Bei Leistungsrückmeldungen geht es nicht nur um den Inhalt des Gesagten. Die Beziehungsebene spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Wertschätzendes Feedback, das die Anstrengungen der Studierenden anerkennt, kann die Motivation erheblich steigern. Eine positive Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden fördert das gegenseitige Vertrauen. Dies hilft, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Fehler nicht als Problem, sondern als Lerngelegenheiten gesehen werden.
Humor und Freundlichkeit tragen dazu bei, die Beziehungsebene zu stärken und das Lernumfeld zu verbessern. Der sogenannte Chamäleon-Effekt, bei dem Menschen ihr Verhalten unbewusst an ihre soziale Umgebung anpassen, zeigt: Wenn Lehrende mit Freundlichkeit und Offenheit Rückmeldungen geben, reagieren Studierende meist positiver und sind motivierter, an ihren Schwächen zu arbeiten.
Im Folgenden wird mit Rückmeldungsvideos ein Format vorgestellt, mit dem die beschriebenen drei motivationsförderlichen Aspekte von Rückmeldungen besonders gut adressiert werden können.
Rückmeldungsvideos als motivierendes Feedback-Format
Mit Rückmeldungsvideos ist das Erteilen von Rückmeldungen durch das Aufzeichnen und Übermitteln eines Videos gemeint. Realisiert werden können solche Videos in verschiedenen Formaten:
- Sogenannte Talking-Head-Videos, bei denen eine Person ihr Gesicht filmt, während sie ein Feedback in die Kamera spricht.
- Dann gibt es Screencasts, bei denen der Inhalt des Computerbildschirms oder eines einzelnen Fensters zusammen mit Mausbewegungen und einem Audiokommentar aufgezeichnet wird. Hier wird in der Regel das studentische Erzeugnis angezeigt, ein Text, eine Grafik, eine Berechnung usw. Zur Illustration kann hier noch mit Annotierungen gearbeitet werden, bei Text zum Beispiel mit farblichen Markierungen.
- Screencasts können auch mit Talking-Head-Videos kombiniert werden, indem man im Screencast-Video einen kleinen Talking-Head einblendet.
Die meisten Aufzeichnungssoftwares für Screencasts bieten diese Optionen an. Reine Talking-Head-Videos erschweren den Studierenden oft die Zuordnung des Feedbacks zur betreffenden Stelle ihres Lernprodukts. Deshalb sind insbesondere bei Rückmeldungen zu Texten, Grafiken usw. Screencasts zu bevorzugen. Untersuchungen zeigen, dass es für die Wirkung keine große Rolle spielt, ob dabei ein Talking-Head eingeblendet wird oder nicht – entscheidend scheint die Stimme zu sein:
In Rückmeldungsvideos wirkt die soziale Präsenz der rückmeldenden Person im Vergleich zu schriftlichem Feedback stärker, was vor allem Vorteile auf der emotionalen Ebene bewirkt. Grund dafür dürfte die Möglichkeit sein, mit der Stimme paraverbale Signale zu geben, und somit Humor, Freundlichkeit, Ernsthaftigkeit usw. auszudrücken. Vielen Lehrenden fällt es leichter, Emotionen mit Screencasts auszudrücken, und Studierende können den emotionalen Gehalt in Screencasts leichter erkennen als in schriftlichen Rückmeldungen. Entsprechend finden beide Seiten, ein solches Feedback ermögliche mehr soziale Nähe als schriftliches Feedback und wirke sich damit positiv auf die Beziehungsebene aus.
Zudem scheinen Screencasts eine Konzentration des Feedbacks auf wenige zentrale Punkte zu begünstigen, was Rückmeldungen generell wirkungsvoller macht. Nach einer Eingewöhnungszeit schätzen viele Lehrende den Aufwand für das Erstellen von Rückmeldungsvideos im Vergleich zu schriftlichem Feedback als geringer ein. Mit geringerem Aufwand mehr Motivation und damit mehr Lernen bei den Studierenden zu bewirken, kann auch auf die Lehrenden motivierend wirken.
Feedback, das motiviert: Fazit
Leistungsrückmeldungen an Hochschulen müssen nicht nur fachlich korrekt und objektiv sein – sie sollten auch motivierend wirken und den Lernprozess der Studierenden unterstützen. Durch hohe Erwartungen, entwicklungsorientiertes Feedback und den Aufbau einer tragfähigen Beziehungsebene können Lehrende den Lernerfolg ihrer Studierenden nachhaltig steigern. Eine Möglichkeit, Leistungsrückmeldungen mit diesen Eigenschaften umzusetzen, sind die oben erläuterten Rückmeldungsvideos.
Kurz: Motivierende Rückmeldungen machen nicht nur einen Unterschied im Lernverhalten der Studierenden aus, sondern erhöhen auch ihr Selbstvertrauen und Freude am Lernen.
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