Brauchen wir einen Draht zum Kaktus? – Eine Kritik der Resonanz als Erklärungsmetapher für das Pädagogische
Anne Kirschner
Pädagogische Korrespondenz, Heft 65 (1-2022), S. 11-34.
2016 erschien das Buch Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert. Die Autoren, Hartmut Rosa und Wolfgang Endres, legen hier in Interviewform einen ihrer Ansicht nach „neuen“ Ansatz vor (vgl. Rosa/Endres 2016, ‚S. 7), der dem vorherrschenden Kompetenzparadigma eine alternative Sichtweise auf das Lehren und Lernen gegenüberstellt. Dabei wird der diesbezüglich zentrale Begriff der „Anverwandlung“ (von Welt) dem der Kompetenzorientierung zugeordneten Begriff der „Aneignung“ gegenübergestellt (vgl. ebd.). Wenig später wurde dieser soziologische Ansatz mit weiteren Publikationen in pädagogische Kontexte als „eine neue Perspektive auf Bildung“ (Beljan 2019) bzw. Quelle „neuer Denkmuster“ in Schule und Unterricht (Endres 2020) überführt. Im Wesentlichen geht es dabei um Ansätze zur Verbesserung des Lernklimas auf Grundlage des (sinnlichen) Erlebens und Erfahrens von Welt (nicht aber um die Erkenntnis ihrer objektiven Beschaffenheit). Diese Perspektive wird insbesondere von Beljan (2019) in die Tradition pädagogischer Reflexion über Bildung integriert. Die fortgeführte Rezeption sowie der damit verbundene Anspruch eine neue Form von Pädagogik hervorzubringen sowie die diesbezüglich eingesetzte Resonanzmetaphorik motivieren den vorliegenden Text zu einem genaue(re)n Hinsehen.
Das Determinativkompositum Resonanzpädagogik unterstellt zunächst, dass der relevante Wortstamm „Pädagogik“ durch den Ausdruck „Resonanz“ inhaltlich spezifiziert wird. Während die sprachliche Alternative „Resonanz und Pädagogik“ einen Zusammenhang realisieren würde, innerhalb dessen die Eigenständigkeit beider Konjunkte bewahrt bleibt, wird in der Komposition die zweite Einheit („Pädagogik“) durch die erste („Resonanz“) semantisch näher bestimmt. Diese geläufige Form der Wortbildung ist konstitutiv für die Bezeichnung vieler Subdisziplinen der Pädagogik. Entsprechend konkretisieren Determinantien wie Sozial-, Heil-, Schul-, Sonder-, Erwachsenen- usw. das Determinatum „Pädagogik“ je nach Adressaten, Institutionen oder Handlungsfeldern. Anders der Ausdruck „Resonanz“, der weder auf einen in der außersprachlichen Wirklichkeit vorfindlichen Adressatenkreis noch auf eine Institution oder ein konkretes Handlungsfeld rekurriert. Vielmehr scheinen die alltagssprachlichen Verwendungsweisen von Resonanz im Sinne von „Interesse“, „Echo“, „Wahrnehmung“ bis „Würdigung“ den pädagogischen Bezugspunkt zu verunklären. Der ursprünglich aus der Akustik stammende Begriff kommt in seiner strengen physikalischen Definition, als das Mitschwingen eines Systems bei der Einwirkung von periodisch veränderten Kräften, hingegen lediglich in der akustischen Wahrnehmungsforschung zur Anwendung (vgl. Hildebrandt 2019, S. 916). Er dient aber schon lange und in unterschiedlichen Gebieten auch als Erklärungsmetapher für physiologische und psychologische Vorgänge (vgl. ebd.).
Im Anschluss an Rosas soziologische Studie Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (2016) wird diese Metapher sowohl von vielen Glücks- und Erfolgsratgebern aus dem Bereich der Lebenshilfe¹ als auch von unterschiedlichen pädagogischen Subdisziplinen² als Begriff (!) aufgenommen. Die Rezeption der Resonanz im Kontext von Bildung und Erziehung vollzieht sich dabei überwiegend in der Frage, inwiefern sich dieses (metaphorisierte) physikalische Phänomen in die pädagogische Praxis übertragen lässt. In einer entsprechenden Kritik der Resonanz als „ressourcenfixierte Lebenstechnik“ macht Beljan (2018, S. 434) auf die analytischen Unschärfen sowie lediglich vagen und tastenden Vorschläge Rosas aufmerksam (vgl. ebd., S. 439), er lässt sich aber nicht auf eine grundsätzliche Kritik der Resonanzpädagogik samt ihrer metaphorischen Darstellung ein. Dies wird zum Teil in dem etwas später veröffentlichten Dialog zwischen Beljan und Winkler eingeholt. Winkler macht dabei v.a. auf die Gefahr der reflexionslosen Aneignung nicht-einheimischer Begriffe aus pädagogikfernen Disziplinen (vgl. Beljan/Winkler 2019, S. 19) sowie auf das Fehlen von Missklang und Nicht-Übereinstimmung als Wesensmerkmal von Bildung aufmerksam (vgl. ebd., S. 61). Darüber hinaus stellt er den Charakter der „metaphorischen Illustration“ zwar als Charakteristikum der Resonanzpädagogik heraus, lässt sich aber ebenfalls nicht auf eine diesbezüglich kritische Analyse des Metaphorischen in der Pädagogik ein.
Der vorliegende Beitrag greift diesen blinden Fleck in der pädagogischen Adaption der Resonanz auf, setzt sich mit den Fragen auseinander, ob die Resonanzmetaphorik geeignet ist, das aktuelle pädagogische Feld „neu“ zu organisieren bzw. zu charakterisieren und, damit zusammenhängend, welche Funktionen und zeitdiagnostischen Implikationen mit den eingesetzten Metaphorisierungen und damit zusammenhängenden Romantisierungen verbunden sind. (I) Diesbezüglich werden zunächst die Grundzüge der Resonanzpädagogik von Rosa/Endres (2016) skizziert und vor dem Hintergrund verwandter phänomenologischer Perspektiven³ in der Pädagogik als Grundlage „neuer Denkmuster“ erläutert (Was wird gesagt?). (II) Anschließend erfolgt mithilfe methodischer Zugänge aus der Systematischen Metaphernanalyse eine Untersuchung der diesbezüglich im Text eingesetzten Metaphorik sowie ein Vergleich mit anderen in der Pädagogik geläufigen Metaphern (Wie wird es gesagt?). Als gegenständliche Heuristik dient hier Guskis (2007) umfangreiche Studie zu metaphorischen Konzepten von Schule, schulischem Lernen und Lehren, die von der Erziehungswissenschaftlerin in ausgewählten Texten von Comenius bis zur Gegenwart rekonstruiert werden. Beide Heuristiken orientieren sich dabei an der Kognitiven Metapherntheorie nach George Lakoff und Mark Johnson. (III) Die aus dieser vergleichenden Analyse gewonnenen metaphorischen Konzepte der Resonanzpädagogik werden im Anschluss auf ihre Sprechfunktion in erziehungswissenschaftlichen Kontexten hin untersucht und diskutiert (Wie wirkt das so Gesagte?), um zuletzt (IV) einen zusammenfassenden Antwortversuch auf die im Titel gestellte Frage im Rahmen einer Diskussion der zeitdiagnostischen Implikationen der Resonanzpädagogik zu formulieren.
¹ Einen knappen Überblick gibt Beljan (2018).
² Pädagogische Rezeptionen von Rosas Resonanztheorie finden sich u. a. in der Musikpädagogik (Mahlert 2020), Heilpädagogik (Klein 2018) und Erwachsenenbildung (Wienberg/Beißner/Redmer 2022).
³ Beljan orientiert sich in seiner bildungsphilosophischen Reflexion der Resonanz ebenfalls erkennbar an phänomenologischen Denkfiguren, nutzt diese jedoch eher als methodische denn gegenständliche Heuristik (vgl. Beljan/Winkler 2019, S. 65f.).
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