Bewältigungsstrategien von Vereinbarkeitskonflikten während der Corona-Pandemie

Eine Frau mit Mundschutz hält ein Baby im Arm.

Wo ist das (gute) alte Leben hin? Doing Family und Vereinbarkeitsmanagement in der Corona-Krise

Anna Buschmeyer, Regina Ahrens, Claudia Zerle-Elsäßer

GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 2-2021, S. 11-28

 

Zusammenfassung
Um der Frage nachzugehen, wie während der Corona-Pandemie Erwerbs- und Sorgearbeit vereinbart werden, analysiert dieser Beitrag die Situation von Eltern mit Kindern unter zwölf Jahren aus dem Blickwinkel des Doing Family und mit Rückgriff auf Hartmut Rosas Thesen zur Be- und Entschleunigung. Anhand von Daten des DJI-Survey AID:A 2019, dessen ergänzender Corona-Befragung 2020 und 20 qualitativen Interviews mit Eltern zeigen wir Bewältigungsstrategien von Vereinbarkeitskonflikten während der Corona-Pandemie auf. Die quantitativen und auch die qualitativen Daten zeigen, dass sich die Rahmenbedingungen für das Balancemanagement durch Corona drastisch verändert haben. Besonders intrapersonale Vereinbarkeitskonflikte haben sich durch die Corona-Krise sowohl in beide Richtungen (Work-Family und Family-Work) als auch bei beiden Geschlechtern verstärkt. Viele dieser Veränderungen resultieren in einer Verfestigung der bisherigen Arbeitsteilung zwischen den Eltern. Es zeigen sich außerdem Ambivalenzen: Während sich die Situation für viele Eltern verschärft hat, hat sie sich für andere eher entspannt, teilweise zeigen sich beide Tendenzen innerhalb derselben Erzählung. Diese Ambivalenzen sind mit Dimensionen von Geschlecht verwoben.

Schlüsselwörter
Corona, Doing Family, Vereinbarkeit, Arbeitsteilung, Eltern

 

Where did the (good) old life go? Doing family and reconciling work and family needs during the coronavirus pandemic

Summary
How are parents managing to reconcile paid and care work during the coronavirus pandemic? To answer this question we analysed quantitative data from the DJI Survey AID:A (2019), its coronavirus add-on (2020) and 20 problem-centred qualitative interviews with parents of children under 12 conducted in the summer of 2020. We found that different strategies were used to reconcile work and family needs. The quantitative and qualitative data both show that the coronavirus pandemic has dramatically changed and complicated the conditions under which a balance can be struck between work and family needs. Many of these changes have consolidated the division of labour within partnerships. We were especially interested in those intrapersonal conflicts which arose on account of the need to reconcile care and paid work. These have shifted both from work-tofamily and family-to-work and for both mothers and fathers. But we also found ambivalences: While the situation of many parents worsened, others found that their situation eased somewhat. Sometimes both happened within the same family. These ambivalences can be analysed according to gender concepts.

Keywords
coronavirus, doing family, reconciliation, division of labour, parents

 

1. Einleitung
Wie gelingt es Eltern während der Corona-Pandemie, Erwerbsarbeit, Betreuungs- und Versorgungspflichten zu !vereinbaren? Um diese Frage zu beantworten, analysieren wir aus dem Blickwinkel des Doing Family, in welchem Spagat sich Eltern in der Krise befinden, welche Bewältigungsstrategien sie entwickeln – und wo sich gleichzeitig An­satzpunkte finden lassen, das scheinbar ‚gute Leben‘ vor der Krise auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, wie sich auch langfristige Veränderungen und Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Sorge- und Erwerbsarbeit erreichen lassen.

Wir nutzen für unsere Analyse zum einen Daten des DJI-Survey AID:A 20191 und dessen ergänzender Corona Befragung von 2020 und zum anderen 20 qualitative Interviews mit Müttern und Vätern, die entweder alleine/getrennt leben oder als Füh­rungskraft arbeiten (Feldphase: Juni bis September 2020). Im Folgenden werden die Führungskräfte genauer in den Blick genommen, also jene, die häufig Ressourcen oder Machtpositionen haben, ihr eigenes Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, aber auch das Vereinbarkeitsmanagement ihrer Mitarbeiter_innen beeinflussen können. Al­lerdings müssen sie in Zeiten der Corona-Maßnahmen häufig ein enormes Arbeitspensum neben der Kinderbetreuung bewältigen, die in Zeiten des Lockdowns auch die Be­schulung beinhaltet.

Es gibt, ausgehend von bereits veröffentlichten Studien, eine kontroverse Diskussion darüber, ob die Corona Krise zu mehr Geschlechtergerechtigkeit oder zu einer Retradi­tionalisierung der Geschlechterarrangements geführt hat (Bünning/Hipp 2020; Möhring et al. 2020; Bujard et al. 2020; Globisch/Osiander 2020). Daran anknüpfend möchten wir konkreter analysieren, wie sich in Zeiten der Corona-Pandemie die privatisierte Kinder­betreuung und die Notwendigkeit, zu Hause zu arbeiten, auf das Doing Family und die Arbeitsteilung ausgewirkt haben. Deutlich werden Ambivalenzen sowohl in den Bewer­tungen der Situation als auch in den täglichen Praxen des Doing Family.

Eine weitere, vor allem zu Beginn der Corona-Zeit geführte Debatte ging darum, ob die notwendigen Maßnahmen zu einer Entschleunigung und damit bei manchen sogar zu einer Verbesserung der Lebenssituation beitragen.2 In unseren Analysen orientieren wir uns daher auch an Hartmut Rosas Analyse „Beschleunigung und Entfremdung“ (Rosa 2018), in der er sich auf die Suche nach dem „Guten Leben“ begibt und un­tersucht, warum die Beschleunigung vieler Prozesse (etwa Kommunikation, Transport etc.) nicht zu mehr, sondern häufig zu weniger Zeitverfügbarkeit führt. Im Zuge der Corona-Pandemie fragen wir (und er), ob der erzwungene Stillstand in vielen Lebensbereichen zu einer Abnahme von Zeitdruck und damit eben auch zu einer Entschleunigung des Alltags geführt hat. Auch hier gibt es keine eindeutige Antwort, sondern wir finden im quantitativen wie im qualitativen Material Hinweise, dass es sowohl enorme Bela­stungen als auch Momente der Entschleunigung und Verbesserung gab.

2 Zur Situation von Eltern in der Corona-Pandemie
Von März bis Juni 2020 waren Eltern durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Co­rona-Pandemie insofern besonders betroffen, da ab dem 16. März 2020 bundesweit die Schulen und Kindergärten geschlossen wurden. Ab Mai 2020 erfolgte eine stufenweise Öffnung, teilweise erst im Herbst 2020 kehrten die Einrichtungen – mehr oder weniger – zu einem ‚Normalbetrieb‘ zurück, der im November 2020 wieder eingeschränkt wur­de. Laut Bujard et al. waren davon rund 11,1 Millionen Kinder und Jugendliche unter zwölf Jahren und deren Familien betroffen; unter ihnen 78 000 alleinerziehende Väter und 827 000 alleinerziehende Mütter (Bujard et al. 2020: 12ff.). Gleichzeitig sahen sich berufstätige Eltern aufgefordert, ihrer Erwerbsarbeit in mehr oder weniger normalem Umfang und wenn möglich im Homeoffice nachzugehen. Je nach Studie, Alter der Kin­der und Befragungszeitraum arbeiteten zwischen 29,5 % (Möhring et al. 2020) und 53 % (Cohen/Oppermann/Anders 2020) der Eltern im Homeoffice. Die Gleichzeitigkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung gestaltete sich umso schwieriger, je unflexibler die Arbeitszeiten zumindest eines Elternteils waren und je schlechter die räumliche und tech­nische Ausstattung war (Möhring et al. 2020; Arntz/Ben Yahmed/Berlingieri 2020: 1).

Neben den Schließungen von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen veränderte sich der Alltag  vieler Familien auch durch den Wegfall ihrer Betreuungsnetzwerke: Während z. B. vor dem Lockdown 8,3 % der Großeltern ihre Enkelkinder regelmäßig betreuten, waren es im März/April 2020 nur noch 1,4 % (Möhring et al. 2020: 2). Ebenso gravierend war die zeitweise Schließung von Spielplätzen und Sport-/Freizeiteinrichtungen.

Vonseiten der Politik gab es diverse Maßnahmen3, um die finanziellen Folgen für Familien abzufedern. Aus Sicht des Vereinbarkeitsmanagements lassen jedoch neben der Notbetreuung lediglich die Änderung des Infektionsschutzgesetzes und die damit verbundene Möglichkeit für Eltern, bis zu zehn Wochen (pro Elternteil) der Erwerbsarbeit fern zu bleiben, sowie die Erhöhung der sogenannten Kinderkrankentage von zehn auf 20 Linderung der Zeitkonflikte erwarten.4

3 Sorgearbeit und Arbeitsteilung während der Corona- Pandemie – empirische Befunde
Unter Sorge-/Care-Arbeit verstehen wir Arbeit, die zur Versorgung, Betreuung, Pflege anderer Personen, aber auch zur Aufrechthaltung des (sozialen, familiären und indivi­duellen) Wohlergehens und Arbeitsvermögens notwendig ist. Sorgearbeit kann bezahlt oder unbezahlt durchgeführt werden (vgl. Schmitt 2019). Bereits vor der Corona-Pan­demie zeigte sich ein Ungleichgewicht in der Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern. So leisteten Frauen durchschnittlich rund zwei Stunden mehr (unbezahlte) Care-Arbeit am Tag als ihre Partner (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2017). Während des Lockdowns wurden rund 90 % der Kinder in erster Linie von ihren Eltern betreut (Langmeyer et al. 2020), dabei leisteten  in 52 % der Familien die Mütter die Hauptbetreuungsarbeit und in 24 % der Familien der Vater (Rest: beide; Möhring et al. 2020: 13f.). Kohlrausch und Zucco (2020) weisen darauf hin, dass sich der Anteil der Väter, die angeben, den größeren Teil der Betreuung zu übernehmen, von zuvor 6 % auf 12 % während des Lockdowns erhöht hat (Arntz/ Ben Yahmed/Berlingieri 2020: 4f.; Bujard et al. 2020). Allerdings haben im Zuge der Pandemie mehr Mütter als Väter ihre Erwerbsarrangements angepasst, um Kinder zu betreuen (Bünning/Hipp/Munnes 2020).

Dabei scheint die Frage, wie Haus- und Sorgearbeit während des Lockdowns zwi­schen den Partner_innen verteilt wurde, abhängig vom konkreten Erwerbsarrangement zu sein: Wenn die Mutter ausschließlich außer Haus (z. B. in einem systemrelevanten Beruf) und der Vater mindestens einmal in der Woche im Homeoffice arbeitete, verrin­gerten sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei den Zeitaufwänden für Kinder­betreuung und Hausarbeiten (Arntz/Ben Yahmed/Berlingieri 2020: 4f.).

Während bisherige Studien auf interpersonale Konflikte fokussieren, legen wir den Schwerpunkt unserer Analysen auf intrapersonale Konflikte und damit auf das Balancemanagement: Welche Konflikte zwischen den beiden für Eltern so zentralen Lebensbereichen Familie und Beruf nehmen sie wahr und welche Strategien im Sinne des Doing Family haben sie entwickelt, um den Corona-Alltag zu bewältigen?

4 Theoretischer Rahmen: Doing Family
Um uns dieser Fragestellung zu nähern, nutzen wir das Konzept des Doing Family (Jurczyk 2020; Daly 2003; Morgan 2011). Es geht davon aus, dass Familie etwas ist, das aktiv hergestellt werden muss. Zum Doing Family gehört erstens das Ba­lancemanagement, welches „organisatorische, logistische Abstimmungsleistungen der Familienmitglieder umfasst, um Familie im Alltag lebbar zu machen“ (Jurczyk 2018: 61). Darunter verstehen wir alle Praxen, die die verschiedenen Lebensbereiche der Akteur_innen zusammenbringen. Im Falle der Corona-Pandemie gehören dazu auch die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit unter einem Dach und die da­raus erwachsenen Vereinbarkeitskonflikte. Studien zum Doing Family lassen darauf schließen, dass Frauen bei Vereinbarkeitsfragen häufig die ‚Managerinnen des Alltags‘ sind und über die Aktivitäten der anderen Familienmitglieder ‚Regie führen‘ (Miller 2017; Ludwig et al. 2002). Zweitens geht es beim Doing Family um die Konstruktion von Gemeinsamkeit, also die Art, wie Familie als etwas Sinnvolles und Gemeinsames hergestellt wird (Jurczyk 2018: 61). In dem hier vorliegenden Artikel konzentrieren wir uns auf das Balancemanagement.

5 Methodik
Für den vorliegenden Beitrag werten wir Daten aus zwei Studien5 aus, die wir im Sin­ne eines Mixed-Methods-Ansatzes miteinander verbinden. Die quantitativen Befunde,  die den Rahmen für das Doing Family während der (ersten) Hochphase der Pandemie abstecken, kommen aus dem DJI-Survey AID:A 2019 (T1=Pre-Corona) und seiner Zu­satzerhebung ‚Corona-Blitz‘ (T2=Corona) vom August/September 2020, der uns einen Vorher-Nachher-Vergleich von 772 Eltern aus 594 Familien mit mindestens einem Kind unter zwölf Jahren erlaubt, darunter 459 Mütter und 313 Väter. In 178 Familien konnten beide Elternteile befragt werden. Alle Eltern wurden bereits in der Haupterhebung Ende 2019 zur Arbeitsteilung sowie zu zahlreichen Aspekten des individuellen wie familialen Wellbeings befragt. Ein Großteil (89,6 %) ‚unserer‘ Familien lebt im klassischen Kernfamilienverbund, 4,9 % sind Alleinerziehenden-Familien und 5,6 % Stieffamilien. In den befragten Familien leben im Mittel 2,0 Kinder (SD 0,8), die im Schnitt 5,9 (SD 3,7) Jahre alt sind. Die Mütter sind im Mittel 37,5 (SD 5,9), die Väter 40,2 (SD 6,9) Jahre alt. 2019 (Pre-Corona) lebten 11,6 % in einem Vollzeit/Vollzeit-Modell, 46,3 % in einem Vater-Vollzeit-/Mutter-Teilzeit-Modell und 29,7 % in einem Vater-Vollzeit-/ Mutter-nichterwerbstätig-Modell. 12,5 % leben in sonstigen Konstellationen; davon übersteigt bei 4,2 % der Erwerbsumfang der Mutter den des Vaters.

Die detaillierten Falldarstellungen, die konkrete Praxen und Strategien des Vereinbarkeitsmanagements in den Familien verdeutlichen, beruhen auf der Studie ‚Mütter und Väter während der Corona-Pandemie – Vereinbarkeit von Homeschooling, Kin­derbetreuung und Erwerbsarbeit‘, die seit Juni 2020 am Deutschen Jugendinstitut und an der Hochschule Hamm-Lippstadt läuft. Für die Studie wurden 20 qualitative Tele­fon-/Video-Interviews geführt, für die wir explizit getrennt lebende Eltern(teile) und Führungskräfte angesprochen haben. Für diese Gruppen haben wir die Belastungen und Herausforderungen durch die Corona-Maßnahmen als besonders hoch eingeschätzt und nur wenige Befunde in den bislang vorgelegten Corona-Studien wahrgenommen. Es nahmen insgesamt fünf Männer (alle meldeten sich als Führungskräfte, davon einer alleinerziehend) und 15 Frauen (davon sechs Führungskräfte) teil. Acht der Befragten sind getrennt lebend, davon ein Mann und sieben Frauen. Die Interviews dauerten zwi­schen 45 Minuten und etwas mehr als einer Stunde. Sie wurden transkribiert, anonymi­siert und mithilfe des Programms MaxQDA codiert.

1 Zum Projekt siehe www.dji.de/ueber-uns/projekte/projekte/aida-2019.html [Zugriff: 04.05.2021].
2 Diese Diskussion fand vor allem in den Medien statt, Beiträge von Hartmut Rosa bildeten den soziologischen Hintergrund. Etwa im Deutschlandfunk: www.deutschlandfunkkultur.de/entschleunigung-durch-corona-warum-die-neue-langsamkeit.1008.de.html?dram:article_id=473780 [Zugriff: 04.05.2021] oder im Tagesspiegel: www.tagesspiegel.de/politik/soziologe-hartmut-rosa-ueber-covid-19-das-virus-ist-der-radikalste-entschleuniger-unserer-zeit/25672128.html [Zugriff: 04.05.2021].
3 Siehe hierzu www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/corona-pandemie [Zugriff: 04.05.2021].
4 Stand: 21.01.2021.
5 Die Auswertung beider Studien ist noch nicht abgeschlossen.

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GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft 2-2021: Wo ist das (gute) alte Leben hin? Doing Family und Vereinbarkeitsmanagement in der Corona-KriseSie möchten gerne weiterlesen? Dieser Beitrag ist in dem Heft 2-2021 der GENDER – Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft erschienen.

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