Motive und Ansätze chinesischer Afrikapolitik am Beispiel Äthiopiens

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik 4-2022: China und Afrika – Interessen und Politikansätze am Beispiel Äthiopiens

Eine Leseprobe zu China und seiner Politik in Afrika aus unserer Zeitschrift GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, Heft 4-2022.

***

China und Afrika – Interessen und Politikansätze am Beispiel Äthiopiens

Sven Bernhard Gareis

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, Heft 4-2022, S. 421-433.

 

Zusammenfassung
Die Volksrepublik China und die Staaten Afrikas sind – nicht zuletzt über die Belt and Road Initiative (BRI) – wirtschaftlich und politisch eng miteinander verflochten. Die internationale Wahrnehmung dieses Verhältnisses variiert in einem Spektrum, welches vom Vorwurf des Neokolonialismus bis hin zu gelungenen Entwicklungspartnerschaften reicht. Der vorliegende Beitrag untersucht die wesentlichen Motive und Ansätze chinesischer Afrikapolitik und betrachtet deren Anwendung am Beispiel Äthiopiens

 

Wenngleich Russlands Aggression in der Ukraine mit ihren Auswirkungen auf die europäische und globale Sicherheitsarchitektur vor allem im politischen Westen einen erheblichen Teil der öffentlichen Aufmerksamkeit bindet, setzen sich geopolitische Entwicklungen auch andernorts fort. Im Juni 2022 lud die Volksrepublik China in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zur „China-Horn of Africa Peace, Good Governance, and Development Conference”. Unter der Leitung von Xue Bing, dem ersten chinesischen Sondergesandten für die Region, trafen sich Diplomaten aus Äthiopien, Sudan, Somalia, Südsudan, Kenia, Uganda, and Dschibuti, um über die regionale Sicherheitslage zu beraten und sich gegenseitig ihrer Bemühungen um Frieden und Stabilität zu versichern (Tassema 2022).

Zwar wurden während des Treffens keine offenen Konflikte wie etwa der katastrophale Krieg in der äthiopischen Unruheprovinz Tigray oder internationale Kontroversen wie um den Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD), der zur Stromgewinnung das Wasser am Oberlauf des Nils staut, behandelt oder gar einer Lösung nähergebracht. Bemerkenswert war aber, dass die Volkrepublik China erstmals eine solche Konferenz außerhalb des eigenen Landes ausrichtete und damit behutsame Schritte hin zu einer ordnungspolitischen Rolle in einer Region unternahm, in der das Land nicht nur wichtige politische und wirtschaftliche Interessen verfolgt, sondern auch erhebliche Investitionen getätigt und Kredite ausgereicht hat (siehe Fiala 2022). Dabei zeigt sich China vor allem an binnenstaatlicher bzw. regionaler Stabilität als Rahmen zur Absicherung seines Engagements interessiert und nimmt damit eine Position ein, die sich erkennbar von denen westlicher Akteure wie den USA mit ihren Bemühungen um „liberalen Frieden“ unter Einschluss von good governance, Menschenrechten und nachhaltiger Entwicklung unterscheidet (siehe Mariani 2022).

Chinas Engagement in Ostafrika fügt sich ein in das größere Bild seines globalen Projekts der auch als Neue Seidenstraße bezeichneten Belt and Road Initiative (BRI), die Partei und Staatschef Xi Jinping 2013 ausgerufen hat und in der Afrika erhebliche Bedeutung zukommt. Außer Eswatini und Mauritius haben alle weiteren der 54 (international anerkannten) Staaten Afrikas mit China Abkommen zur BRI unterzeichnet (Gu et al. 2022: 6). 2021 erreichte das bilaterale Handelsvolumen 254 Milliarden US-Dollar (ibid.).

Mit dem im Jahr 2000 geschaffenen Forum on China Africa Cooperation (FOCAC), einem engen Geflecht bilateraler Beziehungen sowie der starken Präsenz sowohl staatlich kontrollierter wie auch privater Unternehmen ist China fest in Afrika verwurzelt. Seine wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Anstrengungen hat China aber immer auch zur Steigerung seines politischen Einflusses genutzt und sich – zu Beginn selbst noch ein armes Entwicklungsland – schon auf dem Weg zum 1971 dann erlangten Sitz in den Vereinten Nationen (VN) oder in der Gegenwart bei Abstimmungen in Organen wie dem VN-Menschenrechtsrat oder bei Wahlen zu VN-Gremien stets der Unterstützung zahlreicher afrikanischer Staaten versichert.

In den USA und vielen europäischen Ländern wird Chinas Auftritt in Afrika dagegen bereits seit längerem mit Neokolonialismus und Ausbeutung in Verbindung gebracht (Schüller 2007). In jüngerer Zeit wird insbesondere eine chinesische debt trap diplomacy kritisiert, also das bewusste Hineinführen von Staaten in eine Schuldenfalle durch die Vergabe von Krediten ohne eine realistische Möglichkeit der Rückzahlung. Die Sorge vor allem in Washington ist, dass die Volksrepublik sich so Länder und Regionen unterwirft, ihre Machtposition in Afrika weiter ausbaut und sich so Vorteile in der great power competition verschafft, dem Wettbewerb mit den USA um die weltpolitische Führungsrolle.

Wie steht es vor diesem Hintergrund um Chinas Rolle in Afrika, seine Interessen und Politikansätze? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden. Da China in Afrika keine einheitliche Großstrategie verfolgt, sondern mit seinen Partnern bevorzugt in bilateralen Formaten kooperiert, wird nach der Betrachtung einiger grundlegender Prinzipien der chinesischen Afrika-Politik das Verhältnis zu Äthiopien genauer untersucht. Am Beispiel dieses Landes, welches mit der Volksrepublik seit Jahrzehnten enge Beziehungen pflegt, lassen sich die diversen Interessen und Handlungsmuster Chinas in Afrika gut herausarbeiten.

 

Motive und Ansätze chinesischer Afrikapolitik im Überblick

Wenngleich die Präsenz der Volksrepublik auf dem afrikanischen Kontinent in Europa und den USA erst seit den 2000er-Jahren und dann vor allem im Zusammenhang mit der Seidenstraßen-Initiative verstärkte Beachtung findet, reichen Chinas Beziehungen zu zahlreichen afrikanischen Staaten viel weiter zurück.

Erste Handelskontakte lassen sich bereits während der Han-Dynastie (206 v.Chr. bis 220 AD) nachweisen, auch während der nachfolgenden Dynastien der Tang (617-907), Song (960-1279) und Yuan (1279-1368) fanden zahlreiche Exkursionen chinesischer Militärs, Händler und Diplomaten nach Afrika statt. Die Volksrepublik verweist gerne darauf, dass die Exkursionen des von der Ming-Dynastie entsandten Admirals Zheng He im 15. Jahrhundert mittels sieben großer Expeditionen engere Verbindungen zwischen Afrika und China herstellten. Dazu gehörte auch, Abordnungen afrikanischer Länder nach China zu bringen, wo sie dem chinesischen Kaiser als „Sohn des Himmels“ Tribut zollten, um so ihre Einbeziehung in den chinesischen Kultur- und Zivilisationskreis zu bekunden. Für China unter dem tatkräftigen Yongle-Kaiser (1402-1424) bedeutete dies eine beträchtliche Ausdehnung seines Einflussbereichs – aber auch unvorstellbare Kosten, die mit der Aufstellung einer gigantischen Flotte und dem Einkauf afrikanischer Güter verbunden waren. Noch während Yongles Regentschaft wurde daher 1415 das Afrika-Engagement beendet, die Flotte vernichtet und der Rückzug Chinas in seinen angestammten Machtbereich eingeleitet (siehe ausführlich Levathes 1994).

 

Weltrevolutionäre Bemühungen

Es dauerte dann bis zur Gründung der Volksrepublik China 1949, bevor wieder mit dem Aufbau langfristiger und tragfähiger Beziehungen zu Afrika begonnen werden konnte. Die Volksrepublik sah in den sich aus der Kolonisation befreienden Ländern Afrikas potenzielle Verbündete für ihre Positionierung zwischen den Machtblöcken der USA und der Sowjetunion. Letztere war zwar anfänglich ein enger Partner der Volksrepublik, doch kühlte das Verhältnis nach dem Tod Josef Stalins am 5. März 1953 und einer skeptischeren Haltung seines Nachfolgers Nikita Chruschtschow zu China schnell ab. Mit der Unterstützung von Befreiungsbewegungen in von westlichen Staaten kolonisierten Ländern wollte die Volksrepublik zudem ihre (welt)revolutionäre Ideologie verbreiten und sich – etwa auf der Bandung-Konferenz 1955 und mit Verweis auf die gemeinsame Erfahrung der kolonialen Erniedrigung – als „Dritte-Welt-Macht“ an der Seite ihrer afrikanischen „Brüder“ (siehe Kim 2017: 24) präsentieren.

Bis 1970 hatte die Volksrepublik diplomatische Beziehungen dann mit 44 der damals 50 freien Staaten Afrikas aufgenommen (Lathinen 2018: 4). Die Zusammenarbeit verlagerte sich dabei zusehends von der ideologischen Anfeuerung im Befreiungskampf auf praktische Entwicklungshilfen durch die Entsendung von Experten, Ärzten und Technikern sowie Investitionen in Infrastruktur (siehe Brautigam 2009: Kap. 2). Unter letzteren ragt das 1970-75 realisierte TAZARA-Eisenbahnprojekt, welche den Binnenstaat Sambia mittels einer über 1.800 Kilometer langen Transportroute mit Tansania und dessen Häfen am Indischen Ozean verband – unter Umgehung des damaligen Südrhodesien (heute Simbabwe) mit seinem Apartheid-Regime. Die Hilfen der selbst von großer Armut geprägten Volksrepublik trugen erheblich zu einem positiven Bild Chinas in Afrika und schließlich zur Unterstützung der Volksrepublik in ihren Bemühungen um Anerkennung als alleinige Vertreterin Chinas in der internationalen Politik.

 

Taiwan und das „Ein-China-Prinzip“

Hintergrund war die faktische Teilung Chinas als Ergebnis des 1927 begonnenen, während des Zweiten Weltkriegs und danach weitergeführten Bürgerkrieges zwischen der nationalchinesischen Kuomintang (KMT) unter dem Präsidenten der Republik China, Chiang Kai-Shek, und der Kommunistischen Partei unter Mao Zedong. Angesichts seiner Niederlage auf dem Festland hatte sich Chiang nach Taiwan zurückgezogen und von dort aus seinen Regierungsanspruch für ganz China aufrechterhalten. Mit ihrer Ausrufung am 1. Oktober 1949 durch Mao erhob dann die Volksrepublik China den gleichen Anspruch, der ihr aber durch die westlichen Verbündeten Chiangs und eine zunächst westlich dominierte VN-Generalversammlung verwehrt wurde. Es waren daher gerade die vielen afrikanischen Staaten, die im Zuge der Dekolonisierung neue Mehrheiten in der Generalversammlung schufen. Viele von ihnen trugen schließlich bei der Abstimmung in der Generalversammlung am 25. Oktober 1971 dazu bei, dass die Repräsentation Chinas in den VN, verbunden mit dem machtvollen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat, an die Volksrepublik ging (siehe A/RES/2758(XXVI) vom 25. Oktober 1971). Ihr „Ein-China-Prinzip“ setzt die Volkrepublik seither eisern in ihren Beziehungen (nicht nur) zu den afrikanischen Staaten durch. Schritt für Schritt konnte die Volksrepublik mit Ausnahme des kleinen Eswatini (früher Swasiland) so alle afrikanischen Staaten, die diplomatische Beziehungen zu Taiwan unterhielten, auf seine Seite ziehen, zuletzt Burkina Faso 2018.

* * *

Sie möchten gerne weiterlesen? Dieser Beitrag ist in Heft 4-2022 unserer Zeitschrift GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik erschienen.

 

 

 

Mehr Leseproben …

… finden Sie auf unserem Blog.

 

© Unsplash 2023, Foto: James Coleman