Wählerinnen und Wähler des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik 1-2025: Wer wählt (das Bündnis) Sahra Wagenknecht? Erste Erkenntnisse aus der Forschung und den Wahlen des Jahres 2024

Wer wählt (das Bündnis) Sahra Wagenknecht? Erste Erkenntnisse aus der Forschung und den Wahlen des Jahres 2024

Markus Klein / Christoph Kühling

GWP – Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, Heft 1-2025, S. 49-59.

 

Zusammenfassung
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist gekennzeichnet durch ein extremes Maß an Personalisierung und eine links-autoritäre politische Positionierung. Für seine Wählerinnen und Wähler von besonderer Bedeutung sind neben den migrationskritischen Positionen des BSW vor allem dessen Ablehnung der militärischen Unterstützung für die Ukraine. Die Wählerinnen und Wähler des BSW weisen in ihren Einstellungen viele Übereinstimmungen mit denen der AfD auf. Gleichwohl gewinnt das BSW nur wenige Stimmen von den Rechtspopulisten. Das BSW steht für einen salonfähigen Anti-Kriegs-Populismus mit attraktivem Gesicht. Es spricht Unzufriedene an, die den Schritt nach Rechtsaußen nicht gehen wollen.

 

1. Das Bündnis Sahra Wagenknecht: Ein Novum im deutschen Parteiensystem

So weit wie Sahra Wagenknecht ist noch nicht einmal Ronald Schill gegangen. Auch der als „Richter Gnadenlos“ bekannt gewordene Hamburger Rechtspopulist hatte sich im Jahr 2000 eine Partei auf den Leib geschneidert. Sie nannte sich offiziell aber Partei Rechtsstaatlicher Offensive. Nur auf dem Wahlzettel firmierte sie mit dem Kürzel „Schill“ unter seinem Namen. Und Ronald Schill trat auch tatsächlich bei der Hamburger Bürgerschaftswahl des Jahres 2001 als Spitzenkandidat seiner Partei an. Anders Sahra Wagenknecht: Nachdem ihr Projekt einer linken „Sammlungsbewegung“ mit dem Namen „aufstehen“ 2019 gescheitert war, gründete sie im Januar 2024 eine Partei unter ihrem eigenen Namen: Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW). Bei der Europawahl und den drei Landtagswahlen des Jahres 2024 konnte das BSW bereits erste Erfolge erzielen, obgleich Sahra Wagenknecht bei keiner dieser Wahlen selbst als Kandidatin antrat. Sie sparte sich ihre eigene (Spitzen-)Kandidatur für die Bundestagswahl 2025 auf.

Gerechtigkeit“ (BSW). Bei der Europawahl und den drei Landtagswahlen des Jahres 2024 konnte das BSW bereits erste Erfolge erzielen, obgleich Sahra Wagenknecht bei keiner dieser Wahlen selbst als Kandidatin antrat. Sie sparte sich ihre eigene (Spitzen-)Kandidatur für die Bundestagswahl 2025 auf.

In unserem Beitrag wollen wir der Frage nachgehen, für wen diese neuartige Mischung aus extremer Personalisierung und heterogener programmatischer Ausrichtung ein attraktives politisches Angebot darstellt. Oder mit anderen Worten: Wir wollen die Frage beantworten, wer das Bündnis Sahra Wagenknecht wählt. Zur Beantwortung dieser Frage werden wir einerseits den bisherigen Forschungsstand aus der empirischen Wahlforschung darstellen und zum anderen die Ergebnisse der vier Wahlen analysieren, bei denen das BSW bislang angetreten ist. Der Beitrag endet mit einer pointierten Zusammenfassung der Befunde sowie einem kurzen Ausblick auf die Zukunftschancen des BSW.

2. Das Bündnis Sahra Wagenknecht aus Sicht der Wahlforschung

Kennzeichnend für den politischen Wettbewerb in Deutschland sind – wie in anderen Ländern Westeuropas auch – zwei Konfliktdimensionen, auf denen sich sowohl die Parteien als auch die Wählerinnen und Wähler verorten lassen: eine sozioökonomische (horizontale) und eine soziokulturelle (vertikale) Achse (Kriesi et al. 2006): Auf der sozioökonomischen Dimension lassen sich linke, d.h. staatliche Eingriffe in den Markt und sozialstaatliche Umverteilung befürwortende, und rechte, d.h. den unregulierten Markt und seine Verteilungsergebnisse bevorzugende, Positionen unterscheiden. Auf der soziokulturellen Dimension stehen sich liberale und autoritäre Positionen gegenüber. Erstere sind durch die Befürwortung von Vielfalt, Zuwanderung und grenzüberschreitender Zusammenarbeit gekennzeichnet, letztere durch den Wunsch, traditionelle Werte und Strukturen sowie die nationale Souveränität zu bewahren.

Im Rahmen dieser Konzeption des politischen Wettbewerbs als zweidimensionalen Raum ergeben sich insgesamt vier mögliche Kombinationen für die ideologische Verortung von Parteien und Wählerinnen und Wählern: links-libertär (d.h. ökonomisch und kulturell links), rechts-autoritär (d.h. ökonomisch und kulturell rechts), rechts-libertär (d.h. ökonomisch rechts und kulturell links) und links-autoritär (d.h. ökonomisch links und kulturell rechts). Doch während sich in allen Quadranten des politischen Raumes substanzielle Wähleranteile finden lassen, war das deutsche Parteiensystem lange Zeit durch eine Angebotslücke im links-autoritären Quadranten gekennzeichnet (Steiner und Hillen 2019).

Politische Beobachter sind sich einig, dass das BSW als eine Partei charakterisiert werden kann, die diese Angebotslücke im deutschen Parteiensystem schließt (Wagner 2023, Wagner et al. 2023, Thomeczek 2024a). In ökonomischen Fragen unterscheidet sich das BSW zunächst kaum von der Linkspartei: So finden sich im ersten Wahlprogramm des BSW klassisch linke Forderungen nach mehr Umverteilung und mehr staatlichen Interventionen in die Wirtschaft. Deutliche Kritik übt die Partei dagegen mit Blick auf die Klima- und Migrationspolitik (Thomeczek 2024a). Insgesamt deckt sich die Positionierung der Partei damit stark mit der ihrer Parteivorsitzenden Sahra Wagenknecht, die schon länger den gesellschaftspolitischen Kurs der Linkspartei (insbesondere in der Migrationspolitik) kritisiert hat. Daher lässt sich mit Blick auf die Wählerschaft der Partei die theoretische Erwartung formulieren, dass Wählerinnen und Wähler, die ökonomisch linke und kulturell rechte Positionen aufweisen, zur Wahl des BSW tendieren sollten.

Neben diesen inhaltlichen Positionen in ökonomischen und kulturellen Sachfragen bedient sich das BSW auch populistischer Stilelemente. So zeigt Thomeczek (2024a) in einer Analyse von Pressemitteilungen und Parlamentsreden, dass Sahra Wagenknecht die Person der ehemaligen Linksfraktion mit der höchsten Dichte an populistischer Kommunikation ist. Auch im ersten Wahlprogramm der Partei lassen sich laut Thomeczek die zentralen Elemente des Populismus – Volkszentriertheit und Elitenkritik – wiederfinden. Aus diesem Grund ist zu erwarten, dass das BSW Personen mobilisiert, die mit dem politischen Establishment und mit der Funktionsweise der Demokratie in Deutschland im Allgemeinen unzufrieden sind.

Da sich links-autoritäre Einstellungen insbesondere unter Angehörigen niedriger sozialer Schichten (mit Blick auf Beruf, Bildung und Einkommen) sowie unter in der DDR sozialisierten Personen finden (Steiner und Hillen 2019), lässt sich die Erwartung formulieren, dass diese soziodemografischen Gruppen eine erhöhte Neigung zur Unterstützung des BSW aufweisen sollten.

Aufgrund der noch jungen Parteigeschichte des BSW sind zum Zeitpunkt des Abfassens dieses Beitrags nur wenige wissenschaftliche Analysen erschienen, die sich der Frage widmen, welche gesellschaftlichen Gruppen die neu gegründete Partei unterstützen und welche Motive hierfür entscheidend sind. Noch vor der offiziellen Vereins- und späteren Parteigründung beschäftigen sich Wagner, Wurthmann und Thomeczek (2023) auf Basis von Umfragedaten aus dem November 2022 mit dem Wählerpotenzial einer hypothetischen Wagenknecht-Partei. Als potenzielle Wählerinnen und Wähler einer solchen Partei definieren die Autoren dabei Personen, die Wagenknecht positiv und besser als die Linkspartei bewerten. Die empirische Analyse der Autoren zeigt, dass mit der Demokratie unzufriedene Befragte sowie soziokulturell rechts stehende Personen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, potenzielle Wagenknecht-Wählerinnen und -Wähler zu sein. Im Hinblick auf die sozioökonomische Dimension stellen die Autoren allerdings fest, dass eine rechte Positionierung und nicht wie erwartet eine linke die Zugehörigkeit zum Wagenknecht-Potenzial begünstigt (Wagner et al. 2023: 631).

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