Der weibliche Körper als Irritation im Fußball

Torwärtin Frauenfußball © Pixabay 2020 Foto: planet_fox

Portrait Laura Arasteh-Roodsary1970 – vor 50 Jahren – hat der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Frauenfußballverbot aufgehoben. Zu diesem Anlass freuen wir uns sehr, dass sich Laura Arasteh-Roodsary Zeit für einen Gastbeitrag zum Thema genommen hat.

Laura Arasteh-Roodsary studierte Italienische Philologie, Geschichte und Philosophie im Bachelor of Arts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der Università die Roma. Ihren Masterabschluss absolvierte sie im Joint Degree „Gender Studies – Kultur, Kommunikation, Gesellschaft“ an der Ruhr-Universität Bochum und der Karl-Franzens-Universität Graz. In ihrer Masterarbeit befasste sie sich mit dem weiblichen Körper als heteronormative Disposition im Fußball und schaffte somit einen Nexus zwischen Geschlechterforschung und Sportwissenschaft. Sie arbeitet derzeit an ihrem Dissertationsvorhaben und engagiert sich ehrenamtlich im Mädchen- und Frauenfußball.

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In der sozialwissenschaftlichen Fußballforschung gilt der Fußballplatz gemeinhin als Ort männlicher Vergemeinschaftung und, in Anlehnung an Pierre Bourdieu, als Austragungs- und Sozialisationsraum um die „ernsten Spiele des Lebens“ der Jungen. Der Raum hingegen, in dem sich weiblichen Fußballerinnen positionieren, wird als Normabweichung wahrgenommen, die in der Heteronormativität der Gesellschaft begründet ist. Alltägliche Praktiken werden hier durch eine symbolische Geschlechterordnung geformt, die sich unter anderem in ästhetischen Körperidealen, in der Annahme über die physische Überlegenheit und Leistungsfähigkeit eines Geschlechts und zuletzt in einer Hierarchisierung der Geschlechter materialisiert. In diesem Beitrag möchte ich skizzenhaft deutlich machen, wie Körperstrategien im binären Geschlechtersystem Einfluss auf das Fußballspiel haben und inwiefern der Frauenfußball in der öffentlichen Wahrnehmung unter dieser Perzeption leidet.

 

Fußball als weiblichen Raum denkbar?

Von knapp sieben Millionen Mitgliedern des DFB spielen etwas über 1,1 Millionen Mädchen und Frauen in Vereinen Fußball – sie umfassen also knapp 16 Prozent des gesamten deutschen Fußballbetriebs (DFB Mitgliederstatistik 2020). Dass es hier auch einen, im ganz wörtlichen Sinne, Raum für weibliche Fußballspielerinnen geben muss, scheint außer Frage zu stehen. Wie gehen wir aber damit um, wenn Frauenfußball seit jeher als defizitär, normabweichend und mit Männerfußball nicht vergleichbar wahrgenommen wird? Wenn Frauen sich in einem männlich konnotierten und dominierten Raum bewegen und sich diesen versuchen anzueignen, wird ihnen in der Alltagskultur männliches Verhalten vorgeworfen. Wie Thorpe (2009: 495) herausgearbeitet hat, verlieren sie durch dieses vermeintlich männliche Verhalten ‚natürliche‘ Weiblichkeit, die sie einerseits als Frauen delegitimiert, da sie sich nicht geschlechtergerecht verhalten und werden nicht selten als ‚Mannweiber‘ bezeichnet. Sobald sie sich aber andererseits geschlechterkonform verhalten, zum Beispiel durch das Tragen von Make-Up oder Nagellack während eines Spiels, wird ihnen ihre Leistungsfähigkeit abgesprochen. Das Absprechen der Leistungsfähigkeit funktioniert aber eben nur dann, wenn der Mann als Universalmaßstab fungiert, indem er die heterosexuelle Matrix bedient und reproduziert.

 

Heteronormativität im Sport

Sportliche Leistungen werden anhand körperlicher Handlungen messbar und „[…] erlaub[en] Rückschlüsse auf die Leistungsfähigkeit der daran beteiligten Körper.“ (Müller 2006: 393) Diese Leistungs- und Körpervergleiche führen zu einer vergeschlechtlichen Körperpraxis im binären Geschlechtersystem. Während Männer in ihrer Körperpraxis einer Art Risikostrategie folgen, indem sie ihre Körper so bewegen, dass sie eine Gefährdung für sich und andere darstellen, ist die weibliche Körperpraxis durch körperliche Vermeidungsstrategien gekennzeichnet. Während das Spiel der Männer eben von risikoreichen Zweikämpfen geprägt ist, die auch hier ganz deutlich die hegemonialen Männlichkeiten zu tangieren versuchen und damit zur Reproduktion von Macht und Herrschaft (Sobiech 2012: 190) beitragen, ist das Spiel der Frauen eines des inkorporierten Habitus, der sich in der Sorge um den eigenen Körper und den ihrer Gegenspielerinnen wiederspiegelt. Die Körperpraxis der Geschlechter führt im Fußball zu einer anderen Art des Spiels, die vor allem für die Zuschauer*innen auffällig ist.

 

Gibt es weibliche Zweikämpfe?

Nur 25,5% aller Verletzungen im Frauenfußball werden durch direkte Zweikampfsituationen verursacht. Direkte Zweikampfsituationen sind diejenigen, in denen die Spielerinnen körperlichen Kontakt haben und den Zweikampf austragen und nicht abbrechen. In 70% der Fälle werden Verletzungen aber durch sogenannte „Nicht-Kontakt-Situationen“ (Gaulrapp 2007: 130) verursacht. Das heißt, Fußballspielerinnen verletzen sich dann, wenn sie versuchen, den Zweikampf im Moment des Kontakts abzubrechen, indem sie den Körper wegdrehen, abspringen oder ihre Körperspannung lösen. Die Verletzungen, die sich Fußballerinnen zuziehen, werden durch das Ausweichen des eigenen Körpers vom Körper der Gegnerin verursacht. Dadurch kommen sie beispielsweise im Moment einer Drehbewegung unkontrolliert auf dem Boden auf und verletzen sich an den Bändern, vor allen in den Knie- und Sprunggelenken. Die Unterschiede der weiblichen und männlichen Körperstrategien kommen besonders in Sportarten zur Geltung, die ein hohes Maß an Körperkontakt und -einsatz erfordern.

 

Mädchen sind unerwünscht

Bei der Auswahl der auszuübenden Sportarten von Jungen und Mädchen werden schon sehr früh geschlechtsspezifische soziale Normen deutlich, die Einfluss auf die Entscheidung über die Ausführung einer Sportart haben. Diese werden nicht nur implizit, sondern in bestimmten Räumen sogar ganz explizit verbal und nonverbal kommuniziert:

„Wenn z.B. öffentliche Räume wie Bolzplätze in erster Linie Jungen vorbehalten sind, genügen zumeist Blicke und bestimmte Gesten, um zu verdeutlichen, dass Mädchen dort nicht hingehören.“ (Sobiech/Ochsner 2012: 173, Hervorhebung d. L.A.-R.)

Für Frauen und Mädchen bedeutet dieser biologistische Fehlschluss vor allem, dass ihre sportlichen und körperlichen Leistungen im Ganzen, sofern sie sich innerhalb der Räume der Männersportarten befinden, verkannt werden. Durch die sich scheinbar unumkehrbare Prämisse des Universalmaßstabs „Mann“ und der Verabsolutierung seiner Leistungsfähigkeit erscheinen weibliche Körperleistungen defizitär. Dieser biologistische Fehlschluss lässt sich anhand von Aussagen erkennen, die den vermeintlichen natürlichen Leistungsunterschied der Geschlechter deutlich machen.  Im Fußball summieren sich solche Aussagen vor allem in den Erzählungen, „[…] dass jede Bundesliga-Damenmannschaft gegen eine männliche Jugendmannschaft aus biologischen Gründen verlieren würde.“ (Gieß-Stüber 2009: 36). Diese Aussagen dienen vor allem der Legitimation der als natürlich angenommenen Geschlechterdifferenz, die in der Gesellschaft reproduziert wird und somit Eingang in den öffentlichen und damit scheinbar objektiven Diskurs findet. Interessant ist hier, wie Müller (2009: 301ff) in ihrer ethnographischen Untersuchung zum Profifußball beobachtet, dass die meisten ihrer männlichen Gesprächspartner, die solche Aussagen tätigten, über keine oder mangelnde Erfahrung im Frauenfußball verfügten. Jedoch halten sich diese Alltagsmythen im öffentlichen Diskurs kontinuierlich, da sie die Geschlechterdifferenz anhand eines (imaginären) Beispiels verdeutlichen.

Es lässt sich festhalten, dass der weibliche Körper aufgrund mehrerer Faktoren eine Irritation in der Fußballwelt darstellt. Die individuellen Biografien der Spielerinnen, die in ihrer Kindheit und Jugend mit Jungen gemeinsam Fußball gespielt haben, und die Wahrnehmung dieser von den außenstehenden und einflussnehmenden Personen (wie Trainer*innen oder Schiedsrichter*innen) unterscheidet sich frappierend von den Erfahrungen im Erwachsenenalter. Die Erwartungen an die Geschlechtskörper, die eben durch die heteronormative Matrix produziert werden, nehmen den Fußballerinnen die Möglichkeit, Fußball im Rahmen ihrer körperlichen Fähigkeiten zu spielen. Dadurch, dass die Zweikämpfe sehr viel schneller abgepfiffen oder gar sanktioniert werden, werden die Spielerinnen in passive Bewegungsabläufe gedrängt, die ihnen als einzige mögliche Legitimation zum Fußballspielen bleibt. Der weibliche Körper gilt als Irritation, da das auf den Fußball anzuwendende alltägliche Wissen ihren Ausgangspunkt im Männerfußball hat. In den Sphären des Frauen- und Männerfußballs sehen wir als Zuschauer*innen Unterschiede in den Bewegungsabläufen, in der Schnelligkeit des Spiels, aber wir sehen auch eine andere Herangehensweise der Schiedsrichter*innen an Zweikämpfe. Die zahlreichen Abwertungen des weiblichen Körpers basieren auf der internalisierten Heteronormativität im Fußballsport und prägen nicht nur die strukturelle Ebene, sondern auch die unmittelbaren Interaktionen. Die Frage „Spielen Frauen ein anderes Spiel?“, die sich Gabriele Sobiech in diversen Titeln ihrer Arbeiten stellt, lässt sich abschließend in Anlehnung an Simone de Beauvoir wie folgt beantworten: Ja, sie spielen ein anderes Spiel, aber nicht, weil sie Frauen sind, sondern weil sie zu Frauen gemacht werden.

Literaturliste zum Beitrag

 

© Pixabay 2020: planet_fox; Autorinnenfoto: privat