Wirksamkeit von Peer-Learning-Angeboten in der Studieneingangsphase

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung 1-2022: Was nützen vorlesungsbegleitende Tutorien? Zur Bewertung eines Peer-Learning-Formats in der Studieneingangsphase des Biologiestudiums

Was nützen vorlesungsbegleitende Tutorien? Zur Bewertung eines Peer-Learning-Formats in der Studieneingangsphase des Biologiestudiums

Svea Isabel Kleinert, Lilian Streblow, Matthias Wilde

ZeHf – Zeitschrift für empirische Hochschulforschung, Heft 1-2022, S. 4-23.

 

Zusammenfassung: Die Studieneingangsphase stellt Studierende vor vielschichtige Herausforderungen auf institutionell-organisatorischer, inhaltlicher und sozialer Ebene. Die Implementation von Peer-Learning-Formaten könnte diesen Herausforderungen begegnen. Diesen konnten bereits positive Effekte auf die vertiefte und aktivere inhaltliche Verarbeitung von Lerninhalten, auf motivationale Variablen und den Lernerfolg der Studierenden nachgewiesen werden. In der vorliegenden Studie wurde daher ein Peer-Learning-Format im Biologiestudium implementiert und der Zusammenhang zwischen Tutoriumsteilnahme der Studierenden und der inhaltlichen Verarbeitung, motivationalen Variablen sowie dem Lernerfolg von 178 Biologiestudierenden (M = 20.22 ± 2.74 Jahre; 68.5% weiblich) mittels multivariaten und univariaten Varianzanalysen untersucht. Neben der Teilnahme am Tutorium wurden zudem die Noten der Studierenden und die Lehr- und Lernbedingungen im Tutorium erhoben. Die vorliegenden Befunde sprechen für positive Zusammenhänge zwischen der Tutoriumsteilnahme und inhaltlichen sowie motivationalen Aspekten. Während der Abiturgesamtnote der Biologiestudierenden ein signifikanter Effekt auf die Klausurnote zugeschrieben werden konnte, wurden zudem positive Zusammenhänge zwischen Tutoriumsteilnahme und dem Studienerfolg der Biologiestudierenden festgestellt. Peer-Learning-Angebote könnten somit eine Option sein, Biologiestudierende in der Studieneingangsphase wirksam zu unterstützen.

Schlüsselwörter: Peer-Learning, Tutorium, Motivation, Lernerfolg, Biologiestudium

 

What are the benefits of lecture-accompanying tutorials? An evaluation of a peer learning setting in the introductory phase in biology

Summary: The transition from school to university involves various challenges for the student body on an institutional, organizational, content-related and social level. The implementation of peer learning formats could address these challenges. Recent studies have already indicated positive effects on the processing of learning content, on motivational variables and on the learning success of university students. In the present study, a peer learning tutorial was implemented for first-year biology students. The relationships between participation in the tutorial and content processing, motivational variables, and the learning success of 178 biology students (M = 20.22 ± 2.74 years; 68.5% female) were examined by using multivariate and univariate analyses of variance. Data on the students’ grades and participation as well as the teaching and learning conditions in the tutorial were collected. The results showed positive relationships between participation in the tutorial and content-related and motivational aspects. While the final secondary-school grade (Abitur) had an effect on the final exam grade, participation in the tutorial had also a relationship to the learning success of the biology students. Peer learning tutorials could therefore provide an effective support in the challenging introductory phase for university biology students.

Keywords: peer learning, tutorial, motivation, learning success, biology studies

 

1 Einleitung

Der Übergang von Schule zu Universität stellt Erstsemesterstudierende vor vielfältige Herausforderungen (Streblow & Schiefele, 2006). Auf institutioneller und organisatorischer Ebene begegnen den Studierenden veränderte und weniger strukturierte Lehr- und Lernmodalitäten (Asdonk, Kuhnen & Bornkessel, 2013; Streblow & Schiefele, 2006). Diese resultieren wiederum in Herausforderungen auf inhaltlicher Ebene (z.B. ein umfangreicheres Lernpensum) für die Studierenden (Bosse & Trautwein, 2014; Klug & Popelka, 2021; Streblow & Schiefele, 2006). Durch die weniger interaktiven Lehrformate, wie beispielsweise Vorlesungen, zeichnen sich in der Studieneingangsphase zudem Herausforderungen auf sozialer Ebene ab. Damit gehen weniger individuelles Feedback, weniger individuelle Betreuung und eine veränderte Kommunikationsqualität einher (Klug & Popelka, 2021; Streblow & Schiefele, 2006).

In Anbetracht der beschriebenen Herausforderungen könnten zusätzliche Angebote zur Lernunterstützung der Studierenden in der Studieneingangsphase, wie beispielsweise Peer-Learning, sinnvoll sein (Harvey & Drew, 2006). Ein Tutorium mit studentischen Tutor*innen als Peer-to-Peer-Lernumgebung (Antosch-Bardohn, Beege & Primus, 2016) stellt in der für die Erstsemesterstudierenden veränderten Lernumgebung ein Bindeglied zwischen Vorlesung und Selbststudium dar (Kopp, Germ & Mandl, 2009). Die vertrauensvolle Lernatmosphäre bietet Studierenden die Möglichkeit, eigene Probleme und Fragenstellungen zu thematisieren (Topping, 1996; Van der Meer & Scott, 2008). Neben der Wiederholung der Fachinhalte gewährleisten Tutorien die gemeinsame Bearbeitung von Aufgaben und Problemstellungen sowie eine aktive und interaktive Auseinandersetzung mit den Lerninhalten (Topping, 2005; Zellweger-Moser, Meier, Jenert & Euler, 2008). In empirischen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die Implementierung dieser Peer-Learning-Ansätze positive Einflüsse auf das Lernverhalten und die inhaltliche Verarbeitung von Fachinhalten, motivationale Merkmale sowie den Lernerfolg von Studierenden haben kann (Baeten, Kyndt, Struyven & Dochy, 2010; Fox, Stevenson, Connell, Duff & Dunlop, 2010; Topping, 1996).

Im Rahmen einer Theorievorlesung im Studienfach Biologie, in der eine Einführung in die grundlegenden biologischen Prinzipien und Schlüsselkonzepte gegeben wird, wurde für Studierende in der Studieneingangsphase ein Tutorium im Peer-Learning-Format konzipiert. Ziel der vorliegenden Studie war es zunächst, mögliche Zusammenhänge zwischen der Teilnahme am vorlesungsbegleitenden Tutorium und einer vertieften und aktiveren inhaltlichen Verarbeitung der Fachinhalte (Wahrnehmung der Relevanz der Vorlesungsinhalte, Instruktionsqualität und Fehlerkultur) sowie motivationaler Merkmale der Biologiestudierenden zu analysieren. Hierbei soll insbesondere die Lernmotivation, anders als in vorausgegangenen empirischen Arbeiten, differenziert über die Wahrnehmung von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit der Studierenden erfasst werden. Weiterhin sollen im Rahmen der Begleitforschung mögliche Zusammenhänge einer Teilnahme an diesem Unterstützungsangebot mit dem Lernerfolg speziell im Kontext des Biologiestudiums empirisch untersucht werden.

2 Theorie

2.1 Herausforderungen im Übergang von Schule zu Universität

Im Vergleich der Bildungsinstitutionen Schule und Universität können insbesondere Unterschiede in der Arbeitsweise und Organisation der beiden Institutionen, in den inhaltlichen Anforderungen sowie in dem Verhältnis der Lehrenden und Lernenden festgestellt werden (Streblow & Schiefele, 2006). Diese vielfältigen Veränderungen sind hierbei eng miteinander verknüpft. Probleme und Herausforderungen, die im Rahmen der unterschiedlichen Arbeitsweise und Organisation der Bildungsinstitutionen auftreten, sind die weniger strukturierten Lernprozesse und -umgebungen im universitären Kontext, die damit einhergehenden vermehrten Wahlmöglichkeiten bei der Gestaltung des Studiums sowie die Freiwilligkeit zur Teilnahme an Vorlesungen, Seminaren und Klausuren (Asdonk et al., 2013; Ooelbekkink-Marchand, van Driel & Verloop, 2014; Schiefele, Streblow, Ermgassen & Moschner, 2003; Streblow & Schiefele, 2006). Ooelbekkink-Marchand und Kolleg*innen (2014) stellen in diesem Zusammenhang die im Vergleich zur Schule verringerte äußere Steuerung und Regulation der Lehr- und Lernkontexte heraus. Die Studierenden können in Grenzen flexibel ihre Kurse wählen, und in vielen Modulen ist die Anwesenheit nicht verpflichtend (Asdonk et al., 2013; Streblow & Schiefele, 2006). Neben diesen institutionellen Herausforderungen können im Übergang von Schule zu Universität inhaltliche Schwierigkeiten festgestellt werden. Diese umfassen insbesondere eine erhöhte Stoffdichte und -komplexität, ein hohes Lernpensum (Asdonk et al., 2013; Klug & Popelka, 2021; Streblow & Schiefele, 2006) sowie eine verstärkte inhaltliche Ausrichtung des universitären Lehr- und Lernkontextes (Bosse & Trautwein, 2014; Ooelbekkink-Marchand, van Driel & Verloop, 2006). Zudem werden individuelle Lernvoraussetzungen der Studierenden für die Gestaltung der Lehrveranstaltungen in geringerem Maße berücksichtigt (Ooelbekkink-Marchand et al., 2006). Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen Schule und Universität kann im Verhältnis von Lehrenden und Lernenden festgestellt werden (Streblow & Schiefele, 2006). So fehlen in der Regel individuelle Rückmeldungen zum Leistungsstand der Studierenden durch die Dozierenden, insbesondere in der Studieneingangsphase (Asdonk et al., 2013; Klug & Popelka, 2021; Streblow & Schiefele, 2006), und die weniger interaktiven Lehrveranstaltungen, wie beispielsweise Vorlesungen, spiegeln die veränderte Kommunikationsqualität wider (Klug & Popelka, 2021; Streblow & Schiefele, 2006). In diesem Zusammenhang führen Asdonk et al. (2013) erschwerend die fehlende Betreuung zu Beginn des Studiums an.

2.2 Wirksamkeit von Tutorien und Peer-Learning in der Studieneingangsphase

Das Tutorium stellt das Bindeglied zwischen Vorlesung und Selbststudium dar (Kopp et al., 2009). Tutoriumsformate mit studentischen Tutor*innen sind das typische Beispiel für Peer-to-Peer-Lernumgebungen im universitären Kontext (Antosch-Bardohn et al., 2016). Basierend auf theoretischen und empirischen Erkenntnissen sollen Peer-Learning-Formate verschiedene Aufgaben und Funktionen erfüllen. Neben der Wirksamkeit von Tutorien auf die vertiefte inhaltliche Verarbeitung der Lerninhalte können positive Einflüsse auf motivationale Variablen und den Lernerfolg von Studierenden festgestellt werden. Im Hinblick auf die inhaltlichen Herausforderungen und Schwierigkeiten ermöglichen Peer-Learning-Formate die Wiederholung und Fokussierung auf relevante Lerninhalte (Antosch-Bardohn et al., 2016; Kopp et al., 2009; Zellweger-Moser et al., 2008). Neben der Wiederholung der Lerninhalte bietet das Tutorium mittels lernerzentrierter und konstruktivistischer Ansätze die Möglichkeit, einer aktiveren und tieferen Verarbeitung der Fachinhalte (Baeten et al., 2010; Fox et al., 2010; Herrmann, 2014). So konnten Fox und Kolleg*innen (2010) zeigen, dass Studierende, die an einem Peer-Learning-Format teilnahmen, eine aktivere Auseinandersetzung mit den Lerninhalten berichteten. Eine Untersuchung von Anderson (2005) bestätigt die beschriebene Wirksamkeit auf das tiefenverarbeitende Lernen durch die Diskussion mit Peers. Darüber hinaus können Tutorien durch kollaboratives Lernen individuelles Feedback und Rückmeldung im Lernprozess der Studierenden ermöglichen. In diesem Zusammenhang bietet die Teilnahme an einem Peer-Learning-Format einen wertschätzenden Umgang mit Fehlern im Austausch mit den weiteren Studierenden und den Tutor*innen (Crisp & Cruz, 2009; Topping, 1996).

Mit der Möglichkeit des intensiveren Austausches zwischen Studierenden untereinander und den Tutor*innen gehen auch positive Einflüsse einer Tutoriumsteilnahme auf die Lernmotivation der Studierenden einher. Durch die Kooperation und Diskussion der Tutoriumsteilnehmer*innen können insbesondere positive Effekte auf die soziale Eingebundenheit der Studierenden festgestellt werden (Boud, 2001; Falchikov, 2001; Topping, 2005). Die Tutor*innen als Studierende höherer Semester, die das entsprechende Modul bereits erfolgreich abgeschlossen haben, gehören der gleichen sozialen Gruppe an (Falchikov, 2001). Eine lernförderliche Atmosphäre im Tutorium und die durch die Peer-to-Peer-Situation erleichterte Zusammenarbeit bieten den Studierenden die Möglichkeit, individuelle Schwierigkeiten schneller anzusprechen, vermindern die soziale Isolation und steigern gleichermaßen die soziale Eingebundenheit in der Studieneingangsphase (Topping, 1996; Van der Meer & Scott, 2008). Neben der Förderung sozialer Eingebundenheit konnte Topping (1996) in seiner empirischen Studie die Steigerung des Kompetenzerlebens durch die Teilnahme an Peer-Learning-Formaten zeigen, die ebenfalls mit der Lernmotivation zusammenhängt. Diese Ergebnisse bezüglich des Kompetenzerlebens konnten auch in einer Untersuchung von Hofmann und Köhler (2016) bestätigt werden. Die Studierenden, die an einer universitären Veranstaltung mit aktivierenden Lehrmethoden teilnahmen, berichteten hierbei eine höhere Kompetenzwahrnehmung als Studierende, die im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit traditionellen Methoden betreut wurden. Zudem zeigten sich in dieser Untersuchung positive Einflüsse der Teilnahme an den interaktiven Tutorien auf das Autonomieerleben dieser Studierenden (Hofmann & Köhler, 2016).

Weitere Untersuchungen belegen zudem einen positiven Einfluss einer Teilnahme an Peer-Learning-Formaten auf den Lernerfolg (Campbell & Campbell, 1997; Fox et al., 2010; Thurston & Topping, 2007). Studierende, die regelmäßig an Tutorien teilnahmen, zeigten in Studienleistungen im Rahmen ihres Studiums bessere Leistung als Studierende, die entsprechende Tutorien nicht besuchten (Fox et al., 2010). In empirischen Studien, die die Wirksamkeit von Tutoriumsangeboten mit integrierter Lernstrategievermittlung untersuchten, wurden ebenfalls positive Effekte auf die Anwendung von Lernstrategien sowie auf die Förderung von Kompetenzen des selbstregulierten Lernens, die in einem unmittelbaren Zusammenhang zum Lernerfolg Studierender stehen, ersichtlich (Benz, 2010; Van der Beek, Bellhäuser, Karlen & Hertel, 2019).

2.3 Prädiktoren des Studienerfolges

Auf Grundlage empirischer Forschungsergebnisse wurden verschiedene theoretische Studienerfolgsmodelle und damit verbundene Bedingungsfaktoren für den Studienerfolg postuliert (Hasselhorn & Gold, 2017; Thiel, Veit, Blüthmann, Lepa & Ficzko, 2008). Den Studieneingangsvoraussetzungen, insbesondere den schulischen Vorleistungen, können gemäß diesen Modellen direkte Einflüsse auf den Studienerfolg zugeschrieben werden (Hasselhorn & Gold, 2017; Thiel et al., 2008). Für den naturwissenschaftlich-mathematischen Fachbereich belegen empirische Studien die Prädiktorwirkung kognitiver Eingangsvoraussetzungen (Freyer, Epple, Brand, Schiebener & Sumfleth, 2014; Rach & Heinze, 2014). Mauk (2016) berichtet einen signifikanten Zusammenhang zwischen den schulischen Vorleistungen (Abiturgesamtnote und Noten in naturwissenschaftlich-mathematischen Schulfächern) und dem Studienerfolg für das Studienfach Biologie. In weiteren empirischen Untersuchungen aus dem biologischen Fachbereich konnten die Abiturgesamtnote sowie die Abiturnoten in naturwissenschaftlich- mathematischen Fächern als Prädiktoren für den Lernerfolg von Biologiestudierenden bestätigt werden (Binder, Waldeyer & Schmiemann, 2021; Müller et al., 2018; Schachtschneider, 2016). Neben den schulischen Leistungen kann dem biologiebezogenen Vorwissen eine bedeutsame Wirkung auf den Studienerfolg zugeschrieben werden (Binder et al., 2019; Loehr, Almarode, Tai & Sadler, 2012; Schachtschneider, 2016).

Weiterhin können motivationale Variablen (z.B. Lernmotivation, Selbstwirksamkeitserwartungen, Interesse) den Studienerfolg indirekt beeinflussen (Hasselhorn & Gold, 2017; Thiel et al., 2008). Schachtschneider (2016) konnte beispielsweise den Fähigkeitsüberzeugungen von Biologiestudierenden eine Prädiktorwirkung auf den Studienerfolg in der Studieneingangsphase nachweisen. Darüber hinaus zeigten sich indirekte Einflüsse von affektiven Variablen, wie beispielsweise dem Selbstkonzept, dem Studieninteresse sowie der Lernmotivation, auf die Studienleistung von Studierenden (Schiefele et al., 2003). Dem selbstregulierten Lernen und speziell den Lernstrategien wird ebenfalls eine wesentliche Rolle zur Vorhersage der Lernleistung im Studium zugeschrieben. Empirische Untersuchungen zeigen, dass Lernstrategien zumeist als Mediatoren von motivationalen Variablen auf die Studienleistung wirken (z.B. Schiefele et al., 2003). In wenigen Studien konnten für die Nutzung von Wiederholungsstrategien sowie ressourcenbezogenen Strategien (Zeit- und Anstrengungsmanagement) direkte Einflüsse auf den Studienerfolg festgestellt werden (Binder et al., 2021; Fleischer et al., 2019; Sebesta & Bray Speth, 2017; Waldeyer, Fleischer, Wirth & Leutner, 2019).

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