Wie lassen sich Wirtschaftskrisen erklären? Welche Faktoren beeinflussen Ungleichheit? Und welche Alternativen gibt es zum Wachstumsparadigma? Wir haben ein Interview mit den Autoren Andreas Nölke und Michael Schedelik zu ihrem neuen Buch Ökonomie verstehen. Eine pluralistische Einführung für Lehramt und Sozialwissenschaften geführt.
Interview zu „Ökonomie verstehen“
Lieber Andreas Nölke, lieber Michael Schedelik, worum geht es in Ökonomie verstehen?
Ökonomie verstehen ist zuallererst eine grundlegende Einführung in wichtige wirtschaftliche Themen. Dazu gehören zum Beispiel wirtschaftliches Wachstum und dessen Vor- und Nachteile, die Ursachen von Wirtschaftskrisen, die Bewertung von Staatsschulden und die Risiken von Inflation, aber auch die Rolle von Zentralbanken, die Funktionen der Finanzmärkte und aktuelle Entwicklungen der Globalisierung. Diese Themen gehen alle an.
Wer politische Debatten kompetent verfolgen möchte, benötigt grundlegendes Wissen über Wirtschaft. Auch um sich eine eigene Meinung zu bilden und mitreden zu können. Dazu kommt, dass Vieles, was wir in unserem Buch behandeln, Unterrichtsstoff in den Lehrplänen des Verbundfachs Politik und Wirtschaft ist. Angehende Lehrkräfte müssen diese Themen in ihrem späteren Berufsleben vermitteln, werden in ihrer Ausbildung aber häufig nur unzureichend darauf vorbereitet.
Wie kamen Sie auf die Idee, gemeinsam dieses Buch zu schreiben?
Der Ausgangspunkt waren unsere alltäglichen Erfahrungen in der universitären Lehre. Wir unterrichten in Frankfurt zum einen Studierende der Sozialwissenschaften, vor allem der Politikwissenschaft und der Soziologie, und zum anderen Studierende im Lehramt Politik und Wirtschaft.
In unseren Seminaren, in denen wir im Grunde die Themen des Buches behandeln – Wirtschaftspolitik, Finanzmärkte, Globalisierung, wirtschaftliche Entwicklung etc. –, haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht, dass unsere Studierenden zu wenige grundlegende Ökonomie-Kenntnisse mitbringen. Auf dieser Basis kann man sich schwer mit wissenschaftlichen Fachdebatten beschäftigen. Aber vor allem haben unsere Lehramtsstudierenden klar artikuliert, dass sie im Hinblick auf die Unterrichtspraxis mehr ökonomische Grundkenntnisse benötigen. Die Veranstaltungen in den Wirtschaftswissenschaften sind aufgrund des hohen Grads an Formalisierung für sie aber ungeeignet.
Wir haben daher eine solche Einführungsveranstaltung konzipiert und bieten sie seit etwa fünf Jahren mit überwältigendem Zuspruch seitens der Studierenden jedes Semester an. Das war die Grundlage für dieses Buch.
Wie ist das Buch aufgebaut?
Das Buch ist problemorientiert aufgebaut. Das heißt, dass die in den jeweiligen Kapiteln behandelten Themen ausgehend von gesellschaftlichen Problemen aufgearbeitet werden. Damit knüpfen wir an dem Erfahrungshorizont von Studierenden und Nichtfachleuten an und erleichtern ihnen den Zugang zu Diskussionen, die auf den ersten Blick eher abstrakt erscheinen mögen.
Die Darstellungsweise des Buches haben wir bewusst so verständlich gehalten, dass auch Personen ohne jegliche Vorkenntnisse die Zusammenhänge nachvollziehen können. Wir haben daher auf mathematische Darstellungen und Modelle konsequent verzichtet, ebenso auf wirtschaftswissenschaftlichen Fachjargon.
Schließlich haben wir die behandelten Themen sozialwissenschaftlich verankert und in entsprechende Diskussionen von Politikwissenschaft und Soziologie sowie der politischen Alltagsdiskussion eingebettet. Ein wichtiges didaktisches Element hierbei sind zum Beispiel die Exkurse, die aktuelle Debatten und zentrale historische Ereignisse aufgreifen und damit die Relevanz der behandelten Themen verdeutlichen.
Einführungen in die Ökonomie gibt es viele. Was macht Ökonomie verstehen besonders?
Ökonomie verstehen zeichnet sich insbesondere durch seine pluralistische Perspektive aus. Das heißt, dass kontroverse Aspekte in der Wirtschaftswissenschaft auch in der Lehre und den entsprechenden Einführungswerken kontrovers abgebildet werden. So gibt es in der fachwissenschaftlichen Diskussion beispielsweise ganz unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie Wirtschaftskrisen am effektivsten bekämpft werden sollten oder ob soziale Ungleichheit ökonomisch problematisch ist. Wir greifen damit Forderungen von Studierenden der Wirtschaftswissenschaft auf, die zum Teil auch von ökonomischen Fachgesellschaften erhoben werden.
Im Übrigen ist das Kontroversitätsgebot eines der zentralen Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses, der die Grundsätze für politische Bildung seit den 1970er Jahren festlegt. In den gängigen Ökonomie-Einführungen wird dagegen zumeist eine Perspektive eingenommen, häufig jene der neoklassischen Ökonomie und ihrer Weiterentwicklungen. Alternative Wirtschaftstheorien werden dabei schlichtweg ignoriert, obwohl sie in der fachwissenschaftlichen Diskussion eine wichtige Rolle spielen. Das wollten wir ändern.
Um die Darstellung des Buches dennoch möglichst übersichtlich zu halten, haben wir uns darauf beschränkt, die zwei zentralen ökonomischen Theorieschulen – die Neoklassik und den Keynesianismus – systematisch zu behandeln. Andere Perspektiven werden ebenfalls berücksichtigt, aber nur bei den Themen, bei denen sie besonders einschlägig sind.
Schließlich war uns sehr wichtig, neben den theoretischen Diskussionen auch die empirischen Zusammenhänge fundiert darzustellen. Ein wichtiges didaktisches Element hierfür sind viele Abbildungen und Tabellen, die relevante empirische Daten und Informationen enthalten und damit die dargestellten Sachverhalte anschaulicher machen.
Darum sind wir Autoren bei Budrich
Die Zusammenarbeit mit dem Verlag Barbara Budrich war durchweg sehr angenehm. Wir wurden von der Konzeption des Buches bis zur Drucklegung und Vermarktung stets wohlwollend unterstützt. Unser Lektor war immer ansprechbar für Fragen und Anregungen und hat seinerseits das Projekt mit konstruktiven Hinweisen begleitet. Auch die vom Verlag angestoßene Aufnahme in das UTB-Buchprogramm finden wir sehr hilfreich.
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Andreas Nölke, Michael Schedelik:
Ökonomie verstehen. Eine pluralistische Einführung für Lehramt und Sozialwissenschaften
Die Autoren: Andreas Nölke und Michael Schedelik
Prof. Dr. Andreas Nölke ist Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt und Research Fellow am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE. Vor und nach seiner Promotion an der Universität Konstanz war er in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, unter anderem für Weltbank und Europäische Kommission sowie als Berater für die GIZ in Malaysia. Nach Promotion an der Universität Konstanz und Habilitation an der Universität Leipzig sowie Lehre an den Universitäten von Amsterdam (VU) und Utrecht (UCU) arbeitet er seit 2007 an der Goethe-Universität. Seine Forschungsschwerpunkte liegen an der Grenze zwischen Internationaler und Vergleichender Politischer Ökonomie. Dazu gehören unter anderem die BRICS, Finanzialisierung, die Institutionen des deutschen Exportmodells, die Politische Ökonomie des Populismus und die historische Entwicklung des globalen Kapitalismus. Zu seinen aktuellen Monographien gehören „Post-Corona Capitalism“ (Bristol UP 2022), „Second Image IPE“ (Palgrave 2023) und „BRICS and the Global Financial Order“ (Cambridge UP 2024, mit Johannes Petry).
Dr. Michael Schedelik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt und assoziiertes Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg „Standards des Regierens“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Vergleichenden und Internationalen Politischen Ökonomie, insbesondere im Bereich Wirtschafts- und Industriepolitik. Er war Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln (2024) und Koordinator des GRADE Center Education an der Goethe-Universität (2020-2022). Seine Dissertation zur brasilianischen Innovations- und Industriepolitik (2022) wurde mit dem Wissenschaftspreis der Gesellschaft für sozioökonomische Bildung und Wissenschaft ausgezeichnet und seine Masterarbeit (2015) mit dem Josef-Esser-Preis des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität. Zuvor studierte er Politikwissenschaft in Frankfurt, Darmstadt, New York und Cambridge, Massachusetts.
Über „Ökonomie verstehen“
Wie lassen sich Wirtschaftskrisen erklären? Welche Faktoren beeinflussen Ungleichheit? Und welche Alternativen gibt es zum Wachstumsparadigma? Dieses Lehrbuch führt verständlich und fundiert in zentrale wirtschaftliche Themen ein – von Arbeitslosigkeit über Finanzmärkte bis zur Umweltökonomie. Es vermittelt verschiedene Wirtschaftstheorien aus pluralistischer Perspektive und verknüpft diese mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. So vermittelt das Buch Studierenden und zukünftigen Lehrkräften die Fähigkeit, wirtschaftspolitische Debatten kompetent zu verfolgen, die vorgebrachten Argumente einzuordnen und eigenständige Positionen zu entwickeln.
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