Wissenschaftlerin und Mutter: eine herausfordernde Kombination

Gastbeitrag Vogelaar Schreiben totz Care-Arbeit Mütter in der Wissenschaft

Was macht die Kombination aus „Wissenschaftler*in und Mutter“ so besonders und herausfordernd? Was unterscheidet diese Doppelrolle sogar von anderen berufstätigen Müttern und von Vätern* in der Wissenschaft? Ein Gastbeitrag von Wiebke Vogelaar über das Thema Mütter in der Wissenschaft.

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Die Erschöpfung der Mutter* in der Wissenschaft

Seit über vier Jahren arbeite ich als Schreibcoach für Wissenschaftler*innen und habe mich in den letzten zwei Jahren auf Mütter* spezialisiert. Heute fällt es mir schwer, nachzuvollziehen, wie ich diese Doppelrolle als Wissenschaftler*in und Mutter* – als Promovierende und Post-Doc – in weiten Strecken alleine bewältigt habe. Doch eines weiß ich: Sie hat mich nachhaltig erschöpft – und damit stehe ich nicht alleine da.

Denn diese tiefe Erschöpfung trifft so viele Mütter* in der Wissenschaft, und doch führen viele sie immer noch auf eigene „Schwächen“ und individuelle Muster zurück. Statt dies weiterhin zu tolerieren, ist es wichtig, das Gesamtbild zu sehen und dann im eigenen Handlungsrahmen aktiv zu werden. Ich tue dies in meinem gerade erschienenen Buch Schreiben trotz Care-Arbeit. Strategien für Mütter* in der Wissenschaft.

Aber was macht die Kombination aus „Wissenschaftler*in und Mutter*“ so besonders und herausfordernd? Was unterscheidet diese Doppelrolle sogar von anderen berufstätigen Müttern* und von Vätern* in der Wissenschaft? Ich sehe hier drei zentrale Faktoren:

 

1. Rollenungleichheit und Erwartungen an Mütter* in der Wissenschaft

In meiner Arbeit spreche ich bewusst von Müttern* und nicht von Eltern, ohne dabei ausschließlich von Frauen* oder weiblich gelesenen Menschen auszugehen. Es ist die Rolle der Mutter*, die mich interessiert, denn diese ist in unserer Gesellschaft immer noch mit spezifischen Erwartungen und Vorurteilen behaftet, die weder an Väter* noch an kinderlose Frauen* gestellt werden. Diese Haltung spiegelt sich im Matricentric Feminism wider, der die Mutterschaft* als eine gender- und geschlechtsunabhängige, aber intersektional sorgeintensive Rolle begreift. Diese Form des Feminismus stellt „mothering“ zentral und thematisiert die Ungleichheiten, die sich für jene ergeben, die diese Aufgabe erfüllen.

Auch in der Wissenschaft beobachte ich diese Ungleichheiten – und benenne sie als Care Concentration Gap. Zwar gibt es an Unis zunehmend elternschaftsbezogene Gleichstellungsmaßnahmen, doch diese berücksichtigen nicht die unterschiedliche Intensität der Sorgeverantwortung und deren Konsequenzen für die Konzentrationsfähigkeit und Kreativität von Müttern*. In einem Berufsfeld, in dem eine „publish or perish“-Kultur herrscht, hat dies direkte Konsequenzen für Sichtbarkeit und Karrieren. Hinzu kommt die Erwartung, dass auch 2024 „mothering“ für eine weiblich gelesene Wissenschaftlerin selbstverständlich und prioritär anzusehen ist, während es für männlich gelesene Wissenschaftler eher eine aktive Entscheidung ist. Die Frage der „Vereinbarkeit“ stellt sich für alle Mütter* – während Väter* sich aktiv dem „mothering“ zuwenden müssen, bevor sich diese Frage für sie stellt.

 

2. Ungleiche Sorgearbeit und der doppelte Mental Load

Ein weiteres Hindernis ist die ungleiche Verteilung kognitiver Sorgearbeit, die Müttern* oft die Konzentration auf ihre wissenschaftlichen Projekte erschwert. Der Begriff Mental Load, im deutschsprachigen Raum durch Patricia Cammarata bekannt gemacht, beschreibt genau das: Mütter* tragen häufig nicht nur die sichtbare Sorgearbeit, sondern insbesondere die unsichtbare Last des Organisierens und Planens. Die Verteilung ist teilweise derart schief, dass auch von der Maternal Load gesprochen wird.

Ein einfaches Beispiel: Bevor ein Vater* das Kind zur Ärztin bringt, hat die Mutter* in vielen Fällen (während ihrer Arbeitszeit) den Termin telefonisch vereinbart, die Krankenversicherungskarte bereitgelegt und dafür gesorgt, dass der Termin nicht mit anderen Verpflichtungen kollidiert. Oft wird die tatsächliche Planungsarbeit, die Mütter* im Hintergrund leisten, unsichtbar gemacht. Dieses Muster wiederholt sich in vielen Bereichen des Familienlebens und summiert sich zu einem enormen kognitiven Druck.

Dazu kommt die emotionale Sorgearbeit: Selbst wenn der Vater* die Ärztin aufsucht, macht sich die Mutter* möglicherweise Sorgen, ob das Kind etwas Ernsthaftes hat oder ob es morgen zur Kita gehen kann – was wiederum ihre Konzentrationsfähigkeit beeinflusst. Anders als bei der kognitiven Sorgearbeit kann diese emotionale Sorge nicht von jemand anderem übernommen, sondern nur mental geteilt werden. Diese Art der emotionalen Last ist oft schwer greifbar, doch sie kann das wissenschaftliche Arbeiten massiv beeinflussen, denn auch dieses findet fast ausschließlich kognitiv statt. So mischt sich der Mental Load der Sorgearbeit bei Müttern* in der Wissenschaft mit dem Mental Load des Schreibprojekts zu einer oft undurchdringlichen Last.

 

3. Kein Feierabend und Academic Guilt

Dieser doppelte Mental Load wird dadurch verstärkt, dass es in der Wissenschaft oft keinen klaren Feierabend gibt. Der kreative Prozess – insbesondere das Schreiben – findet oft im Kopf statt, selbst nach den offiziellen Arbeitszeiten. Die gedankliche Arbeit setzt sich fort, ob beim Vorlesen, Stillen oder auf dem Spielplatz. Wissenschaftlerinnen tragen ihre Arbeit bewusst oder unbewusst ständig mit sich, was es erschwert, die nötige Erholung und Klarheit zu finden. Es könnte immer noch mehr geschrieben, noch mehr recherchiert, noch mehr gelesen und noch mehr analysiert werden. Entscheiden wir uns als Mutter und Wissenschaftler*in dagegen, entsteht ein Gefühl der Unzulänglichkeit.

Der Zustand, dass in der Wissenschaft immer noch mehr getan werden könnte, hat sogar einen Namen: Academic Guilt. Bei Wissenschaftlerinnen, die Mutter sind, wird dieses nagende Gefühl verstärkt durch die dauerhaften Schuldgefühle, die oft mit der Mutterschaft* verbunden sind. Nie machen wir genug für unsere Kinder, nie sind wir präsent genug – oder wenn doch, gelten wir als Glucken. Dieser ständige innere Konflikt auf beiden Ebenen, „nicht genug“ zu sein, verstärkt den Druck auf Mütter* in der Wissenschaft enorm. Wir sollen „so arbeiten, als hätten wir keine Kinder, und so Mütter* sein, als würden wir nicht arbeiten“. Und das hält niemand lange aus.

 

Strategien für Mütter* in der Wissenschaft

All diese Herausforderungen zeigen, dass die Kombination „Mutter* und Wissenschaftlerin“ besonders anspruchsvoll ist. Bedeutet das, dass Mütter* nicht erfolgreich in der Wissenschaft sein können? Ganz im Gegenteil! Es braucht Mütter* in der Wissenschaft, und Frauen* mit wissenschaftlichem Talent sollten dieses ohne „motherhood penalty“ ausleben können. Aber es braucht dringend Strategien, um diese Herausforderungen zu bewältigen, ohne auszubrennen.

In meinem Buch „Schreiben trotz Care-Arbeit“, das im September 2024 im Verlag Barbara Budrich erschienen ist, biete ich praxisnahe Strategien, die speziell auf die Bedürfnisse von Müttern* in der Wissenschaft zugeschnitten sind. Denn auch wenn es hier eindeutig um größere gesellschaftliche Muster geht, können Mütter* in der Wissenschaft nicht warten, bis das Patriarchat abgeschafft ist. Dissertationen, Habilitationen, Forschungsanträge und Bücher müssen jetzt geschrieben werden – und mein Buch trägt hoffentlich dazu bei, dass dies gelingen kann.

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* Ich schreibe das Wort Mutter* und alle Wörter, die es enthalten, mit *. Ich tue dies, um auf den sozial konstruierten Charakter der Mutter*rolle hinzuweisen und um alle Menschen aller Geschlechter/Gender anzusprechen, die sich in den in diesem Buch beschriebenen Herausforderungen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Rollenerwartungen wiedererkennen (siehe auch Haller und Schlender, 2022). Auch Frauen*, Männer*, Väter* und Partner* schreibe ich aus diesem Grund bewusst mit *.

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Vogelaar, Wiebke 1 © Marcia FrieseDr. Wiebke Vogelaar, Schreibcoach, dreifache Mutter, Gründerin von Alma Mater und THE WRITING ACADEMIC

 

 

 

 

Über „Schreiben trotz Care-Arbeit“

„Du kannst ja schreiben, wenn es schläft“ ist nur einer der gut gemeinten Ratschläge, die Mütter* in der Wissenschaft häufig zu hören bekommen. Warum es meistens nicht so einfach ist und welche Hindernisse Müttern*, die wissenschaftlich arbeiten auch über die Baby- und Kleinkindphase hinaus begegnen, steht im Fokus dieses Buches. Wiebke Vogelaar identifiziert sechs Herausforderungen und ordnet sie in den Kontext der Muttertätsforschung und den Erfahrungen aus ihren Schreibcoachings ein. Daraus entwickelt sie lebensnahe Handlungsmöglichkeiten, durch die Mütter* sich (wieder) besser selbst verstehen und gestärkt schreiben können.

 

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© Foto Wiebke Vogelaar: Marcia Friese | Titelbild gestaltet mit canva.com