Umfassende Einführung für alle, die sich mit der Problematik Antisemitismus in den sozialen Medien auseinandersetzen wollen: Wir haben ein Interview mit den Herausgeberinnen Monika Hübscher und Sabine von Mering zu ihrem neuen Buch Antisemitismus in den Sozialen Medien geführt.
Interview mit Monika Hübscher und Sabine von Mering
Liebe Monika Hübscher, liebe Sabine von Mering, mit welchen Phänomenen beschäftigen sich die Beiträge in Ihrem Sammelband?
Unser Sammelband zeigt anhand von Fallbeispielen aus verschiedenen Ländern, wie auf algorithmisch organisierten Plattformen wie Facebook, X (früher Twitter) oder Instagram und TikTok, antisemitische Inhalte vorkommen und wirken. Unsere Autor*innen aus Deutschland, Israel, den USA, Indien, UK und Dänemark legen nicht nur dar, wie sich Antisemitismus in den sozialen Medien von Offline-Antisemitismus unterscheidet, sondern zeigen auch Handlungsperspektiven für Lehrkräfte, Multiplikator*innen und politische Entscheidungsträger*innen auf.
Der Sammelband ist 2022 zuerst auf Englisch erschienen und erscheint jetzt in deutscher Übersetzung. Was gab den Anstoß für Ihre Publikation?
Viele Wissenschaftler*innen oder Multiplikator*innen aus Deutschland, die 2022 bei unseren englischen Buchvorstellungen waren, haben uns nahegelegt, dass das Buch unbedingt auf Deutsch veröffentlicht werden sollte. Die große Nachfrage aus Deutschland gab den Anstoß dazu und hat uns motiviert, dass Übersetzungsprojekt in Angriff zu nehmen.
Warum ist es Ihnen wichtig, dass der Band auch in deutscher Übersetzung erscheint?
Es gibt tolle und spannende Forschungs- und Bildungsprojekte zu Antisemitismus in Deutschland, aber nur wenige beziehen sich dezidiert auf Social Media. Die Counterstrategien, die es in Deutschland gibt, um Antisemitismus in den sozialen Medien zu bekämpfen, berücksichtigen die Technologie nicht mit und sind deshalb nicht effektiv. Unser Buch möchte das ändern und neue Denkanstöße geben.
Außerdem war der Band, obwohl wie gesagt sehr international ausgerichtet, von deutschen Wissenschaftler*innen geprägt. An neun der vierzehn Kapitel waren deutsche Forschende zumindest mitbeteiligt, fünf der Kapitel beziehen sich explizit auf deutsche Beispiele. Eine deutsche Version zu veröffentlichen, erscheint also auch daher sinnvoll.
Lässt sich sagen, wer auf Social Media vorrangig antisemitische Strategien nutzt? Welche Akteur*innenstrukturen gibt es?
Das Spannende an Social Media ist, dass sich solche Fragen allgemein nicht beantworten lassen. Social Media hat keine Grenzen und somit kann Antisemitismus kostenlos und in Echtzeit auf globalem Level verbreitet werden. Aufgrund der langen Tradition von Antisemitismus haben sich vor allem die gewaltvollen, antisemitischen Bilder in unser Gedächtnis eingebrannt und werden überall auf der Welt erkannt. So findet man bspw. antisemitische Memes in sämtlichen Sprachen, in verschiedensten Milieus und Gruppen. Aufgrund dieser weiten Verbreitung müssen wir auch von einer Normalisierung von Antisemitismus in den sozialen Medien reden.
Auf welche Herausforderungen sind Sie bei der Erforschung von Antisemitismus in den sozialen Medien gestoßen?
Eine besondere Herausforderung bei der Erforschung von Antisemitismus in den Sozialen Medien, wie im Band genauer beschrieben, ergibt sich daraus, dass die Social-Media-Plattformen private Firmen sind und das, was auf ihnen gepostet wird, als ihr Eigentum bzw. als Eigentum ihrer Nutzer*innen ansehen. Der Zugang zu Social-Media-Daten ist nicht geregelt, was die wissenschaftliche Arbeit oft erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Das ist sicher mit einer der Gründe, weshalb unser Band das erste Standardwerk zu diesem Thema ist. Für uns als Herausgeberinnen war die erste Herausforderung also die, innovative Wissenschaftler*innen zu finden, die sich dennoch bereits intensiv mit Antisemitismus in den sozialen Medien beschäftigen – denn es gibt noch relativ wenig Literatur, auf die Forscher*innen zurückgreifen können. Man muss darum viel interdisziplinär forschen.
Eine weitere Herausforderung ist, dass man angemessene Methoden braucht, um Social Media zu beforschen. Diese mussten sich die Autor*innen teilweise selbst aneignen oder sie haben mit Wissenschaftler*innen aus anderen Disziplinen kooperiert. Wir freuen uns sehr darüber, dass vor allem auch angehende, junge Wissenschaftler*innen mit ihrer innovativen Forschung in unserem Band vertreten sind.
Uns war von Anfang an klar, dass wir ein internationales Autor*innenteam brauchten, weil es sich ja um ein globales Problem handelt. Es war uns auch wichtig, möglichst viele unterschiedliche Forschungsansätze zu verschiedenen Plattformen und verschiedenen Formen von Antisemitismus im Band zu präsentieren, um diesem neuen Forschungsfeld eine Art Anschubhilfe zu leisten, in der Hoffnung, damit jungen Wissenschaftler*innen aller möglichen Fachrichtungen Anreize zu bieten, sich ebenfalls mit diesen Fragen zu befassen. Die deutsche Übersetzung wird dies hoffentlich noch erleichtern.
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Monika Hübscher, Sabine von Mering (Hrsg.):
Antisemitismus in den Sozialen Medien
Die Herausgeberinnen
Monika Hübscher ist PhD-Kandidatin an der University of Haifa in Israel und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt ‚Antisemitismus und Jugend‘ an der Universität Duisburg-Essen.
Sabine von Mering, Ph.D., ist Professorin für Germanistik und Gender Studies und Direktorin des Center for German and European Studies (CGES) an der Brandeis University in Massachusetts, USA.
Über das Buch
Soziale Medien haben die Verbreitung von Antisemitismus revolutioniert. Algorithmisch verstärkt verbreitet sich Antisemitismus auf den Plattformen in Sekundenschnelle, kostenlos und global. Die daraus resultierende Gefahr für Jüdinnen*Juden ist eine große gesellschaftliche Herausforderung.
Das Buch gibt Einblicke in Fallstudien auf verschiedenen Plattformen und zeigt, wie soziale Medien durch die Verbreitung antisemitischer Inhalte von politischem Akteur*innen instrumentalisiert werden. Es werden innovative Methoden und Tools (CrowdTangle oder Voyant Tools) und neue Konzepte (Social Media Literacy, tertiärer Antisemitismus, antisemitische Eskalation) vorgestellt und Strategien, um Antisemitismus auf den Plattformen zu bekämpfen, kritisch evaluiert. Dieses Buch bietet eine umfassende Einführung für alle, die sich mit der Problematik Antisemitismus in den sozialen Medien auseinandersetzen wollen.
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© Foto Monika Hübscher: privat; Foto Sabine von Mering: Lotte Dale | Titelbild gestaltet mit canva.com