Wie instrumentalisieren rechte Akteur*innen den Klimawandel und sozialökologische Transformationsprozesse, und wie reagieren junge Menschen in Deutschland darauf? Leseprobe aus Jugend. Klima. Rechtsextremismus. Perspektiven junger Menschen auf Herausforderungen der Gegenwart von Marleen Hascher, Ann-Katrin Kastberg, Benjamin Kerst, Alina Mönig, Edmund Osterberger, Matthias Quent und Fabian Virchow.
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1.1 Forschungsprojekt „Rechtsextremismus in ökologischen Transformationsräumen: Diskursangebote, Resonanzwege und demokratische Alternativen“ (RIOET)
Diese Veröffentlichung baut maßgeblich auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts „Rechtsextremismus in ökologischen Transformationsräumen: Diskursangebote, Resonanzwege und demokratische Alternativen“ (RIOET)7 auf, das von 2023 bis 2024 als Kooperationsprojekt des Instituts für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal und dem Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus (FORENA) an der Hochschule Düsseldorf durchgeführt wurde.8 Im Fokus dieser empirischen Erhebungen standen die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, regionalen Transformationsprozessen und der politischen Haltung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Hinblick auf demokratische sowie antidemokratische Orientierungen. Mit besonderer Aufmerksamkeit für die Rolle rechtsorientierter Akteur*innen und Ideologien, zielte das Projekt darauf ab, verständlich zu machen, wie äußerst rechte Gruppierungen ökologische Krisenszenarien und Transformationsdynamiken instrumentalisieren und auf welche Resonanz sie damit bei jungen Menschen stoßen.9
Das Forschungsprojekt setzt sich aus fünf Teilstudien zusammen, deren Ergebnisse in dieser Publikation vorgestellt werden:10
Erstens haben wir in einer umfangreichen Dokumenten- und Quellenanalyse äußerst rechte Bezugnahmen auf die Themen Klima, Natur und Umwelt gesichtet und analysiert. Ergänzend wurde die äußerst rechte Zeitung Junge Freiheit exemplarisch in einer Textanalyse untersucht, um aktuelle Narrative der äußersten Rechten zum Klimawandel herauszuarbeiten. Diese Analyse der Jungen Freiheit war nicht Teil des RIOET-Projekts, sondern eine thematisch passende Qualifizierungsarbeit aus dem Projektteam. Unter dem Begriff „Narrativ“ verstehen wir eine „sinnstiftende Erzählung“, die darauf abzielt, „mittels der Vermittlung von spezifischen Wert- und Normalitätsvorstellungen und des Aufrufens von Emotionen Orientierung anzubieten“ (Virchow 2024: 5).
Zweitens haben wir vier Regionen in Ost- und Westdeutschland untersucht, die beispielhaft für Orte sozialökologischer Transformationsprozesse stehen und die wir hier vorstellen. Die Themen „Ende der Kohleverstromung“ (Rheinisches und Mitteldeutsches Braunkohlerevier), „Windenergie“ (Reinhardswald) und „Waldsterben“ (Harz) kennzeichnen die Transformationsprozesse in den Untersuchungsregionen. Anhand von Expert*innen-Interviews (N=31), Dokumenten- und Quellenanalysen, teilnehmenden Beobachtungen und Feldbegehungen haben wir uns diese Regionen erschlossen und herausgearbeitet, wie sich die Transformationsprozesse vor Ort gestalten und wie äußerst rechte Akteur*innen versuchen, lokal Einfluss zu nehmen.
An diese Teilstudien anknüpfend haben wir drittens in den vier Transformationsräumen jeweils Fokusgruppeninterviews (N=60) sowie narrativ-biografische Interviews (N=15) mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen geführt. Ziel dieses qualitativen Herangehens war es, herauszufinden, wie junge Menschen aktuell mit lokalen sozialökologischen Transformationsprozessen und dem Klimawandel umgehen und auf welche Resonanz äußerst rechte Narrative zum Themenzusammenhang Klima, Natur und Umwelt bei ihnen stoßen.
Diesen Fragen sind wir viertens zusätzlich in einer quantitativen Online-Befragung unter 2.099 jungen Menschen im Alter von 16 bis 27 Jahren nachgegangen: Aufbauend auf bestehender Forschung sowie unseren Befunden der qualitativen Erhebung haben wir einen umfassenden Fragebogen entwickelt, der unter anderem äußerst rechte Einstellungen im Allgemeinen und im Besonderen mit Bezug auf Klimathemen sowie demokratiebezogene Orientierungen abfragt. So konnten wir die Befunde und Hypothesen aus der qualitativen Tiefenuntersuchung mit der breiten quantitativen Datenbasis prüfen, kontextualisieren und erweitern.
Fünftens wurde die Frage nach möglichen Präventions- und Interventionsstrategien im Rahmen des Projekts bearbeitet. Dank der Einblicke, die uns Expert* innen aus der Praxis sowie Aktivist*innen gewährt haben, wie auch auf Basis unserer Forschungsergebnisse, skizzieren wir Handlungsempfehlungen, die eine Anregung für Politik und Zivilgesellschaft darstellen können.
1.2 Zentrale Ergebnisse
Die Untersuchung der äußerst rechten Zeitung Junge Freiheit sowie die Analyse äußerst rechter Narrative, Akteur*innen und Strategien in lokalen Transformationsprozessen zeigen beispielhaft, wie die Themen Klima, Natur und Umwelt aktuell von der äußersten Rechten vereinnahmt werden. So lässt sich vielfach zeigen, dass die Junge Freiheit sich rechtspopulistischer Rhetorik bedient, um durch wissenschaftsfeindliche Aussagen die Forschungen zum Klimawandel zu diskreditieren. Dabei bedient sie sich auch Darstellungen, die anschlussfähig sind für antisemitische, antikommunistische, geschichtsrevisionistische und rassistische Narrative (s. Kap. 2.3).
Konkret wurde in den untersuchten Forschungsregionen deutlich, wie sich Akteur*innen der äußersten Rechten strategisch einbringen, um die Debatten um die lokalen Transformationsprozesse zu beeinflussen. Die lokalen sozialökologischen Transformationsprozesse im Mitteldeutschen und Rheinischen Braunkohlerevier sowie im Reinhardswald und im Harz sind jeweils geprägt von spezifischen Spannungsfeldern, die Nährböden für äußerst rechte Rhetorik und Narrativbildung bieten. Äußerst rechte und verschwörungsideologische Akteur*innen beziehen sich vor Ort kommunikativ und/oder durch lokales Agieren auf die Transformationsprozesse. Dabei verwenden sie sowohl antiökologische als auch ökofaschistische Narrative. Vor allem die AfD zeigt in allen untersuchten Regionen eine starke Präsenz, es positionierten sich aber auch weitere äußerst rechte und verschwörungsideologische Akteur*innen, wie die neonazistische Kleinpartei Der III. Weg, entsprechend.
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7 Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ finanziell ermöglicht. Die Analyse der Jungen Freiheit (vor allem in Kapitel 2.2.1 und Kapitel 2.3) war nicht Bestandteil des von „Demokratie leben!“ geförderten Projektes RIOET sondern ist eine thematisch passende Qualifizierungsarbeit aus dem Projektteam.
8 Für die Mitarbeit am Forschungsprojekt danken die Autor*innen Dora Stanić (M.Sc.) und Fynn Leitzke. Ebenso danken wir allen Interviewpartner*innen der qualitativen und quantitativen Erhebung, die ihre Zeit, Gedanken, Wünsche und Sorgen mit großer Offenheit mit uns geteilt haben und ohne die diese Studie nicht möglich gewesen wäre. Außerdem danken wir Anja Funke und Christian Meinel für ihre organisatorische Unterstützung.
9 Die Ergebnisse des Projekts wurden in Teilen an anderer Stelle bereits publiziert und können auf der Website des Instituts für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal frei heruntergeladen werden: https://idk-lsa.de/publikationen/
10 In diesem Buch zitieren wir Aussagen von Akteur*innen der äußersten Rechten, zeigen Abbildungen (z.B. Sticker, Poster), die von diesen Akteur*innen verwendet werden, und machen diskriminierende Aussagen von Teilnehmenden unserer Befragung öffentlich. Dieses Vorgehen bringt die Gefahr mit sich, äußerst rechte Inhalte zu reproduzieren und Betroffene (erneut) mit äußerst rechten Ideologien zu konfrontieren. Warum wurde sich dennoch dafür entschieden? Als Bildungsmaterial für die Präventions- und Interventionsarbeit sowie als Dokumentation der Ergebnisse für die Wissenschaft wird im Folgenden über Narrative und Strategien äußerst rechter Akteur*innen informiert. Die zitierten Aussagen und die abgebildeten visuellen Impulse dienen dem Zweck, über die (Bild-)Sprache äußerst rechter Akteur*innen aufzuklären. So sollen pro-demokratisch Engagierte sensibilisiert und informiert werden.
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© Titelbild gestaltet mit canva.com

Marleen Hascher, Ann-Katrin Kastberg, Benjamin Kerst, Alina Mönig, Edmund Osterberger, Matthias Quent, Fabian Virchow: