„Unser primärer Reflexionsgegenstand ist der Friede, wie wir ihn begünstigen und fördern können.“ – Interview mit Marco Schrage, Autor von „Friedens- und Konfliktethik”

von Marco Schrage

 

 

 

 

Über das Buch

Wann ist Gewaltlosigkeit richtig und wann ist es zulässig oder sogar geboten, mit Gegengewalt zu reagieren? Welche Maßstäbe gelten für das Anwenden legitimer Gegengewalt? Diese und weitere komplizierte Fragen zum Thema Frieden und bewaffneter Konflikt werden in diesem Buch aus ethischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung der christlichen Tradition diskutiert. Der Autor behandelt dabei zum einen die sozialethischen Grundlagen und führt historisch an das Thema heran, zum anderen skizziert er eine gegenwärtige Konzeption von Friedens- und Konfliktethik im Bereich der politischen Ethik und den Umgang mit ethischen Herausforderungen. Er stellt damit das erste kompakte Lehrbuch zur Friedens- und Konfliktethik vor – in einer Zeit, in der dieses Thema wieder eine zunehmende Bedeutung hat.

 

Lieber Marco Schrage, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Friedens- und Konfliktethik für unsere Leser*innen zusammen.

Die zwei Fragen „Wann ist Gewaltlosigkeit richtig und wann ist es zulässig oder sogar geboten, mit Gegengewalt zu reagieren?“ sowie „Welche Maßstäbe gelten für das Anwenden legitimer Gegengewalt?“ sind seit Jahrhunderten Gegenstand denkerischer Reflexion. Einerseits ist es notwendig, sich diesen Fragen zu stellen, andererseits ist es erforderlich, sie nicht isoliert, sondern innerhalb eines positiven Rahmens zu behandeln. Unser primärer Reflexionsgegenstand ist der Friede, wie wir ihn begünstigen und fördern können; und als Anhang daran schließen sich die eingangs erwähnten Fragen an.

Das habe ich in vier organisch aufeinander aufbauenden Teilen versucht (1. Voraussetzungen – eine ethische Verortung, 2. Diachroner Anweg – Etappen der Entwicklung, 3. Synchroner Zugang – eine systematische Skizze und 4. Umgang mit exemplarischen Herausforderungen): Ich umreiße als erstes knapp ethische und sozialethische Grundlagen, anhand besonders wirkmächtiger Personen zeichne ich wichtige Etappen der Reflexion über Krieg und Frieden in der christlichen Tradition nach, daran anschließend skizziere ich eine gegenwärtige Konzeption von Friedens- und Konfliktethik im Bereich der politischen Ethik und am Ende erörtere ich schließlich anhand besonders wichtiger Beispiele den Umgang mit ethischen Herausforderungen.

 

Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?

Das Institut, an dem ich gearbeitet habe, widmet sich seit über 40 Jahren dem Aufarbeiten von Fragen rund um Krieg und Frieden: Es sind dort wirklich viele Publikationen erschienen, alle aber zu recht speziellen Aspekten. Zugleich habe ich in dem interdisziplinären Masterstudiengang Peace an Security Studies den ethischen Zugang unterrichtet. Und genau das war für mich Anlass, ein Lehrbuch zu schreiben, das einen ersten systematischen Überblick bietet: Für die Studentinnen und Studenten, ebenso aber auch für alle – vor allem aus den Disziplinen der Theologie, Politologie oder Rechtswissenschaft –, die sich für diese Materie interessieren und einen hilfreichen Zugang dazu suchen.

 

Ihr Buch widmet sich im vierten Hauptteil dem Umgang mit exemplarischen Herausforderungen. Würden Sie für unsere Leser*innen an dieser Stelle ein Beispiel herausgreifen?

Die behandelten Beispiele sind nukleare Abschreckung, militärische Intervention zu humanitären Zwecken, die sogenannte revisionistische Theorie des gerechten Krieges und operationell autonome Waffensysteme; sowie im Anhang als konkreter Fall die Intervention in Libyen. Sie alle sind sehr vertrackt und können mit simplizistischen Ansätzen nicht angemessen behandelt werden.

Besonders fesselt mich jedoch das Dilemma der nuklearen Abschreckung, denn einerseits ist es in dieser unserer Welt nicht ideal auflösbar, andererseits dürfen wir aber auch keinesfalls darauf verzichten, uns so scharf und redlich wie möglich damit auseinanderzusetzen: Da kann es dann zu so faszinierenden Ergebnissen kommen, dass sich sowohl die nukleare Abschreckung ablehnende als auch die nukleare Abschreckung befürwortende Position nicht bloß als in sich brüchig sondern zudem auch als aufeinander angewiesen erweisen.

 

Welche Aspekte der Friedens- und Konfliktethik werden Ihrer Einschätzung nach künftig stärker in den Fokus rücken?

So einfach es klingt: Ich glaube das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein der beiden.

Ich bin kein Prophet. Aber ich vermute, dass wir in den kommenden Jahren eine zunehmende globale Spannung zwischen Systemrivalen erleben werden. Und die sich vor diesem Hintergrund stellende Grundfrage ist nichts weniger als wie wir uns verstehen und wie wir leben wollen: Als Menschen, die sich als freie und gleiche verstehen und die in Gemeinwesen leben, die von – durchaus unterschiedlichen Formen der – Mitbestimmung geprägt sowie von der Herrschaft transparenten Rechts geformt werden oder aber nicht? Wenn wir dies möchten und es auch schützen wollen, werden wir erkennen, dass das einen (hohen) Preis hat.

Und in diesem Zusammenhang habe ich vor allem eine Hoffnung, nämlich dass wir in Zukunft – in Abgrenzung zu einseitigen Positionen, die sich leicht verbreiten – eine balancierte Haltung im Hinblick auf Frieden und bewaffneten Konflikt vermitteln können: Aus ethischer Perspektive wäre das bloße Management von Mitteln bewaffneter Gewalt nämlich weit unter der Latte durchgesprungen, dasselbe gilt aber auch für deren prinzipiellen Ausschluss, insofern dadurch moralische Rechte Dritter betroffen sind. In einem Bild ausgedrückt: Wir sollten auf der durchaus anspruchsvollen Straße blieben, statt in einen der beiden Seitengräben links und rechts davon abzurutschen.

 

Darum bin ich Autor bei Budrich

Drei Gründe stehen für mich im Vordergrund. Erstens habe ich die koordinierte Gesamtleistung als sehr gut wahrgenommen; von peer review, über Lektorat bis zum Satz. Zweitens war die Kontaktstruktur über die Zeit hinweg jeweils hilfreich gebündelt und die konsekutive Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen stets freundlich und zuverlässig. Drittens bietet die Zugehörigkeit des Verlags zu utb einen ausgezeichneten Publikationsort.

 

Kurzvita des Autors in eigenen Worten

Marco Schrage ist Priester des Bistums Osnabrück. Erststudium der Rechtswissenschaft und Italianistik, Zweitstudium der Philosophie und Theologie, Aufbaustudium in Moraltheologie. Promotion zu einem friedensethischen Thema. Er war Kaplan (Lingen/Ems), Militärpfarrer an der Unteroffizierschule der Luftwaffe (Appen) sowie wissenschaftlicher Projektleiter am Institut für Theologie und Frieden (Hamburg). Sein dortiger Fokus lag auf Grundfragen der Friedens- und Konfliktethik aus theologisch-ethischer Perspektive sowie auf der auswärtigen EU-Sicherheitspolitik.

Seit September 2022 ist Marco Schrage Mitarbeiter des Staatssekretariats in Rom.

 

Porträt: Doreen Bierdel / KMBA

 

Jetzt versandkostenfrei im Budrich-Shop bestellen

 

 

 

 

© Titelbild gestaltet mit canva.com