von Anja Frank und Anna F. Scholz
Über das Buch
Obwohl es mittlerweile eine Vielzahl an Forschung zum Phänomen Islamismus gibt, wurden in nur wenigen Studien Interviews mit jungen Menschen mit islamistischen Orientierungen geführt und systematisch ausgewertet. In diesem Buch gehen die Autorinnen anhand autobiografischer Erzählungen den folgenden Fragen nach: Wie eignen sich junge Menschen islamistische Orientierungen an, wie hängen sie mit biografischen Erfahrungen zusammen und welche Funktion erfüllen sie in den Biografien? Die Autorinnen zeigen, dass die Orientierungen in jugendphasenspezifische Probleme von Grenzziehung, Handlungskontrolle, sozialer Positionierung und Vergemeinschaftung eingebunden sind und diese Probleme auf verschiedene Weise gelöst werden: Islamismus übernimmt dabei die Funktion der starken Grenze, die Funktion der starken Ordnung oder die Funktion der starken Gemeinschaft.
Liebe Anja Frank, liebe Anna Felicitas Scholz, bitte fassen Sie den Inhalt Ihrer aktuellen Publikation Islamismus in der Jugendphase für unsere Leser*innen zusammen.
In unserem Buch stellen wir die Ergebnisse zweier Studien zum Thema Islamismus und Jugend vor, die am Deutschen Jugendinstitut in der Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention in Halle an der Saale durchgeführt wurde. Wir haben in diesen Studien autobiografische Interviews mit Jugendlichen geführt und ausgewertet. Im Buch gehen wir den Fragen nach, wie sich junge Menschen islamistische Orientierungen aneignen, wie dieser Prozess mit biografischen Erfahrungen zusammenhängt und welche Funktionen die Orientierungen in den Biografien erfüllen.
Wie kamen Sie auf die Idee, dieses Buch zu schreiben? Gab es einen „Stein des Anstoßes“?
Wir waren beide an der Durchführung der eben genannten Studien beteiligt und haben schnell festgestellt, dass wir eine ähnliche Vorstellung davon haben, was wir anhand von Biografien über Radikalisierungsprozesse lernen können. Wir wollten durch die Biografieforschung gemeinsam neue Perspektiven auf islamistische Radikalisierung von Jugendlichen eröffnen.
Dabei war uns bewusst, dass solche Studien, in denen autobiografische Interviews mit Jugendlichen geführt werden, im deutschsprachigen Raum rar sind. Denn es ist gar nicht so leicht, Interviewpartner*innen zu finden. Autobiografische Interviews verlangen viel gegenseitiges Vertrauen zwischen den Interviewpartner*innen. Für unsere Forschung war es bedeutsam, nicht nur die biografische Entwicklung von Radikalität zu beleuchten, sondern auch die gesellschaftlichen, religiösen, sozialen und familiären Hintergründe islamistischer Radikalisierung aufzuzeigen. Die Biografieforschung eignet sich für eine solche Perspektive besonders gut, weil wir davon ausgehen, dass Jugendbiografien nicht nur ein Produkt dieser genannten Hintergründe sind, sondern Jugendliche mit ihren Deutungen und Sinnzuschreibungen ebenso an der Herstellung sozialer Wirklichkeit beteiligt sind.
Wie würden Sie die Ergebnisse Ihrer Studie in maximal drei Sätzen zusammenfassen?
In den Interviews hat sich gezeigt, dass die Übernahme islamistischer Orientierungen auf jugendphasentypische Fragen von Grenzziehung, Handlungskontrolle, sozialer Positionierung und Vergemeinschaftung antwortet. Diese Probleme lösen die jungen Menschen in unterschiedlicher Weise. Islamismus übernimmt dabei drei Funktionen, die der starken Grenze, die der starken Ordnung oder die der starken Gemeinschaft.
Gibt es im Buch nicht behandelte Aspekte des Themenkomplexes Islamismus in der Jugendphase, die Sie künftig näher untersuchen möchten?
Im Buch haben wir uns auf die Biografien von jungen Menschen konzentriert, die sich in islamistischen Lebenswelten bewegt haben. In Zukunft würden wir uns gerne mit einem weiteren wichtigen Aspekt befassen, den Familienkonstellationen und Familiendynamiken, unter denen Jugendliche aufwachsen. In unserem Buch werden dazu einige Aspekte aufgezeigt, z. B. spielen die Beziehungen zwischen den Eltern und den jungen Menschen eine ganz zentrale Rolle im Radikalisierungsprozess. Wir würden gerne noch die Sichtweisen und Meinungen der Eltern und Angehörigen mit einbeziehen, hierfür liegen uns bereits Interviews vor.
Zudem ist uns daran gelegen, eine bislang selten zu findende Forschungsstrategie zu verfolgen, und zwar Radikalisierungsprozesse in unterschiedlichen Feldern – wie z. B. dem religiösen und dem politischen – auf empirischer Basis zu vergleichen. Das heißt also zu fragen, worin die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen religiös und anders begründeten Extremismen auf der Ebene der Erfahrung und der Lebenswelten der jeweiligen Akteur*innen liegen. Diese Wege zu verfolgen, fänden wir sehr spannend.
Darum sind wir Autorinnen bei Budrich
Die Reihe Rekonstruktive Forschung in der Sozialen Arbeit des Verlags Barbara Budrich hat uns überzeugt und wir hielten sie passend für das Thema unseres Buches. Auch die sehr gute Bewerbung der im Verlag erschienen Bücher ist für uns als Autorinnen von besonderer Wichtigkeit. Schließlich wurden wir durch die Mitarbeiter*innen im Verlag Barbara Budrich, wie Lektor*innen oder Grafiker*innen, außerordentlich gut betreut.
Kurzvitae in eigenen Worten
Ich, Anna Felicitas Scholz, bin Erziehungswissenschaftlerin und arbeite an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg und promoviere derzeit zum Thema politische Sozialisation. In meinen Forschungsprojekten sehe ich die Möglichkeit, aktuelle Erkenntnisse über gesellschaftliche und pädagogische Bedingungen und Prozesse zu gewinnen. Zuletzt habe ich in einem von der Volkswagenstiftung finanzierten Forschungsprojekt zur Coronapandemie mit dem Titel „Between educating and teaching the adult population. Andragogical perspectives on the Corona Pandemic“ mitgearbeitet.
Als Kultursoziologin arbeite ich, Anja Frank, am Deutschen Jugendinstitut in Halle an der Saale. Hier bin ich Teil des Teams der wissenschaftlichen Begleitung der Modellprojekte „Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Außerdem bin ich am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig u. a. in der Lehre im Bereich Kultursoziologie tätig und genieße es, gemeinsam mit Studierenden über soziologische Perspektiven auf gesellschaftliche Phänomene zu diskutieren.
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© Titelbild: gestaltet mit canva.com ; Foto Anna Felicitas Scholz: privat, Foto Anja Frank: David Ausserhofer