Eine Leseprobe aus „Erwachsenen- und Weiterbildung erzieht!“ von Daniela Holzer aus der Zeitschrift Debatte. Beiträge zur Erwachsenenbildung.
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Erwachsenen- und Weiterbildung erzieht!
Daniela Holzer
Debatte. Beiträge zur Erwachsenenbildung, Heft 2-2022, S. 95-114.
Zusammenfassung
Der Beitrag wirft die These auf, dass Erwachsenen- und Weiterbildung auch erzieherische Elemente und Funktionen beinhaltet. Sich einer Diskussion darüber zu verweigern, entzieht Erziehung Erwachsener lediglich der Sichtbarkeit und damit einer fundierten Zurückweisung oder gebotenen Legitimation. Um vertiefende Auseinandersetzungen anzuregen, werden Einblicke in aktuelle Erziehungstheorien und -verständnisse vorgenommen, einige vorhandene Ansätze zur Erziehung Erwachsener zusammengetragen, um dann skizzenhaft Ansatzpunkte aufzuwerfen, wie, wo und warum Diskussionen um Erwachsenenerziehung weitergeführt werden könnten.
Erwachsenen- und Weiterbildung · Erziehung · Erwachsenenerziehung · kritische Erwachsenenbildung
Erwachsenen- und Weiterbildung1 weist fast durchweg vehement von sich, irgendetwas mit Erziehung zu tun zu haben. Erwachsene seien schließlich mündig, selbstbestimmt und eigenständig entscheidungsfähig, womit sie einige gängige Kriterien dafür erfüllen, als ‚fertig‘ erzogen zu gelten. Ein weiterer erziehender Zugriff wird als unzulässig und inadäquat missbilligt. Die Problematisierung, dass auch der Erwachsenen- und Weiterbildung vielleicht doch erzieherische Momente innewohnen, kann also nur eine Provokation sein, die es zurückzuweisen, zu entkräften oder auch einfach zu ignorieren gilt?
Ganz so einfach scheint mir die Sache nicht, auch wenn ich selbst lange in diese fast schon reflexhafte Abwehr verfallen bin, gleichzeitig aber sehr wohl immer wieder disziplinierende, anpassende und zurichtende Anteile von Erwachsenen- und Weiterbildung unnachgiebig kritisiere und damit – wie es hier zu zeigen gilt – wohl auch erzieherische Momente. Ein Teil der breit wahrnehmbaren Abwehr speist sich möglicherweise daraus, dass wir alle – als Erwachsene – auf den Gedanken, weiterhin erzogen zu werden, emotional aufgeladen zurückweisend reagieren, wollen wir doch nicht infantilisiert, entmündigt, als unzureichend und bearbeitungsbedürftig deklariert werden, jetzt, wo wir endlich mit dem Status ‚erwachsen‘ dem erzieherischen Zugriff entronnen scheinen. Die Abwehr entspringt aber ebenso dem Anliegen, Erwachsenen- und Weiterbildung zuweilen gerade über eine Distanzierung von Kindheit, von Jugend und von Erziehungsansinnen als eigenes Wissenschafts- und Handlungsfeld abzustecken, getragen von erwachsenenbezogenen Theorien, erwachsenengerechten Praxen und nicht zuletzt einem emphatischen Einsatz für Bildung als von Erziehung – wenn auch zuweilen diffus – zu unterscheidendem Begriff. Bildung schillert. Als Versprechung von Erweiterung, als emanzipatorisches Anliegen, gar als kritisches Potenzial. Erziehung hingegen ist sowohl in vielen Alltagsverständnissen als auch in der Erwachsenen- und Weiterbildung(-swissenschaft) mit Zwang, machtgeschwängerter Einflussnahme und Abrichtung konnotiert.
Meine Abwehr gegen die Möglichkeit von Erwachsenenerziehung – eine irritierende, aber nicht neue Wortkombination (z. B. Buber 2005 [1961]; Brödel 2003, 127; Prange 2005, 18; Hunold 2020, 146; Nohl 2022a) – begann zu bröckeln, als ich in meiner Wissenschaftler*innenwerdung einige Anzeichen für erzieherische Einflussnahmen entdeckte. Daran anschließend stellten sich bald erste, noch konturlose Vermutungen über ähnliche Momente in der Erwachsenen- und Weiterbildung ein. Da wir in der Erwachsenen- und Weiterbildungswissenschaft allerdings so gut wie gar nicht in eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Erziehung geraten, blieb die Vermutung zunächst holzschnittartig und uninformiert, lediglich an ungefähren – und wie ich inzwischen weiß: eher an älteren und zum Teil konservativen, jedenfalls aber undifferenzierten – Erziehungsverständnissen orientiert. Ich wollte meiner Ahnung aber weiter nachspüren und die Auseinandersetzung für diesen Beitrag führte mich in detailreiche Diskussionen um Erziehung und zu vereinzelten Beiträgen über Erziehung von Erwachsenen. Die These, der ich nachgehe, denke ich bestätigen zu können: Erwachsenen- und Weiterbildung erzieht!
Die Erwachsenen- und Weiterbildung – so möchte ich hier zeigen – beraubt sich mit einer simplen, brüsken Zurückweisung von Erziehung Erwachsener einer notwendigen Auseinandersetzung mit innewohnenden und konkret praktizierten erziehenden Momenten. Nicht hinzusehen, lässt die erzieherische Realität aber nicht verschwinden, sondern entzieht sie lediglich der Wahrnehmung und verhindert damit, sie einer kritischen Reflexion zuzuführen. Eine differenzierte Beleuchtung ist aus meiner Sicht erforderlich, um nicht blindlings erzieherisch zu handeln und dies zugleich zu leugnen und um sich bewusst zu machen, wann und wo und wie in der Erwachsenen- und Weiterbildung erzieherische Elemente verborgen sind. Nur so können diese einem dringend gebotenen Legitimierungszwang unterworfen und kann gleichzeitig alles darangesetzt werden, sie an jeder Stelle, wo es nur irgend möglich ist, zu minimieren und zu suspendieren.
Ich wollte in diesem Beitrag eigentlich gleich direkt in eine vertiefende Diskussion von Erziehungspraktiken in der Erwachsenen- und Weiterbildung eintauchen und diese in die Kritik nehmen. Bei ersten Versuchen stellte sich allerdings rasch die Einsicht ein, dass zunächst eine genauere Auseinandersetzung mit Erziehungsbegriffen selbst nötig ist, um die Gedanken in Richtung Erwachsenen- und Weiterbildung weiterspinnen zu können, ohne in Banalitäten und undifferenzierte Übernahmen von ungefähren Ahnungen, was denn Erziehung sei, zu verfallen. Zunächst sind also einige Grundfragen zu verhandeln. Daher kann mir in diesem Beitrag lediglich ein erster Aufschlag gelingen, mich der Frage von Erziehung zu nähern und vereinzelte Verbindungen zur Erwachsenen- und Weiterbildung aufzuschließen. Denn obwohl es bereits Überlegungen zu Erziehung Erwachsener und zu Erziehung in der Erwachsenen- und Weiterbildung gibt, sind umfassendere Debatten bislang nicht in Gang gekommen. Es gilt daher, erneut nachzubohren. Ganz im Sinne dieser Zeitschrift, sollen die angestellten Überlegungen Auftakt für eine Debatte werden und ich bin erpicht auf Erweiterungen und Ausdifferenzierung, auch auf Einsprüche, welche die Diskussion weiterzutreiben vermögen.
Subdisziplinäre und semantische Ausweichmanöver
Die Erwachsenen- und Weiterbildung „tut sich schwer mit dem Begriff Erziehung“, so Jürgen Wittpoth schon vor zwanzig Jahren (Wittpoth 2003, 509; H. i. O.). Die Allgemeine Erziehungswissenschaft, ein Hort für die hier relevanten Grundlagen- und Begriffsfragen, tut sich hingegen schwer damit, Erwachsene überhaupt in den Blick geraten zu lassen. Diese beiden Subdisziplinen weichen sich also meist großräumig aus und verunmöglichen dadurch oft gegenseitig erhellende Diskussionen von vornherein. Semantische Ausweichmanöver, mit denen der Begriff Erziehung zuweilen umschifft wird, erschweren die Auseinandersetzung zusätzlich.
Eine Distanzierung vom Begriff Erziehung ist nicht nur der Erwachsenen- und Weiterbildung eigen, sondern greift auch in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft um sich: Roland Reichenbach (2000a) spielt beispielsweise mit den negativen Konnotationen des Begriffs und macht Erziehung als Kränkung, Zumutung und als zwangs- und autoritätsbehaftet aus, was auch zu einer Abkehr vom Begriff Erziehung führe, um solche Assoziationen zu vermeiden. Er referiert auch einen pointierten Einwurf von Klaus Prange, dass Erziehung zunehmend als peinlich gelte und beschwichtigend auf Ersatzbegriffe ausgewichen werde (Prange 1999, zit. n. Reichenbach 2000a, 106). Prange bekräftigt diese Einschätzung 2005: „Es kommt mir gelegentlich vor, als ob wir Pädagog[*inn]en uns genierten, klar, direkt und nachdrücklich von Erziehung zu sprechen, als ob sie etwas sei, wofür wir uns zu entschuldigen hätten und was man bestenfalls noch den kleinen Kindern antun dürfe, aber ansonsten verbergen, umschreiben und semantisch umgehen müsse“ (Prange 2005, 19). Herbert Gudjons und Silke Traub verweisen auf den „Geruch von Fremdbestimmung, des illegitimen Eingreifens in das Werden […], Beschneidung der Freiheit etc.“ (Gudjons & Traub 2021, 191), weshalb zuweilen der Begriff in den Erziehungswissenschaften vermieden oder als sich auflösend beschrieben wird. Arnd-Michael Nohl (2022b, 152) konstatiert ebenfalls, dass der Erziehungswissenschaft ihr namensgebender Begriff abhanden zu kommen scheint und fast nur noch in Handbüchern referiert (z. B. Oelkers 2008, 2012; Winkler 1996; Kunert 2018), sonst aber kaum elaboriert verhandelt werde.
Der Zerfaserung, Entgrenzung oder Vermeidung des Erziehungsbegriffs begegnen nun manche in der Allgemeinen Erziehungswissenschaft mit einer umso stärkeren Eingrenzung. Andreas Flitner macht es sich aber wohl ein wenig zu leicht, wenn er dafür in den 1980er Jahren einfach dazu auffordert, problematische Seiten von Erziehung, z. B. Verbote oder Lob- und Strafpraktiken, also „das ganze Teufelszeugs nicht Erziehung zu nennen“ (Flitner 1982, zit. n. Gudjons & Traub 2021, 191; H. i. O.). Nicht weniger dramatisierend bezeichnen aktuell Nicole Welter und Heinz Elmar Tenorth die Entgrenzung des Begriffs als „desaströs“ (Welter & Tenorth 2022, 15) und plädieren für eine neuerliche Engführung von Erziehung auf jene generationellen, asymmetrischen und lebensalterbezogenen Funktionen, die nur Kindern und Jugendlichen anzugedeihen geboten sei.
Eine solche Engführung käme der Erwachsenen- und Weiterbildung wohl zupass, könnte sie damit – so wie bisher und noch weit jenseits einer begrifflichen Befragung – mit dem einfachen Hinweis auf die Nichtrelevanz der Allgemeinen Erziehungswissenschaft und des Erziehungsbegriffs für das eigene Fach jeden Berührungspunkt großräumig umschiffen. Die Allgemeine Erziehungswissenschaft vollführt ihr subdisziplinäres Ausweichmanöver hingegen in der Form, dass sie Pädagogik zuweilen ausschließlich mit Erziehung und mit Kindern verknüpft sehen will und damit Übergänge zu Erwachsenen- und Weiterbildung von vornherein kappt. Interessanterweise sind beispielsweise in einem Handbuch zu Erziehung (Sandfuchs, Melzer, Dühlmeier & Rausch 2012) einige Beiträge zur Erwachsenen- und Weiterbildung vertreten (Bremer & Trumann 2012; Faulstich 2012; Nuissl & Thöne-Geyer 2012; Schmidt-Lauff 2012; Wolter 2012; Zeuner 2012), wenngleich ein Übergang nicht einmal versucht wird: In den anderen Beiträgen werden als Adressat*innen der Erziehung wieder ausschließlich Kinder und Jugendliche genannt, in den Beiträgen zur Erwachsenen- und Weiterbildung hingegen wird Erziehung nur am Rande oder gar nicht thematisiert, sondern es überwiegt die übliche Abwehr, dass Erziehung nicht relevant sei.
1 Die beiden Begriffe Erwachsenenbildung und Weiterbildung werden im Fachdiskurs uneinheitlich und teilweise unterschiedlich konnotiert verwendet. Mit der Nennung beider Termini möchte ich signalisieren, dass meine Überlegungen in diesem Beitrag in allen dazugehörigen Bereichen von Relevanz sind.
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Die Autorin
Assoz. Prof. Mag. Dr.phil. Daniela Holzer forscht und lehrt am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Arbeitsbereich Erwachsenen- und Weiterbildung, der Universität Graz.
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