Transformationsprozesse im Amateurfußball

Ein netzloses Fußballtor auf einem Sportplatz

Amateurfußball im Wandel: Krise, Transformation und soziales Unternehmertum im deutsch-englischen Vergleich

Kristian Naglo, Dilwyn Porter

FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft, Heft 1-2020, S. 42-64

 

Zusammenfassung
Am Beispiel zweier Fußballamateurvereine aus England und Deutschland wird im Rahmen eines internationalen Vergleichs diskutiert, wie der Bereich des Amateurfußballs durch Beziehungen des Lokalen und Globalen, sowie von Elementen aus Amateursport und Professionalismus durchzogen sind. Die Analyse als Kombination aus kultur-, wissenssoziologischer und kulturhistorischer Perspektive ist insbesondere durch die Konzepte Krise, Wandel und soziales Unternehmertum geleitet. Hier sind Ansätze zur Veränderung über den Aus- oder Neubau der eigenen Sportanlage zu nennen, die im Zentrum der jeweiligen lokalen Wandlungsprozesse stehen. Der internationale Vergleich anhand der beiden Vereine lässt auf Transformationsprozesse mit bestimmten Legitimierungsstrategien im Rahmen von Krise schließen. Die jeweilige Neubewertung der Sportanlage und damit des Gesamtvereins kann insgesamt betrachtet werden als Beispiel eines symbolischen Aktivismus, verbunden mit Ansätzen sozialen Unternehmertums.

Schlüsselwörter: Krise, Wandel, soziales Unternehmertum, symbolischer Aktivismus, Amateurfußball

 

Summary
Drawing on the examples of two amateur football clubs from England and Germany, we discuss in an international comparison how the realm of amateur football is shaped by relations of the local and the global, and by elements of amateurism and professionalism. The analysis combines perspectives from the sociology of culture/knowledge as well as cultural history and revolves around the concepts of crisis, transformation and social entrepreneurship. We focus in particular on the clubs’ respective plans to transform or rebuild their sports facilities on the basis of different practices and motivations, thereby initiating specific local processes of change. The comparison suggests specific processes of transformation and legitimizing strategies in the context of crisis. In both cases, the organizational effort required to modernize facilities while simultaneously recasting the club in a new form represents symbolic activism combined with social entrepreneurship.

Keywords: Crisis, Transformation, Social Entrepreneurship, Social activism, Amateur Football

 

Einleitung

Welche Vorstellungen des Globalen sowie des Lokalen, des Professionellen und des Amateurhaften, lassen sich im Kontext von Amateurvereinen in Deutschland und England nachvollziehen? Inwiefern führt dieses Spannungsfeld zur Wahrnehmung von Handlungsnotwendigkeit durch Modernisierungsdruck? Welche daraus entstehenden spezifischen diskursiven und praktischen Aktivitäten lassen sich im Vergleich identifizieren und interpretieren? Und reflektierend auf die konzeptuell-theoretische Ebene: Inwiefern lassen sich Ansätze und Prozesse stärker dynamisch als Glokalisierungsphänomene – zwischen Homogenisierungs- und Heterogenisierungstendenzen – interpretieren?

Während für den professionellen Fußball eine Globalitätsannahme nahezu unhinterfragt gilt, wird dem Amateurfußball grundsätzlich eher das Lokale zugeordnet. Der systematische Vergleich – hier des englischen Vereins Malvern Town FC mit dem deutschen Verein BSV Bielstein – zeigt jedoch deutlich, dass es weit mehr als nur oberflächliche Gemeinsamkeiten sind, die das Lokale bereits durchziehen. Der hier gelegte Fokus auf den Vergleich zweier Amateurvereine legt eine kombinierte Herangehensweise einer Interpretation medialer Diskurse, von Narrativen und der Beobachtung spezifischer Praktiken nahe. Die interdisziplinäre Perspektive als Kombination aus kultur-, wissenssoziologischer und kulturhistorischer Perspektive interessiert sich insbesondere für die Konzepte Krise, Wandel und soziales Unternehmertum.

Die zentrale Prämisse des internationalen Vergleichs lautet, dass die sozialen Welten (Strauss 1978, 1991; Zifonun 2016) des deutschen und englischen Amateurfußballs von Beziehungen des Lokalen und Globalen sowie von Elementen aus Amateursport und Professionalismus gekennzeichnet sind. Eine solche Sichtweise betont die Vorstellung, dass das Globale ein Bereich der Imagination ist, welcher letztlich auf der lokalen Ebene analysiert werden muss. Die Idee von Globalisierung als einem eindimensionalen Prozess, der vor allem durch Standardisierung gekennzeichnet ist, wird hier also grundsätzlich in Frage gestellt (Robertson 1992).

Die beiden hier dargestellten Vereine aus Deutschland und England zeigen jeweils spezifische Ausprägungen in ihren Antworten auf globale Fragen und Anstöße, die inhaltlich in einigen Aspekten divergieren und in anderen übereinstimmen. Gemeinsam stellen Unterschiede und Ähnlichkeiten eine Art Blaupause zur Bewertung des Verhältnisses des Lokalen zum Globalen, des Amateurhaftem zum Professionellen bereit.1 Die Methode des internationalen Fallvergleichs ermöglicht insofern nicht nur Einzelphänomene zu dokumentieren, sondern systematisch nach Mustern, Ähnlichkeiten und Differenzen zu suchen, die die Basis für grundlegende analytische Aussagen und entsprechende konzeptuelle Weiterentwicklungen darstellen können. Mit dem empirischen Fokus auf jeweilige Bezüge zu Krise, Wandel und sozialer Unternehmerschaft rücken die konkreten Praktiken in Verbindung mit ihrer jeweiligen Außendarstellung in den Vordergrund. Hier sind insbesondere Ansätze zur Veränderung über den Aus- oder Neubau der eigenen Sportanlage mit je eigenen Praktiken und Begründungen zu nennen, die im Zentrum der jeweiligen lokalen Wandlungsprozesse stehen.

Der vorliegende Artikel stellt zunächst einen theoretischen Bezug zwischen Praktiken im Kontext des Amateurfußballs und kulturellen Rahmungen her. Er knüpft dabei an vornehmlich soziologische und kulturhistorische Arbeiten an, die mit den Begriffen der Glokalisierung (Modernisierung, Kultur, Krise)‚ der Sozialen Welten, des Imaginären und der Sozialen Unternehmerschaft arbeiten. Daran schließt sich eine ethnografisch wie auch inhaltsanalytisch vorgehende Untersuchung an, die den Transformationsprozessen der beiden ausgewählten Vereine vergleichend systematisch nachgeht. Abschließend wird dargelegt, wie die jeweiligen Ansätze zur Neukonstruktion einer Vereinsidentität im Rahmen einer Neubewertung in eine interkulturell vergleichbare Ästhetik des Wandels münden.

Analyserahmen und Methode

In den beiden dargestellten Fällen wird übereinstimmend von einer Veränderung der interpretativen Basis von nicht-professionellen Fußballvereinen seit den 1990er Jahren unter einem zunehmenden Modernisierungsdruck durch den professionellen Fußball ausgegangen. Unter interpretativer Basis werden hier diejenigen Interpretationsmuster verstanden, die sich auf die Ziele, die Praxisformen, mediale Inhalte, Möglichkeiten bzw. Schwierigkeiten und Krisen sowie den potentiellen Integrationseffekt des Fußballs beziehen (beispielhaft Naglo/Mittag/Porter 2019; Krossa/Naglo 2019; Gmünder/Zeyringer 2018; Beichelt 2018; Kaube 2018; Naglo 2018; Kotthaus/von der Heyde 2016; Redhead 2015; Eisenberg/Gestrich 2012; Müller 2009; Giulianotti/Robertson 2009; Klein/Meuser 2008; Schwier 2000; Eisenberg 1999; Redhead 1997; Holt 1989). Historisch geht dieser Wandel beispielsweise mit dem verstärkten Einfluss von privatem und Bezahlfernsehen, der Einführung der Premier League und Champions League einher. Sportlich ist er mit der globalen Einführung der ‚Rückpassregel‘, vor allem aber von spezifischen Kriseninterpretationen und symbolischen Zirkulationen verbunden, die Vorstellungen lokaler, nationaler und globaler Fußballkulturen entscheidend prägen (Naglo 2014).

Symbolische Zirkulationen repräsentieren in diesem Sinne nicht nur die Verteilung materieller und immaterieller Güter, sondern erzeugen unter den Beteiligten vor allem die Wahrnehmung, Teil eines größeren Zusammenhangs zu sein (Langenohl 2010). Solche Prozesse haben das Potential, (kollektive) Identifikationen auf der Grundlage von Vorstellungen zu generieren. Demnach hilft die steigende Bezugnahme auf kulturelle Versatzstücke des Profifußballs durch symbolischen Aktivismus – verstanden als grundlegende und handlungsweisende Neubewertung des jeweiligen Gesamtvereins – lokal operierenden Amateurvereinen dabei, ihr Selbstverständnis zu schärfen. Diese Herstellung spezifischer Lokalität durch Bezugnahmen auf den nationalen/globalen Fußball ist ein paradoxer Prozess, der analytisch bislang nur wenig Beachtung gefunden hat (Zifonun/Naglo 2019).

Im Kontext des deutschen und englischen nicht-professionellen Fußballs weisen Tendenzen des Wandels im Sinne von Professionalisierung, Modernisierung oder Reorganisierung häufig Bezüge zum Konzept Krise auf. Damit verbunden ist die inhärente Aufforderung nach existenzsichernden Handlungen, ein Zusammenhang, der allgegenwärtig in lokalen Fußballdiskursen und durchaus auch international zu beobachten ist. Die inflationäre Nutzung des Begriffs deutet dabei auf eine eher vage Rhetorik als auf eine spezifische Interpretation von Situationen. Das Narrativ der Krise zeigt Unsicherheit an, aber auch Leiden und Martyrium und verweist auf eine unklare bzw. unbekannte Zukunft (Koselleck 2006: 203). Krise bezeichnet entsprechend Brüche in Routinen, die die Legitimität sozialer Welten bedrohen und häufig existenzielle Fragen aufwerfen. Gleichzeitig sind sie nicht selten essentieller Stimulus und Handlungsmotivation. In einer soziologischen Perspektive reflexiver Modernisierung (siehe z.B. Beck et al. 2003; Giddens 1990; Robertson 1992) sind es vor allem Krisenphänomene, anhand derer lokale soziale Welten (z. B. des Fußballs) sich geradezu gezwungen sehen, ihre Identität und zugrundeliegende Erzählungen immer wieder neu zu definieren (auch Sellnow/Seeger 2013).

Der organisierte, sehr populäre Amateurfußball bietet in diesem Zusammenhang als Bindeglied zwischen dem Globalen und dem Lokalen besonders viel Analysepotential in sozialwissenschaftlicher und historischer Perspektive. Hier wird die Fußballwelt herangezogen als ein Beispiel für eine umfassende, allgemeine gesellschaftliche Entwicklung: ein aussagekräftiges Beispiel einer sich glokalisierenden Welt. Die Fußballwelt gerät auf einer Grundlage weltweiter medialer Konnektivität vermeintlich in Zugzwang hinsichtlich Optimierung und Anpassung („Modernisierungsdruck“), propagiert aber an der Oberfläche gleichzeitig ganz andere Werte wie Spaß oder Selbstverwirklichung. Dieses Spannungsverhältnis muss der Fußball über spezifische kulturelle Praktiken und Symboliken in seine jeweiligen lokalen Kontexte implementieren, als Sonderwelt mit spezifischen Beständen an Sonderwissen, die sie von anderen Welten abgrenzt. Gerade diese Kombination muss systematische Grundlage der Analyse sein, um nicht am Gegenstand und seinen konzeptuellen Grundlagen gleichsam vorbeizuschreiben. Dieser Ansatz bearbeitet auch ein bereits vor Jahren konstatiertes Desiderat der bestehenden Forschung zu Glokalisierung und Fußball (Giulianotti/Robertson 2009).2 Die Relevanz in konzeptuellem Sinne nimmt noch einmal zu, wenn man berücksichtigt, dass das Konzept Glokalisierung ja bereits in seiner Terminologie existentiell auf das Lokale verweist.

Die Herangehensweise, über Fallanalysen und Fallvergleich ein soziales Handlungsrepertoire zu rekonstruieren, ist angelehnt an die hermeneutische Wissenssoziologie mit der Betonung von fortlaufenden gesellschaftlichen Konstruktionsprozessen in sozialen Interaktionen des Alltäglichen (Soeffner/Hitzler 1994; Hitzler/Reichertz/Schröer 2020). Offengelegt werden soll damit letztlich, wie Subjekte ihre (Um-)Welt, ihre sozialen Beziehungen, Ereignisse und Erfahrungen interpretieren und diesen damit Sinn verleihen, hier beispielhaft im Rahmen einer Hermeneutik interkultureller Daten (auch Roslon/Bettmann 2020: 411). Die Fremdperspektive wird dabei gegen die eigene gespiegelt und soziale Praktiken, Kommunikationsprozesse und Sinnhorizonte in unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen kontrastiv analysiert. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der praktischen Konstruktion von Wirklichkeit in deutschen und englischen sozialen Welten des Fußballs unter Berücksichtigung von Imaginationen, Selbstbeschreibungen, subjektiven Situationsdeutungen und potentiell abweichenden Kulturkonzepten.

Hier ist eine methodologische Grundannahme, dass die Fokussierung von Fußballevents in den verschiedenen Ausprägungen (Training, Spiele, Turniere, Festivitäten usw.) auch die Untersuchung von Fallbeispielen im Rahmen von short-term field visits ermöglicht (Zifonun/Naglo 2019). Diese Art der Vorgehensweise lässt sich mit der fokussierten Ethnographie im Sinne Knoblauchs verbinden (Knoblauch 2001): Anstatt ein Feld und seine kulturellen Grenzen komplett auszuloten, werden bestimmte Fragen auf der Grundlage theoretisch abgeleiteter Konzeptualisierungen erörtert (Langenohl 2015: 6). Der Zeitraum im Feld lässt sich also reduzieren, wenn sich die Forscherin bzw. der Forscher anhand theoretisch informierter Fragen und auch zumindest vorläufiger, davon abgeleiteter Thesen auf die Teilnahme von Kernaktivitäten, Events und beispielsweise damit zusammenhängenden Krisen oder Konflikten konzentriert und diese intensiv analysiert (Zifonun/Naglo 2019).

Das Datenmaterial zur Analyse entstand für den englischen Fall Malvern Town FC in einem Zeitrahmen zwischen 2015 und 2019, während das deutsche Beispiel BSV Bielstein seit 2014 im Fokus des Forschungsinteresses steht. Analysiert wurden die Protokolle zahlreicher teilnehmender Beobachtungen sowie ein Archiv solcher Dokumente, die hinsichtlich des Themas besonders aussagekräftig sind. Neben den Internetauftritten sind dies beispielsweise Vereinsbroschüren und Spieltagsprogramme. Ziel dieses Arbeitsschritts war es, die durch einen Prozess der ‚Offizialisierung‘ gegangenen schriftlichen Verlautbarungen sowohl auf ihre direkten Aussagen hinsichtlich der Fragestellung zu überprüfen, als auch, sie als Analyseimpulse zu nutzen und in die durchgeführten Interviews einzubringen. Mit dieser Methodentriangulation (Flick 2004) sollte eine gegenseitige Prüfung und entsprechende Stärkung der Ergebnisse erzielt werden.

1 Während die Verfasser schon vor Jahren im Rahmen eines Sammelbandes zum Vergleich deutscher und englischer Fußballkultur kooperierten, begründet sich die jeweilige Fallauswahl hier auf die Kunstrasenprojekte, die sowohl in Bielstein als auch in Malvern Town ähnlich gerahmte Transformationsprozesse vermuten ließen. Beide Verfasser waren jahrelang in unterschiedlichen Funktionen in den ausgewählten Vereinen als Mitglieder involviert.
2 Diese Einschätzung bestätigte Roland Robertson in einem persönlichen Gespräch.

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