Leichte Behördensprache: Herausforderungen und Potenziale

Leseprobe Leichte Behördensprache

Herausforderungen und Potenziale der Leichten Sprache im öffentlichen Sektor: Leseprobe aus Leichte Behördensprache. Entwicklung eines Konzepts zur Stärkung einer inklusiven Gesellschaft von Sonja Abend.

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Leichte Behördensprache: Einleitung

Das Phänomen der Leichten Sprache bekommt in der Öffentlichkeit zunehmend Beachtung. Eine wesentliche Ursache hierfür ist die Tatsache, dass öffentliche Stellen, wie Behörden, dazu verpflichtet sind, auf ihren Internetseiten Informationen in Leichter Sprache vorzuhalten. Das Behindertengleichstellungsgesetz fordert in § 11 die Träger der öffentlichen Gewalt, also Behörden, dazu auf, Menschen mit Geistiger1 oder seelischer Behinderung auf deren Verlangen u.a. Bescheide in Leichter Sprache zu erläutern. Außerdem sollen die Behörden ihre Kompetenzen in Leichter Sprache auf- und ausbauen.

Eine in Kapitel 6 beschriebene Erhebung zeigt, in welchem Umfang Menschen mit Geistiger Behinderung überhaupt berechtigt sind, ihre Interessen gegenüber Behörden selbständig zu vertreten.

Die im Rahmen dieser Arbeit wissenschaftlich untersuchten Regelwerke folgen dem Grundsatz „one fits for all“ und gehen auf die Spezifika der Textgattung Bescheid bestenfalls rudimentär ein. Hinterfragt wird in dieser Arbeit im Rahmen einer empirischen Befragung, ob Behördenmitarbeiter(innen) vereinfachte Behördentexte für erforderlich erachten, welche Personengruppen sie als Zielgruppe einer vereinfachten Behördensprache identifizieren und ob mit besser verständlichen Texten Ressourcen in Behörden eingespart werden können. Erhoben wurde auch, ob Menschen mit Geistiger Behinderung ihre Interessen gegenüber Behörden vertreten können oder ob es Ausschlussgründe hierfür gibt.

Der Genese der vorliegenden Arbeit sind die Parallelen in Aufbau und Struktur zum von Bredel und Maaß (2016a) verfassten Werk „Leichte Sprache – Theoretische Grundlagen und Orientierung für die Praxis“ geschuldet.

Bei der Auswahl der Literatur wurde darauf geachtet, dass diese die Diskussion im wiedervereinten Deutschland widerspiegelt.2 Rückgriffe auf Quellen vorheriger Epochen sowie auf Disziplinen, die sich bisher nicht explizit mit dem Thema Leichte Sprache auseinandergesetzt haben, finden immer dann statt, wenn dies der Kausalzusammenhang erfordert.

In der Entstehungszeit dieser Arbeit gab es diverse gesetzliche Änderungen, so wurde beispielsweise das Arbeitslosengeld II durch das Bürgergeld ersetzt. Die linguistischen Beispiele wurden bewusst in der Arbeit belassen, weil die Kombination aus Wort und (römischer) Zahl weiterhin im Namen der Sozialgesetzbücher, und somit auch die Verständlichkeitsbarriere weiterhin bestehen bleiben. Zu Beginn der Arbeit war auch nicht absehbar, welch breiten Raum das Thema Gendern einnehmen wird. Es ist ein Beispiel dafür, wie gesellschaftliche Entwicklungsprozesse die Sprache beeinflussen. Daher wurde im Verlauf dieser Arbeit das induktive/abgeleitete Gendern als Form des Genderns entwickelt. Es greift nicht in die Wortstruktur ein, braucht keine Sonderzeichen und lässt sich aussprechen und vorlesen.

In der vorliegenden Arbeit werden zunächst kontextrelevante Aspekte der Verstehens- und Verständlichkeitsforschung aufgezeigt. Dies geschieht für den Verarbeitungs- und Behaltensprozess anhand des Modells der phonologischen Schleife zur Beschreibung des Lesens und anhand des Zwei-Wege-Modells der konstruktiven und der lexikalischen Leseroute zur Beschreibung des Lesens bei unterschiedlicher Lesekompetenz.

Die Konzepte der Leichten Sprache und der Bürgernahen Verwaltungssprache werden anhand der Struktur und der Merkmale Qualitätssicherung, mediale und visuelle Gestaltung, Schriftzeichen, Morphologie, Lexik, Syntax sowie Semantik dargestellt (vgl.: Bredel und Maaß 2016a; Bundesverwaltungsamt – Bundesstelle für Büroorganisation und Bürotechnik -BBB- 2002a). Darauf aufbauend wird auch das im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Konzept der Leichten Behördensprache anhand dieser Kriterien entwickelt und beschrieben. In den Kapiteln 2, 3 und 6 finden sich Ausführungen zur Entstehung, den Rechtsgrundlagen, den Ziel- und Nutzer(innen)gruppen, den Regelwerken und den Funktionen des jeweiligen Konzepts.

Da die einschlägigen Rechtsnormen lediglich für Menschen mit Geistiger oder seelischer Behinderung einen Anspruch auf Leichte Sprache vorsehen, findet in Kapitel 2.3 eine Auseinandersetzung mit der Lesekompetenz dieser Personengruppen statt. Bei der Beschreibung der Zielgruppen der Leichten Sprache wird, bezogen auf Menschen mit Geistiger und Menschen mit seelischer Behinderung, ein Fokus sowohl auf die pädagogische als auch auf die medizinische Perspektive und die jeweilige Prävalenz gelegt.

Kapitel 2 geht auf Aspekte der Leichten Sprache im Kontext des Verwaltungshandelns und Kapitel 3 auf die Bürgernahe Verwaltungssprache im Kontext der Inklusion ein. Eine detaillierte Beschreibung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit erfolgt in Kapitel 4.

Für das Konzept der Leichten Behördensprache sind die Aspekte Fachlichkeit, Qualität der Sprache und Inklusion essentielle Anforderungskriterien; sie werden in Kapitel 6 ausgeführt. Zu den Grundsätzen des Konzepts der Leichten Behördensprache gehört neben der Übersetzbarkeit in andere Sprachen auch die freie Verfügbarkeit. Das Konzept der Leichten Behördensprache distanziert sich von Exklusivität nicht zuletzt wegen des Risikos der Stigmatisierung der Nutzenden. Bewusst wurde der Begriff Konzept gewählt. Zum einen als Abgrenzung von diversen statischen Regelwerken und zum anderen um dem agilen Ansatz, der sich u.a. in der Struktur und Arbeitsweise der Summary-Teams zeigt, Rechnung zu tragen.

Kapitel 5 beschreibt eine empirische Untersuchung, bei der die Perspektive von Behördenmitarbeiter(inne)n im Fokus steht. Erhoben wurde u.a. ob Behördenmitarbeiter(innen) in einer Vereinfachung der Sprache eine Effizienzsteigerung ihrer eigenen Arbeit sehen und wen sie als Ziel- und Nutzer- (innen)gruppen identifizieren. Eine ähnliche Untersuchung zu Plain Language wurde in US-Behörden durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass die befragten Behördenmitarbeiter(innen) eine Ressourcenersparnis bei besserem Service für die Bürger(innen) sehen.

In Bezug auf die Leichte Sprache und die Leichte Behördensprache werden sowohl Optionen der Texterstellung durch Menschen als auch die Option der KI-basierten Texterstellung beschrieben. Der Aspekt der KI-basierten Texterstellung ist nicht nur wegen der von ChatGPT ausgelösten öffentlichen Wahrnehmung des Themas relevant; mit dem gezielten Einsatz besteht die Chance dem absehbar steigenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Die Anforderungskriterien Fachlichkeit, Sprache und Inklusion sind für das Konzept der Leichten Behördensprache essenziell, weil bisher weder die Leichte Sprache noch die Bürgernahe Verwaltungssprache diesen Aspekten gerecht wird.

Das Konzept der Leichten Behördensprache basiert auf den drei Säulen: „Hinweise zur Gestaltung von Texten und Summarys in der Leichten Behördensprache“, „Checklisten zur Erstellung von Summarys“ und den „Summary- Teams“. Die „Hinweise zur Gestaltung von Texten und Summarys in der Leichten Behördensprache“ verstehen sich als agiles Regelwerk, das Autor(inn)en Hinweise gibt und auf deren vorhandenem Wissen aufbaut – deshalb sind die Hinweise sehr knappgehalten. Die Anwendbarkeitstests haben gezeigt, dass diese kurze Variante von den Proband(inn)en für gut befunden wurde. Ein ebenso knapp gefasstes Hilfsmittel sind die „Checklisten zur Erstellung von Summarys“. Inhaltlich basieren sie auf den Rechtsgrundlagen für Bescheide und gewährleisten somit die inhaltliche Korrektheit der Summarys. Den Grundgedanken von Inklusion und Diversität folgend, wird ein Summary jeder Person, die mit einer Behörde in Kontakt steht, unaufgefordert zur Verfügung gestellt. Das Summary ist kein Bestandteil des Bescheids und somit nicht justiziabel, vielmehr ist es ein Dienstleistung- oder Serviceangebot der Behörde. Ein weiteres Kernelement des Konzepts der Leichten Behördensprache ist die Verstetigung des Summary-Teams. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass das punktuelle Sensibilisieren zum Thema kundenorientierte/bürgernahe Kommunikation bisher nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat. Deshalb ist die Verstetigung eines Summary-Teams innerhalb einer Behördenstruktur essentieller Bestandteil des Konzeptes der Leichten Behördensprache.

Kapitel 7 beschreibt die im Rahmen des Konzeptentwicklungsprozesses der Leichten Behördensprache durchgeführten Anwendbarkeitstests und Kapitel 8 gibt einen Überblick über weiterhin bestehende Desiderate und formuliert mögliche Fragen für künftige Forschung.

Die vorliegende Arbeit beschreibt die Gemeinsamkeiten zwischen Leichter Sprache und Bürgernaher Verwaltungssprache und geht auf die Frage ein, was sich hinter dem Begriff Leichte Sprache verbirgt und zeigt auf, wie die Teilhabesituation von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Kontext des Verwaltungshandelns verbessert werden kann. Mit der Kapitel 5 beschriebenen empirischen Untersuchung soll in Erfahrung gebracht werden, wie Behördenmitarbeitende eine Vereinfachung der schriftlichen Behördensprache bewerten und wen sie, aus ihrer Perspektive, als Nutznießer einer vereinfachten Behördensprache wahrnehmen.

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1 Der Begriff „Geistig“ wird in dieser Arbeit immer dann großgeschrieben, wenn nicht Quellen eine andere Schreibweise notwendig machen. In Kap. 2.3.2 wird die Problematik des Begriffs dargestellt. Auf diese Schreibweise wird zurückgegriffen, weil sie sowohl am Lehrstuhl für Pädagogik bei Geistiger Behinderung an der Universität Würzburg (vgl. https://www.sonderpaedagogik.uni-wuerzburg. de/g/startseite/ (geprüft am 23.07.2023)) als auch in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz gebraucht wird (vgl. KMK 2021).

2 Unterschiede im Sozialrecht sowie im Verwaltungsverfahren während der Teilung Deutschlands können im Rahmen dieser Arbeit nicht diskutiert werden.

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Sonja Abend Leichte Behördensprache 150 pxSonja Abend:

Dr. Sonja Abend promovierte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

 

Über „Leichte Behördensprache“

Leichte Sprache gewinnt zunehmend an Bedeutung. Behörden sind gesetzlich dazu verpflichtet, Informationen in Leichter Sprache bereitzustellen, um Menschen mit geistigen oder seelischen Behinderungen eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Sonja Abend untersucht die Sichtweisen von Behördenmitarbeitenden, die rechtlichen Rahmenbedingungen und vergleicht Leichte Sprache mit bürgernaher Verwaltungssprache. Daraus entwickelt sie das Konzept der Leichten Behördensprache.

 

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