Schreiben trotz Care-Arbeit: Mütter* in der Wissenschaft

Leseprobe Vogelaar Schreiben totz Care-Arbeit

Strategien für Mütter*, um wissenschaftliches Schreiben und Care-Arbeit unter einen Hut zu bringen: Leseprobe aus Schreiben trotz Care-Arbeit. Strategien für Mütter* in der Wissenschaft von Wiebke Vogelaar.

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Schreiben trotz Care-Arbeit: Was dich in diesem Buch erwartet

In diesem Buch soll es also um die Fragen gehen, die ich mir vor Jahren gestellt habe: Was heißt es eigentlich, Mutter* in der Wissenschaft zu sein? Was sind die damit verbundenen Herausforderungen, die insbesondere beim Schreiben auftreten? Geht das nur mir so? Ich bespreche diese mit einer Mischung aus eigener Erfahrung, den Erfahrungen anderer Mütter* aus meiner Coachingpraxis und neusten gesellschaftsrelevanten Erkenntnissen rund um das Thema Mutter*sein und Care-Arbeit. Als Antwort auf die Herausforderungen biete ich Strategien aus der Schreibdidaktik, dem Achtsamkeitstraining und der Produktivitätsforschung an, die genau da ansetzen, wo gerade Mütter* am meisten Unterstützung gebrauchen können. Ich weiß heute, dass ich genau das alles gebraucht hätte. Ich habe es mir gewünscht – und bin nun unfassbar dankbar, meine daraus erwachsenen Erkenntnisse weitergeben zu dürfen.

Ich möchte, dass du dich als Leser*in hier und jetzt gehört und verstanden fühlst. Ich stelle daher die Herausforderungen von Müttern* in der Wissenschaft zentral – wohlwissend, dass sowohl das Mutter*sein, die Arbeit als Wissenschaftler* in als auch die Kombination aus beidem ganz wundervolle Seiten haben kann. Da diese aber oft außer Frage stehen, und über die „Schattenseiten“ selten ehrlich gesprochen wird, widme ich diesen dieses Buch, ohne die „Sonnenseiten“ dadurch negieren zu wollen. Ich werde dir Strategien aufzeigen, mit denen du das Mutter*- und Wissenschaftler*in-Sein so miteinander in Einklang bringen kannst, dass es dir nicht (mehr) täglich an die Substanz geht. Es geht daher in diesem Buch beileibe nicht nur darum, wie du viele Seiten Text im vollen Alltag produzieren kannst, sondern ganz zentral auch darum, wie du das machst, ohne dabei (weiter) auszubrennen. Ich kann dir nicht versprechen, dass dir nach dem Lesen dieses Buches (oder einzelner Kapitel) plötzlich alles leicht von der Hand geht. Das möchte ich auch gar nicht. Denn es gibt ihn nicht, diesen einen Lifehack, der auf einmal alle Probleme löst. Mutter*sein ist anstrengend, Schreiben ist anstrengend – und beides zusammen umso mehr! Statt dir also das Gefühl zu geben, dass das mit ein bisschen besserem Zeitmanagement schon alles wird, möchte ich dir lieber einen Spiegel vorhalten, damit du siehst, was du da täglich leistet – als Mutter* und als Wissenschaftler*in.

Ich bin mir sicher, dass du dich in vielen der im Buch geschilderten Erfahrungen wiedererkennst. In manchen Aspekten wirst du dich aber auch von den geschilderten Erlebnissen und Einstellungen unterscheiden. Und das ist gut so! Mütter* in der Wissenschaft haben durch ihre geteilte intersektionale Position vieles gemeinsam – und doch sind wir alle verschieden. Allein durch die Bandbreite zwischen Müttern* in der Promotionsphase und jenen mit Professur ergibt sich ein Spannungsfeld. Ich versuche, dieses durch das Aufweisen der vielen gemeinsamen Faktoren zu manövrieren. Trotz aller Gemeinsamkeiten macht es aber natürlich einen Unterschied, ob du von einem Stipendium lebst, unbezahlt oder neben deiner Erwerbsarbeit wissenschaftlich schreibst oder eine Stelle an einer Universität oder Forschungseinrichtung hast. Auch unterscheiden sich Naturwissenschaftler*innen von Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen in ihren Strukturen, ihren Umfeldern und Erlebnissen. Hinzukommen unsere ganz individuellen Identitäten als Mütter* und Frauen* sowie auch die Persönlichkeiten unserer Kinder und das Verhältnis zu deren Vätern*. Auch gibt es gravierende Unterschiede darin, wie wohl sich Mütter* als Mütter* fühlen. In diesem Buch geht es primär um die Herausforderungen, die sich aus Mutter*schaft ergeben. Das soll aber nicht heißen, dass ich selbst nicht sehr gerne Mutter* bin und ich nur das Negative sehe. Aber ich bin eben an machen Tagen lieber Mutter* als an anderen. Und das kann dir genauso gehen – oder ganz anders. Ich empfinde diese Unterschiede alle als zutiefst menschlich und lade dich ein, wann immer du dich irgendwo im Buch nicht ganz abgeholt oder gesehen fühlst, weiterzulesen und trotzdem zu schauen, was es dir an anderen Stellen geben kann.

 

Kapitelstruktur

Im ersten Teil des Buches biete ich dir einen Problemaufschlag an. Einleitend bespreche ich, warum es aus meiner Sicht überhaupt ein Schreibcoachingbuch speziell für Mütter* in der Wissenschaft braucht (Kapitel 1). Dabei beziehe ich mich auf die Bedürfnisse und Wünsche von Müttern* aus meinem Coaching- Netzwerk und führe darauf basierend fünf zentrale Herausforderungen ein, denen diese in Bezug auf die Vereinbarkeit von Mutterschaft* und Wissenschaft gegenüberstehen. Dies sind: Erschöpfung, Fremdbestimmung, Abgelenktheit, Schuldgefühle und Unsicherheit.

Kapitel 2 dreht sich um das Thema Care-Arbeit. Hier zeige ich, wie insbesondere die kognitive und emotionale Sorgearbeit – in Abgrenzung zu aktiven Care-Aufgaben wie Haushalt und Zur-Kita-Bringen – Mütter* in der Wissenschaft betreffen und belasten. Dabei geht es mir vordergründig um den doppelten Mental Load, der sich aus der Kombination von familiärer Organisation und Planung mit der Organisation und Planung eines wissenschaftlichen Schreibprojekts ergibt.

Im letzten Kapitel des ersten Teils (Kapitel 3) gehe ich detailliert auf die sogenannte Muttertät ein. Dieser mehrjährige und irreversible Transformationsprozess prägt Mütter* auf verschiedenen Ebenen und stellt sie vor die Frage, wie ihre neu entstehende Identität als Mutter* zu der als Wissenschaftler*in passt. Auch der Prozess selbst, der in seiner Intensität mit der Pubertät vergleichbar ist, ist eine Herausforderung, da er zeitlich oft mit der wissenschaftlichen Qualifikations- und Karrierefindungsphase zusammenfällt. Intensiv erläutere ich die Veränderungen in dieser Zeit und stelle die Phasen der Muttertät mit Bezug auf das Schreibleben vor.

Im zweiten Teil des Buches stelle ich Strategien vor, um mit all diesen Herausforderungen besser umgehen zu können. Dabei spielt das Schreiben als Textproduktion immer eine Rolle, aber noch wichtiger ist mir eine Sensibilisierung für die dahinterliegenden Prozesse. Es ist mir ein Anliegen, dem oft eher technischen Verständnis von Schreiben und Schreibcoaching einen ganzheitlichen Blick entgegenzubringen. Deshalb findest du in diesem Teil nicht nur hilfreiche Techniken und Methoden, sondern vor allem einen nachhaltigen Ansatz, der speziell auf die in Teil 1 aufgezeigten Bedürfnisse von Müttern* in der Wissenschaft abgestimmt ist.

So stelle ich in Kapitel 4 meinen Ansatz der Konzentrationsrückbildung vor. Damit meine ich ein sanftes und gezieltes Training der Konzentrationsfähigkeit, das stattfinden darf, bevor es (zurück) an den Schreibtisch geht. Dieses Training lässt sich mit der Elternzeit kombinieren und ist gleichzeitig eine Erinnerung daran, dass Kraft und Kondition erst wieder aufgebaut werden müssen, bevor es um mehrstündige Schreibeinheiten gehen kann. Und das bei Bedarf auch noch Jahre nach der Geburt.

In Kapitel 5 erläutere ich Strategien, mit denen Mütter* in der Wissenschaft Platz in ihrem Kopf schaffen können. Es geht dabei sowohl darum, dem familiären Mental Load etwas entgegenzusetzen als auch den Kopf für das Schreiben vorzubereiten.

In Kapitel 6 führe ich diesen Gedanken fort und lade dazu ein, dich mit deiner Textbeziehung auseinanderzusetzen. Ist diese gestört, kann das Schreiben nicht gelingen. Dabei geht es mir explizit um die Schreibmotivation, um Selbstbestimmung und um Wertschätzung. Auch die Gestaltung einer wirklich hilfreichen Forschungsfrage ist aus meiner Sicht keine Technikalität, sondern Ausdruck von und Schlüssel für eine gute Textbeziehung.

In Kapitel 7 geht es dann hinein in den aktiven Schreibprozess: Ich thematisiere an diesem Punkt die Basisbedürfnisse, die während des Schreibens eine Rolle spielen, und die Wichtigkeit, diese ernst zu nehmen, um ins Schreiben zu kommen. Dafür stelle ich die HALT-Regel vor, bei der es um Hunger, Wut, Einsamkeit und Müdigkeit geht. Mit dem Selbstwerttopf gebe ich dir ein Modell von Selbstfürsorge an die Hand, das darauf abzielt, sich nicht nur mit Kraftspendern für das Schreiben, sondern auch mit Krafträubern auseinanderzusetzen. Letztlich geht es mir auch darum, dich zu motivieren, Hilfe für deinen Schreibprozess anzunehmen und Netzwerke zu bilden.

Im letzten Kapitel (Kapitel 8) stelle ich die Deep-Work-Philosophie als zentrale Antwort auf die Herausforderungen von Müttern* in der Wissenschaft vor. Sie lädt dazu ein, kurze Zeitfenster effizient und effektiv zu nutzen. Wer Deep Work beherrscht, kann in tiefe Konzentration abtauchen, wann immer es gerade passt. Und das ist Gold wert in einem fragmentierten Arbeitstag voller Ablenkungen, unvorhergesehener Betreuungsnotfälle und täglichem Mental Load! Ich zeige dir daher, was genau Deep Work ist und wie die sich damit verbundenen Aufgaben von anderen unterscheiden. Du erfährst, mit welchen Techniken Deep Work in die Praxis umgesetzt werden kann, wo du am besten in die Konzentration hineinfindest und in welchen Zeitintervallen du Deep-Work-Einheiten in deinen vollen Alltag als Mutter* und Wissenschaftler*in integrieren kannst. Mit all dem gewappnet, kann es gelingen: das Schreiben trotz Care-Arbeit.

Du kannst das Buch von vorne bis hinten lesen oder dir einzelne Strategien heraussuchen. Ergänzend zu den Fließtexten der Kapitel gibt es drei Arten von Boxen, die du als zusätzliche Orientierung nutzen kannst:

  1. Fokusboxen enthalten Zusatzinformationen, wie Details zu bestimmten Strategien oder eine Besprechung verwandter Themen.
  2. Erfahrungsboxen enthalten Geschichten von Müttern* in der Wissenschaft als von ihnen bereitgestellte Zitate.
  3. Praxisboxen enthalten Berichte aus meiner Coachingpraxis und thematisieren individuelle Strategien, Herausforderungen und Erfolge einiger meiner Coachees.

Am Ende jedes Kapitels im zweiten Teil findest du eine Übersichtstabelle mit Einsatzgebieten und Kurzfassungen der vorgestellten Strategien. Über den am Ende des Buches gedruckten QR-Code bzw. den darunter gedruckten Link bekommst du Zugriff auf das im Laufe der Kapitel erwähnte Zusatzmaterial: eine Tool-Liste, auf der ich Apps, Playlisten und Programme zusammengestellt habe, die dir das Umsetzen der im Buch aufgezeigten Strategien erleichtern, und eine Vorlage für deinen persönlichen Deep-Work-Fahrplan.

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* Ich schreibe das Wort Mutter* und alle Wörter, die es enthalten, mit *. Ich tue dies, um auf den sozial konstruierten Charakter der Mutter*rolle hinzuweisen und um alle Menschen aller Geschlechter/Gender anzusprechen, die sich in den in diesem Buch beschriebenen Herausforderungen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Rollenerwartungen wiedererkennen (siehe auch Haller und Schlender, 2022). Auch Frauen*, Männer*, Väter* und Partner* schreibe ich aus diesem Grund bewusst mit *.

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Vogelaar, Wiebke 1 © Marcia FrieseDr. Wiebke Vogelaar, Schreibcoach, dreifache Mutter, Gründerin von Alma Mater und THE WRITING ACADEMIC

 

 

 

 

Über „Schreiben trotz Care-Arbeit“

„Du kannst ja schreiben, wenn es schläft“ ist nur einer der gut gemeinten Ratschläge, die Mütter* in der Wissenschaft häufig zu hören bekommen. Warum es meistens nicht so einfach ist und welche Hindernisse Müttern*, die wissenschaftlich arbeiten auch über die Baby- und Kleinkindphase hinaus begegnen, steht im Fokus dieses Buches. Wiebke Vogelaar identifiziert sechs Herausforderungen und ordnet sie in den Kontext der Muttertätsforschung und den Erfahrungen aus ihren Schreibcoachings ein. Daraus entwickelt sie lebensnahe Handlungsmöglichkeiten, durch die Mütter* sich (wieder) besser selbst verstehen und gestärkt schreiben können.

 

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© Foto Wiebke Vogelaar: Marcia Friese | Titelbild gestaltet mit canva.com