„Wissenschaftlich Arbeiten für Vielbeschäftigte“: Leseprobe

Ein Mann jongliert Bälle an einem Zebrastreifen

Wissenschaftlich Arbeiten für Vielbeschäftigte. Ein praktischer Leitfaden mit Beispielen, Anleitungen und Vorlagen

von Petra Heidler, Albin Krczal und Eva Krczal

 

Über das Buch

Du hast viel vor und jetzt auch noch eine wissenschaftliche Arbeit? Dieses Buch richtet sich praxisbezogen an Studierende, die ohne großen Aufwand eine gute wissenschaftliche Arbeit anfertigen und abliefern möchten. Die Autor:innen geben ganz konkrete Hilfestellungen, um den verschiedenen Anforderungen beim Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten gerecht zu werden.

Leseprobe: S. 75-81

 

6 Arten von wissenschaftlichen Arbeiten

Nachdem Sie ein Thema gefunden haben, müssen Sie überlegen, welche Art von wissenschaftlicher Arbeit Sie schreiben wollen. Grundsätzlich wird zwischen dem theoretischen und dem empirischen Forschungsansatz un­terschieden. Zu den empirischen Ansätzen gehören auch Fallstudien und Praxisprojekte. Während beim empirischen Ansatz direkt am konkreten Un­tersuchungsgegenstand geforscht wird, handelt es sich beim theoretischen Ansatz um eine sog. Literaturarbeit. Die Entscheidung für eine spezifische Art hängt vor allem vom Erkenntnisinteresse und der Forschungsfrage bzw. dem Ziel der Arbeit ab.

 

6.1 Theoretische Arbeit oder Literaturarbeit

Eine theoretische Arbeit erfordert die Auseinandersetzung mit verschiedenen wissenschaftlichen Theorien und empirischen Befunden zu einem bestimm­ten Thema bzw. einer bestimmten Forschungsfrage, wobei es um die Ein­bettung der Fragestellung in die relevante Literatur geht. Die verschiedenen Ansätze müssen dargelegt, bewertet und kritisch bzw. argumentativ nach bestimmten Aspekten und Kriterien, die sich aus der Themenstellung bzw. Forschungsfrage ergeben, miteinander verglichen werden. Dabei ist die vor­handene wissenschaftliche Literatur zu einer bestimmten Themenstellung systematisch und detailliert zu analysieren. Damit wird der gegenwärtige Forschungsstand (State of the Art) dargelegt, und Forschungslücken werden aufgezeigt. Meist handelt es sich bei der wissenschaftlichen Literatur um em­pirische Studien, die zusammengefasst dargestellt werden. Zum Abschluss der Arbeit sollen theoretische Schlussfolgerungen bzw. Konsequenzen abge­leitet und ein Ausblick auf weitere Forschungsarbeiten geliefert werden.

Bei einer theoretischen Arbeit kann unabhängig von externen Personen gear­beitet werden. Empirische Daten aus z. B. Interviews oder anderen Arbeiten können rezitiert werden. Eine theoretische Arbeit erfordert grundlegende Lesekompetenzen und analytische Fähigkeiten sowie gute Kenntnisse über empirische Forschungsmethoden, die in den zu analysierenden Studien ver­wendet worden sind. Dies erfordert eine umfangreiche Literatur- und Fak­tenrecherche in Bibliotheken sowie viel Denk- und Argumentationsarbeit. Empfehlenswert ist der vorherige Besuch einer Lehrveranstaltung zur Metho­denlehre. Es kann auch zu Beginn eine These aufgestellt werden, die dann auf Basis der vorhandenen Literatur überprüft oder weiterentwickelt wird. Im Hauptteil der Arbeit erfolgt eine Darstellung oder eine Gegenüberstellung der verschiedenen Autor/innen, wobei zu deren Beiträgen kritisch Stellung genommen werden sollte. Da hier nur auf bereits vorhandene wissenschaft­liche Literatur zurückgegriffen wird, werden diese Arbeiten auch als Litera­turarbeit bezeichnet.

Eine theoretische Arbeit kann aus einem Vergleich bestehen, in dem unter­schiedliche Theorien einander gegenübergestellt und bewertet werden. Es kann auch das Modell „These – Antithese – Synthese“ verwendet werden, in­dem eine Theorie dargestellt und nachfolgend einer anderen gegenüberstellt wird. Werden diese beiden Theorien miteinander kombiniert, entsteht aus der Gegenüberstellung die Synthese. Im Schlussteil der Arbeit kann dann die neue, erweiterte Theorie dargestellt werden.

Die Leistung der Studierenden wird vor allem nach ihrer Fähigkeit beurteilt, den Stand der Forschung zusammenzufassen und bereits vorliegende Arbei­ten einander gegenüber zu stellen, theoretisch zu bewerten, verschiedene Standpunkte darzulegen und kritisch zu beurteilen. Damit wird eine Zusam­menfassung des gegenwärtigen Standes der Diskussion zu einem bestimmten Thema geliefert, die durch eigene Ansichten und Schlussfolgerungen, Dar­legung des zukünftigen Forschungsbedarfs und Aufzeigen von Forschungs­trends ergänzt wird.

 

6.2 Empirische Arbeit

Bei einer empirischen Arbeit kann an einem konkreten Untersuchungsgegen­stand geforscht und damit ein Beitrag zum gegenwärtigen wissenschaft­lichen Stand eines Themenbereiches geliefert werden. Ausgewählte Artikel zum Themenbereich sind zusammenzufassen und eventuelle Forschungs­lücken sollten aufgezeigt werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob sich für den Untersuchungsgegenstand eher qualitative Expert/inneninterviews oder quantitative, repräsentative Umfragen eignen. Dabei ist auf die Forschungs­frage Bezug zu nehmen und ein entsprechendes Untersuchungsdesign ist zu entwickeln. Die Grundlage für die Datenerhebung bilden die theoretischen Ausarbeitungen und eventuell bereits durchgeführte Studien zum Themen­bereich. Die Ergebnisse der Datenauswertung müssen statistisch analysiert sowie nach wissenschaftlichen Richtlinien dargestellt und diskutiert werden. Am Ende der Arbeit sollten Schlussfolgerungen gezogen und die eigene Ar­beit sollte kritisch beurteilt werden.

Auch bei empirischen Arbeiten ist im ersten Teil der Arbeit eine Aufarbeitung der vorhandenen Literatur und der vorhandenen Studien über die Themen­stellung und eine Wiedergabe des Forschungsstandes erforderlich, d. h., die eigene Studie muss in einen theoretischen Rahmen eingebettet und zu den vorhandenen Forschungsergebnissen in Beziehung gesetzt werden (Einbet­tung des Themas). Zu diesem Zweck sollten ein konzeptioneller Rahmen und die Basis für den Fragebogen oder die Interviews entwickelt werden. Die Daten werden erhoben, aufbereitet, geordnet und ausgewertet. Die Beant­wortung der Forschungsfrage erfolgt somit durch eine theoriegeleitete Erhe­bung, Analyse und Interpretation der erhobenen Daten.

Es wird zwischen quantitativen und qualitativen Methoden unterschieden. Mit qualitativen Methoden werden nicht standardisierte Daten erhoben und ausgewertet. Meistens erfolgt dies in Form von Expert/inneninterviews mit offenen Fragen. Die Expert/inneninterviews können eventuell auch als Fall­beispiele dienen. Auf diese Art kann zumeist mengenmäßig weniger als bei Umfragen erfasst werden, dafür vielfach genauere Daten in Form von Grün­den oder Motiven der interviewten Personen, welche die Problemstellung besser veranschaulichen und damit zu neuen Erkenntnissen führen. Aus der Datenanalyse können Hypothesen generiert werden. Diese Vorgangsweise eignet sich insbesondere dann, wenn

  • unbekannte Phänomene untersucht werden sollen,
  • neue Thesen/Theorien/Modelle entwickelt werden sollen oder
  • ein Untersuchungsgegenstand in seiner Ganzheit, Komplexität und Viel­fältigkeit erfasst werden soll.

Bei quantitativen Methoden werden aus den Erkenntnissen des Theorieteils zunächst Hypothesen formuliert. Je nach Forschungsfrage werden dann stan­dardisierte Daten erhoben. Die Erhebung erfolgt in den meisten Arbeiten mit Fragebögen. Zu den einzelnen Fragen gibt es vorgegebene Antwortskalen. Die Anzahl der Befragten soll möglichst groß sein. Nach einer statistischen Auswertung der Daten können die zuvor aufgestellten Hypothesen über den Untersuchungsgegenstand überprüft und verifiziert oder falsifiziert werden.

Die Forschungsergebnisse werden anhand der Hypothesen interpretiert und bewertet. Diese Vorgangsweise eignet sich insbesondere dann, wenn

  • vorhandene Theorien oder Phänomene betrachtet werden sollen,
  • Hypothesen/Theorien überprüft werden sollen,
  • allgemein gültige Aussagen (Gesetzmäßigkeiten) abgeleitet werden sollen oder
  • Prognosen abgeleitet werden sollen.

Bei einer empirischen Arbeit sollten Sie zu der Erläuterung der methodischen Vorgangsweise auf folgende Punkte eingehen:

  • wissenschaftliche Fragestellung bzw. Hypothesen,
  • Untersuchungsdesign,
    • Forschungsablauf,
    • Methodenwahl inkl. Begründung,
  • Operationalisierung bei quantitativer Erhebung,
  • Beschreibung der Stichprobe sowie der Kriterien der Stichprobenziehung,
  • Datenerhebung,
    • Erhebungsverfahren und -instrumente inkl. Begründung (z. B. Frage­bogen, Interviewleitfaden),
    • Erhebungsprozess (z. B. Online-Befragung, Face-to-Face-Interviews),
  • Datenerfassung und -aufbereitung (z. B. Transkription),
  • Datenanalyse,
    • Qualitative Auswertungsverfahren
    • Quantitative Auswertungsverfahren.

Durch eine vollständige Darstellung der Vorgehensweise wird auch erreicht, dass die Studie oder die Erhebung wiederholt werden kann. Damit kann auch überprüft werden, ob die Vorgehensweise für die Hypothesengenerierung bzw. Hypothesenprüfung geeignet war. Bitte beachten Sie:

Gleichsam wie im Exposé wird auch bei der Beschreibung der Methodik in der Abschlussarbeit von Ihnen erwartet, dass Sie die Methoden der Daten­erhebung und Datenauswertung erläutern und diskutieren. Dies bedeutet, dass Sie mögliche Methoden der Datenerhebung und Datenauswertung dar­legen und begründen, warum Sie sich für eine gewisse Methode entschieden haben und warum andere Methoden nicht so geeignet sind. Dabei sollten Sie auch auf die Gütekriterien von Messinstrumenten (siehe Kapitel 7.2.6.3) ein­gehen.

 

6.3 Fallstudien

Die Fallstudienanalyse zählt zu den qualitativen Methoden, vor allem in der Managementforschung haben Fallstudien eine zunehmende Bedeutung er­langt. Mit einer Einzelfallstudie wird ein bestimmter Ausschnitt aus der Rea­lität untersucht oder es wird eine Theorie erhärtet oder relativiert. Dabei ist eine bestimmte Vorgehensweise erforderlich, um die Daten auch verwerten zu können. Mayring (2016, S. 43f.) führt fünf zentrale Aspekte an:

  1. Fragestellung: Was wird mit der Fallanalyse bezweckt?
  2. Falldefinition: Was soll als Fall gelten? Was wird untersucht?
  3. Methodenbestimmung und Materialsammlung: Welche für die Fragestel­lung aussagekräftigen Quellen und welche qualitativen Methoden kom­men zum Einsatz?
  4. Aufbereitung des Materials: Wie wird das Material dokumentiert/fixiert? Wie wird das Material kommentiert? Wie werden die Daten zusammen­gefasst, strukturiert und wie Kategorien gebildet?
  5. Falleinordnung: Wie lässt sich der Fall in einen größeren Zusammenhang einordnen? Wie lässt er sich mit anderen Fällen vergleichen?

Bei einer Fallstudienanalyse werden idealerweise mehrere Methoden zur Er­hebung von Daten aus unterschiedlichen Quellen eingesetzt (Schmidt, 2006, S. 95). Die Fallstudie wird als Forschungsansatz oft kritisch besprochen. We­gen ihres oft qualitativen Charakters wird ihr eine geringere Objektivität, Quantifizierbarkeit, repräsentative Aussagekraft oder Robustheit als anderen Ansätze vorgehalten, wie z. B. dem Experiment, rein quantitativen Erhebun­gen über sehr große Stichproben in Form von standardisierten Umfragen so­wie der Analyse von archivierten Daten (Yin, 2014, S. 10). Ob eine Fallstudie für eine wissenschaftliche Arbeit die adäquate Vorgehensweise ist, hängt vor allem von der Zielsetzung und der konkreten Forschungsfrage ab. Wie bei jedem Ansatz geht es auch bei der Fallstudie um die Erhebung und Analyse empirischer Daten. Es wird versucht, durch Beobachtung und Analyse einer Einzelfall- oder einer Mehrfallstudie zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Eine statistische Generalisierbarkeit kann mit einer Fallstudie jedoch nicht erreicht werden. Es besteht aber die Möglichkeit einer analytischen Genera­lisierbarkeit. „Fallstudien als Forschungsstrategie versuchen daher vielmehr, die gewonnen Erkenntnisse zu einer darüber liegenden theoretischen Domä­ne zu generalisieren und den Nutzenzuwachs durch Anreicherung der rele­vanten Theorie zu generieren“ (Schmidt, 2006, S. 110). Die durch qualitative Forschung im Rahmen einer Fallstudie erlangten Daten geben dem/der For­scher/in mehr Möglichkeiten, die Bedeutung beobachteter Handlungen und Ereignisse zu verstehen. Die Analyse qualitativer Daten gewährt im Gegen­satz zu quantitativ erhobenen Daten tiefere Einblicke in den Untersuchungs­gegenstand. Um die theoretischen Schlussfolgerungen aus einer Fallstudie zu erhärten, könnte die Studie im Rahmen anderer Fallstudien wiederholt werden, wobei dies gemäß der Theorie zu vergleichbaren Ergebnissen führen sollte.

In folgenden Fällen wäre die Fallstudie eine geeignete Forschungsstrategie (Schmidt, 2006, S. 107):

  • Die Forschungsfragen haben einen „Wie“ oder „Warum“ Charakter.
  • Der Untersuchungsgegenstand liegt in der Gegenwart.
  • Es besteht keine Kontrolle über das Verhalten der involvierten Akteure oder sonstigen Rahmenbedingungen.

Es wird in Einzelfall- und Mehrfallstudien differenziert. Die Einzelfallstu­die wäre unter folgenden Umständen der Mehrfallstudie vorzuziehen (Yin, 2014, S. 40):

  • Es wird ein „kritischer“ Fall behandelt, der sich besonders dazu eignet, eine bestehende Theorie zu testen.
  • Der untersuchte Fall stellt eine extreme oder einzigartige Situation dar.
  • Es handelt sich um eine typische oder repräsentative eher allgemeine Situ­ation für eine Vielzahl von Fällen, die untersucht werden könnten. Als Er­gebnis lassen sich Schlüsse auf andere vergleichbare Situationen ziehen.
  • Es wird mit einer Fallstudie Zugang zu bisher wissenschaftlich unerreich­baren Untersuchungsgegenständen erhalten.
  • Im Rahmen einer Langzeitstudie eines einzelnen Falls kann dieselbe Si­tuation zu verschiedenen Zeitpunkten oder über einen langen Zeitraum untersucht werden.

Der Vorteil von Mehrfallstudien ist einerseits, dass die Ergebnisse über­zeugender wirken als die von Einzelfallstudien, und sie andererseits auch wiederholt werden können. Dabei wird ein Phänomen, welches in einem Fall beobachtet wird, am Beispiel eines anderen Falles untersucht. „Je über­zeugender und je häufiger solche Replikationen die gefundenen Ergebnisse bestätigen können, desto stärker werden die gewonnenen Erkenntnisse me­thodisch untermauert“ (Schmidt, 2006, S. 117). Der Nachteil von Mehrfall­studien ist jedoch, dass sie aufwändiger, teurer und zeitraubender in der Durchführung sind. Untersuchungsobjekte in einer Fallstudie können einzel­ne Individuen und deren Handlungen sein. Aber auch Teams, Abteilungen, Sparten, Regionen, spezielle Ereignisse, Entscheidungsprozesse kommen als Untersuchungsobjekt in Frage, das wiederum verschiedene Datenerhebungs­instrumente erfordert.

Die Gliederung von Fallstudien und Praxisprojekten entspricht dem Mus­ter einer empirischen Studie, ist jedoch weniger kontrolliert und mit einem geringeren methodischen Anspruch verbunden. Das erste Kapitel beginnt mit einer Einleitung und enthält die Problemstellung, die Forschungsfrage, Zweck und das Ziel sowie den Aufbau der Arbeit. Im zweiten Kapitel folgen der theoretische Hintergrund und die Erwartungen an den Fall bzw. an das Praxisobjekt. Im dritten Kapitel werden die Methodik und Vorgehensweise beschrieben. Im folgenden praktischen Teil werden zunächst die konkreten Bedingungen geschildert, unter denen die Fallstudie oder das Praxispro­jekt stattgefunden hat. Außerdem wird das Untersuchungsobjekt erläutert, und die diagnostischen Instrumente und Methoden werden beschrieben. Nach der Datenerhebung werden die Ergebnisse dargelegt. Im Rahmen der Datenanalyse werden die Ergebnisse analysiert und bewertet. Im Schluss­teil werden die Ergebnisse zusammengefasst und beurteilt, und es werden Schlussfolgerungen gezogen. Die Zusammenfassung enthält auch einen Aus­blick.

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© Unsplash 2022 / Foto: Matt Bero